Benjamin Radchewski
Aschdot Ja'akov
Gefhlsmig hatten wir eigentlich den Kibuz nie verlassen, auch in Naharia waren wir Kibuzniks geblieben und wenn wir es einmal vergaen erinnerte man uns schon daran. Wir dachten, handelten, benahmen uns wie Kibuzniks, in unserem Lebensstil und im Verkehr mit anderen. Kein Wunder, da wir uns in Naharia nicht akklimatisierten.
Czarna, die Sekretrin von Aschdot Ja'akov, an die Nanni bei ihrem Besuch daselbst sich wandte, ume eine Aufnahme im Meschek zu errtern, sah in uns garnicht das berufslose, mittellose Ehepaar mit berdies schwangerer Frau, das im Kibuz ein Unterkommen suchte. Sie war von Nanni usserst beeindruckt, von ihrem Auftreten und ihrer Erfahrung in der Arbeit mit Kleinkindern. Mich betreffend bemerkte Czarna nur, wer in den Pardessim von Kfar Saba im Handhaben der Turia geschult, der sei wohl jeder Arbeit im Meschek gewachsen. Sie, Czarna, wrde unser Ansuchen mit positiver Empfehlung ihrerseits zur Sprache bringen.
Und wirklich, im Verlauf von ein paar Tagen teilte uns das Sekretriat von Aschdot Ja'akov mit, da unsere Aufnahme im Prinzip beschlossen sei, als ehemalige Mitglieder aber von Kibuz "Machar" htten wir die formelle Besttigung der Zentrale der Kibuzbewegung einzuholen.
Wir verstanden natrlich sofort warum. Im Laufe der Jahre hatten viele Mitglieder kleinerer Kibuzim, die in den groen Meschakim auf Auenarbeit waren, ihren ursprnglichen Kibuz (der nicht selten selbst vor der Ansiedlung stand und alle Krfte bentigte) verlassen und sich dem groen wohl fundierten Kibuz ihres Arbeitsplatzes angeschlossen. Ohne 'Auenarbeit' konnten die kleinen Kibuzim, die auf ihre Ansiedlung warteten nicht auskommen, der Verlust an Mitgliedern andererseit versetzte sie in eine schwere Lage. Den groen Kibuzen war die Entwickelung genehm - die kleinen wandten sich an die Zentrale um die 'Landflucht' zu stoppen.
Wir bekamen eine Vorladung von der Aufnahmekommission des Zentral-Kommitees. Die Buros der Kibuzzentrale waren damals in Tel-Aviv in einem Mietshaus gegenber dem Herzlia-Gymnasium, seeligen Angedenkens. Awraham Schechter, selbst Mitglied von Aschdot Ja'akov stand der Sitzung vor. In bester bolschewikischer Tradition wurde aus einer formellen Verhandlung sofort eine 'Untersuchung', wobei die 'Schuld' der 'Angeklagten' von vornherein festand. Den Kibuz verlassen, ein Schritt selbst bar jeder Ideologie, und nicht nicht zum alten Platz zurckkehren zu wollen, bweise nichts als Mangel an Aufrichtigkeit. Von Wortwechsel war nicht die Rede, Schechter allein fhrte das Wort, die anderen schwiegen. Die Atmosphre wurde usserst unangenehm und wir fhlten, da fr uns hier nichts mehr auszurichten war. Nanni, die den zentralen Gremien des Kibuz immer groen Respekt entgegen brachte, wurde rgerlich und entgegnete Awraham Schechter mit einer scharfen Bemerkung. Dann warfen wir die Tr hinter uns zu. Aber wie in all diesen Dingen, die Ideologie allein ist nicht immer ausschlaggebend. Ein guter Teil Selbstinteresse, persnlich oder geschftlich, spielt nicht selten mit. Man gibt dem Kaiser was des Kaisers ist, um der Ehre des Kibuz Genge zu tun: die zndende Rede. Was unser Aufnahmegesuch betraf, so teilte uns Aschdot Ja'akov wenig spter mit, da unserer Aufnahme nun weiter nichts mehr im Wege stehe...
Viel zu packen hatten wir nicht in Naharia. Das Inventar unseres Haushalts berstieg nicht ine kibuzische Zimmereinrichtung. Ein paar Teller und Tassen, ein paar Teelffel. Ausnahme machte vielleicht ein elektrische Wasserkessel, den ich noch von Holland mit mir herumschleppte. In Kibuz "Machar" aber kannte man keine Steckdosen in den Zimmern. (Ich erwhne den Wasserkessel, denn kurz nach der Staatsgrndung war das Thema elektrischer Kessel Punkt 1 der Tagesordnung mancher kibuzischen Generalversammlung: das Rckzugsgeplnkel der reinen Ideologie). Mbel? Mit Apfelsinenkisten wollten wir natrlich nicht in Aschdot Ja'akov ankommen. In einem der Gsschen auf dem Hadar in Haifa konnte man fr wenig Geld Schrank und Bettkiste, die auch als Kommode diente, erwerben, mehr als ausreichend fr unsere Zwecke.
Den Laster, der uns nach Aschdot bringen sollte trafen wir in der Haifaer Altstadt. Fr den Transport von Naharia nach Haifa hatten wir selbst zu sorgen. In Naharia fand ich den Besitzer eines Tenders, der die Militrkantinen der Umgegend mit Zigaretten und Proviant belieferte, der war bereit mich ganz umsonst nach Haifa zu bringen, er htte nur unterwegs noch ein oder zwei Kantinen anzulaufen. Also los.
Es war ein glhender Augusttag. Unsere paar Sachen hatten wir in Decken eingehllt. Nanni fuhr per Autobus, es war nur ein Platz neben dem Chauffeur. Der nchste Kunde, den er zu besuchen hatte war die Kantine auf dem Flugplatz in Akko. Der Flugplatz war nicht weit von der Hauptstrae entfernt. Der Posten an der Einfahrt winkte uns durch, ohne zu fragen, ohne zu untersuchen. Die 'Kantine' erwies sich als eine aus ein paar Brettern zusammen genagelte Blechhtte, dem Einsturz nahe, nicht grer als ein Kiosk. Mein Chauffeur nahm seine paar Pakete und ging hinein, ich hatte Zeit mich ein bisschen draussen umzusehen. Und zu sehen gab es genug. Dicht an der Runway standen an die acht bis zehn schwere viermotorige Bomber vom Typ 'Liberator' aufgereiht. Rings um jedes Flugzeug, im Halbkreis angeordnet, Fsser mit Brennstoff, Bomben und Kisten mit Munition. Alle Tren sperrangelweit offen, alles fertig zum Aufstieg. Kein Posten, kein Techniker oder berhaupt irgend ein Erwachsener war weit und breit zu sehen. Dagegen wimmelte es von arabischen Kindern die ohne jegliche Be- schrnkung berall herumtobten, in die Flugzeuge hineinkletterten und mit der Steuerung spielten, auf den Bomben herumritten und von den Munitionskisten sprangen. Wo noch in der Welt gab es einen solchen Kinderspielplatz und noch dazu ohne jede Aufsicht. Ein Streichholz allein konnte das alles gen Himmel jagen und ein leiser Zweifel schlich sich Dir ins Herz, ber den Durchhaltewillen der britschen Armee gegenber Rommel in der westlichen Wste. Rommel hatte Tobruk genommen und bereitete den Vormarsch nach Alexandria vor und alles lie daruf schlieen, da die Englnder nicht beabsichtigen Palstina im Falle eines Verlusts von gypten zu halten. Die einzige Beruhigungspille, die der britische General Aukinleck der Presse verabreichen konnte, war seine klassische Bermerkung, da die Lage wohl ernst aber keinesfalls katastrophal sei.
Der Lastwagen war vollbeladen mit Viehfutter, auf dem wir unser Mobilar oben drauf verstauten und mich selbst, in der Kabine war nur ein Platz frei. Ins Emek Hajarden gelangt man von zwei Richtungen: durchs Emek Jesre'el oder ber Kfar Chitin und Kfra Tabor. Ich zog immer letztern Weg vor; von Kfar Tabor fhrt man nach Tiberias hinunter und vor Dir liegt der herrliche Kinneret (See Genezaret) ausgebreitet, 250 Meter unter dem Meeresspiegel. Die Strae von Zemach nach Gescher durchquert das Emek Hjarden, Die beiden Degania, Kinneret, Bet Sera, Afikim auf der einen Seite, Scha'ar Hagolan, Massada und Aschdot Ja'akov gegen-ber. Einige hundert Meter zweigt die Strae ab zur Einfahrt ab. Gleich am Tor der alles berragende Getreidesilo, Wirtschaftsgebude und Handwerksbetriebe, Milchvieh und Gefl-gel. Eine von alten Ficus-Bumen vllig berschattete Allee fhrte zum Essaal, einem riesigen Holzbau und zu den Kinderhusern, zum grten Teil unsichtbar hinter ausladenen Garten- und Rasenflchen.
Wir wurden in einer Htte aus Schilfmatten untergebracht, an die vier mal vier Meter gro, die bequem unsere Habseeligkeiten aufnahme, Doppelbett und Tischchen und Hocker und Schrank und Kommode - ein richtiges Zimmer, soga eine Steckdose fr den Wasserkessel gab es. Keine Petroleumlampe mehr. Wir breiteten das Moskitonetz ber dem Bett aus - ohne das schlft kein Mensch im Emek Hajarden.
Aschdot Ja'akov erstand in den dreiiger Jahren auf den Bden von Delhamia, die durch das Ansiedlungsprojekt des Baron Rothschild (PICA) erworben worden waren. Die Ansiedler selbst hielten einige Jahre vorher Kibuz 'Gescher' an der transjordanischen Grenze, gegenber 'Naharajim', dort hatte Pinchas Rutenberg in den 20iger Jahren ein hydro-elektrisches Kraftwerk errichtet, die topographischen Unterschiede zwischen Jarmuk und Jarden ausnutzend. Die Leute von Gescher stellten die Arbeitskrfte zur Errichtung und Betreibung des Kraftwerks, recht bescheiden in seinem Umfang (18000 kw), doch den damaligen Anforderungen der Meschakim im Emek Hajarden durchaus gengend. !948 besetzten die Jordanier das Kraftwerk - und zerstrten es; wozu brauchten sie Strom?
Die Bden von Aschdot Ja'akov waren beschrnkt, nicht mehr als 3000 Dunam Feldbau und an die 1500 Dunam bewsserbarer Boden. Aber das 'Kineret-Tal (so nennen sich gern die Einwohner des Emek Hajarden) ist flach wie ein Tisch und man kann dort Wasser in offenen Grben in jede Ecke fhren und nach uralter Methode durch 'berschwemmung' bewssern. Die Wasserquelle war der Jarmuk und das Wasser von fast europischer Qualitt: 80 mg Chlor pro Liter (im Vergleich zun den 400 mg des Jordan zum Beispiel), und zum Kostenpreis des elektrischen Stroms von Naharajim, d.h. halb umsonst. Die 'offene' Bewsserung verlangte allerdings sorgfltige Vorbereitung des Bodens, Vermessung mit dem Nevilier und Begradigung mit ensprechendem Gert.
Eingewallte Beete, an die 100 Meter lang und an die 30 Meter breit nahmen das Wasser auf, das vom Pumpenhaus am Jarmuk herkam. Der zuleitende Graben fhrte an die 250 - 400 Liter Wasser pro Stunde, und es gehrte schon ein wenig bung dazu um damit fertig zu werden. Man mute wissen, wie das Wasser in die einzelen Beete zu verteilen. Auf Gedeih und Verderb, bremsen konnte man nicht, es gab noch kein Walkie-Talkie ins Pumpenhaus, mehr als einen Kilometer entfernt.
Es dauerte geraume Zeit bis wir uns in Aschdot Ja'akov auskannten, in den zahreichen landwirtschaftlichen Betrieben - und in den Menschen. Der Kibuz zhlte damals wohl an die tausend Einwohner, incl. Kindern und Nicht-Mitgliedern. Nicht an einem Tag konnten wir die verschieden 'Schichten' kennen lernen und sicher nicht deren Vertreter, ein Jeder mit seiner Besonderheit, eine Gesellschaft, die trotz ihres 'Sozialismus' fanatisch diese ihre Besonderheit verteidigte.
Die Arbeitseinteilung fand fr Nanni, im achten Monat ihrer Schwangerschaft, einen Platz in der Kleiderkammer, mich schickte man in die Bananen; dafr hatte Raphael Kleinschmidt gesorgt, der dort fest arbeitete. Die Ertrge der Pflanzungen waren bemerkenswert: an die 30 Kilo pro Staude. Die Chawerim die den Kern des Bananen-Teams ausmachten, waren im Durchschnitt etwas lter als ich. Der Verantwortliche war ein junger Mann namens Hilel Leibowitz, um die dreiig, Junggeselle, der Herkunft nach Lette, der sich ganze Theorien betreffs der Bananenzucht in den Kopf gesetzt hatte. Um neun Uhr traf man sich in der Pflanzung zum Frstck (um sechs Uhr morgens nahm man nur einen Schluck Tee im Essaal, bevor man hinaus fuhr). Man sa um eine Milchkanne mit irgend einem Getrnk herum, meistens Tee, denn das Wasser am Platz durfte man nicht trinken (ein besonderes Leitungsnetz diente im Meschek nur fr Trinkwasser).
Schon im Anfang fiel zwischen den 'Bananisten' mir ein lterer Mann auf, an die zwei Meter gro und mit einem vierkantigem Gesicht. Man nannte ihn 'Dubi'. Bei der Errichtung des Staudamms in Naharajim war ihm eine Ladung Beton auf den Kopf gefallen; sein Kopf hatte Stand gehalten, sein Gesicht hatte eine Reihe von Operationen ntig. Dubi sah sich im Kreis der Bananenarbeiter als der natrliche Vorsitzende. Er bestimmte das Thema der Unterhaltung und dominierte die Diskussion, so, wie er abends am einzigen Radiogert des Meschek die 'Nachrichten' des mandatorischen 'Kol Jeruschalajim' einschaltete und den politischen Kommentator Mosche Medjini seinerseits kommentierte. Wer sich in die Atmosphre einfhlen konnte, verstand schon warum. Es lag in der Luft, es war sprbar, wie der die ersten, warnenden, noch ganz leichten Erschtterungen eines nahenden Erdbebens.
Das Gespch drehte sich wohl um Rommels Bewegungen in der westlichen Wste, besonders nach dem Fall von Tobruk und die mglich Bedrohung Palstinas. Die Entwickelungen an der russischen Front, wenige Wochen vor Stalingrad. Sdost Asien be- schftigte uns weniger. Nur so viel war bekannt, da die Englnder dort wenig Furore gemacht hatten. Das Thema aber, das uns in Bann hielt, alle welterschtternde Ereignisse um uns berschattete, waren die politischen Entwicklungen der letzten Monate, die die Juden Erez Jisraels in Bann hielt (was sich in Europa abspielte, darber wute man zur Zeit berhaupt nichts).
In der alles berragenden, alles beherrschenden Arbeiterpartei Erz Jisraels ('Mapai' genannt), mit Ben Gurion an der Spitze, standen die Dinge letztlich nicht zum Besten. Mitglieder des groen und in vielem magebenden Chapters Tel-Aviv begannen sich gegen die ihrer Meinung nach zentralistische Fhrung aufzulehnen, unter ihnen auch der Kibuz Hame'uchad. Die Meinungsverschiedenheiten rhrten von Unterschieden in der Auffassung grundstzlicher Fragen, die im Augenblick in der Partei zur Diskussion stand. Im vierten Kriegsjahr gab es Politiker, auch im jdischen Lager, die von der sich anbahnenden Situation der verschieden Kriegsschaupltze mgliche zuknftige politische Entwicklungen ablesen wollten - waren auch, wie ich bereits andeutete, Ausmae und Konsquenzen des Schoas unbekannt. Der 'deadlock' der Verhandlungen mit den Arabern blieb unverndert; mit Kriegsaubruch war zwar die Fhlungnahme unterbrochen worden, es war aber anzunehmen, da die Frage Palestine von Neuem auf dem Verhandlungstisch erscheinen wrde. Ein Teil der zionistischen Weltorganisation und des jdischen Sektors in Erz Jisrael und an erster Stelle Ben Gurion selbst, wollten einen eigenen Teilungsplan bei den erneuten Verhandlungen vorlegen. Diese Auseinandersetzungen entbehrten einer formellen Agenda: der Zionistenkongrss war 1939 das letzte Mal zusammengetreten und vorerst bestand keine Aussicht auf eine Tagung. Die informellen Beratungen setzten sich in New York im Hotel 'Biltmore' fort und den diskutierten 'Teilungsplan' nannte man fortan das 'Biltmore-Programm'.
Ich weis nun nicht, wie die Juden Amrikas - wenn berhaupt - sich zu Ben Gurions Teilungsplan stellte (die zionistische Idee war noch weit weg, die Massen dort zu begeistern) und in Europa war Niemand den man htte fragen knnen. Hier im Land waren die Meinungen geteilt. Ich weis nicht mehr, wie der rechte Flgel reagierte (d.i. die 'Allgemeinen Zionisten' - die Revisionisten zhlten damals nicht), ich nehme an von dieser Seite gab es keine Gegenerschaft. Links distanzierte sich der 'Schomer Haza'ir' der einen bi-nationalen Staat anstrebte, einen jdisch-arabischen (im arabischen Lager ist nicht bekannt, ob jemand diese Idee untersttzte). Groe Gegenerschaft gab es auch innerhalb des Kibuz Hame'uchad, der 'ganz Erez Jisrael' fr jdische Ansiedlung offen sehen wollte. Streitende Lger innerhalb des Kibuz Hame'uchad bildeten sich um drei berennende Fragen und das 'Biltmore-Programm' war nur eine davon.
Sollte die 'Hagana' ihren eigenen aktiven militrischen Arm entwickeln, angesichts Rommels Drohung in der westlichen Wste - oder alle Anstrengungen dem Druck auf die Englnder widmen, endlich einer Massenmobilisierung von Juden in die britische Armee zuzustimmen, damit nicht die Gojim allein gegen die Nazis kmpften und auch Kontakt zu den Juden Europas mglich wrde. Einige warnten vor Entblung des Jischuw von kampffhigen Mnnern, die einen arabischen Angriff herausfordern knnten, andere sahen darin Kleinheit im Glauben an die zionistische Idee. Eine jdische Truppe innerhalb der britischen Armee wre der Grundstein jdischen Bestehens(!).
Sollte die Kibuzbewegung an erster Stelle fr die wirtschaftlich Fundierung ihrer Meschakim sorgen und fr einen mglichst hohen Lebensstandart ihrer Mitglieder - oder ihr Ziel in ideologischer Sendung sehen: der groe, wachsende Kibuz auf dem Wege zur Verwirklichung des Sozialismus. Die Lger der 'Wirtschaftler' und der 'Ideologen' spalteten die Kibuzgesellschft der Lnge nach und bedrohten die Einheit des Dachverbandes und unter anderem den groen Buchverlag.
Natrlich, nicht alles drehte sich bei diesen Gesprchen in der Frhstckspause, rings um die Wasserkanne, um hchste Denkkategorien. Der graue Alltag forderte seinen Obulus: so mancher fhlte sich durch dies oder jenes auf die Hhneraugen getreten, der Rasen ist beim Nachbarn bekanntlich immer grner. So zum Beispiel der Punkt der Tagesordnung 'Weie Schuhe', deren einige Damen gegen jedes lautere Recht teilhaftig geworden waren. Zwei Versammlungen hatten bereits das Thema berhrt ohne eine allseits befriedigende Lsung zu finden - was tun, die Konsumsgesellschaft unterliegt auch hier den Gestzen des freien Marktes und manchmal steht nur eine beschrnkte Summe zur Sttigung aller Forderungen zur Ver- fgung. Die Chawerim dort in der Bananenpflanzung gaben zu, da die Sache sich zu einem Problem zwischen 'ihm und ihr' auswuchs.
Wenn es in Strmen regnete und die schwere Erde des Emek Hajarden in einen schwarzen Sumpf aufweichte, dann fand man, es sei die passende Zeit Bananen zum Vermarkten abzunehmen. In lpapiermnteln und hohen Gummischuhen zog man los, von chaluzischer Sendung beseelt. Die 30 Kilo Stauden schleppte man auf dem Rcken bis zur 'Plattform', dem flachen Wagen, dem ein Raupentraktor vom Typ D2 vorgespannt war. Der Traktor aber garantierte noch nicht, da wir auch sicher aus der Pflanzung herauskamen. Mehr als einmal versank der Traktor bis ber die Achsen und ein Maultiergespann kam zu Hilfe, nun seinerseits den Traktor aus dem Boz zu ziehen - zu sichtbarer Schadenfreude des Kutschers. Wie die vom Traktor zerwhlte Pflanzung aussah, darber zerbrach man sich damals noch nicht den Kopf.
In der zweiten Hlfte vom Oktober wurden die Nachrichten aus der westlichen Wste etwas ermutigender. Okinlec war durch Montgomery abgelst worden und der begann, mit erheblichen Krften, Rommel zurckzudrngen. Und da begannen bei Nanni die Wehen. Es war bereits zehn Uhr abends und die Schwester glaubte es sicherer gleich ins Krankenhaus zu fahren, ins 'Schweizer Hospital' in Tiberias. Sie sorgte fr en ntigen Wagen - in unserem Falle ein zehn Tonner Lastwagen, das war es, was im Moment frei war. Sie begleitete uns, sicher ist sicher, bis ins Krankenhaus und versprach sich positive Nachrichten gegen Morgen. Bei Nacht aber hrten die Wehen auf. Der Arzt wollte Nanni trotzdem nicht nach Hause schicken, sondern sie in einem gemietetem Zimmer, das fr derartige Flle immer zur Verfgung stand, warten lassen. So sa Nanni nun, gegenber dem Krankenhaus in einer leeren Stube, ausgerstet mit etwas Proviant und nicht gerade himmelhoch jauchzender Stimmung. Ich konnte sie kaum besuchen, denn Verbindung in den Abendstunden, nach der Arbeit, gab es so gut wie keine. Uns war das alles entsetzlich unangenehm, neu im Kibuz und dann noch im gemietenten Zimmer, und alles nur wegen einer Geburt.
Am Freitag, den 6. November, whrend der Mittagsnachrichten, die den Sieg Montgomerys ber Rommel bei El-Almejn durchgaben, brachte einer Lastwagenchauffeure, der eben wieder eine Gebehrende nach Tiberias gefahren hatte, die Nachricht, Nanni sei soeben von einer Tochter entbunden worden, Gewicht drei Kilo zweihundert. Fr gewhnlich waren die Kraftwagenfahrer die berbringer dieser Nachrichten. Wer bemhte sich schon an das (einzige) Telefon, das Krankenhaus sicher nicht. Ich plante also am nchsten Morgen, Schabbat Frh 'Tramp' nach Tiberias zu fassen.
Am nchsten Morgen also kam zu mrt ein junges Mdchen und stellte sich mir als einer Abiturientengruppe des Tel-Aviver 'Herzlia-Gymnasiums' vor, die ein paar Wochen 'nationalen Dienst' in Aschdot Ja'akov absolvierten, heute wrden wir sagen 'volunteers'. Sie hie Re'nan und hatte Nanni bei der Arbeit in der Kleiderkammer kennen gelernt. Nachdem sie von nannis Geburt gehrt hatte und ihre Eltern in Tiberias 'zur Kur' weilten und ihr ihren Wagen schicken wrden um sie nach Tiberias abzuholen, bot sie mir 'Tramp' ins Krankenhaus an; auch ihre Mutter wrde im 'Schweizer Hospital' sein. Blendende Gelegenheit! Es dauerte eine Weile, bis ich die Zusammenhnge begriff. Nach einer Stunde erschien eine Chauffeur gelenkte Limusine. Es stellte sich heraus, da der Vater des jungen Mdchens kein anderer als der Vorsitzende der Jewish Agency, David Ben Gurion war, der seine Frau Paula 'untersuchungshalber' ins Schweizer Hospital untergebracht hatte, entsprechend dem herausgegebenen Bulletin
.Im Krankenhaus wurde mir das Baby vorgefhrt. Es war noch ziemlich rot, hatte aber schon einen Bausch schwarzer Haare und eine winzige Kartoffelnase. Es war sehr ruhig und blickte selbstsicher in seine Umgebung. Nur Nanni schien irgendwie deprimiert. Spter gab sie zu, sie befrchte, das Baby wre nicht genug atraktiv und wrde im Leben Schwierigkeiten haben. Ich lachte sie rundweg aus: erstens war das Baby nicht unatraktiv mit der kleinen Kartoffelnase, und dann, mein Gott - wozu sich zwanzig Jahre vor der Zeit den Kopf zerbrechen. Zu allererst mu man einen Namen fr es finden.
Unsere Betrachtungen wurden unterbrochen durch eine Frau, die im verschliessenen Morgenrock ins Zimmer trat, sich an uns wandte und einen unverstndlichen Wortschwall ber uns ergehen lie. Es war dies Re'nenas Mutter, Paula Ben Gurion. Sie bat uns Gre an alle mglichen Leute in Aschdot Ja'akov, die wir berhaupt nicht kannten, auszurichten. Paula Ben Gurion pflegte das Schweizer Hospital des fteren aufzusuchen, aus welchem Grunde, weiss ich nicht, und mit ihrer Ankunft bernahm sie den Befehl ber ihre gesamte Umgebung. Wie ein Hurrican fegte sie durch die Abteilungen, Trepp auf, Trepp ab, gab links und rechts Befehle, wem sie gerade in den Weg lief. Das Personal versuchte sie zu ignorieren, nicht immer mit Erfolg und ihre Stimme schallte durchs ganze Haus. Pltzlich schien ihr etwas einzufallen, sie rannte aus unserem Zimmer, ins Bro und schrie: "Und was ist mit Captain Ben Gurion, hat er schon telefoniert, wann er kommt?" Damit jeder weis, da sie, Paule, ihren Sohn, captain in der britischen Armee, erwartet. Wer wute nicht, da die Englnder Amos als captain in die Armee aufgenommen hatten, courtesy dem Haupt der Jewish Agency. Was Amos Groes bei den Englndern vollbrachte ist mir unbekannt; die seit langem eingegangene 'Olam Haseh' soll aufschlureiche Artikelserien darber verffentlich haben.
Wir setzten unsere Beratungen betreffs des Namens fr das Baby fort. Im Bro des Krankenhauses gab es ein dickleibiges Nachschlagewerk mit Namen. Man sah dem band an, auf welche Art und Weise die Eltern dort die Namen auswhlten: mit Hilfe einer Strcknadel, in das Buch gesteckt, oder ein Bleistift im freien Fall auf eine Seite. Wir hatten eigentlich schon beschlossen, frchteten nur 'Doppel' im Kinderhaus. Namen waren Modesache. 'Ophra' war aber nicht genug modern. Der Name wiederholte sich nicht.
"Erste Tochter Anzeichen fr folgende Shne", so bestimmte Dr. Schapira, Chawer Afikim und Arzt fr einige umliegende Kibuzim. Als ob wir eine Ermunterung ntig gehabt htten, Ophra'le war wunderbar, schon nicht mehr braun und mit dichten schwarzen Haaren. Anni Birkenfeld aus Breslau war ihre Pflegerin und erffnete mit ihr eine neue Baby-Gruppe. In Aschdot Ja'akov gab es keine Baby-Huser, sondern Gruppen von fnf, die ihre Pflegerin bis zum Alter von zwei Jahren bei behielten. Ein Schlafzimmer und ein Spielzimmer mit ersten Spielsachen und ein Waschraum war der Standart-Set fr jede Baby-Gruppe. Im Abstand von wenigen Wochen fllte sich die Gruppe. Nach Ophra kam Hagar von Lea Zeller und Walter Kulmann, dann die Tochter von Zwi und Ruth Levinsohn, dann Kochewet vom Ehepaar Sch'chori, und dann noch eine Tochter, No. 5 - alles Mdels.
Die Gruppe wurde bald zum Familientreffen in den Nachmittagsstunden. Die Anwesenheit der Mnner whrend des Stillens war Anfangs etwas unangenehm - fr die Mnner, aber alle gewhnten sich schnell an den neuen Status und wurden bald zu Fachleuten betreffs der Gramm konsumierten Milch und dem zu erwartendem Aufstoen darnach. Die wchentliche Gewichtszunahme war ein Thema fr Spekulationen und Wetten, einer Art Brse von steigenden Gramms sozusagen, von wechselnden Stimmungen, Hoffnungen und Enttuschungen. Wir selbst hatte nicht an einem Kurs zum Lernen von Kinderliedern teilgenommen - solche Kurse wurden des fteren veranstaltet - aber das lernt man, wenn man es nicht schon kennt, als Erbe von Generationen, in den Sprachen aller Vlker.
Nein, wir waren durchaus nicht anders als alle Eltern. Auch wir sahen in den Entwicklungsphasen von Ophrale geniale uerungen und waren berrascht, dieselben frher oder spter auch bei den anderen auftreten zu sehen. Krankheiten waren an der Tagesordnung, aber jedes Mal erschreckte man sich etwas (ohne es zu zeigen, natrlich), vielleicht ist das etwas, was noch keiner gehabt hat und man noch nicht kennt. Trozdem Nanni ja Erfahrung genug hatte...
Im Alter von neun Monaten stand Ophra aufrecht auf ihren Fen und war recht stramm. Das hinderte sie nicht als erste ihrer Alterstufe Masern zu bekommen. Masern griffen im Allgemeinen nicht vor drei Jahren an und Vakzinierung gab man entsprechend. Ophra blhte wie Klatschmohn und hatte ber 40 Fieber, aber weger Stimmung noch Appetit litten darunter. Der behandelnde Arzt rief ein Konsilium zusammen, mit einem Professor an der Spitze: bis dato galten Masern bei Kindern unter einem Jahr als gefhrlich, wenn auch Ophras uere Erscheinung nicht darauf hindeutete. Die Herren beschlossen jedenfalls, die Spritzen sofort zu geben und die ganze Gruppe anzustecken, um so schnell wie mglich damit fertig zu werden. Und geschah es: die fnf Mdels leckten sich gegenseiteig in einem Stllchen ab - und machten die Masern in uerst leichter Form durch. Die rztliche Literatur hatte ein weiteres Kapitel von trial and error zu verzeichnen.
Nicht vergessen werden wir auch unser Leben lang die halbe Stunde Angst, die wir eines Abends durchmachten, als Ophra uns unter den Hnden verschwand, wie weggeblasen. Wir wohnten damals in der Nhe der Werksttten und wussten schon nicht mehr, wo zu suchen und Kleinkinder antworten noch nicht auf Rufe.Nach einer halben Ewigkeit erschien eine Frau, an der Hand ein winziges Etwas, nicht mehr als eine Rolle Staub und Boz - Ophra, die damals gerade kahl geschoren war wegen Eczemen auf ihrem Kopf. Unsere Angst war alles andere als unbegrndet: in diesen Wochen gerade war in Kfar Jechesk'el im Emek Jesre'el ein entsetzliches Unglck passiert. Ein schlafwandlerisches vierjhriges Kind war des Nachts dem Bettchen enstiegen und durch die unverschlossene Tr hinaus in den Hof gelaufen. Am nchsten Morgen fand man es, einige hundert Meter vom Haus entfernt, ohne Kopf, das Opfer einer Hyne. Kein Wunder, da man schnell zu schlimmsten Vorstellungen neigte.
Es war schon ein Jahr spter, als wir Ophrale eines Schabbat Mittag in ihr 'Kindergrtchen' zurck brachten, in sie krzlich bergesiedelt war. Es war noch kein Kind im Haus, der Tisch war bereits zum Mittagessen gedeckt und an der Tr trafen wir die Pflegerin an, die noch schnell irgend etwas zu besorgen hatte. Ophra setzte sich sogleich erwartungsvoll auf ihren Platz. Auf dem Tisch stand ein Teller mit 12 Frikadellen, eine fr jedes Kind. Wir verabschiedeten uns in der Annahme, da alles in betser Ordung sei, Ophra sa ruhig auf ihrem Platz. Am Nachmittag ber, beim Abholen empfing uns die Pflegerin mit einer Miene halb rger, halb Bewunderung: sie sei wirklich eins, zwei zurck gekehrt - nur um Ophra zwar brav am Tisch zu finden, vor ihr aber den Teller mit den (ehemals) Frikadellen, im Begriff das letzte Stck in den Mund zu stecken... Wenn man sagt, da Vielfra nicht angeboren sondern anerzogen wird, so ist hier eben die Abwesenheit der Pflegerin der Grund des erzieherischen Mankos.
Nanni begann ihre Arbeit als Pflegerin einer neu zu erffnenen Gruppe. Mit ein wenig Bedenken. Damals standen in vielen Kibuzim die Baby-Huser unter der absoluten Befehlsgewalt der ernannten Pflegerin. Die meinung der Mutter wurde ignoriert, Fragen mit Stirnrunzeln beantwortet. Der hospitierende Arzt uerte sich nicht selten mit bekanntem Zynismus: "Mit Aufnahme des Babys in die Gruppe wre es ratsam, die Mutter zu beseitigen". In den Augen mancher Pflegerin war die junge (oder auch nicht mehr ganz so junge) Mutter hysterisch und berempfindlich. Sie tte gut, die Pflege des Kindes voll und ganz erfahrenen Krften zu berlassen. Keine Besuche im Babyhaus auer zu den zum Stillen bestimmten Stunden, und wenn eine Mutter nicht stillte, so war das lange kein Grund etwa das Fttern zu verlangen, denn alles was ber eine tgliche Routine hinausging strte nur. Die Babies nahm man zur Spazierfahrt in den Nachmittagsstunden. Sie hatten pnktlich wieder abgeliefert zu werden, den 'schlafen legen' wie 'aufnehmen' war Facharbeit und die Mtter hatten das zu verstehen.
Nanni hatte diese Auffassung nie angenommen. Bei ihr konnten die Mtter kommen und gehen wann sie wollten, das Kind fttern und waschen,Spazierengehen jederzeit, fanden immer ein offenes Ohr fr Befrchtungen aller Art, insbesondere wenn es sich um das erste Baby handelte. Es machte Nanni nichts aus, sich mit dem Arzt herum zu zanken, wenn sie glaubte er behandele auftauchende Probleme zu sehr nach der alten Schablone. Eine derartige Haltung fand sicher nicht die Zustimmung der brigen Pflegerinnen, der lteren zumeist. Keinen greren Schaden knnen Reformen anrichten als die Strung der Routine eines sowieso Nerven aufreibenden Arbeitstages. Wie dem auch sei - Nannis Mtter sahen das alles in einem gnzlich anderen Licht, und zum ersten Geburtstag von Ophra fanden wir unser Zimmer bis an die Decke voll von Rosen.
Mir hatte man von Anfang an bedeutet, da meine Arbeit in den Bananen nur zeitweilig sein wrde. Man schlug mir die Schafherde vor. Ich erschrak: die Romantik des Hirtenlebens umwehte seit jeher die Arbeit mit der Herde; mit Rachel die Herde Labans zu weiden, Pans Flte zu blasen, mochte jeden anziehen, der noch einen Funken der Urzeit ins sich hatte. Nur da der Wind der Wste zusammen mit dem Donner des Olympus ein fr alle Mal verschwunden war und was blieb war ein dreckiger, endloser Arbeitstag, Melken um zwei Uhr Frh, auf der Weide vom Morgengrauen bis zur Dmmerung und dann noch stinkende Lmchen auf dem Rcken nach Hause schleppen whrend der Wurfsaison. Htte man darauf bestanden, mein Nein htte mir nicht viel gentzt, zu meinem Glck aber, dem 'Glck der Verlierer', beendete der amtierende Sanitar seine Kadenz. Der Job wurde im Turnus besetzt und ich war an der Reihe.
Die kibuzische Wirtschaftslehre unterschied zwischen 'einbringenden' und 'nicht einbringenden' Arbeiten, d.h. Dienstleistungen. Als 'einbringend' galten Landwirtschaft und Handwerk und Auenarbeit. Die Trennung aber war nicht rein wissenschaftlich, eher soziologisch. Bau z.B. kostete und brachte der Kasse nicht einen Pfennig ein, auch das Lehrfach htte jeder Wirtschaftler als Dienstleistung angesehen. Im Kibuz aber galten als 'Dienstleistungen' die Arbeit in der Kche, aber beileibe nicht die der konomin, die Arbeiten in der Kleiderkammer, aber nicht die der Schneiderinnen, die der Hilfskrfte in den Kinder- husern, aber nicht die der Pflegerinnen selbst. Aber zweifellos die des Sanitars. Ein feiner Unterschied im System der absoluten Gleicheit, vielleicht der Niederschlag einer hierarchischen Ordung, die ihren Ursprung wohl im Persnlichkeitskult und der hierarchischen Leiter des russischen Kommonismus hatte. Viel Logik war nicht in dieser Auffassung und sicher keine wirtschaftstheoretische Rechtfertigung, eher die gute alte kleinbrgerliche Rangordnung. Der Straenkehrer steht eben auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter, ungeachtet der wirtschaftlichen Sparte die erausfllt. Trotz Revolution und 'neuen Erkenntniss'. Spter, nach der Staatsgrndung, haben die kibuzischen Istitutionen diese 'Rangordung' desavoiert, ohne da es ihen viel genutzt htte; diese Dinge gehren nunmal zur europischen Kultur. Toiletten reinigen ist Rang, keine Arbeitseinteilung. In der groen Welt wird der soziale Status durch den wirtschaftlichen bestimmt - ein Millionr fegt keine Straen. Im Kibuz hngt die gesellschaftliche Einstufung oft von der Persnlichkeit des Betreffenden ab, gesellschaftlich, beruflich, politisch. Draussen brdet man die Dienstleistungen dem wirtschaftlich Unterlegenen auf. Im Kibuz dem gesellschaftlich Schwachen. Wer nicht auftreten, sogar nur bluffen kann, der scheuert das Klo.
Die sanitren Einrichtungen der Kibuzim waren in den vierziger Jahren noch auf den osteuropischen Niveau des vorigen Jahrhunderts. Die Zahnbrste ist zwar Zivilisation, nicht Kultur, so sagt man, aber zweifellos ein Abdruck kultureller Auffassung. Nicht anders wie die Kultur des Essaals, wie wir noch sehen werden, so war auch das sanitre Gebiet vernach- lssigt.
Vier oder fnf (getrennte) Duschrume und eine Reihe drflicher 'Husschen', von denen hchsten zwei Wasseranschlu hatten. Nur in den Kinderhusern gab es eingebaute Toiletten. Nur ein Duschraum war ausgekachelt, mit sechs Dusche, Waschbecken und Spiegel. Der Rest war Steinzeit. So auch die Hilfsgerte des Sanitars: Besen und Gummischlauch. Frh am Morgen hatte man alles fein suberlich fr den Gebrauch der ffentlichkeit herzurichten. Dann hatte der Sanitar andere wichtige Arbeiten vor, wie z.B. Reparatur von Holzsandalen fr die Duschen und die Herstellung von 'Flit' gegen die Mcken. Das bringt uns schon nher den beiden zentralen Aufgaben des Sanitars, die ihm, teilweise wenigstens, die Glorie eines Fachmanns verliehen: die Malariabekmpfung und die Vernichtung von Ungeziefer, vor allem Ratten und Musen.
Die Malariabekmpfung erforderte die Absolvierung eines besonderen Kurses, der ab und zu fr neue Sanitare der Kibuzim abgehalten wurde. Mich bestellte man im Mrz 1943 nach Sde Nachum, nicht weit von Bet Haschita, dort fand der drei tgige Kurs statt. Reden wir nicht ber die Logierung - als 'Primus' in einem winzigen Stbchen bei einem lteren Ehepaar, wo man nach einem ungeschriebenen Gesetz der Hflichkeit nicht vor den den spten Nachtstunden schlafen gehen konnte und die Zeit in einem Leesesaal verdste, ungeheizt und ohne etwas zum Lesen. Wie es sich heraus stellte, war ich der einzige Kibuznik in diesem Kurs, die anderen fnf oder sechs jungen Leute waren 'Palmachniks' (angehrig dem neu errichteten voll mobilisierten Arm der 'Hagana', der 'Palmach', die Abkrzung fr 'Stotruppen'), fr die war das ein Teil eies Sanitter-Kurses. Den Kurs fhrte, als einziger Vortragender, ein lterer Mann, ein Dr. Saliternik, einer der ersten Doktoren der wissenschaftlichen Fakultt der jerusalemer Universitt. Als Entomolog hatte er sich bereits einen Namen gemacht, besonders auf dem Gebiet der Anopheles-Mcke, der Verbreiterin der Malaria und erfreute sich besondeer Schtzung der mandatorischen Gesundtheitsbehrden.
In den vierziger Jahren war die Malaria noch auf der ganzen Welt weit verbreitet, sogar in vielen Teilen Europas und sicher im Mittelmeerbecken. Die Erreger der Krankheit waren schon im vorigen Jahrhundert entdeckt worden, bis dahin glaubte man an klimatische Ursachen (mal aria - schlechte Luft). Der Erreger wird durch die Anopheles-Mcke bertragen, den Trypanosom, der in den Blutkreislauf des Gestochenen eindringt. Die Anopheles brtet in klaren und reinen Wasserlachen (im Gegensatz zu der ungefhrlichen Kulex, die brackiges Wasser vorzieht). Um die Trypanosome zu bertragen, d.h. Malaria im Menschen zu erregen, mu die Mcke vorher einen chronisch Malariakranken gestochen haben, der bereits Trger von Trypanosomen ist. Nur die Kombination von Krankheitstrger, Anopheles und Neuan- kmmlinge am Platz ermglicht eine Verbreitung. Im Emek Hajarden gab es alle Bedingungen dafr: Mcken, Trger und genug Leute, die noch nichts erwischt hatten.
Neun Arten von Anopheles brteten im Land, davon vier potenzielle Trger von tryposom. Saisongem erschien anopheles elutus im Frhling, a.superpictus und a. sargentii im Sommer und a. multicolor im Herbst - soweit kann ich mich noch erinnern. usserlich waren sie leicht zu unterscheiden. Malaria erschien in verschiedenen Formen: tropica als einmaliger, schwerer Anfall, manchmal mit gefhrlichen Komplikationen; terciana und quartana mit drei- oder viertgigen Rckfllen respektive, leichter, aber wiederholt whrend Wochen und Monaten. Unbehandelt konnte sie chronisch werden. In jedem Fall blieb der Betroffene, vllig erschpft, fr lngere Zeit unfhig zu jeder Arbeit.
Eine groe Beduinenbevlkerung, chronische Malariakranke und Trger von Trypanosomen, hatte ihre Zelte an den Ufern des Jarmuk aufgeschlagen. Sie erkrankten kaum noch, lieferten aber die Erreger kostenlos an die jdische Umgebung, die bisher keine Immunitt erworben hatte. Chinin war damals als alleiniges Mittel bekannt.
Anopheles-Brutpltze sind nicht schwer zu vernichten. Ein paar Tropfen Petroleum oder Solarl auf eine Wasserlache oder dnnes Rinnsaal vernichteten innerhalb weniger Minuten sich entwickelnde Larven. Man mute nur jeden Herd finden, und das alle acht bis zehn Tage. Ohne eine Flugzeug war natrlich ein Ding der Unmglichkeit. Als Palliative versuchte man daher die Krankheit 'statistisch' zu bekmpfen. Man hatte alle mglichen Pltze nach Anopheles abzusuchen, Toiletten, Duschrume, Unterstnde, dunkele Ecken. Die Mcken fing man mit Hilfe eines mit l bestrichenen Reagenzglsschens. Die Menge der gefangenen Anopheles war tglich zu verzeichnen und von Zeit zu Zeit an das entsprechende Dezernat des mandatorischen Gesundtheitsministeriums in Tiberias zu senden. Auch die Krankheitserreger tragende Bevlkerung, die Beduinen, wurde regierungshalber erfasst - durch Dr. Saliternik.
Eines Tages erschien bei mir Dr. Saliternik in Begleitung eines arabischen Beamten in Uniform, vom Gesundtheitsministerium in Tiberias, und lud mich ein, als Neuling in der Branche, mit ihm einen Besuch unten bei den Beduinen abzustatten, zwecks Blutentnahme bei einigen Kindern zur Feststellung des Ausmaes der Erreger tragend Bevlkerung. Das Zeltlager der Beduinnen kannte ich bisher nur von weitem, es schien immer voll von Menschen, besonders Kindern zu sein und Rudeln von Hunden. Als wir uns im Commandcar nherten war der Platz wie ausgestorben: nicht eine Menschenseele weit und breit, alle Hunde schienen sich verkrochen zu haben. Dr. Saliternik wusste wohin sich wenden. Wir nherten uns einem der groen Zelte, dort empfing und der Hausherr, lachend: "Es ist Ihnen sicher aufgefallen, da alles verschwunden ist, man hat Sie schon von weitem ausgemacht".Er lud uns ein Platz zu nehmen, Kaffee wurde gereicht, und nach den obligatorischen Hflichkeitsfloskeln sprach Saliternik sein Anliegen aus: ein Paar Bluproben von den Kindern zu nehmen. Der Hausherr ging hinaus und kurz darauf mit einem seiner kleinen Shne zurck, im Alter von vier oder fnf, der wie wild um sich schlug und wie am Spie brllte.Darnach erschienen noch einige Vter und Mtter mit ihren Sprsslingen am Kragen, die alle 'zeter mordio' schrien, aus Angst vor dem 'Piek', sicher nicht ihr erster. Auch ohne arabisch zu verstehen merkte ich, da Saliternik dort grte Hoachtung genoss. Nachdem gengend Blutproben gesammelt waren, verabschiedeten wir uns.
Bis heute weis ich nicht, was die Berichte ber Mckenfluktuation und Erregerprozente im Blut der Beduinen gegen die Malaria tun sollten - wenn man von einer gro angelegten Campagne absieht, fr die es an Mitteln fehlte und die Zeit noch nicht gekommen war. H. M. Government zerbrach sich nicht darber den Kopf. Der Krieg von 1948 mute schon die Beduinen vom Jarmuk verjagen und das DDT die Anopheles, bis die Malaria zur Sage am Lagerfeuer wurde. Meine Kadenz als Sanitar endete jedenfalls noch mit 50 neuen Malaria- fllen in Aschdot Ja'akov. Mein Eindruck war, da mir keiner die Schuld daran in die Schuhe schob. Malaraia-Bekmpfung und Erfolg darin waren zwei verschiedene Sachen. Die Anopheles-Mcke ist keinesfalls ausgerottet, wie man letztlich berichtet, aber ganze Bevlkerungsschichten als Trger von Trypanosomen, die gibt es nicht mehr.
Die Beschftigung mit den Nagetieren war ein anderes Gebiet des Sanitars. Formell standen wir unter Aufsicht eines Biologen, ein Dr. Meron, ein Jeke, der aus Mangel an wissenschaftlichem Arbeitsfeld sein Leben als Kammerjger fristete. Hauptschlich be- schftigte uns die Vertilgung von Ratten in den Getreide- und Futterlgern. Er unterrichtete mich Kder in allen erdenklichen Farben zu verstreuen und ich hatte laufenden Bericht ber die Wirksamkeit der Gifte zu erstatten. Eines Tages entdeckte ich eine Bchse, darauf in groen Buchstaben ARSEN. Ich versuchte mich damit. berraschender Weise wurden die Kder geradezu verschlungen, wenn auch tote Ratten kaum zu entdecken waren. Ich konnte natrlich nicht wissen, da Arsen auch als Medikament wirkt, den Appetit anregt, das Wohlgefhl steigert und das Fell zum Glnzen bringt.
Das alles konnte man als einen groen Witz sehen, aber damals war in Haifa etwas weniger lustiges passiert. Wie laut den Berichten aus dem 15ten Jahrhundert in den Hfen Italiens, so kletterten auch in Haifa einige Ratten von dort ankernden Schiffen aus Nord-Afrika ans Land und in ihrem Fell Luse, Trger des Pesterregers. Die Pest ist an und fr sich endemisch im ganzen Mttleren Osten. Die ansssige Bevlkerung ist mehr oder weniger gegen die Krankheit gefeit, einzele Flle gehen leicht vorber. Bei Europern aber sieht die Sache anders aus, wer erkrankt, erkrankt schwer, Todesflle sind hufig. In Haifa erkrankten an die 20 Juden, zwei starben, ein oder zwei Araber erkrankten leicht. Diesmal wachten die Englnder auf und eine groe Aktion zur Rattenvertilgung, im Hafengebiet und in der Altstadt, ging vom Stapel. Tglich verffentlichte man Berichte ber die Anzahl der Luse im Fell der erlegten Ratten und mit Verschwinden des Ungeziefers war auch die Pest vorbei. Das Echo aus Haifa blieb im Kibuz nicht ungehrt. berall gibt es 'people who care', die 'umfassende Manahmen' forderten, und sofort. Was im Ganzen zu erreichen war, das war was man in Fachkreisen als 'commercial control' bezeichnet, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Am Ende meiner Kadenz als Sanitar kehrte ich in die Bananen zurck.
Aus zwei Landsmannschaften setzte sich Aschdot Ja'akov zusammen, aus Russen aus Odessa und Letten aus Riga. Grtenteils Abkmmlinge vermgender Familien, zum Teil Akademiker, bewahrten sie eiferschtig ihren Platz in der kibuzischen Hierarchie, im Meschek und in der Bewegung. Die Beziehungen zwischen ihnen waren gespannt und die gegenseitige Kritik tdlich. Die Teilung in zwei Lager, Wirtschaftler und Ideologen, war schon erkenntlich; die Meinung der Gegenseite von vornherein null und nichtig. Demokratie war fr sie 'closed shop', nur reservierte Pltze. Den Grndern gesellte sich eine Gruppe aus Polen hinzu, Mitglieder mehrerer Strmungen, alle dem Kibuz Hame'uchad zugehrig. Die waren vielleicht weniger gebildet, doch nicht weniger fanatisch in der Wahrung ihrer gesellschaftlichen 'Rechte' und politischer Stellungnahme. In der Beherrschung des politischen Jargons berragten sie sogar die Russen und die Letten. Da war einer unter ihnen, der behauptete mit der gleichen Verve zwei gegenteilige Ansichten verteidigen zu knnen. Die 'deutsche' Alija in Aschdot war nicht weniger Veteran als die Polen. Sie fassten ihren Platz in den Betrieben, in den Gremien und im Sicherheitsdienst - aus der Politik hielten sie sich meistens heraus.
Die Versammlungen zeigten die Spaltung der Meinungen beinahe in jedem Punkt der Tagesordnung, seien es materielle oder ideale. Die Spaltung der Partei verschrfte die Gegen- stze bis zum Absurd. Kein Thema konnte ohne Hintergedanken verhandelt werden: vielleicht sucht die Gegenseite politische Vorteile zu ergattern? Kann man so ohne weiteres die Arbeit eines Mitglieds im Buchverlag der Bewegung besttigen? Der Verlag konkuriert doch mit einem anderen, politisch gegenteilig orientiert! Wohnungsbau fr Chawerim? Haben wir die Aufgaben der Bewegung vergessen und frhnen anstatt dessen dem Luxus? Auch der an und fr sich belanglose Verkauf eines Traktors wurde politisiert, wenn auch die einfltien Feldbauer einen rein wirtschaftlichen Punkt zur Beratung bringen wollten. Von oben herab kanzelte man sie ab, es gbe Dinge die ber ihre Begriffe gingen...
Die rein politischen Versammlungen nahmen natrlich einen weitaus gefhrlicheren Charakter an, besonders wenn beide Lger fr Redner von draussen sorgten. Es gab aber auch Spavgel, die die Angelegenheit sportlich auffassten und Wetten abschlossen.
In eine dieser strmischen Versammelungen platzte die Nachricht vom pltzlichen Ableben Berl Kazenelsons. Berl, wie man ihn im Allgemenen nannte, stand der Partei vor und natrlicher Weise auf Kriegsfu mit ihren Abtrnnigen, insbesondere dem Teil der Fhrung des Kibuz Hame'uchad, der die Spaltung untersttzte, mit Tabenkin an der Spitze. Sein pltzliches Hinscheiden - Herzschlag - wurde in Kreisen der Partei als Folge von Zerwrfnissen und Aufregungen im Sturm der Auseinandersetzung mit den Renegaten ausgelegt, mit bitteren Anschuldigen gegen alle die, die die gttliche Weltordnung unter Fhrung der Mapai in Frage stellen wollten. Dies zeigte sich besonders bei dem hysterischen Anfall, den die Witwe Berl Kaznelsons am offenen Grabe ihres Gatten ber sich ergehen lie, wo sie Jizchak Tabenkin geradezu des Mordes an Berl bezichtigte.
Die Beerdigung selbst war eine eindrucksvolle Kundgebung von Macht. Der Trauerzug nahm seinen Ausgang vom Gebude des 'Wa'ad Hapoel der Histadrut', damals noch in der Allenby, Tel-Aviv, durchs ganze Land, bis zu dem kleinen Friedhof in Gan Rachel an den Ufern des Kineret. Dort trugen zwlf Verteranen der Bewegung, in ausgebleichten blauen Blusen, dsteren Antlitzes, den Sarg zu Grabe, nicht weit vom Grabe Rachels. Dann lste sich die bisher musterhafte Ordnung in wildes Chaos auf, in ein tatarisches Volksfest, als die Menge den kleinen Begrbnisplatz am Kineret zu erstrmen suchten, Zehntausende.
Unser nherer Bekanntenkreis waren natrlich die 'Jekes' im Meschek. Das Ehepaar Raphael und Miriam Kleinschmidt habe ich bereits erwhnt, und auch, da Raphael seine (nicht mahr ganz junge) Frau aus Stockholm mit nach Aschdot Ja'akov gebracht hatte. Miriam hatte in Berlin keinerlei Beziehung zum Zionismus oder zur Kibuzbewegung gehabt. Sie war aber mit einem seltenen Einfhlungsvermgen begabt, stand immer auf dem Boden der Wirklichkeit und machte sich nie irgendwelche Illusionen. Sie war auch keineswegs mittellos; konnte ihr Raphael keinerlei Luxus im Kibuz bieten, so sorgte sie selbst fr adequate Mblierung ihres kleinen Barakkenzimmers. Ihren Status in der Konservenfabrik von Aschdot Ja'akov eroberte sie im Sturm. Der Kibuz wurde sofort auf ihre auergewhnliche organisatorische Fhigkeit aufmerksam. Nicht fr sie Kadenz im Essaal oder Bodenaufwischen in Kinderhusern. Vom ersten Tage an war ihr Platz in der Fabrik, nach kurzer Zeit Verantwortliche der Schicht, bald darauf Mitglied des Direktoriums. Ivrit sprach sie flieend, wo und wann sie es gelernt hatte wusste kein Mensch (in spteren Jahren gelang es ihr, sich der ersten Jisraelischen Handelsdelegation nach Kln unter Schenkar anzuschlieen, die die 'Wiedergutmachungen' und dann die diplomatischen Beziehungen zu Westdeutschland ins Rollen brachte).
Dann waren da Arnold Meier und Thea. In Arnold entdeckte ich ostpreussische Verwandtschaft von seiten meines Vaters. Thea war eine einfache Frau, ohne persnliche Ambitionen, die es nicht liebte sich irgendwo anzustrengen. Nach Verlassen des Kibuz in spteren Jahren ist es ihnen nicht besonders gegangen.
Anni Birkenfeld und ihr Mann Rudi waren Breslauer. Anni war die Tochter eines taub-stummen Ehepaars, das in einem Taubstummenheim der jdischen Gemeinde in Breslau aufgewachsen war. Annis Kinder waren durchaus normal, doch lebte sie bei jeder Schwangerschaft in stndiger Angst, es knnte eines mit dem Gebrechen belastet sein.
Ruth und Zwi Lewinsohn lernten wir als Eltern in Ophras Gruppe kennen. Beide waren gebrtige Hamburger und schon viele Jahr in Aschdot. Zwi gehrte mit zum Betriebspersonal des Kraftwerks in Naharajim; das sagt nicht, da er sich dort tagtglich zu befinden hatte. Das Werk lief von selbst. Zum Kraftwerk zu gehren hatte manche Vorteile (wie etwa heute Angehrige der Elektrizittsgesellschaft). Zwi und Ruth waren eine der wenigen, die einen Ventilator besaen - aus 'Werk-Surplus', wie man zu sagen pflegte.
Die Bekanntenliste war noch lang. Es waren da Lea Zeller, die Schweizerin (die ihren Mdchennamen beibehielt, eigentlich das Prgorativ der russischen Alija, deren Frauen schon Generationen vor Betty Friedan und Gloria Steinem fanatisch auf femeninem Status bestanden, wenn sie auch gesellschaftlich wenig Errungenschaften aufzuweisen hatten. Auch in der Kibuzbewegung blieben 'Kinder und Kche' ihre Domne), und ihr Mann, Walter Kulmann, die nach Joram eigentlich nur mit Akademikern verkehrten. Und dann Erika und Familie, die dann spter nach "Regba" gingen und es ihre Leben lang bedauerten. Dr. Sekeles und Miriam aus Prag, die immer amsante Gesellschaft suchten und dann noch Franz und Eva, auch Czechen, auch immer bereit zu Kaffee und Kuchen. Und dann noch Judit Ledermann und Gemahl, Fritz Kratz, Berliner. Manchen Schabbat Nachmittag war unser Zimmer voll mit Gsten, Kaffee gab es, ob immer Kuchen da war weis ich nicht mehr. Aber fr ein paar Grusch konnte man in Tiberias Kuchen bekommen soviel man wollte. Wenn auch Nanni uerst gute Beziehungen mit einigen der alteingesessenen Russen unterhielt, erinnere ich mich nicht, von einer der Familien jemals eingeladen worden zu sein, oder sie bei uns gesehen zu haben. Die Intellektuellen dieser Schicht fhrten ein demonstrativ spartanisches Leben. ber die notwendigste Einrichtung hinaus war ihr Zimmer leer, beinahe kahl, der einfache Kleiderschrank enthielt nichts auer dem am Freitag Nachmittag empfangenen Wschepaket der Kleiderkammer. Sie besaen nicht ein Glas und nicht einen Teelffel. Derartiges berschritt ihrer Ansicht nach bereits die kibuzische Norm.
Informationen ber den Umfang des Schoa erreichten uns nicht vor 1943. Die Nachricht brachten Juden, die aus irgend einem Grunde das von Deutschen besetzte Gebiet verlassen konnten und nach Lissabon gelangten. Genaueres kam zu uns aus Russland: scheinbar waren alle Juden Polens und der baltischen Staaten Opfer der Vernichtung geworden. Das ganze Emek Hajarden versammelte sich in Zemach zu einer Protestkundgebung. Salman Rubaschoff (Schasar) brachte in erregter Rede, was bis jetzt bekannt war. Die Reaktion des Jischuw im Land war die von Ohnmacht. In Aschdot Ja'akov verlangte viele totale Mobilisierung zur britischen Armee, ohne Rcksicht auf wirtschaftliche und politische Konsequenzen - nur Rache nehmen an den Nazis! Abgesehen davon, da auch jetzt die Englnder ihre - negative - Einstellung zur Frage der Mobilisierung von Juden aus Palstina nicht gendert hatten, gab es auch warnende Stimmen gegen einen solchen Schritt; die uns lauernden Gefahren lgen durchaus nicht im Nebel einer weit entfernten Zukunft. Die Diskussion um die Frage, wo unsere Front liegt, whrte bis zu Kriegsende: unsere Shne zur 'Palmach' zu schicken oder zur 'Brigade', die endlich, 1944, sehr zum Unwillen des britischen Foreign Office, gegrndet worden war. Die Meinungsverschiedenheiten darin deckten sich beinahe mit der Spaltung innerhalb des Kibuz. Es gab Leute, die standen der Errichtung der 'Palmach' geradzu feindlich gegenber und wollten in ihr nicht mehr als eine Miliz der prorussischen 'Achdut Awoda' sehen. Mobilisierung zur 'Brigade' dagen war 'statesmanship'. Das politische Organ der neuen 'Achdut Awoda' - 'Lamerchaw' fhrte eine viel gelesene Spalte: 'Rings ums Lagerfeuer', deren Author, Jisrael Ber, jede Woche politische Anekdoten und Schnurren in Hlle und Flle lieferte. ber diesen Jisrael Ber erzhlte man sich unglaubliche Geschichten, man malte ihn als eine Art jdischen Super-Spy, der auch im britischen Generalstab Eingang fand...
Wirklich erschien eines Tages ein Abteilung 'Palmach' im Meschek, zum Jubel aller, endlich etwas Zusatz von Arbeitskrften, wenn auch nur teilweise. Die Feier zu ihrem Empfang fand, wie es sich gebhrt, 'rings ums Lagerfeu' statt, in einem abgelegenen Winkel des Meschek, im Dunkeln. Zwischen Gesang und Reden tauchte der Landeskommandierende der Palmach aus den den Platz einschlieenden Bschen auf. Eigentlich sah man nur seinen Schatten. Nach ein paar Worten verschwand er wieder und lste sich, wie Pimpernell, in seiner Umgebung auf. Jemand flsterte mir seinen Namen zu: Mosche Sne.
Damals erschien im Verlag 'Am Owed' ein neues Buch aus der Feder eines Mitglieds von Ejn-Charod, A. Malitz. Das Buch hie 'Kreise'. Man konnte schwerlos darin einen Schlseelroman sehen, der Charaktere des gesellschaftlichen wie politischen Lebens von Kibuz Ejn-Charod aufs Korn nahm. Es war auch nicht schwer zu erraten, mit wem dieser oder jener der vorkommenden Gestalten zu identifizieren sei, nach Rede und Auftreten. Vielleicht wre das Buch nicht mehr als ein interessanter, mglich spannender Lesestoff innerhalb der Kibuzbewegung geblieben, trotz der manchmal etwas kontroversalen Behandlung gesellschaftlicher Themen - htte der Author nicht einen betont erotischen Beiklang gewhlt, von der Art wie wir ihn Jahre spter bei John Updike antrafen: die Schicht der Fhrer der Bewegung, alle Zyniker, 'kleinbgerliche Hemmungen' verachtend, besonders was ihre Beziehungen zum anderen Geschlecht anbetrifft, sahen die Frauen im Kibuz, ganz gleich ob ledig oder verheiratet, als ihre 'Jagdgrnde' an, auf Grund ihrer Persnlichkeit, die ber allen bereits abgetakelten Konventionen steht Nur zu! (Jahre spter erzhlten mir ehemalige Angeh-rige von Jugendgruppen in Ejn-Charod, da gewisse 'Persnlichkeiten' auch nicht vor Jugendlichen zurckschreckten. Ein klassisch 'literarisches' Gesprch zwischen der 'Persnlichkeit' und dem Mdel: "Kennst Du die Dichtung von Bialik? Komm, ich les Dir vor" - "Kennst Du 'Bub und Mdel' von Hodan? Komm, ich zeigs Dir").
Ohne da es Malitz vielleicht beabsichtigte, das Buch erzeugte einen Sturm im ganzen Land. Die Kibuzbewegungen machten nie mehr als hchstens drei Prozent der jdischen Gesamtbe- vlkerung im Land aus, wenn auch ihr politisches Gewicht weitaus grer war. Darber hinaus wusste die Allgemeinheit herzlich wenig ber die Kibuzim und interessierte sich kaum fr diese in sich geschlossene Gesellschaft. Enthllungen aus kibuzischen Schlafzimmern entzndeten die Phantasie zahlreicher Neugieriger, die glaubten, es ffene sich fr sie hier ein reiches Feld spontaner Gelegenheiten. Eine Welle von 'Volunteers', Stdter, ergo sich in die Kibuzim. Mnner wie Frauen, durchaus nicht Jugendliche, entdeckten pltzlich ihhr Interesse fr die kibuzische Gesellschaft und pochten an ihre Tore mit der Bitte, als zeitweilige 'Freiwillige' innerhalb der kibuzischen vier Wnde verweilen zu drfen, um den Kibuz 'von Innen' besser kennen zu lernen. Ich bin an einige dieser Typen geraten, die es durchaus nicht verheimlichten, da sie auf Abenteuer aus waren. Ob sie das fanden was sie suchten weis ich nicht; ich will nicht sagen, das Mglichkeiten nicht bestanden htten. Gab es doch auch in den Kibuzim genug 'Anwrter' beiderlei Geschlechts, die bereit waren in ihren grauen Alltag etwas Farbe zu bringen. Nur bin ich nicht sicher, da fr die 'Touristen' von Auerhalb sich der Preis - kreuzbrechende Arbeit in der Landwirtschaft bei 40 Hitze - fr diesen Seitensprung lohnte. Dasselben konnten sie schlielich in Tel-Aviv leichter und angenehmer finden. Der Strom der Neugierigen versandete also mit der Zeit. Ob die flchtige, ober- flchliche Berhrung mit dem Kibuzleben bei den Stdtern einige stereotypen und geradezu falschen Begriffe ber den Kibuz nderte? Sie etwas ber den niedrigen materiellen Lebensstandart und ber die schwere Arbeit lehrte? Ich bin nicht sicher. Einmal kam ich zu- fllig in den leeren Essaal in den spten Vormittagsstunden. Dort saen an einem Tisch drei Frauen in bunten, langen Morgenrcken und warteten darauf, da ihnen jemand das Frhstck serviere - 'breakfast with rolls and butter'. Auch in Gvram sagten mir einmal ein paar Hollnderinnen, Besucher, im Kibuz bernachten sei 'comfortaabel campeeren'.
Auch im Kibuz Hame'uchad verursachte das Buch eine Kettenreaktion von Auseinandersetzungen, nicht unbedingt literarischen. Hier spielte sich die Diskussion der Lnge des schon bekannten Risses nach ab - die Ideologen der 'Achdut Awoda' und Wirtschaftler der 'Mapai'. Die Ideologen sahen in Malitz' Buch schon beinahe eine Gottes- lsterung, ein Infragestellen des Glaubens kurzweg, die Gegenseite Protest gegen eine versteinerte Ideologie - alles Dinge, die vielleicht die Grundstze des Kibuz Hme'uchad be- rhrten, aber, meines Erachtens nach, wenig mit dem Buch von Malitz zu tun hatten. Malitz hat nicht mit seinem Buch "die Saat der Spaltung des Kibuz Hame'uchad gest' wie so einige behaupteten (so wenig wie Harriet Beacher Stove's 'Onkel Tom's Htte' den amerikanischen Brgerkrieg entfesselte). Malitz hat nicht mehr als eine Satyre geschrieben auf die Kibuzniks um ihn herum - so wie zehn Jahre spter Dan Gelbert aus Alonim, der Karikaturist der wchentlichen Kibuzzeitung, zum tiefen Herzleid und schwarzem rger der Kleiderkammern den Kibuznik immer mit einem Riesenflicken auf dem Hosenbein zeichnete...
Viele, aus verschiedenen Schichten des jdischen Sektors im Lande, wollte ihr Glck in Aschdot Ja'akov versuchen, fr lngere oder krzere Zeit, aus freiem Willen oder gezwungener Maen, Neueinwanderer oder Alteingesessene, Leute aus dem Volk oder Berhmtheiten - ich weis nicht was den Meschek veranlate so offenherzig die Anliegen zu gewhren. Zwischen den Bekannteren, die sich zeitweilig in Aschdot Ja'akov niederlassen wollten, war der Dichter Schlonsky, der aber nicht lange standhielt. Er lernte schnell, da es angenehmer ist, ber die Arbeit Romane zu schreiben, als selbst zu arbeiten - so oder hnlich drckte er sich Bekannten gegenber aus. Zu unserer Zeit kam, fr ein Jahr, der Maler Jechesk'el Streichman mit Familie in den Meschek. Er war aufgeschlossen und gutmtig, ich arbeitete mit ihm in den Bananen. Seine Frau war Rythmik- und Tanzlehrerin und fand ihren Platz in der Schule. Die Familie passte sich ausgezeichnet an. Ein Jahr spter, bei seiner Rckkehr nach Tel-Aviv, prsentierte er dem Meschek ein groes lgemlde, Bananen mit Frucht, das seinen Platz im Lesesaal fand. Die Fachleute - die Bananenarbeiter, nicht die Knstler - fanden am dem Bild einiges auszusetzen: Streichman hatte die Bananen nach unten gebogen gemalt, und nicht nach oben, wie die Natur es verlangt, ein unverzeihlicher Lapsus.
Man nahm Menschen auf auf Anliegen der Bewegung oder der Jewish Agency, icht immer verstndlich, warum. Ein solcher fall war ein lterer Mann, Wiener, der irgendwie an die Kste des Landes angesplt worden war. Sein name war Kendy, er stellte sich als Theaterfachmann vor und als Regisseur. Er schien eine ganze Reihe bekannter Schauspieler im Land zu kennen. Er behauptete frher Mitglied eines britischen Film-Teams gewesen zu sein, das Propagandafilme fr die Armee drehte. Ivrit konnte er nicht, es fehlte ihm aber nicht. an Gesprchspartnern. Alles was er erzhlte schien irgendwie zu stimmen, wies auf Fachkenntnisse hin. Was konnte er schon im Meschek tun? Kaum etwas, aber von 'Oben' kam ein Wink, er wrde nicht lange in Aschdot bleiben, wrde in Krze heiraten. Tatschlich, von mal zu mal besuchte ihn eine elegante, gut aussehende Frau, in vortgeschrittenem Alter. Kendys Gesundheitszustand war nicht gut. Er war aber immer guter Laune und zu Gespchen bereit und die Gebildeteren fanden ihn in der Weltliteratur absolut bewandert. Eines schnen Tages erlitt er einen Herzanfall und verschied nach zwei Stunden. Die Beteiligung an der Beerdigung war gro. Der Mann vom Kulturkommitee, selbst Schriftsteller, hielt die Trauerrede und sprach am offenen Grabe ber das Judenschicksal unserer Tage, das Familien zerreisst und Verwandte trennt. Am Grabe stand auch die Frau, die Besucherin und schien von der Eulogie etwas berrascht zu sein. Nachher wandte sich jemand an sie und bat noch um Einzelheit ber Kendy; praktisch kannte ihn ja niemand. Die Frau sagte nur, sie knne nicht darber sprechen. "Was wissen Sie denn", sagte sie noch, drehte sich um und ging in den Abend hinaus.
Zwei ltere Mdels aus Marokko (immer kamen Einwanderer aus Marokko) kamen eines Tages in den Meschek und behaupteten in Rabbat Hofschneiderinnen gewesen zu sein. man nahm sie in die Nhstube, an Schneiderinnen mangelte es immer. Eines kam eine Frau mit einem groen Stck crpe de chine, wer weis woher, vielleicht noch von ihrer Mutter aus Odessa, und wandte sich an die Neuen: ob sie ihr ein Kleid daraus machen knnten? "Kein Problem, wir mssen nur Ma nehmen". Anstatt nach einem Zentimeterma zu suchen nahmen sie den Stoff in die Hand, hielten ihn dicht an der Krper der Frau und rissen ihn nach den Konturen. Alle Umstehenden erbleichten. "Keine Angst", lachten die Mdels, "alles kommt in Ordnung". Und wirklich, das Ergebnis war ber alle Erwartungen - Haute Couture! Wer's nicht glaubt, frag die Alten in Aschdot.
Man sagt, da bei den Kriegsgewinnlern des zweiten Weltkrieges Palstina an zweiter Stelle gesatanden habe, nach gypten. Reichtum aber verteilt sich nie gleichmig, am allerwenigsten Kriegsgewinne. Auch in Erez Jisrael gab es viele Familien, die nicht ihr Brot fanden und nicht nur Neueinwanderer. Auch whrend des Krieges herrschte Arbeitslosigkeit in den Stdten und trotz des viel niedrigeren Lebensstandart in den Kibuzim, zogen das nicht wenige der tglichen Ungewissheit des Broterwerbs vor. Der Kibuz war bereit Ehepaare aus der Stadt aufzunehmen, wenn Raum fr die Kinder in den passenden Altersstufen zur Ver- fgung stand. Berufliche Krfte waren gesucht, Handwerker, aber auch Leute mit Bildung. Nicht jeder Versuch war von Erfolg gekrnt. Da war eine Familie, die kam aus Sch'chunat Hatikwa (Tel-Aviv) mit Pferd und Wagen. Nach ein paar Wochen lud sie ihre paar Sachen wieder auf und kehrte zurck von wo sie gekommen. Auch eine Familie aus Haifa, Lastwagenchauffeur einer groen Firma, versuchte sein Glck. Ein halbes Jahr hielt die Familie es aus. Und dann war da ein Lehrerehepaar, mit einer weitaus jngeren Frau, 'Jekete' mit Namen Lottchen, die versuchte ihren Mann los zu werden, auf dem Wege eines Tausch-geschfts.
Nicht jeder, der im Kibuz landete, wusste von vornherein, wohin er ging. Unter den Schafhirten war ein lterer Junggeselle, Jemenite, viele Jahe im Kibuz und im Betrieb. Seine Verwandtschaft in Tiberias fand es nun an der Zeit, eine passende Ehefrau fr ihn zu finde. In Aschdot Ja'akov gab es so etwas fr ihn nicht, in Tiberias aber lebte eine Reihe hochangesehener jemenitischer Familien mit genug heiratsfhigen Tchtern auch fr ihn. Die Vorgeschlagene war auch schon 'aus dem Schneider', nicht Jede rennt einem 'Alten' nach und schon garnicht in den Kibuz. Nach ein oder zwei Besuchen aber war die Jungfrau bereit die Ehe einzugehen und im Kibuz zu leben. Die Trauung fand im Meschek auf einem groen Rasen statt. Ein Schaf wurde nach alter Sitte geschlachtet und auf offenem Feuer gebraten, das Glck fand keine Grenzen. Problematisch wurde die Sache, als der Kibuz fr die junge Frau einen geeigneten Arbeitsplatz finden wollte. Protestgeschrei. Die Mutter der Braut: "Versteht Ihr enn nicht, das junge(!) Mdchen hat nie in ihrem Leben gearbeitet, wir haben sie erzogen, im seidenen Kleid auf dem Sofa zu sitzen". "Sie haben sie in den Kibuz gebracht und im Kibuz arbeitet jeder". "Arbeitet Ihr soviel es Euch Spa macht - meine Tochter nicht!". Was blieb dem armen Brutigam brig als seine Sachen zu packen, seinen geliebten Kibuz zu verlassen und sich der Familie seiner jungen Frau in Tiberias anzuschlieen. Auf Gedeih und Verderb.
Nicht nur einzele, Denker, Dichter oder Knstler pflegten sich zeitweilig im Meschek einzulogieren. Es war schon Tradition, da hhere Schulklassen unter Aufsicht ihrer Lehrer fr einige Wochen zur Arbeit im Rahmen des 'nationalen Dienstes' kamen. Der Kibuz seinerseits stellt ihnen noch einen Instruktor. Die Schulklassen kamen aus verschiedenen Schichten und politischen Strmungen und nicht alle aus dem linken Lager. Die oberste Klasse des 'Herzlia-Gymnasiums' in Tel-Aviv kam traditions gem nach Aschdot Ja'akov, zu verschieden Jahreszeiten. Der Meschek nahm diese Gruppen auf, wenn auch der Elternrat der Schule zur Bedingung gestellt hatte, bei Gespchen mit den Kindern keinesfalls politische Themen zu berhren, zumindest nicht solche, ber die in der zionistischen Bewegung Meinungsverschiedenheiten existierten - und das war beinahe alles. Tabu war z.B. das Thema 'Ansiedlung und kibuzische Bewegung'. Vergessen wir nicht, Tel-Aviv war zum groen Teil revisionistisch, oder 'allgemeinzionistisch' auf jeden Fall rechts. Was nun die Oberklasse des Gymnasiums, mit der Ran'na Ben Gurion im Herbst 1942 in Aschdot war, anlangte, so erzhlte man sich, da wenige Tage vorher Paula Ben Gurion die damalige Sekretren des Meschek, Czarna, angerufen haben, und besondere Bedingungen fr ihre Tochter, dem Status ihres Vater gem, verlangt haben soll. Czarna ihrerseits hatt Paula bedeutet, ihre Tochter zu Haus zu lassen, wenn sie auf besondere Wnsche bestehe. Es war nicht bekannt, ob der 'Alte' von diesem Telefongesprch wusste, oder ob die ganze Geschichte nicht erfunden war.
Im Jahre 1944 bat eine Gruppe anderen Charakters fr einige Wochen in Aschdot aufgenommen zu werden. Beeits nach dem Abitur, schienen aussergewhnkich intelligent und elitistisch in ihrem Auftreten. Der Instruktor von Seiten des Meschek war scharf und gewandt und versuchten in Gesprchen herauszubekommen, was eigentlich hinter diesem kaum verschleierten Versuch zur 'Selbst-Organisation' steht. Sie lehten jeder ideologische Auseinandersetzung ab. Unser Eindruck war, ihre Orientierung sei rechts-extrem. Einer von ihnen deutet mir in einem zuflligen Gesprch an: "Wer von den Juden nach Kriegsende das Land verlassen will, wir werden ihn mit dem Gewehr in der Hand daran hindern". Monat spter wussten wir mehr: es war dies der Kern der 'Stern-Organisation', der sich Aschdot Ja'akov als erstes 'Ausbildungslager' ausgesucht hatte.
Das kulturelle Leben in Aschdot Ja'akov war weit verzweigt. An erster Stelle standen das Lernen der hebrischen Sprache und die Bibelkunde, dann Chor und Drama, zur Vorbereitung von Festen auch unter Einschlu der oberen Schulklassen. Die drei Landestheater, die "Habima", das "Ohel" und das Kabaret "Matateh" gaben ihr Gastspiel whrend der Sommermonate auf dem groen Rasen auf provisorischer Bhne. Die "Habima" und an der Spitze ihr (unverwstlicher) Star, die melodramatische Chana Rowina (seit 1925) mit 'Trnenpressen' wie "Russische Menschen" (im Zeichen der Wellen allumschlingender Sympathie fr Russland, besonders nach Stalingrad, die ber uns zusammenschlugen). Aber auch "Diese, unsere Erde" ber die Grnder Chaderas, ein Obulus zur zweiten Alija, mit heroischer Selbstaufopferung und nicht zu unterdrckender Hoffnung. Das "Ohel" brachte Molire und Scholem Alejchem und "Mister Kibuz" (25 Jahe vor "I like Mike") und Halevi, der vor Beginn der Auffhrung vor den Vorhang trat und Publikum um Verzeihung bat, sollte sich jemand getroffen fhlen. Wer nahm ihn schon ersnst?
1943 erwarb der Meschek ein Filmprojektor in der Standartweite der Kinofilme von 32 mm. Filme gabs en masse im Filmverleih der Histadrut in Tel-Aviv. Eine besondere 'Kommission' hatte die Filme vom Katalog auszuwhlen, praktisch aber besorgten das die Lastwagenchauffeure, die einzigen, die stndig in Tel-Aviv waren. Das nderte aber nicht viel, Hollywood und die Russen, beide drehten fr den Krieg. "Mis Miniver" und "The Moon is down" im Westen, "Sie verteidigt die Heimat" und "So schuf man den Stahl" im Osten - beide suchte den Glauben an den erzgewissen Endsieg ins Herz der Zuschauer zu pflanzen, wenngleich es damals noch garnicht darnach aussah. Die bersetzung lief damals auf einem besonderen Zelloloidstreifen, handgeschrieben und handbetrieben, der auf die linke Seite der Leinwand projiziert wurde. Man mute schon die Sprache des Films gut verstehen, um synchron zu bleiben. Wehe dem, der den Faden verlor.
Der Ssederabend stand an erster Stelle der in Aschdot Ja'akov gefeierten Feste. Das Schwierigste war, alle Einwohner Aschdots, Mann und Kind und Greis, 'an einem Tisch' an der Feier teilnehmen zu lassen. Eine Wand der groen Essaal-Barakke wurde entfernt und eine riesige provisorische 'Htte' dicht daran errichtet, um Platz fr mehr als 1000 menschen zu schaffen. Bretter dienten als Sitzpltze und Tischplatten, die Tische bezogen mit weiem Papier. Die weite des Sitzplatz pro Gedeck war scheinbar mit dem Rechenschieber errechnet; sie betrug nicht mehr als 30 Zentimeter. An ein Servieren des Essens war natrlich nicht zu denken; die Pappteller mit dem Viertelhuhn und Salat standen schon seit 10 Uhr Vormittags auf ihrem Platz. Maximalisten bestanden zwar auf heie Suppe mit Mazzeklen am Abend gereicht, die Durchfhrbarkeit des Projekts war aber nicht garantiert. Und das alles unter der Voraussetzung, da das Aprilwetter nicht einen Strich durch die Rechnung machte.
Das Zermoniell des Ssederabends hatte im Laufe der Jahre eine fr jeden Platz charakteristische Form angenommen. Chor, Gesang und Tanz, vielleicht ein kleines Orchester, eine kurze Rede, und dazwischen eben die 'Mahlzeit', die eigentlich der Hhepunkt sein sollte, unter gegebenen Umstnden aber alles andere als angenehm. Das Sitzen auf ungehobelten Brettern in 30 cm Spielraum fr drei Stunden trug nicht gerade zur inneren Erhebung bei. Das zu Leder getrockenete viertel Huhn und der welke Salat, in Lrm und Hitze und Kindergeheul - nur der Anstand verhinderte baldige Flucht. salan Rubaschoff (Schasar), mit Frau Rachel Jana'it und mongolitischer Tochter waren seit Jahren Ehrengste des Meschek. Schasar erffnete meist den Sseder mit Vorlesungen aus der rtlich 'Hagada'. Verstehen konnte man im Allgemeinen kein Wort, auch der Violonist Sascha Parnes konnte sich mit seiner "Habaneska" kein Gehr verschaffen. Hier und dort versuchte sich jemand an dem billigen Swein zu betrinken, nicht immer gelang ihm das. Ich stand jedesmal auf mit dem heiligen Schwur "Nie wieder". Aber konnte man sich erlauben, nicht zu gehen?
Es gab da ein gebiet der Lebanshaltung in Aschdot Ja'akov, das man ignorierte - Essensformen. Der groe Essaal diente an die 600 Erwachsenen in zwei Schichten. Die Kche selbst war garnicht mehr so rckstndig, sie war dampfbetrieben, ausgerstet mit Nirosta-Gerten, Geschirrwaschmaschine und Brotschneider. Das Problem war der menschliche Faktor, der das alles zu zufriedenstellender Anwendung bringen sollte. Hier gab es keine Karpatho-Ungarinen aus Kibuz "Machar", die letzte aus den 26 Mil Budget herausholten. Das Kchenpersonal waren Polinen, die das Budget wenig interessierte, wie die ganze Kche selbst. Sie verfluchten die Ungerechtigkeit des Schicksals da sie an diesen Arbeitsplatz verschlagen und trumten von anderer Arbeit und mehr 'gehobener' Stellung. Warum die Chawerim sich mit diesem untragbaren Zustnden und dem kaum geniesbaren Essen jahrelang widerspruchslos abfanden, habe ich bis heute nicht begriffen (nach der Staatsgrndung begannen Kibuzim berufsmige Kche von ausserhalb zu engagieren). Der Grund lag vielleicht in einer verkrampften Ideologie, die da den kibuzischen Rahmen zwang, die Annehmlichkeiten des Lebens zu verachten und einzig und allein den Werten des Geistes zu folgen. Wir wissen, das diese Haltung jahrelang im Ostblock dominierte, wo die fhrende Schicht sich rechtzeitig Privilegien sicherte, die sie von der der breiten Masse auferlegten 'Entsagung' befreiten. Im Kibuz war eines der 'Privilegien' "Dit". Mit dem medezinischen Begriff einer fettarmen, salzlosen oder diabetischen Herrichtung der Speisen hatte diese 'Dit' nichts zu tun. Hier war sie 'Privileg' fr die laut Status dazu berechtigten, und ihre Bestandteile waren vor allem Sahne, Zucker und Fleisch. Es gab vier Stufen Dit, entsprechen den vier hierarchischen Stufen der Vorberechtigten. Der Status war absolut, Widerspruch gleich Heresie. Alle brigen Sterblichen verschlangen, was man ihnen vorsetzte, nur um mglichst schnell all das hinter sich zu haben.
Das war die Absicht, nur der chronische Mangel an Besteck, an Geschirr berhaupt, machte aus einem gemchlichen 'Sitzen bei Tisch' eine Jagd nach Messern und Gabeln. Bei mir kam die Sache eines Abends zur Explosion, als nach lnderem Warten der Wagen mit den Portionen bei meinem Tisch erschien. Aber nun entdeckte ich, es fehlte Besteck und der Tisch war zu alledem noch schmuzig von der vorigen Schicht. Ich stand also auf Besteck und Tischlappen zu suchen. Als sich zurckkehrte mute ich feststellen, da der Tisch zwar abgewischt, aber auch alle Teller bereits abgerumt waren; der Mann mit Eimer und Lappen wollte auch seine Schicht beenden. Und da krachte es bei mir. Mit einer etwas berdramatischen Geste warf in Messer und Gabel auf den Tisch und verlie ostentativ den Essaal. Das kleine Drama aber verursachte kaum mehr als ein flchtiges Stirnrunzeln: "...wenn das schon ein Grund zur Aufregung ist, was dann bei ernsthafteren Gelegenheiten...?" Worum es hier ging schien niemand zu verstehen.
Das wirkliche Drama spielte sich einige Tische weiter ab: eine der lteren Frauen sah ich eines Abends aus der Kche kommen, in der Hand ein Kessel kochenden Wassers. Sie ging schnurstraks auf einen Tisch zu, an dem ein altes Ehepaar beim Abendbrot sa. Ehe sie jedoch an den Tisch herankam, hatten sie schon ein halbes Dutzend Leute umgeben, die ihr den Kessel aus der Hand nahmen und sie sanft aus dem Essaal hinausschoben. Was war passiert? Die Frau des Ehepaas war die Nachfolgerin der 'Verflossenen' mit dem Wasserkessel, die sich fr den 'Diebstahl' ein fr allemal rchen wollte.
Ende November 1944 meldete sich Ilan. Wir glaubten der Natur ein Schnippchen schlagen und mit dem Autobus, in aller Ruhe, nach Tiberias gelangen zu knnen - und nicht irgend einen Lastwagen zu alarmieren. Wir waren doch gewhnt, da Geburten bei uns sich Zeit lassen. Wir gingen also langsam zur Hauptverkehrsstrae hinunter, zur Autobushaltestelle. Ein Laster berholte uns, der gut bekannte Lenker fragte, ob wir nicht dich etwas 'Tramp' bevorzugten, er sei auf dem Wege nach Tiberias. Nanni stieg ein, ich fhr garanicht erst mit, wozo dort leere Zeit versitzen. Nach einer Stunde suchte mich der Chauffeur; er hatte es gerade noch bis zur Krankenhaustr geschafft. Ein Junge, drei Kilo zweihundert. Es war wieder Freitag Nachmittag und erst am Sonnabend Frh fand ich 'Tramp' ins Krankenhaus. Dort empfing man mich mit Pauken und Trompeten. Ilan war 'the baby of the year' im Schweizer Hospital. Hellblond, eine Haarfarbe die im maternity ward in Tiberias noch nicht dagewesen. Die Schwestern standen Kopf und tanzten mit ihm durchs ganze Haus. Eine zweite berraschung blhte in der Form eines dja vu, und zwar noch einmal in der Gestalt der Frau Paula Ben Gurion, die sich den November scheinbar als Kursaison ausgesucht hatte und wieder einen Wortschwall Gre an Aschdoter bergab.
Ilan kam in eine Babygruppe unter dem Szepter einer Alt-Pflegerin mit Namen Mary, die eiferschtig ihre Pregorative als Authoritt htete. Nach einer Woch teilte sie uns mit, da Ilan beschnitten worden wre, von dem jetzt amtierenden Arzt und Mitglied von Aschdot, Dr. Sekeles, der die Beschneidungen im Rahmen seiner Arztbesuche im Kinderhaus durchfhrte. 'Die schmerzlose Methode' (fr die Mutter, nannte er das, wie er es berhaupt vorzog, die Mtter aus der Baby-Pflege auszuschlieen. Hinterher suchte er sie dann zu trsten: "Ich habe Deinem Sohn einen 'Brit' gemacht, alle seine Freundinen werden sich mal die Finger lecken..." Was nun die 'automatische ' Beschneidung anbetraf, so waren die Meinungen darber geteilt; gar mancher htte gern bei dieser Gelegenheit ein Glsschen gehoben und keine von den Mttern htte sich bermig dabei aufgeregt.
Nur ein einzges Mal suchte ein Vater Protest gegen die Beschneidung als solche zu erheben. Unter den lteren Ehepaaren, die in den letzten zwei Jahren im Meschek aufgenommen worden waren, war auch eins mit zwei Tchtern, Die Mutter Kindergrtnerin, der Man Mittelschullehrer, Riwka und Schmuel, Tel-Aviver, die aus wer weis welchen Grnden ihren Weg in den Kibuz gefunden hatten Schmuel war ein gebildeter Mann, der viele Philosophien und Theorien hegte, und der im Laufe der Zeit zu dem Schlu gekommen war, die Beschneidung fge dem jdischen Volk groen Schaden zu. Die Entfernung der Vorhaut gerade dort, wo sich die feinsten Nerven treffen, whre die Ursacher der jdischen Minderwertigkeitskomplexe. Der Brauch der Beschneidung sei mit der Wurzel auszurotten und er, Schmuel, sollte ihm einmal ein Sohn geboren werden, wrde nie und nimmer einer Beschneidung zustimmen.Riwka sagte garnichts dazu, sie glaubte kaum, da in absehbarer Zukunft deartiges aktuell werden wrde, aber Schmuel breitete seine Lehre vor jedem der nur hren wollte aus. Das alles wre ein Kurios fr die Klatschbasen geblieben, htte das Schicksal dem braven Schmuel nicht eine Falle gestellt.
Riwka ward schwanger. Im Meschek fing man an Wetten abzuschlieen, alles stand Kopf, Junge oder Mdel? Nur das bald darauf alles sehr kleinlaut endete. Ein Junge kam zu Welt und im Verlauf der nchsten Tage wurde auch an ihm die Beschneidung vollzogen. Was war geschehen? Aus dem Ehepaar selbst war nichts herauszubekommen. Aber allmhlich sickerte es durch: die Erziehungskommission hatte das Ehepaar vorgeladen und unmiverstndlich bekannt gegeben: Euere Weltanschauung in allen Ehren, aber wenn Euer Sohn im Meschek aufwachsen sol, unter all den anderen Kindern, ist es unumgnglich ihn zu beschneiden. Andererseit ist kein Platz fr ihn in den Kinderhusern und fr Euch kein Bleiben im Meschek. Was blieb schon dem Ehepaar brig, Weltanschauung hatte wirtschaftlichen Erwgungen zu weichen und ein Leben wissenschaftlicher Forschung und Ideenbildung ward zu Nichts. Hic transit gloria mundi!
Nicht jeder im Kibuz Aschdot Ja'akov sah sah im ersten Kind eines Paares oder in den nachfolgenden die natrliche Entwicklung und Zukunft des Ortes. Eine groe Anzahl Lediger sahen in den Kindern andeer nicht mehr als eine ungerechte Last auf ihren Schultern. Die ledigen sind der eigentliche Antrieb der wirtschaftlich Rder, ohne sie steht alles still. Ansichten dieser Art waren berall zu hren, teils im Spott, teils in unverhllter Feindseeligkeit. Auch, wenn man Dir's nicht ins Gesicht sagte, Du, mit Deinem Egoismus hast Dich an den anderen versndigt, die nur Dein Gutes wollten.
'Groherzigkeit' dieser Art begegnete man auf Schritt und Tritt. Aschdot hielt eine Wohnung in Safed als Sommerfrische fr Erholungsbedrftige, im Turnus je acht Tage, von Juni bis Oktober. Aus irgend einem Grunde sandte man auch mich einmal fr eine Woche dorthin. Bei meiner Rckkehr fragte mich jemand: "Hast Du Dir schon ausgerechnet, wieviel jedes dort zugenommene Kilo uns gekostet hat?". Ein anderes Mal, weit weniger erfreulich, beherbergten junge Bekannte ein altes vllig mittelloses Ehepaar aus Haifa ber das Wochenende. Am Schabbat Morgen fand die alte Frau, da ihr Ehemann ber Nacht in eine bessere Welt gegangen war. Es war im glhenden Sommer, einige Leute gruben im Friedhof ein Grab und gegen Abend begrub man den Mann. Bermerkung von der Seite: "Das ist alles von vornherein geplant um die Beerdigungskosten zu sparen".
1944 erklrte sich Stalin bereit, scheinbar nach Verhandlungen mit den Englndern, aus der Polnischen Diaspora in Sibirien, eine polnische Armee aufzustellen unter dem Befehl des polnischen Generals Anders. Die Einheiten waren an Seiten der Briten in Europa einzusetzen unter der gide der polnischen Exilsregierung in London. Historiker wissen sicher die Grnde, die Stalin zu einem deartigen Schritt bewogen, nach der Niedermetzelung des polnischen Adels in Katyn (von der damals noch nichts bekannt war). Die Russen hatten sich nicht geirrt: die Kmpfe bei Monte Cassino verschlangen den grten Teil der polnischen Regimenter. Vorlufig bereitete sich Anders vor, als ersten Schritt in den Westenmit seiner Armee nach Iran zu bersiedeln und von dort nach Erez Jisrael, bevor er sich Montgommery anschlo.
Die Nachricht, da die Armee Anders auf dem Weg nach Erez Jisrael war, verbreitete sich mit Windeseile im groen Sibirien. Viele aus Polen geflchtete Juden im dienstfhigen Alter schlossen sich den polnischen Einheiten an. Die Armee weilte einige Wochen in Teheran und dort wurde sie bald darauf nach Palestine berfhrt, in einige der Militrlger im Norden des Landes. Die Juden in Anders' Armee, zu mindest diejenigen, die das von vorn herein beabsichtigt hatten, desertierten bald darauf und fanden Unterschlupf, scheinbar auch bereits organisiert, in vielen Kibuzim. So tauchten eines schnen Tages im Frhling an die 15 bis 20 neue Gesichter bei uns auf, wie vom Himmel gefallen. Stmmige Burschen, die haarstrubende Dinge zu berichten hatten, nach allem was sie durchgemacht. ber das, was sich in den fernen Gegenden der Soviet Union abspielte, ber den Hunger und die Not und die Armut, und den Verlust jeden Glaubens an den Nchsten und an eine Zukunft. Alles andere als angenehm fr die fanatischen Bewunderer der Soviets, die mit Kriegsende die Fackel der Vlkerbefreiung tragen sollten. Nicht alle waren polnischer Herkunft, es gab unter ihnen auch Wiener und Rumnen aus Czernowitz, die flieend Deutsch sprachen und den passenden Akzent ihren Geschichten zu verleihen verstanden
Die schreckliche Tragdie des Schoa fand fr uns ihren ersten aktuellen Niederschlag mit der Affre der 'Teheran-Kinder' Im Gefolge der Anders Armee auf dem Wege nach Teheran war auch eine Gruppe von mehreren hundert Waisenkindern polnisch-jdischer Abkunft, die sich in Sibirien, ich weis nicht durch wen, organisiert hatte. Ich nehme an, da internationale jdischen Institutionen die berfhrung der Kinder nach Teheran durchsetzen konnte. Von dort begannen Verhandlungen mit den Englndern, den Kindern in Erz Jisrael Einla zu gewhren, 'aus rein humanitren Grnden'. Es stellte sich heraus, da die Verhandlungen komplizierter waren, als man vorerst angenommen. Irak machte Schwierigkeiten, sie schlugen sogar vor, die Kinder selbst aufzunehmen, gratis, nur da sie nicht nach Palstina gelangten. Auch die Araber im Land protestierten. Wie alle die politischen Hrden genommen wurden, weis ich nicht mehr. Kinder kamen ins Land und die Jewish Agency hatte sie zu verteilen, zum grten Teil in die Kibuzim und Moschawim. Da erhob der orthodoxe Sektor pltzlich ein Wehgeschrei: Kinder traditioneller Herkunft wrde man den atheistischen Kibuzim ausliefern. Die polnisch-jdischen Kinder stammen alle aus frommen Husern. Abgedroschene Argumentation auch heute, der Hintergrund war natrlich Geld. Nach wochenlangem Tauziehen fand man scheinbar einen Kompromis, der den Wolf befriedigte und das Schaf mehr oder weniger im Ganzen lie. Eines Tages kamen an die 20-25 verngstigte und verwirrte Kinder verschiedenen Alters nach Aschdot. Besondere Pflegerinnen erwarteten die Kinder und Familien nahmen sie in ihren Kreis auf. Man tat alles was man man konnte, um ihnen ein warmes Heim zu schaffen, wie eine Chawera sich ausdrckte: "Nicht mehr die 'Teheran-Kinder', sondern Feigele und Ruchele und Tonka!". Ob es den Chawerim von Aschdot Ja'akov und auch anderswo gelang, den Kindern ber das Trauma der Vergangenheit hinweg zu helfen? Wir alle hofften so.
Die Sache mit den Ambulanzen beschftigte die ffentlichkeit weniger und war eher ein Zankknocher der linkspolitischen Parteien. Die Frage war: Wie knnen die Juden Erez Jisraels ihre Anerkennung den Vlkern der Soviet Union und der russischen Regierung in ihrem Kampf gegen die Nazi-Barbaren aussprechen? Wie immer, so waren auch hier die Meinungen geteilt, hatten doch die Soviets keineswegs zu verstehen gegeben, sie seien bereit eine Anerkennung von Seiten der Juden anzunehmen. Man sprach ber eine Spende von vier Ambulanzen an die rote Armee. Die Ambulanzen seien durch Irak und Iran bis an die russische Grenze zu fahren - ganz nach dem Herzen der Fhrer des sozielistischen Lagers, d.i. der 'Schomer Haza'ir und die 'Achdut Awoda' des Kibuz Hame'uchad.
Nicht jederman war bereit sozialistische Verbrderungskundgebungen gegenber einem Regime anzunehmen, das ganz ffentlich seiner Feindschaft gegen den Zionismus Ausdruck verlieh und den Juden Erez Jisrael keinerlei Status zugestehen mochte. Wozu also das ganze Theater? Es war einigen von der alten Garde, die noch an der Oktoberrevolution teilgenommen hatten, nicht so leicht sich mit der prononziert anti-jdischen Haltung der Soviets abzufinden. "Das ist nur zeitweilig, sie haben gute Grnde der der Kriegskoalition mit dem Westen zu mistrauen, wir sind aber sicher, da am Ende sie uns doch anerkennen werden". Wie kann man den mit Blindheit geschlagenen helfen, die sich auch nach den 'Prager Prozessen' nicht berzeugen lieen.
Ich weis nicht wer fr die Ambulanzen beahlt hat. Zisling, in seiner Propaganda-Campagne fr das Projekt, brachte auch eine nach Aschdot Ja'akov zum Angucken. Mehr als armseelig: beinahe alle Attribute, die einen Lieferwagen zur Ambulanz machen, fehlten. Ein oder zwei Tragbaren, das war alles was drinnen war. Aber drauen war eine Messingtafel angebracht und darauf - in Jiddisch - 'Den Vlkern der Soviet Union von den Juden in Erez Jisrael". Die vier Ambulanzen, in Begleitung Zislings, gelangten schlielich an die sovietische Grenze. Dort nahm sie ein Offizier der roten Armee entgegen, ohne jegliche Zeremonie. Die Juden, die das Geschenk brachten, lie man nicht nach Russland hinein. Den sozialistischen Politikern ins Gesicht gespuckt, aber die behaupteten, es sei nur Regen.
Eine andere Episode, die einen Sturm im kibuzischen Wasserglass erzeugte, ereignete sich spter, bereits nach Kriegsende, zu Beginn der ersten Reibungen mit der Mandatsregierung. Die Diskussion begann nach der ersten Aktion der Palmach, die berhmte Sprengung der Eisenbahnschienen. Die jdische Fhrung wollte damit den Englndern ihren Protest gegen die Fortsetzung der Politik des 'Weissbuchs' zu verstehen geben, angesichts der 100,000 Schoa-berlebenden, die in den europischen Flchtlingslgern darbten. Es war dies das erste Mal, da man ber den Rahmen von Protestkundgebungen hinaus ging. Es ist anzunehmen, da die neue, aktivistische Linie der Jewish Agency viel durch Kreise der 'Achdut Awoda' und dem Kibuz Hame'uchad beeinflut war. Aber, wie es sich herausstellte, waren nicht alle mit dieser Linie einverstanden. Die Veteranen der 'Mapai' sahen darin eine Bedrohung der traditionellen Politik der Zurckhaltung und der jdisch-britischen Zusammenarbeit. Weizmann lehnte die neue Linie strikt ab, der 'Schomer Haza'ir' befwortete Zusammenste nur in Fllen von Alija und Ansiedlung (wenn seine Shne an der Palmach-Aktion teilgenommen hatten). Wie gewhnlich waren die Auseinandersetzungen strmisch. 'Achdut Awoda' schickte zwei Vertreter nach Aschdot Ja'akov, Zisling aus Ejn-Charod und Almoslino aus Tel-Aviv (der von Schoschana, damals noch jung an Jahren) um die 'aktivistischen' Beweggrnde zu erklren. Die von der Mapai prophezeiten Pech und Schwefel. Mit der Zeit versandete die Diskussion,aber es blieb das Gefhl, wenn es auch niemand aussprach, da eine neue Epoche politischer Beziehungen eingetreten war. Auch der 'Ezel' regte sich von neuem und nicht wenige fragten sich, wohin das alles fhren mge.
Ich selbst stand den politischen Betrachtungen recht fern, ich wute aber, da die irgendwie zum Thema 'Sicherheit' gehrte, um das herum auf Schritt und Tritt verstrkte Ttigkeit sich bermerkbar machte. Die Schlosserei und die Gieerei produzierten am laufenden Band Gegenstnde, bei denen schwer feststellbar war, wozu sie eigentlich dienen sollten. An zwei Stellen wurden Gruben ausgeschachtet, mit Betonwnden verkleidet, die mit Teer bestrichen wurden. Eines Tages waren diese Ausgrabungen verschwunden und an ihrer Stelle stand ein Huschen oder ein Schuppen mit landwirtschaftlichen Gerten. Eines Tages erschien auch Schmuel Ebel aus Gvaram, 'Fachman' in Textil, um die Mlitrmntel der Palmach in irgend eine 'neutrale' Farbe umzufrben - Camouflage.
Mit Beginn des Krieges war die Einwanderung ins Land gnzlich versiegt, ausgenommen einige wenige, die es irgend wie schafften, durch zu kommen. Wie gro war die Aufregung, als bekannt wurde, eine ganze Gruppe Jugendlicher aus der Trkei sei auf dem Wege nach Aschdot. Sie kamen per Bahn, mit viel Gepck, an die 30 - 40 Jungen und Mdels, einige unter ihnen schon 20 und darber. Die unmittelbare Ursache dieses Vorlufers der trkischen Alija waren Gerchte ber Aktivitten der Gestapo, die ihre Bros in Ankara erffnet hatte - derart waren die trkischen Beziehungen zu Deutschland. Kein Mensch konnte sagen, ob etwas an diesen Gerchten war, aber das Schicksal der Juden des nicht fernen Griechenlands war kein Geheimnis. Verstndlich also, da einige der begterten Familien sich zusammen taten und kurzer Hand ihre Kinder nach Erez Jisrael schickten, mit Hilfe der Jewish Agency.
Die jungen Leute machten alle einen uerst gepflegten Eindruck, die Mdels ausgeputzt mit Schleifchen in den Haaren. Der grte Teil sprach auch Franzsisch, viele hatten bereits das Abitur. Es war sichtbar, da sie in einer anderen kulturellen Atmosphre aufgewachsen waren. An Stelle des Vaters sah sich der Bruder verantwortlich fr seine Schwester, die ihm zu absolutem Gehorsam verpflichtet sein sollte. Die lteren Jungens waren schon gewohnt allein oder mit Vater ins Caf zugehen oder zu anderen, ausgesprochen 'mnnlichen' Unterhaltungen - die Mdels verlieen das Haus nie ohne Duena. Im brigen benahmen sie sich wie andere Jungens und Mdels auch, nur war die Nuance der Flche, die sie sich an den Kopf warfen lewantinischer. Am Hufigsten hrte man den Ausdruck 'Psewng', auf Deutsch 'Zuhlter'. Ivrit mit allem 'Zubehr' lernten sie im Handumdrehen.
Die 'Familienhierarchie' hielt nicht lange Stand. Die Mdels begriffen bald, da in dieser neuen Welt fr die Authoritt des Bruders kein Platz mehr war. Sie fhlten sich vogelfrei, ohne Beschrnkungen und ohne Aufsicht. Freiheitstrunken.
Unter den zahlreichen Klatschgeschichten, denen im Meschek bald hier, bald da Flgel wuchsen, blieb eine lange Zeit haften: die klassische Ballade einer Verfhrung zu einer fiktiven Ehe und deren Moral fr das naive Opfer, ein lterer aus der Vorratskammer der Jungesellen Aschdots. Und so berichtete die Fama: Unter den lteren trkischen Mdels war eine, bildschn und verfhrerisch. Der Verwalter des Zucker- und Rohstofflagers der Konservenfabrik, das unter Zollverschlu lag, war ein junger Angestellter des Zolls aus Haifa (als Militrliferant hatte die Fabrik Zollvergnstigungen fr Rohstoffe). Die Eintragungen des Verbrauchs an Scken von Zucker und von Pulp waren keine kreuzbrechende Arbeit fr den jungen Beamten (praktisch tat ein Chawer Aschdot alle Arbeit fr ihn) und so blieb gengend Zeit sich anderweitig nach Unterhaltung umzusehen. Eine solche bot sich, und nicht nur ihm, im Form eines Schwarms trkischer Mdels, freiheitstrunken und auf Abenteuer erpicht.
Man interessierte sich nicht viel fr den 'Roman' des Zollbeamten mit der bildhbschen Feh aus dem Lande von 'Tausend und einer Nacht' - auf diesem Gebiet war 'business as usual' und die 'affairs' wechslten tglich. Nur das eines Tages bekannt wurde, das Hillel Leibowitz, der Leiter der Bananen, gesellschaftliche Stze der Jungesellen und jngster Sohn der weit verzweigten Familie Leibowitz aus Riga, mit Dalia Ssasson aus Istambul in den heiligen Stand der Ehe zu treten gedchte - mit ihr, der bildschnen Trkin. Hillel hatte seine dreiig lngst hinter sich, das Mdel war kaum zwanzig. Nach Auen hin schien alles froh und vergngt, dank Gott, da noch einer Lediger ein treues Weib errungen. Von Seiten der Familie selbst, Vater und Geschwister, hrte man nichts. Man flsterte sich nur zu, die Familie sei alles andere als erbaut von der Wahl einer 'Frankine' zweifelhaften Charakters, wenn auch guter Herkunft, aber keineswegs passend in den Kreis einer 'Grnderfamilie' aufgenommen zu werden. Hillel, wenn befragt, murmelte etwas wie: es sei noch Umerziehung am Platz, eine Art Konversion etwa, 'Gijur Lehalacha', damit seine Zuknftige sich dem hehren Kreis seines Stammes anpassen knne. Was die Fragen des Herzens anbelangt, so wies er auf die orientalische Erziehung der jungen Dame hin, die intime Beziehungen vor der Hochzeit ausschliet.
Die Hochzeit auf dem grten Rasen erreichte die Beteiligung beinahe eines Ssederabends. Der Reden und Toasts kein Ende, bei manchen allerdings mehr eine 'purimische' Nuance als die zu erwartende erotische, so ungefhr: "Was hast Du Dir da eingebrockt...". Auch Vater Leibowitz zog man mitten in den Kreis und zwang ihn geradezu, auch ein paar Worte zu sagen. Und der weise Alte sagte nur einen Satz: "Ich brauch Euch wohl nicht zu sagen, wie ich mich heute fhle...".
Die Anticlimax der Phantasmorgia kam am folgen Morgen. Man erzhlte sich, die Braut wre ihrem frisch angetrauten Gatten berhaupt nicht ins Zimmer gefolgt. Sie verlie Aschdot Ja'akov noch in derselben Nacht, auf dem Wege zurck in die Trkei. Hillel war im Schock und nicht fhig irgend welche Fragen zu beantworten. Was war passiert? Dalias Freunde aus der trkischen Gruppe konnten die Antwort liefern: Es war ihnen nicht unbekannt, da die junge Frau in Istambul einen Verehrer hatte, ein reicher Mann, der letztlich ganz offiziel bei ihren Eltern ihre Hand angehalten hatte. Dalia neigte den Antrag anzunehmen, wie aber er- klren da ihre 'Unschuld' in den Armen des Zollbeamten geblieben? Nur eine 'unglckliche Ehe' und die 'Flucht zurck in den Scho der Familie' sind gengend Beweis fr den Verlust der Jungferschaft. Ob ihr das gelungen ist, ob die ganze Geschichte berhaupt stimmte, wer weis das? Heute ein- zwei Stunden Flug - damals war Istambul eine Welt von uns entfernt; und Krieg dazu. Die Spavgel von Aschdot aber mochten alledem nur zu gern Glauben schenken, und in Hillel Leibowitz das naive Opfer einer gerissenen Bertgerin sehen.
Hillel blieb nicht ledig. Im Verlauf einiger Jahre heiratete er die schon nicht mehr ganz jugendliche (und alles andere als bildschne) Tochter einer reichen Familie aus Petach Tikwa, um deren Hals das Schild 'Erbin' hing. Ich traf Hillel, schon nach '48, als er mir aus den Bananenpflanzungen seines Schwiegervaters in Rosch Ha'ajin vom Frost angefaulte Setzlinge verkaufte. Die kibuzische Moral, zu der er seine trkische Fata Morgana erziehen wollte, hatte er in Aschdot gelassen, zusammen mit seiner Einfalt. Die trkische Gruppe selbst aber blieb der Bewegung treu; sie grndete den Kibuz 'Hagoschrim' in Ober-Galila.
Kein Feuerwerk entzndeten die Juden in Erez Jisrael zum Ende des zweiten Weltkrieges. Keine Freudenkundgebungen. Die Ausmae des Schoa waren mit gesundem Menschenverstand berhaupt nicht fabar. Millionen Zwangsarbeiter suchten den Weg zurck in ihre Haumat, hunderttausend berlebende Juden in Flchtlingslgern in Deutschland und Italien hatten keine Heimat mehr - die Ortsbevlkerung, die sich ihres Eigentums bemchtigt, sorgte schon dafr. Die Schoa-berlebenden wurden zum Herd des Konflikts mit England, das um keinen Preis bereit war, ihnen die Tore Erez Jisraels zu ffnen. , ihrerseits sollte jeder in seine 'Heimat' zurckkehren; derartige Versuche waren schon mit Pogromen beantwortet worden. Die Jewish Agency leitete Rettungsaktionen und illegale Alija in Europa ein.
Ich hatte Aschdot Ja'akov bis zur Neige ausgekostet. Was hatte ich hier noch zu erwarten? Erbrmliche Wohnung, schlechtes Essen in einem entsetzlichen Essaal. Das hohe Niveau des Kibuz, so sagte man, drckte sich vor allem auf kulturellem Gebiet aus. Ich weis es nicht. Der immer tiefer klaffende Riss und die sich stndig verschrfende Auseinandersetzung lieen kaum noch etwas von dem, was man Kultur nennt, brig. Mit zwei Kindern aber und ohne Beruf verlt man nicht so ohne weiteres den Kibuz. Was dann? Vielleicht zurck nach 'Gvaram'? Kibuz "Machar" hatte sich 1942 auf den Bden von Ssumssum, sdlich von Aschkelon angesiedelt. Ich nahm mir ein, zwei Tage und fuhr dorthin. Nannis Bruder war nicht wenig erstaunt ber mein Anliegen, aus dem groen, 'reichen' Aschdot in das arme Gvaram zu bersiedeln. Er glaubte uns im Paradies. Gvaram hatte nichts gegen unsere Rckkehr und das Zentralkommitee der Bewegung keinen Grund sich einzumischen.
Am 1. Dezember 1945 lieen wir Aschdot Ja'akov hinter uns, nach drei Jahren und bereits regulre Mitglieder. Ophra war vier Jahre alt, Ilan ein Jahr, aber gesundtheitlich in keinem guten Zustand. Nanni hoffte whrend der blichen Quarantne am neuen Platz seine chronische Dysentrie endlich ausheilen zu knnen. Wer unter der Trennung vm alten Platz litt war Ophra. Sie war bereits gro genug, um die Unterschiede der Lebensbedingungen zu empfinden. Ich selbst blickte nicht zurck. Ich habe so etwas nie getan bei unseren zahlreichen Wanderungen. Nicht, da ich frchtete zur Salzsule zu erstarren - unser hin und her war nie Ausdruck irgendwelcher Erfolge, eher ein Suchen nach etwas, was ich immer zu finden hoffte. Wozu also rckwrts schauen?
Ich hoffte, Gvaram mehr nach meinen Maen zugeschneidert zu finden; zu einem gewissen Grade traf das auch zu. Mich dort 'zu Hause' fhlen, hatte ich nie erwartet. 'Zu Hause' hatte ich mich nicht einmal in Wriezen gefhlt.