Im Sommer 1934 wurde ich dann auch noch am Blinddarm operiert - im Wriezen, ohne besondere Komplikationen. Es ist mir nur in Erinnerung geblieben, weil dies mit der Nacht der
Rhm-Putsches zusammenfiel. Es war da natrlich kein Putsch, wie Gbbels behauptete. Der Versuch der SA, d.h. die Strasse und die Analphabeten, endlich an die wohlverdiente Krippe zu kommen, war wohl der herrschenden Schicht ein Dorn
im Auge. Ihre Shne, die SS, rumten mit dem Kehricht auf. Industrie und Wehrmacht duldeten keine Plebejer.
Ja, und dann hatten einige rzte wieder einmal etwas an meinem Herzen auszusetzen. Im Grunde genommen war immer etwas daran zu beanstanden - aber meinen ersten Herzanfall bekam ich
troz alledem nicht vor 1969 - so schlimm kann es also nicht gewesen sein. Ich ging also diesen Sommer nach Bad Reinerz, zur Abwechselung mal mit Mamma. Reinerz ist seines Zeichens Herzheilbad im Glazer Bergland. Damals wusste man
aber mit "Herzkranken' herzlich wenig anzufangen. Die Behandlung war nicht mehr als philosophisch. Nicht, dass mir das etwas ausgemacht htte; es fehlte mir sowieso nichts. Wie blich,
wurden wir einem rtlichen Herzspezialisten empfohlen, der eine entsprechende Kur zu verschreiben hatte. Ob er etwas herausfand weiss ich nicht - eine besondere Kur wurde nicht verschrieben. Aber ein Arzt
muss schliesslich von etwas leben, daher wurde jeder Patient zur 'Behandlung' angenommen. Medikamente ohne dringende Notwendigkeit, wie heute im Westen an der Tagesordnung, wurden damals nicht verschrieben. Der Name des Arztes war
Dr. Hans Kuhn. ber den rztlichen Kontakt hinaus, wurden wir ein wenig bekannt. Er war, was man einen 'verbrannten' Zionisten nennt - zum ersten Mal in meinem Leben traf ich einen solchen - und spter erfuhr ich, dass er
aus dem revisionistischen Lager kam. Sein Name wurde spter hier im Lande unter den rechts-radikalen Politikern gennnt. (Likud, die zeitweilige Regierungsmehrheit, grndet ihre Ideologie im Revisionismus von Vladimir Jabotinsky). In
Reinerz 1934 war ein militanter Nationalismus dieser Prgung etwas gnzlich Nes fr mich, desgleichen seine etwas bertrieben herausgestrichene Religiositt. Im Grunde seines Herzens war Dr. Kuhn absolut
assimiliert, sein 'Davnen' war nur Ausdruck einer politischen berzeugung - eine Erscheinung, die man heute auf Schritt und Tritt in Israel antrifft (ich rechne dazu nicht
die weit verbreitete
חזרה בתשובה, die eher zu dem anti-Etablishment Protest, Hippytum, Mystizismus und Rauschgiftsucht der westlichen Jugend zuzurechnen ist). Meine Mutter schien sehr beeindruckt
gewesen zu sein, denn ein Jahr darauf sandte sie uns ein zweites Mal, in Begleitung vom Kick, nach Reinerz. Es war schon in der Herbstwochen, und Dr. Kuhn ludt uns ein, ihm bei der Errichtung einer Ssukka behilflich zu sein. Er
hatte da noch einen Patienten meines Genre bei sich, der spter als einer der Begrnder einer deutsch-zionistischen Jugenbewegung bekannt wurde, die 'Werkleute', die ihre Ideologie in weitem Masse von Martin Buber bezogen, aber doch
dann spter sich einer betont links orientierten Kibuzbewegung anschlossen. Franz Knigsberger habe ich im Land spter einmal kurz gesehen; heute scheint er Universittsprofessor zu sein. Seine Jugendbewegung, die 'Werkleute',
begrndeten im Land einen gut fundierten Kibuz, 'Hasorea', der, wie alle gut situierten Kibuzim, seinen Sozialismus in der Bibleothek gelassen hat und u.a. eine bdeutende Mbelfabrik betreibt. Der Wahlspruch der Jugendbewegung aber
war: "Der Tag ist kurz, der Arbeit viel, die Arbeiter sind trge und der Herr des Hauses drngt..." (Pirke Avot).
Dr. Schapiro, der Arzt der Alija-Abteilung der Jewish Agency in Berlin-Meineke Strasse, konnte es nicht auf sein Gewissen und auf seine Verantwortung nehmen, mich zur Hachschara
zu besttigen. Was also tun? Man sucht nach einem Ausweg.
Die Situation der Juden in Deutschland war im dritten Jahr des Naziregimes ambivalent. Ein Strick hing zwar um den Hals, die Wirtschaft aber schien stabilisiert und auch
diejdischen Geschfte gingen mehr oder weniger. Die Reichsparteitage und die Olympiade 1936 machten einen weltweiten Eindruck, nicht zuletzt durch die filmische Inszenierung von Leni Riefenstahl (der 'Reichsgletscherspalte'), die
das Streben nach Ernst und Ordnung unterstrich. 1936 aber brachen auch die anti-jdischen Unruhen in Palstina aus und die britische Mandatsregierung begann die Einwanderungszertifikate zu beschrnken. Auswanderungs-mglichkeiten in
andere Lnder schien es kaum zu geben. Einwanderung in die U.S.A. basierte auf deutscher Quote, auf Jahre berzeichnet. Sd-Amerika war nur bedingt attraktiv, aber auch nicht immer im Bereich der Mglichkeiten.
Eine Zukunft konnten junge Menschen troz allem in Deutschland nicht fr sich sehen und der Andrang zur Hachschara wuchs, in der Hoffnung, irgendwann doch ein Zertifikat (oder ein
Visum sonstwohin) zu ergattern. Die Zentrale des "Hechaluz" in Berlin organisierte die be- schrnkte Anzahl der zur Verfgung stehenden Hachschara-Pltze.
Warum berhaupt `Hachschara' - auf deutsch 'Vorbereitung'? Die Einwanderungswelle aus Polen in Palstina im Jahre 1925 wird als die Ursache des Ausbruchs der arabischen Unruhen von
1929 angesehen. Unter arabischem Druck setzten die Englnder Einwanderungsquoten ('Zertifikate') fest, fr mittellose Einwanderer (sog. Arbeiterzertifikate) und fr Bemittelte von mindestens 1000 Sterling
Kapitalistenzertifikate. Kapitalisten-Zertifikate waren im Allgemeinen nicht berfordert, aber Arbeiter-Zertifikate fr 'Chaluzim' waren beschrnkt und wurden nach den Unruhen von 1936 noch gekrzt. Der Druck zur Auswanderung und zur
Alija kam vor allem aus Polen, die wirtschaftliche Lage der Juden war dort verzweifelnd, schon Jahre vor dem Krieg. Um alle, die sich der Bewegung anschlossen, organisatorisch zu erfassen, begann die zionistische Weltorganisation
mit der Grndung von 'Hachscharazentren', liiert mit den verschiedenen ideologischen Strmungen der Chaluz- und Kibuzbewegung. Ihre hauptschliche Aufgabe sahen sie in Lernen von Ivrit, wenn mglich irgend eine Berufsausbildung, und
aus Mangel an Mitteln naturlich Unterhalt durch Arbeit. Man lebte in den Zentren in Kommunen. Hachschar-Zentren entstanden auch in den baltischen Lndern und in der Czechoslovakei. In Deutschland hatte man die Bewegung nach 1933
von Grund auf zu bauen. Man ging von der Ansicht aus, dass zur Einwanderung in Palstina eine brufliche 'Umschichtung' notwendig sei, d.h. Berufsausbildung in Landwirtschaft und Handwerk - nach den ideologischen Preferenzen
der Zeit. Die Berufspyramide der jdischen Massen, auch die der Juden in Deutschland, wurde als soziologisch ungesund angesehen; eine breite Arbeitermasse als Grundlage einer neuen nationalen Gruppierung war zu erstreben. Die
Wartezeit zur Erlangung eines Zertifikates dehnte sich derartig aus, dass beinahe eine unbegranzte Mglichkeit zu beruflicher Umschichtung gegeben war. Der deutsche Hechaluz begann aber auch Hachscharapltze in Holland und
Skandinavien einzurichten - man hatte, wenn auch nicht jeder, das Gefhl, dass der Sand im Stundenglass verrinne.
'Umschichtung' hiess fr die deutschen Juden natrlich frank und frei 'sozialer Abstieg' und die bittere Pille war nur zu schlucken, wenn sie einen ideologischen Unterbau hatte. Die
Ideologie der gesellschaftlichen Pyramide mit der breiten Basis von arbeitenden Massen, ge- mss der Lehre des sozialistischen Zionismus, hatte ihre Berechtigung wohl in der verzweifelten Situation der Juden Ost-Europas, passte
aber nicht ganz zu den Juden in Deutschland. Diese hatten ebensowenig eine proletarische Basis wie die Juden im Osten, waren aber nichts desto weniger gesellschaftlich und wirtschaftlich wohl fundiert. In Erez Jis- rael aber
verlangte man eben schwielige Hnde, die den Boden zu pflgen und das Eisen zu schmieden hatten.
Jede Frage beruflicher Umschichtung war auch mit dem Ziel der Auswanderung verbunden. Nur wenige planten nach Erez Jisrael zu gehen, die Mehrheit versuchte nach bersee
auszuwandern. Wer sich dennoch zur Alija entschloss, ging zur Landwirtschaft, weniger zum Handwerk. Jdische Fachschulen, wie man in Deutschland Berufsausbildung verstand, gab es nicht mehr als eine oder zwei, und die wurden bald
geschlossen. Dennoch blieben bis 1938 auch in Deutschland noch eine Reihe von Hachscharazentren aktiv.
Wie gesagt, wer nicht in dem offiziellen Rahmen unterkommen konnte, suchte sich auf eigene Faust einen Ausweg. Einen solchen fand ich in der Umgegend von Berlin, beiJterbock, in
einer Klitsche, die dem Sohn einer reichen jdischen Familie gehrte - allem Anschein nach ein verkrachter Playboy, den die Familie auf ein paar Morgen Sandboden und ein paar Hhnern sichergestellt hatte, mglichst weit weg von wo er
noch irgend welchen Schaden htte anrichten knnen. Natrlich lag der Gedanke nahe, zur Wartung von ein paar Radieschen einige 'Praktikanten' - Hachscharisten - aufzunehemen, gegen Bezahlung, an ihn, natrlich. So trafen wir uns dort,
eine bunte Gesellschaft von 5-6 Leuten, im gleichen Alter und mit gleichen Bestrebungen und Problemen; sammelten ein paar Eier ein, sten etwas Ge- mse, scheuerten ab und zu ein paar Schweine ab und verstreuten Stroh. Und
dann war da auch die Dame des Hauses: in ihrer usseren Erscheinung von jenem Typ, der in manchen Filmen als 'Madame' bezeichnet wird. Ihr Haushalt sah ganz darnach aus. Ihr Mann war hufig unterwegs, und sie versuchte sich so gut
es ging schadlos zu halten, von In- und Ausserhalb. Wir verbrachten einen herrlichen Sommer dort, und einige der 'Chewre' traf ich im Lande wieder. Einmischung usserer Faktoren bereiteten unserer Idylle ein jehes Ende: die
deutsche Luftwaffe erffnete sich in unserer Gegend Bombenabwurfspltze. Eines Tages erschien ein Polizist und teilte uns mit, wir htten den Platz unverzglich zu verlassen; die Gegend sei zum Militrgebiet erklrt und wir gefhrdeten
die Staatsicherheit.
Der Sommer war zu Ende, aber irgend etwas musste schliesslich getan werden. Wollte ich wirklich Landwirt in Erez Jisrl werden - ich htte nicht gewusst, wie so was anzufangen. Man
behauptete, mit 1000 Pfund Sterling knnte man einen Meshek errichten (was natrlich nicht stimmte), aber selbst wenn, irgend eine Ahnung musste davon haben. Also weiter mit der Hachschara. In der Nhe von Stettin besass ein Jude mit
Namen Peyser eine grosse Grtnerei fr Topfpflanzen und nahm Praktikanten gegen ein Taschengeld an. Die Grtnerei war ein grosser Betrieb mit vielen Treibhusern und Mistbeeten. Alles unter Glass und heizbar. Gezogen wurden
Schnittblumen und Topfpflanzen, die Hauptsaison war im Winter und der Markt Stettin und Umgebung. Das Personal Nazis mit Parteiabzeichen, nach deutscher Tradition in strenger Hirarchie. Ein Obergrtner kommandierte die Angestellten
und Arbeiter, aber Peyser, der Besitzer, war selber Fachmann und ehem. Zgling der Baumschule Ahlem, einem jdischem Internat und Weisenhaus. Er zhlte zu den 'Reformierten' und htte sich am Liebsten am Hitlergruss beteiligt. Eine
kleine Gruppe von 'Praktikanten' wohnte unter primitivsten Bedingungen in einer Dachkammer, bekam 2 Mark Taschengeld die Woche und musste sich allein bekstigen - wie, interessierte keinen. Dafr war jeder verpflichtet zu gewissen
Stunden auch des Nachts raus zu gehen, um fr die geordnete Abheizung der Treib- huser zu sorgen. Geheizt wurde mit Koks.
Beruflich war die Grtnerei Peyser ein interessanter Betrieb. Die Hauptartikel waren Chrysanthemen und Flieder. Die Chrysanthemen, mindestens ein Dutzend verschiedener Sorten,
wurden in Tpfen gezogen und zur gewnschten Zeit durch Anheizen zum Blhen gebracht. Die Fliederstruche waren im Freien in Beeten gepflanzt. Drei Wochen vor der geplanten Schnittzeit wurde ber diese Beete ein (transportabeles)
Warmhaus gesetzt. Die Stucher waren natrlich kahl und der Boden gefroren. Wenn ich sage transportabel, so bedeutete das damals keineswegs Leichtmetal und Polyethylen. Zwei Zoll starke Eisenrohre, eiserne Fensterrahmen und Glass,
ein Koksofen - der Bau der Pyramiden war im Vergleich zu dieser Arbeit ein Picknick. 24 Stunden Cyano-Gas und stufenweises Anheizen - und nach drei Wochen gab es duftenden Flieder, ein wenig blsslich zwar, aber wer nahm um die
Weihnachtszeit daran Anstoss!
Vom ersten Tage an war es mir nicht mglich, mich dem Personal zu nhern oder anzupassen - ich versuchte es auch gar nicht. Sie waren untereinander wie Hund und Katze und jeder
suchte den anderen durch Arbeitstempo zu bertrumpfen, ohne dass er irgendwelche Vorteile davon gehabt htte. Man nannte so etwas damals Berufsstolz. Von Anfang an hatte ich da kaum Aussicht, mitzuhalten. Der Bos aber, der gerne
wollte, dass sein jdischer Praktikant fr zwei Mark die Woche die Arbeiter unter den Boden schaufele, fhlte sich in seinem Deutschtum getroffen. Ich meinerseits versumte ostentativ am Ende der Woche die zwei Mark abzuholen - in
seinen Augen einfach eine Beleidigung und Strung der ffentlichen Ordnung. Ich versuchte noch eine Weile standzuhalten, indem nach Stettin zu Bekannten zog und mit der Bahn jeden Tag zur Arbeit fuhr. Von sich aus hatte Herr Peyser
natrlich recht. So wie er es sah, passte ich wirklich nicht in seinen Betrieb. Jahre spter traf ich einige Jungens, die gleich mir im Betrieb Peyser gearbeitet hatten. Sie waren alle krperlich viel krftiger, und dazu waren sie
noch Berliner, mit einer Riesenschnauze und usserster Frechheit begabt. Peyser wagte bei ihnen nicht mit der Wimper zu zucken, trotzdem sie ausreichend gefaulenzt hatten. So sagten sie.
In Stettin schloss ich mich der Ortsgruppe des 'Hechaluz' an. Zu meiner grssten Ent-tuschung konnte ich, was Ivrit anging, absolut nichts lernen - keiner hatte von nichts eine
blasse Ahnung. Alles lebte in Ungewissheit. Die Aussichten auf Alija waren Nil. Viele hatten Existenzsorgen und wussten nicht, wie lange sie noch ihre Hachschara wrden hinziehen
knnen. Die Aussichten fr Auswanderung nach bersee waren nicht besser. Eine Einreise in die U.S.A. war nur noch mittels Affidavit mglich - die Mglichkeiten fr Sd-Amerika ungewiss und widersprechend. In der Mehrheit der Flle lief es
auf Bestechung heraus; die Einwanderungsbehrden in den entsprechenden Lndern wollten dann die Einreise-Visen nicht anerkennen und steckten sogar die ahnungslosen Einwanderer ins Gefngnis.
Nicht berraschend fr mich erklrte Herr Peyser meine Arbeit bei ihm im Februar fr beendet. Ich passe nicht in einen kommerziellen Betrieb. Trozdem war ich deprimiert. Ich habe
spter in dem Pardessim von Kfar Saba und am Toten Meer schwere krperliche Arbeit geleistet und bin hinter keinem nachgehinkt. Die Wahrheit liegt woanders: in einen hierarchischen Betrieb muss man sich eben einpassen knnen. Dennoch
habe ich viele interessante Sachen in der Grtnerei gelernt, nur, dass es 40 Jahre dauerete, bis ich sie htte anwenden knnen. Und da waren sie bereits berholt.
Zu Hause begann ich mich fr ein Projekt der JCA - Jewish Colonisation Assosiation - zu interessieren, eine Gesellschaft, die um die Jahrhundertwende landwirtschaftliche Ansiedlung
von Juden in Argentinien erstrebte und auch Siedlungen errichtete. Die JCA suchte Jugendliche fr ein landwirtschaftliches Ausbildungsprojekt mit dem Ziel Argentinien zu interessieren. Bei nherer Untersuchung stellte sich heraus:
1. Man muss sich verpflichten, nach Argentinien auszuwandern und sich in Siedlungsgebieten anzusiedeln. 2. In Deutschland selbst hat die JCA kein Ausbildungslager und weiss auch nicht wie ein solches zu organisieren. 3. In
Argentinien ist das Ansiedlungsprojekt der JCA seit langem von der Bildflche verschwunden und und es bestehen Zweifel, ob sich dort noch Juden mit Landwirtschaft befassen. Das aber war meine kleinste Sorge. Wenn schon nach
Sd-Amerika auswandern, warum dann als Landwirt, wenn wirkliche Existenzmglichkeit nur im Handel besteht? Ich wollte nunmal nach Palstina und da stiess ich auf eine Annonce in der Zeitung: "Hachschara in Holland, Ausbildung in
Landwirtschaft und Handwerk". Der Platz war 'Werkdorp Nieuwesluis` im Wieringermeer Polder. Grnder und Curatoren des Projekts: 'Stichting Joodse Arbeid' - Amsterdam. Die Antwort auf meine Anfrage liess nicht auf sich warten; man
teilte mir mit, ich sei aufgenommen und solle meine Sachen mit der Nummer 150 versehen. Inliegend ein Antragsformular zur Besttigung von Devisen zur monatlichen Bezahlung. Noch ein Kuriosum: die Nazis besttigten Devisen fr
Ausbildung im Ausland.
Die Zeilen ber die Jagd nach der 'Umschichtng' stimmen mich nachdenklich. Sozio-konomisch gesehen war eine
berufliche Umgruppierung zum Zweck einer Auswanderung nach bersee nicht erforderlich; der Weltarbeitsmarkt war das Problem, nicht der Beruf. Die Hachschara-Zentren in Ost und West waren eine Palliative: eine Menschenreserve
ideologisch und organisatorisch zu erfassen, um sie zu gegebener strategisch einsetzen zu knnen - die zu grndenden Kibuzim sollten die Landkarte eines knftigen Israels bestimmen. In Abwandelung des englischen Sprichworts: der
Kampf um den jdischen Staat sollte in den Hachschara-Zentren Europas gewonnen werden. Im Rauch und Trmmern vom Ghetto Warschau ging dann dieser Teil Erez Jisraels verloren.
Und das Mrchen von der breiten soziologischen Basis von Arbeitern und Bauern als Grundlage der gesellschaftlichen Pyramide eines 'gesunden Volkes' ist lngst vergessen. Die breite
Masse von heute, die den finanziellen, industriellen und wissenschaftlichen Be- drfnissen der modernen Marktwirtschaft dient, sind nicht nur die Industriearbeiter
sondern in steigendem Masse die Akademiker, Familien, deren beide Teile arbeiten, mit nicht mehr als zwei Kindern - mit relativ hohem Lebensstandart. Die Mnner mit Schaufel und Hacke und schwieligen Hnden finden heute immer
schwerer ihren Platz. Nicht mehr als 3% Landwirte sind ntig, um ein Land ausreichend zu ernhren.