So fing er fr uns an, der Krieg von 1948. Es ist von allen Seiten viel darber geschrieben worden, nicht zuletzt von Kibuz Gvaram selbst. Ich selber halte mich weniger an die
chronologische Folge der Ereignisse, mir sind wichtig die Eindrcke und Erinnerungen dieser Monate. Das Heftchen, das Jehuda Rotschild in Gvaram herausgab, erzhlt mit viel Pathos und Selbsicherheit. Nicht alle waren wir unserer so
sicher, besonders nicht nach dem Kampf und Fall von Jad Mordechai und Nezanim. Ich persnlich glaubte nicht, da wir lebend herauskommen wrden und wer mir berdies versichert htte da wir nach alledem auch noch die Oberhand gewinnen
wrden, dem htte ich glatt ins Gesicht gelacht. Ich war brigens nicht allein unter den Zweifelern, aber, so behauptet wenigstens die Historikerin Prof. Anita Schapira, Ben Gurion war sich des wahren Krfterverhltnises bewut, daher
wagte er das Abenteuer... Who knows?
Natrlich war es nicht so, da wir am 30. November 1947 frh aufwachten mit Gefhl sich in einer absolut neuen Situation zu befinden, etwas, das uns bisher vllig unbekannt war.
Gestern noch tiefer Frieden, heute Krieg. Nein, unser persnliches Sicherheitsempfinden hatte sich keineswegs gendert. Sicherheit, dieses Wort begletete uns vom dem Augenblick, da wir den Boden dieses Landes betraten. Sicherheit,
das war nicht sich gesichert fhlen, 'Sicherheit' gehrte immer zu etwas, was uns von Auen her bedrohte, zur anderen Seite - aber 'Sicherheit' war auch ein Rahmen, eine Organisation, und nicht weniger auch eine Geisteshaltung, eine
Lebensfhrung, einigen eine Weltanschauung oder auch Glaube, anderen der Strohhalm, an den man sich im Notfall klammern konnte. Ohne 'Sicherheit' kein Aufbau, d.h. ohne ideologischen Rahmen kein Ziel. Ich hatte nie in er Stadt
gelebt und kenne nicht die Empfindungen und Reaktionen einer urbanen Gesellschaft, aber wir, Angehrige der Siedlungs- und Kibuzbewegung, empfanden so. Und wenn ich
sagte da die politischen Ereignisse uns bereilten, ohne da wir im Augenblick das Ausma ihrer Schwere ahnten, nur deshalb, weil wir uns sowieso nie 'sicher' gefhlt hatten.
Die Waffensuche der britischen Armee in Kibuz Jagur im Juni 1946 und das groe Waffenlager, das dort entdeckt wurde strkten vielleicht nicht bermig des Sicherheitsge-
fhl des Durchschnittsbrgers, lieen ihn aber doch einen gewissen Schutz empfinden. "Wenn das das Arsenal eines einzigen Platzes, Jagur, ist - dann mssen die Juden im Lande bis an die Zhne bewaffnet sein". Von all den seelischen
Erschtterungen und Enttuschungen, die uns in den kommenden Monaten erwarteten, der Befehl, das Waffenversteck von Gvaram zu ffnen und die Waffen
an die Chawerim zu verteilen, war die erste dieser Enttuschungen. Mit Bekanntwerden dieser Nachricht versammelte sich eine kleine Schaar Neugieriger an der 'Sicherheitsbarakke', bisher fr Unbefugte verschlossen.Was sie zu Gesicht
bekamen waren an die 10 oder 12 Chawerim die herauskamen, jeder ein Gewehr ber der Schulter, ein englisches oder ein polnisches, auch ein kanadisches war dabei, mit langen Lauf. Noch irgendwer schleppte ein deutsches MG (Spandau),
andere noch ein oder zwei Tommy-Guns aus den Gangsterfilmen der dreissiger Jahren. Das war alles, was zur Verteidigung von 300 Menschen dienen sollte. Schwer zu behaupten, da sich jemand besonders verteidigt fhlte. Das besserte
sich auch nicht, als nach einigen Wochen unser Arsenal durch einen Browning, ein mittleres Maschinengewehr verstrkt wurde, dessen Munitionsgurt aus Stoff war, was von vorn herein viele Ladehemmungen garantierte. Der Clou aber
waren die mitgesandten italienischen Gewehre: diese waren kurz und leicht und hatten vormals der faschistischen Jugendbewegung Mussolinis gedient. Leicht waren sie und bequem damit nachts auf Wache zu gehen. Man riet uns aber auf
keinen Fall zu versuchen damit zu schieen, es wrde um die Ecke gehen... Zum Glck hatten wir noch ein paar 'amtliche' Gewehre, die Waffen der
rtlichen 'Siedlungspolizei'. Spter erfuhr ich, da seit den Unruhen von 1936 die Siedlungen selbst fr den Erwerb ihres Waffenlager zu sorgen hatten, und das war eben das Arsenal, das sich Gvaram leisten konnte. Man konnte damals
z.B. einen Sten fr 100 bekommen, ntigenfalls auch auf Anleihe. Von diesen Stens hatte wir schon einige, ehrfrchtig bestaunt als Wunder der jdischen Untergrund-Waffenindustrie. Die Dinger waren nicht unge- fhrlich fr ihren Trger,
ein leichter Schlag auf den Kolben konnte eine Salve auslsen. Das passierte auch einem Mdel, als ihr Panzerwagen ber ein Schlagloch fuhr.
Der Kontakt zu unseren arabischen Nachbarn hielt nicht mehr lange an. Es war klar, da die arabischen Politiker einem solchen Kontakt nicht zustimmen konnten. Noch wenige Tage nach
Beginn der Unruhen erschienen bei uns die Schulzen einiger der Nachbardrfer, zu einem Abschiedsbesuch. Avraham Gutsmuth, der viele Jahre dieses Amt fr uns erfllte, sa mit ihnen auch dieses letzte Mal. Er erzhlte mir einmal davon.
Diese Dorfltesten waren weise Leute, garnicht so primitiv und rckstndig, wie die Stdter die Drfler immer sehen wollen. Offen und klar wussten sie die Situation zu beurteilen. "Ihr Juden habt ja praktisch Eueren Staat bereits
etabliert. Ihr habt bereits eine Regierung und Ministerien. Von Militr und Finanz und Gesundtheit bis Erziehung und Landwirtschaft. Wir haben garnichts. Das Gewehr im Kleiderschrank dient vor allem, um bei passender Gelegenheit
mit dem Nachbarn abzurechnen. Und jetzt ist Krieg. Wir wollen nicht sterben, was aber blht uns anderes?" Die gebildete Beamtenschaft in Ghaza war nicht optimistischer, den Aussprchen einiger bekannten arabischen Regierungsbeamten
nach zu urteilen.
Unsere erste Sorge war natrlich die Verbindung nach Tel-Aviv. Mit Steinen fing es an, aber sehr schnell ging man zu Feuerwaffen ber. Die Juden organisierten Convoys, die Araber
Hinterhalte mit Sperrfeuer. Anfangs begleitete die Mobilguard, eine Einheit jdischer Siedlungspolizei unter britischem Befehl, die Convoys. Es gab schon einige Panzerwagen und man begann auch die Laster mit Stahlplatten zu
sichern. Bei uns war es garnicht so einfach einen Convoy zusammenzustellen; Jad Mordechai und wir waren die einzigen Siedlungspunkte in der Umgegend. Jad Mordechai hatte es leichter, die Siedlung sa dicht an der Strae (spter
sollte ihr das noch teuer zu stehen kommen), zu uns fhrte ein Feldweg vier Kilometer hinauf, der teilweise nach strkerem Regen nicht befahrbar war.
Im Verlauf einiger Wochen nahmen Rstung und Taktik schon ernstere Formen an, haupt- schlich bei den Arabern. Sie begannen Minen zu legen und diese bald
darauf ferngesteuert auszulsen. Die arabische Strategie war klar: die verstreuten jdischen Siedlungspunkte abzuschneiden und abzuwrgen. Hier herrschte schon offener Krieg. Die Englnder mischten sich selten und nur unter besonderen
Umstnden ein.
Der Sden war von Juden nur dnn besiedelt und von Anfang an vom Norden abgeschlossen. Die "Negev Brigade" der "Palmach" (der voll mobilisierte Arm der Hagana) operierte im Sden,
zwischen Negba und Asludj (Revivim). Drei Regimenter hatte die Negev Brigade, Regiment No. 2 hatte unseren Raum bernommen und sein Stab unter dem Befehl von Moshe Nezer (kurz Moishe Nun genannt) war in Nir Am einquatiert. Zwei
Battalione hatte das Regiment und zwei Kompanien das Battalion. Eine der Companien (spter beide) ward bald in Gvaram stationiert. Alles junge Burschen, Stdter, Tel-Aviv und sdlich, grtenteils frisch von der Schulbank. Man fragte
nicht viel, ob das vorschriftmiger Alter, 18, bereits erreicht war. Unter allen trat eine besondere Gruppe hervor - die "Kilometer", Gre 1 Meter, Gewicht 1 Kilo. Und dann die "Fallschirmspringer", denn sie schienen von nirgendwo
aufzutauchen. Meldestellen gab es noch nicht, die ganze Jahrgnge mobilisieren konnten. Jeder kam wie er konnte, nicht selten ungerufen. Gerschon Diebenbaum aus Rechowot kommandierte das Battalion, im Auftreten befehlsgewohnt, aber
voll Humor. Jecheskel Maos und Mordechai Schomer aus Gvaram kommandierten als Instruktoren die Kompanien (die "Palmach" war vor der Mobilmachung mit Mannschaften und Offizieren fast ausschlielich aus Kibuznikim zusammengesetzt;
man kannte dort keinerlei Standesunterschiede, und die Offiziere trugen bis zum Sptsommer keinerlei Rangabzeichen). Sie drillten die Rekruten und zogen zu kurzen Mrschen aus, soweit es die gespannt
Lage, die sich von Stunde zu Stunde nderte, zulie. Es gab da nicht wenig Probleme mit Disziplin und Ordnung. Jechskel nahm eines der Brunnen- huser auerhalb des Meschek, die noch leer standen, da noch keine
Pumpen eingebaut waren und verwandelt es in einen Knast. Das Gebude war vom Meschek zu bersehen und die Tr blieb unverschlossen; moralischer Druck sollten Schloss und Riegel ersetzten. Nebenbei, die Jungens brachten Angwohnheiten
mit, die der Kibuzgesellschaft fremd waren; am Abend spielte man - hat man so etwas schon gehrt? - Poker! Was aber die ffentliche Moral nicht erreichte, das erreichten schlielich die gypter: aus den Jungens wurden Mnner. Beitrag
zu der Frage "Erzieht der Krieg?"
Die Unterbrechung der Verbindung nach Aussen verursachte bald sprbaren Mangel an Brennstoff und Versorgung von Mensch und Vieh. Der Milchertrag sank auf einen Minimum, ich konnte
meine Waschmaschinen nur mit kalten Wasser laufen lassen. Milch und Eier konnten wir nicht vermarkten, Brot aber wurde bald rationiert. Was am meisten auf die Nerven ging, das waren die zahllosen tglichen kleineren oder greren
Strungen und Probleme, die wegen dem Belagerungszustand nicht zu lsen waren. Das Schlimmste war der Ausfall des Diesels, der die Wasserpumpe im Brunnenhaus antrieb. Fr gewhnlich ist das keine groe Sache. Der Motor wird auseinander
genommen und die 'Sleeves' zum Ausschleifen nach Tel-Aviv geschickt; einen Tag spter ist alles in Ordnung. Jetzt kam alles zusammen, um die Reparatur des Diesels um Wochen hinauszuziehen: Krieg, Wetter und versumpfter Feldweg,
Mangel an Convoys. Das Wasserreservoir fasste zwar an die 5000 Kubikmeter, aber sogar fr die Wintermonate keine groe Menge. Federvieh und Kuhstall, Wsche und einige nah gelegenen Felder verbrauchen das schnell. Immerhin, nach 14
Tagen war der Diesel wieder betriebsfertig. Nur da sich die Herrn Maschinisten irgendwo geirrt hatten - nachher wills natrlich keiner gewesen sein - jedenfalls eine viertel Stunde nach dem Anlassen blieb der
Diesel abermals krchzend stehen, wieder verbrannte ein Piston. Der ldruck stieg zwar an, aber dennoch gelangte das l nicht berall hin. Die sich entbrennende Diskussion htte ein Seminar umfassen knnen - Tatsache blieb, noch einmal
mute alles man von vorn anfangen. Der Wasserstand im Reservoir nherte sich der Hhe, von der man nicht mehr schpfen konnte. Die Leitung wurde geschlossen und das Wasser rationiert. Dusche und Wscherei vernagelt. Fr die Babies wusch
man mit der Hand - immer im selben Wasser.
berall auf der Welt existieren Aktivisten, Menschen, deren Lebenszweck es ist, wo und wie auch immer und um jeden Preis die Situation zu retten. Ein socher Mann war Abschalom
Heumann. Irgendwie brachte er es fertig nach Tel-Aviv zu gelangen. Dort drehte er sich auf der Stae herum und studierte die Physignomie der vorbergehenden Leute.
Wer seinem ueren nach auf ihn (Abschalom) den Eindruck machte, als gehre er zur Hagana, den sprach er an. Nach einigem Hin und Her gelang es ihm tatschlich sich bis zur Kommandantur der Hagana in Tel-Aviv durchzufragen. Dort
stellte er sich als Mitglied des Kibuz Gvaram vor, einem Punkt, abgeschnitten von der Auenwelt, dessen Einwohner dem Verdursten nahe sind, da es ihnen nicht gelingt, ihre Dieselpumpe wieder in Betrieb zu setzen. Er bat, ihm ein
leichtes Flugzeug vom Typ Piper zur Verfgung zu stellen, damit er wenigstens ein Fass Wasser (!) ber dem Meschek abwerfen knne. Die Leute von der Hagana bemhten sich ihr volles Verstndnis fr die Situation zu zeigen, betreffs der
Durchfhrung des Vorschlags waren sie doch etwas reserviert. Ein Fass Wasser konnten sie nicht ber Gvaram abwerfen, noch besa die Hagana keine Luftflotte, aber einer ihrer Piper oder Cesna wrde die notwendigen Ersatzteile wohl
abwerfen knnen. Was auch Tags darauf geschah... Zum Schluss lief der Diesel an, Mensch und Vieh erquickten sich an frischem Wasser und ich wusch drei Tage und drei Nchte durch, um die Chawerim die Zilivisation zurck zu erstatten.
Wir atmeten auf, als die Regenzeit vorbei war. Trotz aller Sperre lieen sich Fahrten nach Tel-Aviv nicht absolut verhindern, sei es eine Niederkunft oder Arztbesuche. War der
Feldweg aufgeweicht und unbefahrbar und konnte der Panzerwagen der Palmach nicht nach Gvaram hinaufgelangen, so mussten die Reisenden im
nahegelegenen Jad Mordechai bernachten, einmal bis zu einer Woche, bis der Weg befahrbar war. Jad Mordechai gab sich alle Mhe, eine so groe Schar unfreiwilliger Gste zu beherbergen, fr die Betroffenen aber war
das alles andere als angenehm, in einer kleinen Barakke, ohne Heizung und Licht, acht Tage lang sich einander auf die Nerven zu gehen.
Ende Mrz erschien bei uns ein 'Trencher' der Firma 'Solel Boneh' um uns zu helfen, die eigentlichen Befestigungsarbeiten in Angriff zu nehmen. Bis dato hatten wir keinerlei
befestigte Stellungen und die Patrouillen ware gegen Angriffe ungeschtzt. Jetzt wurde ein verzweigtes Netz von Grben geffnet, das Zugang zu allen wichtigen Punkten gestattete. Befestigte Stellungen wurden errichtet. Mitten im
Meschek grub man Unterstnde und Bunker, die mit den Laufgrben verbunden waren. Die Arbeiten fhrten wir aus, die Arbeit berwachte ein Arbeitsleiter von Solel Boneh. Der Trencher beendete seine Arbeit bald, die Errichtung der
Stellungen und der Bunker nahm viele Wochen in Anspruch.
Die Stellungen die wir bauten waren von dem Typ, den sich die europische Kolonie in Changhai beim Einmarsch der Japaner in den dreiiger Jahren baute: ein starker runder Erdwall,
darauf auf Pfhlen ein Dach von Wellblech, mit Sandscken verstrkt. Sandscke auch ringsum mit ausgesparten Schiescharten. Wunderbar, man sieht so etwas noch in alten Filmen. Solange alle ruhig war, gab es nichts auszusetzen.
Unterstnde und Bunker grub der Trencher in doppelter Breite des Grabens, an die zehn Meter lang, 1 - 2 Meter tief. Darber Wellblech in ntiger Breite und Erde und Steine, was mehr. Die Eingnge waren mit Sand-
scken geschtzt. Innen Holzbohlen, nach Bedarf. Jeder Bunker hatte ja schon seine Bestimmung. Tausende von Sandscken, Pfhle, Bohlen, alles lieferte Solel Boneh, des gleichen tonnenweise Stacheldraht und 'Concertinen',
Stacheldrahtrollen, die der Lnge nach geffnet wurden, zur Verstrkung des Drahtverhaus ringsum. Viele Wochen lang waren wir damit beschftigt; zum Schluss blieb ich mit einem Paar ganzen Hosen. Natrlich, alle diese 'Befestigungen'
waren nicht mehr als die Kulisse eines Kolonialkrieges des 19ten Jahrhunderts. Wir bekamen sie als Standart Typ geliefert, auf Grund von nicht immer uns ver- stndlichen Entscheidungen. Der zweite Weltkrieg lag bereits hinter uns
und es war bekannt, da ein Flugzeug einen geraden Graben ohne Schwierigkeit bestreichen, da ein schweres MG eine Stellung pulversieren kann. Kein Drahtverhau hindert ein Eindringen von Auen. Da aber die Herrn Generle (jeder Armee)
im Allgemeinen den vergangenen Krieg kmpfen, so schien uns der Standart von 1936 einleuchtend.
In diesem Monat April, kam Alija aus Holland zu uns, Uri van Esso und Raja, und Mink und Sonja, und ein junges Paar, Jan und Mareijs, furchtbar in einander verliebt und uerst
nervs, zum Schluss faten sie Mut und fragten, ob es hier keinen Rabiner gbe. Wozu in aller Welt einen Rabiner? "Wir wollen uns dringend verheiraten, damit wir zusammen schafen knnen". Wir beruhigten sie: kein Problem ihnen ein
Zelt zu reservieren, auch ohne Heiratsurkunde. Beide waren im Himmel.
Zum Sseder war der Essaal voll, die ganze erste Kompanie war schon bei uns stationiert, ein Drittel der Chawerim aber bemannten die Wachtposten. Die Palmachniks versuchten die
Stimmung etwas zu heben, nur mit teilweisem Erfolg. Die Lebensmittelversorgung war sehr schwach und wir hungerten beinahe. Einige Male gelang es einige der inneren Axen zu ffnen und etwas Proviant durchzubringen. Es gab auch
Anzeichen dafr, da gypter in arabische Drfer der Umgegend eingedrungen waren. Batima, Kaukaba und Chulikat wurden eines Nachts angegriffen. Die Einwohner flohen und die Drfer gingen in Flammen auf. Auf diese Weise
hatten wir einen Teil der inneren Verkehrsstrae in der Hand, was uns wenigstens freie Bewegung zwischen den sdlichen Punkten, Dorot und Rochama, ermglichte. Die Polizeistation Irak Ssueidan aber drohte uns die Durchfahrt nach
Norden zu versperren, sollten die Englnder sie bei der Rumung den Arabern bergeben.
Wir hrten von der Eroberung Haifas, Kmpfen im Galil. Wir konnten schon einige Radiostationen auffangen, 'Kol Hagil' und 'Kol Hanegev', wenn vorerst noch schwach. Alles bereitete
sich auf den 15. Mai, dem Ende des britischen Mandats vor. Da hatten die Araber totalen Krieg angesagt. Es gab so etwas wie eine Strategie, sich hier bei uns im Sden eine Art Front zu schaffen und daran strte uns das arabische
Dorf Breir, ein groes Dorf, in dem sich scheinbar breits die gypter festgesetzt hatten. Der Angriff auf Breis war in der Nacht vom 13ten zum 14ten Mai geplant, mit dem Ziel, das Dorf zu erobern. Zwei Abteilungen Palmach und wer
sich sonst freimachen konnte wurde dazu mobilisiert. Es wurde auch eine 'schwere Waffe' eingesetzt, ein sechs Zoll Mrser, hausgemacht, vom Typ 'Davitke' nach dem Namen des 'Erfinders': ein Eisenrohr, sechs Zoll und passende
Granate. Ein absolut sindflutliches Auslsungssytem. Ein Abschuss war mit nicht wenig Gefahr fr den Kanonier verbunden. Die Granate flog ein paar dutzend Meter, verursachte aber einen Riesenlrm, wenn auch wenig Schaden. In Breir
jedenfalls tat der Mrser das Seinige und der zweite Schuss verjagte die Einwohner. Auf dem Dach der Schule, dem einzigen Betonbau des Dorfes, fand man tatschlich einen toten gyptischen Sergeanten, scheinbar zur Zeit der einzige
Vertreter der gyptischen Armee am Platz. Er hielt noch ein MG fest, das beim besten Willem keinen Schuss mehr abgeben konnte, so verrostet war es. Das Dorf war leer.
Breir wurde angesteckt und im Morgengrauen zogen die Sieger heim, mit 'Beute' beladen, die man nur mit gemischten Gefhlen als solche betrachten konnte. Ich rede nicht von einigen
Dutzend Rindvieh und einem Kamel - wir brauchten schon mal was nach so langer Belagerung. Aber unsere Genossen begngten sich nicht damit. Aus den elenden Lehmhtten nahmen sie, was ihnen in die Hnde fiel, gleich den Horden der
Wste, die auf die Schze der Oase aus sind. Decken, Gerte, Waren aus dem kleinen Dorfladen, Sachen deren keiner bedurfte, und deren er sich geschmt htte sie anderswo auch nur zu berhren. Zum ersten Mal sahen auch wir, wie Krieg
korrumpiert. Wir sollten es noch des fteren sehen. Diesmal aber folgte die Strafe auf dem Fu: zu Hause angekommen warf ein Jeder seine ganze "Beute", vor allem die Decken, schnell ins Zimmer und rannte in die Dusche. Zurck im
Zimmer, abgeschrubbt, entdeckte man, da das ganze Zimmer, die Barakke, der ganze Meschek von Flhen schwrmte. Innerhalb weniger Stunden verbreiteten sie sich berall hin und und wochenlang wurdn wir sie nicht los - auch nachdem der
grte Teil der Sachen notgedrungen auf dem Scheiterhaufen sein Ende fand. Hunde und Katzen tauchten bei uns in Rudeln auf, als wollten sie uns "Eroberern" klar machen, da nach internationalem Gesetz wir nunmehr fr ihren, der
Zivilbevlkerung, Unterhalt zu sorgen htten.
Die Zerstrung der arabischen Drfer ermglichte uns Bewegungsfreiheit, schaffte uns gewissermaen "Hinterland" mit sicherer Verkehrsstrae. Breir wurde ein Besatzungspunkt, Brur
Chajil. Im brigen redete sich keiner ein, da damit der Krieg vorbei sei. Wir hatten kein gutes Gefhl. Die Sicherung unseres stlichen Rcken brachte zwar Erleichterung, die Kstenstrae anzugreifen ging ber unsere
Krfte. Inzwischen griffen die gypter Kfar Hadarom (bei Dir el Balach) an. Was sich tatschlich dort abspielte hrten wir aus der Nachbarschaft: Grischa, der Befehlshaber von Jad Modechai, war von unserer Seite der Delegation des
internationalen Roten Kreuzes zugteilt worden, die mit der gyptischen Armee ber den Abtransport von Verwundeten aus Kfar Hadrom verhandeln sollte. Grischa war altes Militr und mit einem beinahe fotografischem Gedchnis
begabt. Was er heimbrachte war haarstrubend. Was die gypter da an Tanks, Kanonen, Brengun-Carriern, leichten Panzern und Mannschaften zusammengezogen hatten, htte zum Angriff auf einen ganzen Landstrich ausgereicht und nicht
nur auf einen Punkt, den 40 oder 50 Leute hielten. Bisher hatten sie es nicht geschafft, Kfar Hadrom zu nehmen (es wurde im August von uns gerumt). Grischas Report lie keine Zweifel aufkommen ber das, was uns bevorstand.
Am 14. Mai 1948 fand eine feierliche Versammelung statt angesichts der Proklamierung des Staates Israel am Nachmittag. Ich weiss nicht, mit welcher innerer Erhebeung die
Versammlung den neuen Status empfing, ich selbst war auf Wache, unten, bei den Hhner- stllen, allein im ganzen Abschnitt. Darnach hatte ich noch Zeit fr einige Stunden Schlaf. Um acht Uhr
standen wir auf und hofften auf einen ruhigen Schabbat, nach all den Wochen angestrengter Befestigungsarbeiten. Durchs Fenster konnten wir intensiven Flugverkehr entlang der Kste beobachten. Schwarze 'Spitfire', mehr war nicht zu
erkennen. Einen Tag zuvor hatten die Englnder das ganze Kstengebiet als 'besetzt' erklrt, der Rumung wegen. Aber kurz darauf hrten wir, da die gypter Tel-Aviv bombardiert htten; jemand hatte ihr Funknetz abgehrt. Seit einiger Zeit
beaen wir ein groes Verbindungsgert.
Am Nachmittag fielen die ersten Bomben auf Nir Am und Jad Mordechai. Noch in der selben Nacht wurde die nicht kmpfende Bevlkerung, vor allen Frauen und Kinder, aus Jad Mordechai
evakuiert. Die gepanzerten 'Schmetterlinge' der Palmach, voll mit Frauen und Kindern fuhren durch unseren Meschek, zum stlichen Tor hinaus in Richtung Negba und nach Norden. Auch bei uns begann man mit einner Evakuierung zu
rechnen. Bisher war die Nicht-Evakuierung eisener Grundsatz der Kibuzbewegung gewesen: "Frauen und Kinder am Platz strken den Kampfwillen, denn sie mssen unter allen Umstnden verteigt werden". Ich weiss
nicht, wer derartige Grundstze aufgestellt hat. Frauen und Kinder stren bestenfalls bei Kampfhandelungen auf Tod und Leben und wirken alles andere als beruhigend auf die Verteidiger. Die Quelle des Axioms ist wohl bei Stalin zu
suchen, der keine Lust hatte, sich mit Evakuierungen zu befassen; Menschen waren ihm nicht wichtig.
Am nchsten Tage erffneten die gypter den Angriff auf Jad Mordechai, mit Artillerie, Flugzeugen und Tanks. Die Angriffswellen wurden zurckgeschlagen, aber unter Verlusten. Die
Batterie des Funkgerts wurde schwach, es begann an Munition zu fehlen. In der kommenden Nacht gelangte eine halbe Kompanie Palmach mit neuer Batterie und Munition nach Jad Mordechai hinein. Die gyptischen Wachtposten waren nicht
zu aufmerksam.
Wir wussten schon, da unsere Befestigungen dringend Verstrkung bentigten. Jeder brauchte seinen eigenen Bunker am Hauptgraben entlang. An Material fehlt es nicht. Wir gruben ohne
Pause. Die gypter setzten ihre Angriffe auf Jad Mordechai fort. Sie wurden zwar zurck geschlagen, dennoch wurden einige der Stellungen vom Typ Solel Boneh zusammengeschossen und eine Beton-Pillbox in einen Sandhaufen verwandelt.
Nur eingraben half. Fnf Tote gab es bereits in Jad Mordechai.
Auch bei uns sollten mit Einbruch der Dunkelheit Frauen und Kinder evakuiert werden, desgleichen ltere und Kampfunfhige. Gegen Abend erschienen drei Panzerwagen, zu wenig, dennoch
konnten sich alle irgendwie hinein quetschen. Aber auer den Mnnern mute ja noch jemand dableiben. Abgesehen von der Krankenschwester gab es ja auch noch die Kche in Betrieb zu halten. Es waren immerhin an die 60 Menschen zu
versorgen. Nanni beschlo, als einzige Mutter, nicht mit den Kindern zu gehen. So wie sie die Lage bersah, blieben nur einige der neuen (unverheirateten) Mdels, die kaum die Erfahrung hatten, einen derartigen Haushalt unter den
herrschenden Bedingungen zu fhren. Die Kinder waren sehr enttuscht, da die Mamma nicht mit ihnen gehen konnte. Was konnten wir ihnen erklren? Auer Sara Ne'emani, der Krankenschwester, war Nanni die einzige
Alteingesessene, die nicht wegging - was ihr vielerseits sehr belgenommen wurde. Beim Einsteigen in die Autos spielten sich Scenen ab von hysterischen Anfllen und Schreikrmpfen,
meistens von Jngeren, Schoa-berlebenden, die nicht mehr die Nerven hatten, das alles noch einaml durch zu machen. Der Konvoy fuhr in Nacht hinaus und gelangte sicher an sein Ziel - um Haaresbreite zwar, doch das sollten wir
erst nach ein paar Tagen erfahren. Nanni bernahm die Kche.
Die Woche des Kampfes um Jad Mordechai begleiteten wir von weitem, voller Angst und Sorge, was das Ende sein knnte. Wir wuten bereits, da alle unsere Befestigungen einen frontalen
Angriff nicht gewachsen waren. Die Grben muten vertieft und vor allen die gerade Linie des Hauptgrabens durch Zikzak unterbrochen werden, um es dem Spitfire nicht zu leicht zu machen. Nur sich nicht in offenen Stellungen befinden!
Als Soldaten sind die gypter nicht einen Groschen wert; die Gefahr ist in ihrem ungeheueren Vorrat an Waffen. Die gyptischen Verluste sind unglaublich. Sie machen sich nicht einmal die Mhe, Tote und Verwundete weg zu schaffen. Die
Chawerim von Jad Mordechai gehen Nachts hinaus und sammeln Waffen und Munition ein.
Zweimal versuchte die Palmach in den kommenden Nchten Munition nach Jad Mordechai hineinzubringen und Verwundete hinaus zu schaffen. Zwei Mal milang der Versuch. Einmal versagte
ein Grabenmrser, der Ablenkungsfeuer geben sollten, ein anderes Mal stieen sie auf einen gyptischen Hinterhalt. Am sechsten Tage ging Gerschon noch einaml mit einer Kompanie hinunter und kam auch hinein. Die Chawerim von Jad
Mordechai aber teilten ihm einfach mit, da sie nicht lnger im Stande wren, den Platz zu halten. 25 Tote blieben dort, die
berlebenden beschlossen zu rumen. Im Morgengrauen kamen sie zu uns. Ein Verwundeter in Begleitung der Krankenschwester fielen in gyptische Hnde, keines weiss was ihnen zugestoen. "Wir sind erledigt! Htten wir ein paar schwere
Maschinengewehre und ein paar Mrser gehabt anstatt der italienischen Flinten, wir htten stand gehalten. Mit der gyptischen Armee wren wir noch fertig geworden. 400 tote gyptische
Soldaten liegen rings um den Meschek verstreut". Einige Stunden spter holte man sie ab, an die 50 Mnner und Frauen. Sie wussten nicht, und auch wir nicht, da sie whrend der sechs Tage Geschichte gemacht hatten, wenigstens fr unser
kleines Land: sie hatten den Aufmarschplan der gypter durcheinander gebracht.
Wir beschlossen noch am selben Abend jeden, der nicht unbedingt hier am Platz von Nten, weg zu schicken, u.a. auch eine Jugendgruppe aus Rumnien, Kindern, den man nicht zumuten
wollte, nach alle dem was sie hinter sich hatten, noch das mit zu machen, was uns bevor stand. Die jungen Mdels der hollndischen neuen Alija weigerten sich, zu verlassen, besonders nachdem Nanni als Mutter von Kindern
hiergeblieben war. Auch das junge verliebte Paar wollte sich unter keinen Umstnden trennen. Eine Streife der Palmach fand am nchsten Morgen drauen auf den Feldern David Groen, einer der Hollnder, schon lngere Zeit in Gvaram. Er
war vllig verstrt und suchte verzweifelt einen Weg nach Norden. Frau und Kinder waren evakuiert, er aber wollte auf keinen Fall in Gvaram bleiben, koste es was es wolle. Nur Ruhe wollte er und keine ngste. Was blieb uns brig, als
ihn bei nchster Gelegenheit weg zu schicken?
Wir bekamen Befehl, mit dem verrckten Schaufeln aufzuhren. 36 Stunden hatten wir ohne Unterbrechung gearbeitet, jetzt hie es Ruhen, wie knnten wir sonst dem Angriff standhalten?
Wir waren berzeugt, jetzt an der Reihe zu sein. Jeder fate seinen Platz in Stellung oder Bunker, wir waren eingegraben. Die Telefone surrten, jeder Punkt hatte seiner Verbindung zur Kommandantur. Ein Unterstand war
Befehlszentrale, ein anderer Kche, ein dritter Verbandplatz. Die Kche gab durch: das Abendessen ist bereit zum Abholen, keine Rationierung mehr!
Ich war totmde, seit zwei Tagen hatte ich nicht mehr geschlafen - nichts als Schlafen wollte ich. Und dann schlug die erste Granate ein, noch weit drauen - die zweite aber war
schon drinnen, plock - brrrrumm! Der Lrm war noch nicht einmal so schlimm... Ich fand mir irgend ein Loch, hrte noch einen Einschlag - und dann schlief ich ein und hrte fr drei Stunden berhaupt nichts mehr. Explosionen, aber von
weiter weg, weckten mich, dazu Motorengebrumm von Flugzeugen. Wir waren Zeugen des ersten Luftangriffs unsererseits: "unsere Streitkrfte bombardierten Madjdal (Aschkelon)". Wie sie das angestellt haben weiss ich nicht mehr, ich
glaube man erzhlte etwas von Fssern mit Sprengstoff und Ngeln gefllt, die mit Futritten durch die offene Tr einer Dakota-Maschine befrdert wurden. Unsere Stimmung wurde etwas besser, wir lungerten etwas am Unterstand der
Kommandantur herum, um zu hren, was sich eigentlich tut. Also: keiner verletzt, getroffen die Wasserleitung und der Hhnerstall. Alle Aussicht auf
Verbesserung des Kchenzettels.
Die nchsten Tage waren voller Spannung. Die gypter hatte scheinbar frs erste nicht die Absicht uns direkt anzugreifen. Sie begngten sich mit 'Strfeuer', so lehrten uns die
Eingeweihten. Einen ganz neuen Wortschatz, eine neue Terminologie hatten wir in uns aufzunehmen. Die neuen Ausdrcke nderten nicht viel am Ergebnis, die Granaten schlugen ein, manchmal mehr, manchmal weniger, bei Nacht einmal jede
Stunde, genau auf die Minute. Wir lernten den Abschus zu hren und die Sekunden bis zum Einschlag zu zhlen. Auch das Kaliber nderte sich. Anfangs waren es nur 25 lbs. (105 mm), dann kamen auch 100 lbs. Trichter machte kein
Einschlag in der steinharten Erde, Schaden machten sie genug, besonders bei den Hhnern, meisten allein durch den Luftdruck.
Die Kommandur verzeichnete jeden Einschlag, wozu weiss ich nicht - die Versicherung war wahrscheinlich nicht im Bild. Die getroffenen Wasserleitung konnte ohne Schwierigkeiten
geschlossen werden. Weitere Schden verzeichneten Barakken, Huser, Essaal, der Generator, ein Maultier und einige Stck Vieh, und, wie gesagt, die Hhner. Nur Sachschaden, whrend der ganzen Kriegsmonate, kein einziger verletzt.
Schwein, wenn man so sagen darf. Eine Brandbombe schlug am Eingang zum Kchenunterstand ein, Blindgnger. Ein Volltreffer im Zentral-Laufgraben. Der Mann der dort stationiert war, hatte im Augenblick anderswo zu tun.
gyptische Spitfire griffen fters an. Sie bestrichen den mittleren Laufgraben und versuchten sich auch in Bomben-Abwrfen, nicht selten mit erheblichen Schaden. Das 'Flakgechtz' das
wir hatten war der 'Spandau', der mit seinen 800 Schu pro Minute die einzige Aussicht war, etwas zu treffen. Tatschlich konnte Eli'eser Levi einen Abschu verzeichnen, oder so sah es zu mindest aus, als der Spitfire sich nach dem
Angriff nicht wieder erhob, sondern weit drauen in den Feldern in Rauch aufging.
In der Kche lernte sich Nanni nach dem nchtlichen Strfeuer einzurichten. Auf die Minute konnte man sich auf die gypter verlassen, wenn Wasser zu holen war, oder Mll wegzuschaffen,
oder in die Vorratskammer zu gehen. Und berhaupt, das Essen erreichte ein Niveau, wie es seit Gedenken nicht in Gvaram gewesen. Die zwei Ulkus-Kranken, Ben und Welwele, gaben der Kche bekannt, da sie von nun an auf jegliche Dit
verzichten und am vollen Menu teilzunehmen gedchten. Und dabei blieb es: mit Waffenruhe entstiegen sie den Grben vom Ulkus geheilt.
Eier standen frei auf dem Tisch, aus der Milch machten man Butter (nach Gromutter Art, in der Milchkanne mit Holzstampfer). Gideon Grnberger, unser Arzt, sandte ein Memo an die
Kommandantur, worin er vor berflssigem Eiweiss in der tglichen Dit warnte. Ein olympisches Gelchter war die Antwort der bewaffneten Krfte. Eines Nachts kam Gerschon, der Befehlshaber der Palmach, von er Patrouille zurck. Er ging
in die Kche, wo schon das Essen fr die Streife bereit war. Raja van Esso hatte Nachtdienst und Gerschon, mit feinem Humors begabt, liebte es die Hollnderinnen aufzuziehen. "Hrst Du Raja", versuchte ersich in gebrochenem Deutsch,
"hrst Du, mach mir ein Rhrei aus acht Eieren, acht, hrst Du?" "Seeker", antwortete Raja auf Hollndisch, kein Problem. Gerschon glaubte seinen Augen nicht, als er den gehuften Teller vor sich hatte und es ist nicht bekannt
geworden, wie er die acht Eier herunter bekam. Gerschon war eine Persnlichkeit seltenen Ranges, deren Strke und Moral seine Umgebung in den schweren Tagen der Ungewissheit und der Ohnmacht zusammen hielt. "Was kann man gegen
Kanonen ausrichten, wenn man selber keine hat?", fragte ich ihn einmal. "Die Nerven behalten", war die Antwort, "mit Kanonen allein ist noch nie etwas erreicht worden".
Wir wurden weiterhin mit Granaten eingedeckt, mit wechselnder Heftigkeit. Bei den zahlreichen Blindgngern lie sich das Produktionsjahr
feststellen - 1918. Jemand mu in gypten viel Geld gemacht haben. Eines Tages erschien bei uns eine kleine Batterie von drei franzsischen Feldkanonen, Jahreszahl auch 1918, etwas anderes wollte man uns damals noch nicht
verkaufen. Das Kaliber war 50 mm und sie sollten nach Barbara, unter an der Hauptstrae nach Ghaza, hineinschieen, damit die gypter von dort ausreien und nach Sden flchten sollten - als Teil einer Offensive, die weiter nrdlich von
uns im Gange war, bei Aschdod, wo der gyptische Vormarsch aufgehalten war. Wir konnten wohl die Einschlge im groen Schulhaus von Barbara beobachten. Darber hinaus scheinen sie die gypter nicht besonders aufgeregt zu haben.
In den ersten Junitagen schienen sich die Wogen der Erregung etwas zu glten, die Spannung lie etwas nach, man konnte schon ab und zu von Ruhe sprechen. Manchmal gab es noch ein
paar Granaten, die Palmach patrouillierte, ereignislos, die Gegend des Nachts. Einmal versuchten sie das Eisenbahngleis bei Aljieh zu sprengen (die Bahn war die Hauptverbindungsader der gypter bis Kantara), gerieten aber in einen
gyptischen Hinterhalt. Wieder nichts. Warten. Man munkelte von Verhandlungen ber Waffenruhe durch Vermittelung der UNO, vorlufig nur Gerchte.Wir begannen etwas bei uns Ordnung zu machen. Stromnetz und Wasserleitung wurden
repariert, der Generator hatte scheinbar nicht sehr gelitten, nach ein paar Stunden Reinigung lief er an. Ich bekam Befehl die Wscherei in Betrieb zu setzen. Ich war nicht ganz sicher, da das so ohne weiteres gehen wrde - aber
Befehl ist eben Befehl, und so nahm ich die Schubkarre und sammelt im ganzen Kibuz Wsche ein, in den Kinder- husern, den Wohnungen der Chawerim, in Bunkern und Laufgrben. Also, die rmel
aufgekrempelt, Solar in den Dampfkessel und vorwrts! Gegen Abend landete wieder eine Granate bei uns, nicht weit von der Wscherei. Mordechai Schomer stand da, mit einer kleinen Abteilung Palmach, bereit zur nchtlichen Streife. Sie
stehen dort herum, da brllt Mordechai Schomer "...zwei - drei - hinlegen!" Er hatte den Abschu gehrt. Alles lag flach, ich selbst verstand garnicht, worum es ging. Ein Hagel von Splittern regenete auf das Blechdach der
Wscherei. Nichts passiert, die Maschinen liefen ungestrt. Die Kanonen der gypter standen brigens auerhalb Aschkelons, wo sich heute das Internat Kfar Silver befindet, damals eine britische
landwirtschaftliche Versuchsstation.
Ich weiss nicht mehr, wie viel Wsche ich gewaschen habe, wie ich das alles berhaupt zum Trocknen aufgehngt habe; Zentrifuge und Trockner gab es nicht. Und wer sich der trockenen
Wsche annahm, die Kleiderkammer war zerstrt oder abgebrannt. Am 10. Juni sollte die Waffenruhe in Kraft treten. Kein Mensch glaubte zwar daran, aber jeder hoffte. Noch am Morgen des 10.Juni traf ein Volltreffer den Panzerwagen der
Palmach, der beladen mit Konserven, hauptschlich Corned Beef und Gewehrmunition, im Meschek einfuhr. Zum Glck waren die Begleiter schon ausgestiegen, auszuladen schafften sie nicht mehr, der Wagen stand sofort in
Flammen. Der Geruch des gebratenen Corned Beef zog viele 'Retter' an, die explodierende Munition verjagte sofort alle. Auch die Barakke, an der der brennende Wagen stand, brannte mit ab und noch mehr Munition, die die Leute unter
ihren Betten hielten, fuhr gen Himmel.
Genau um 10 Uhr Vormittag setzte dann Ruhe ein, absolute Stille. Merkwrdig. Was nun weiter? Dennoch gingen wir des Nachts in unsere Zimmer schlafen, wer dazu frei war und wer noch
ein Zimmer hatte. Palmachnikim, die nicht zur A-Kompanie gehrten und die nach dem Fall von Jad Mordechai hier geblieben waren, wurden anderen Einhen zugeteilt. Zufllig kam ich am selben Morgen bei meiner Wohnbarakke, die mehr oder
weniger unbeschdigt geblieben war, vorbei und sah, wie die Leute im Begriff waren, die Mbel meines Nachbars Schmuel Ebel auf ihren Lastwagen aufzuladen. Auf meine etwas verwunderte Frage antwortete man mir: "Das geht doch sowieso
alles kaput, oder die gypter nehmen es mit". Hier kam das Breir-Syndrom zu uns zurck als Bumerang. Es war eine ganze Menge von Geschrei und Drohungen ntig, um die Herrn Nihilisten zu berzeugen, da auch im Kibuz der Privatbesitz
noch nicht abgeschafft sei. Mit demonstrativ geuertem Unwillen luden sie die Sachen wieder ab, mehr als einmal zu unterstreichen, wie sehr wir ihnen Unrecht tten.
Der Essaal wurde geffnet, zgernd versuchte die 'Arbeitseinteilung' einer Dringlichkeitsliste gerecht zu werden. Die Bewsserung des Pardess stand an erster Stelle. Das war
allerdings nur mglich, wenn sich die notwendige Sicherungsmannschaft mobilisieren lie. Dann waren auch Zwiebeln heraus zu nehmen, eine Sysiphusarbeit, der Boden war inzwischen Beton geworden. Nanni und einiger der lteren
verblieben Frauen wurden ausgewechselt mit frischen Krften aus unserem 'Depot' der Evakuierten. Unsere Kinder und Begleiter hatten nach einigen Irrfahrten Unterkunft im eroberten Jaffa gefunden, in einem
groen Gebude in der ehemaligen 'Deutschen Kolonie', die bis zuletzt durch die britische Administration besetzt. Das besagte Gebude war frher einmal ein Hotel und gerumig genug, aber zeitweilig muten sie den Platz mit den
Kindern von Kibuz Rochama teilen.
Die Waffenruhe erwies sich als etwas zerbrechlich. Wenn auch in unserer Nhe Ruhe war, so setzten sich doch weiter nrdlich die Scharmtzel um den Besitz der Hgelketten fort, an
denen es ja im Sden nicht mangelt. Die gypter infiltrierten auch in die leeren Drfer Batima und Kaukaba und bedrohten unsere Stellung in Chulikat (Hhe 138). Die Waffenruhe sollte nur kurze Zeit whren. Inzischen gruben sich die
Palmach-Abeilungen in Chulikat ein und verminten die nrdlichen Abhnge. Einer unserer Mineure ging drauf. Eine Mine explodierte ihm in der Hand. Ein Konvoy von Norden erreichte uns zwar, die Verbindung konnte trotzdem nicht als
gesichert gelten.
Am 9. Juni griffen die gypter unsere Stellung in Chulikat an. Die Abteilung, die oben sa, konnte nicht lange gegen ein ganzes Regiment stand halten. Nach zwei, drei Stunden muten
sie rumen. Jecheskel fuhr hinauf um die Rckzug zu organisieren. Wer am Leben blieb, kam zurck. Acht Tote blieben am Platz. Viele Verwundete gab es zwischen den Rckkehrern. Zwei galten als Vermisst. Einige
der Verwundeten waren im Schock. Sara Ne'emani, die Krankenschwester, die die ganze Zeit bei uns verblieben war, und die wir als besonders empfindlich und berschwenglich gefhlvoll kannten, begann ihre Arbeit. Wir waren nicht
sicher, wie sie sich in Notlagen halten wrde. Das war keine Klinik der Kupat Cholim. Jetzt ward Sara zu einem Block Eis. Seelenruhig und selbstsicher beruhigte sie auch ihre Umgebung. Mit Umsicht und Schnelle whlte sie die
Verwundeten nach Dringlichkeit und lie ihnen an Seiten Gideons, des Arztes, die erste Hilfe zu Teil werden, die im Bereich iherer Mglichkeit stand. Es war in den letzten Wochen ein Feldlazarett in Rochama eingerichtet worden.
Dorthin transportierte man die Verwundeten. Zwischen Chulikat und Dorrot konnten wir uns frei bewegen, das war unser 'Hinterland'.
Einer der beiden Vermiten erschien nach einer Stunde heil und unversehrt. Er erzhlte, da er und sein Freund in irgend einem Bunker Zuflucht gesucht und die Rckzug
nicht bemerkt htten(?). Als sie herauskamen, spazierten die gypter schon oben frei herum. Er selbst beschlo sein Glck zu versuchen, kauerte und rollte sich den Abhang hinunter, bis er im Schutze von Sorghumfeldern und Weingrten
ans Tor von Gvaram gelangen konnte. Der andere ergab sich den gyptern, die ihn scheinbar an Ort und Stelle umbrachten.
Die gypter liefen tatschlich mit grtem Behagen oben auf Chulikat herum, wir konnten sie von uns aus gut sehen. Was schlimmer, sie konnten uns ausgezeichnet sehen und hatten einen
erstklassiges Beobachtungsfeld. Es dauerte nicht lang und die Beschieungen begannen wieder, die Treffer waren genauer und konzentrierten sich vor allem auf die Barakken der Palmach. Jede Bewegung, jedes Fahrzeug im Meschek stand
sofort unter Beschu. Aber auch jetzt war es nicht mehr als Strfeuer, die Kampfhandlungen lagen jetzt nrdlich von uns, bei Negba. Wir konnte die Rauchwolken von uns aus sehen, tagelang versuchten die gypter mit erheblichen Krften
und ungeheueren Verlusten Negba zu erstrmen. Aber zum Unterschied von Jad Mordechai war Negba wohl eingeschlossen aber nicht verlassen. Die Brigade Giv'ati beherrschte die Hgelketten nrdlich von Negba und konnte Artillerie
Untersttzung leisten. Einige Volltreffer in ihren Befehlsstab bewog wohl die gypter von ihren direkten Angriffen abzulassen, von ihrem Sttzpunkt aber auf der Hhe 113 und der Polizeistation Irak Suedan, in der sie sich festgesetzt
hatten, konnten wir sie nicht verdrngen. Nach Norden war Negba zwar immerhin offen, die gypter aber gruben sich von Sden ein.
Schlielich wurden wir noch mit einer 500 Kilo Bombe 'belohnt'. Doch mehr als einen Riesentrichter schaffte sie nicht: ein Blindgnger. Von irgendwo erschien ein Experte, eine
Saboteur und mit Hilfe eines Traktors schaffte der die Bombe aufs freie Feld. Dort sprengte er sie.
Im Netz hrten wir, da die gypter versuchten sich Be'eroth Jitzchaks im Ghazastreifen zu bemchtigen. Es gelang ihnen breits einige Huser zu fassen. Aber bald erschien Hilfe auf dem
Platz: einige Einheiten lagen in Bereitschaft im Wadi Dorot und konnten Be'erot Jizchak untersttzen. Im Netz hrten wir die gypter in offener Sprache mit ihrem Stab verhandeln. Sie sagten, Be'eroth Jizchak sei nicht zu nehmen, da
es von einer Brigade gehalten wrde Be'erot Jizchak hielt aus, wenn auch unter schweren Verlusten. Im August wurder der Punkt gerumt. Nach alledem war gar keinn Grund vorhanden, da die gypter nicht auch mit uns ihr Glck
versuchen wrden. Auch ermunternde Nachrichten von anderswo, die Eroberung von Lud und Ramle zum Beispiel, besserten nicht unsere Stimmung.
Eine zweite Waffenruhe sollte am 20ten des Monats in Kraft treten. Am Morgen dieses Tages war das Feuer schwerer als sonst, aber wie beim ersten Mal so trat auch diesmal um zehn
Uhr Stille ein. Eine Stille besonderer Art an Werktagen, Fr gewhnlich waren Stimmen und Gerusche auch aus grerer Entfernung zu vernehmen. Wir lernten bald den Grund dieser Grabesstille: die gypter hatten in ihrem Bereich den
Antrieb von Dieselpumpen in den Pardessim unterbunden, deren Tok Tok Tok fr uns immer eine Art Geruschkulisse whrend der Sommermonate war. Die gypter frchteten, der Motorenlrm knne die Feindbewegung verschleiern. Uns fehlte
er zu der pastoralischen Ruhe, die sich jetzt ber uns breitete.
Damit begann die zweite Waffenruhe, die groe Pause, wie sie in den Annalen verzeichnet wurde, eine etwas sonderbare Situation, die sich bei uns zu etwas zwischen Militrlager und
Ferien Camp entwickelte. Ein neuer Tageslauf. Nicht, da wir uns so sicher fhlten, da wir schon alles hinter uns hatten, das nicht - aber ab und zu schlich sich ins Herz doch die leise Hoffnung ein, da wir vielleicht, nur
vielleicht, trotz allem noch mit einem blauen Auge davon kommen mgen. Die gypter sahen wir jeden Morgen oben in Chulikat (oder auf Hhe 138 im Militrjargon) ihre Decken ausschtteln; sie erinnerten uns daran, da wir eigendlich
'umzingelt' waren. Den Nachrichten von drauen zufolge war aber Israel unumstlichs Tatsache. Die unbegrenzte Waffenruhe sollte uns gengend Gelegenheit geben alle die Probleme zu lsen, deren wir bis dato nicht Herr geworden. So
sagte man uns, ohne weitere Erklrungen. Aber schon nach kurzer Zeit wurden bei uns Kisten mit czechischen Waffen abgeladen, nagelneue Gewehre und ein Haufen Munition, ein mittelschweres Maschinengewehr BESA - alle Achtung! Jetzt
hatte jeder wenigstens ein verwendtbares Gewehr; wenngleich auch die Czechen vom deutschen Mausertyp einen entsetzlichen Rckschlag hatten, im Vergleich zu den Englischen. Macht nichts. Wir hofften im Stillen, sie nicht bentzen zu
mssen. Wie gelangte das alles zu uns? Mit Hilfe einer 'Luftbrcke', genau wie in Berlin, die Tel-Aviv mit einem Landestreifen bei Dorot verband. Einige Amerikaner betrieben einen Skymaster (oder waren es zwei?), der nchtlich
tonnenweise Proviant und Munition in den eingeschlossenen Sden befrderte. Ein Teil der Routine dieses befremdenden Sommers war die Beobachtung der Feindbewegung auf der Verkehrsstrae Aschkelon-Ghaza, soweit wir sie einsehen
konnten. Die gypter betrieben auch die Eisenbahn, unser Haupinteresse aber waren die Fahrzeuge. "Commandcar von S nach N - Autobus von N nach S" gaben die Beobachter der Kommandantur durch. Aber nachdem Ruvele Schir, einer der
bereiferigen, die Bewegung eines Esels von S nach N durchgab, fragte der wtende Diensthabende in der Befehlsstelle, ob er, Ruvele, sich selbst damit gemeint habe - und fortan beggte man sich mit Aufzeichnungen und
verzichtete auf telefonische Durchgabe. Die Rapporte gingen zum Stab und dort versprach man uns fr angestrengte Arbeit spter zur Belohnung bevorzugte Nachricht betreffs bevorstehender Ereignisse - den Endsieg also.
Wir schliefen in unseren Betten in diesem merkwrdigen Sommer, Beobachter und Wachen behalfen sich mit Liegesthlen. Ich sa in meiner Stellung bei meinem Spandau, auf den Knien
meine Schreibmaschine; die Verbindung mit Chile hatte sich vor Kurzem erneuert. Die Palmach-Einheiten waren nach Norden abgerckt zur Neuordnung, wir blieben allein, unter uns. Wieder war der Essaal offen, dessen Wnde jetzt
grtenteils aus Lchern bestanden. Ein Heer von Katzen, alle aus der herrenlosen Umgebung der verlassenen arabischen Drfer, hatte sich in diesen Lchern niedergelassen. jede sa in ihrem Loch, eine Gallerie von Katzen-
kpfen als Wandschmuck. In einer Ecke des Essaals stand der Pingpong-Tisch und die Kpfe der Katzen bewegten sich hin und her, von Links nach Rechts und umgekehrt, je nach dem Flug des Balls - wie die Zuschauer in Wimbledon. Eine
Stimmung uerster Ruhe - nur nicht fr Lola, die aus Jaffa gekommen war, um zeitweilig die Kche zu bernehmen. Angesichts der Katzengallerie im Essaal bekam sie einen hysterischen Anfall und begann mit allem was ihr zur Hand kam nach
den Katzen zu werfen, Teller, Tassen, Messer und Gabeln (zum Glck alles aus Blech), die Katzen aber zuckten nur mit den Schultern und ergtzten sich weiter am Pingpong.
Nicht viel hrten wir von dem was sich Drauen abspielte. Radio 'Kol Jisrael' war jetzt stark genug um ohne Schwierigkeiten empfangen zu werden. Mosche Medjini, der politischer
Kommentator der herbrischen Sendungen zur Zeit der Englnder war, blieb auch in Kol Jisrael auf seinem Posten und malte uns ein Bild von der politischen und militrischen Lage, bei dem schwer zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu
unterscheiden war. Aber so war die Wirklichkeit: phantastisch. In den Korridoren der 'Vereinten Nationen' mochten die Araber nicht gern ihre Niederlage zugeben. Alle mglichen 'Vermittler' schlugen alle mglichen
Lsungen vor, u.a. ein arabischen Staat in der Westbank mit Sch'chem (Nablus) als Hauptstadt, Verzicht auf Galilaea, Breitengrad 31 (Kurnub) als sdliche Grenze. Da aber die Berlin-Krise Russen und Amerikaner vollauf beschftigte,
kchelte die Sache Falestin langsam langsam - und das war alles was wir brauchten.
Was hinter alledem wirklich steckte, wusste keiner, was wir alle aber wollten war U.R.L.A.U.B. Urlaub, das war die einzige Medizin gegen die mysterise 'Dakota-Krankheit', die nur
durch einen Platz in einer der Dakota-Maschinen, die vom Flugplatz in Dorot nach Norden flogen, zu heilen war. Es brauchte je nicht gerade eine Dakota zu sein, um gen Norden zu schweben, ein Skymaster, einer der viermotorigen
Transporter, wrde es auch tun. Aber Herr der ganzen Einrichtung war Zahal (Zwa Hagana Lejisrael), unsere alte 'Hagana', zu einer regulren Armee erwachsen, d.h. mit dem dazu gehrigen Ma von Durcheinander.
So erhielt unser sonderbarer Sommer eine zustzliche Dimension, die Erwartung des Urlaubs, nachdem man uns miiteilte, da von August ab auch die 'Besatzung' von Gvaram der
Urlaubsliste hinzugefgt worden war. Inzwischen bewsserten wir den Pardess und etwas Grnfutter fr die Khe, damit die keine Ausreden mehr htten, auch weiterhin an Milch zu sparen. Zahal, das von Beginn der Kmpfe
beinahe vollstndig fr uneren Unterhalt gesorgt hatte, wachte zu der Tatsache auf, da auch innerhalb unseres Dreiecks im Sden es produzierende Meschakim gab, die berschsse an Eiern Milch und Gemse aufzuweisen hatten, whrend kleine
Punkte wie das neue Brur Chajil buchstblich hungerten. Es bedurfte keiner groen Anstrengung eine Verteilung frischen Proviants an nicht produzierende
Sttzpunkte zu organisieren.
Ich war in der ersten Gruppe von zehn, die zum Urlaub besttigt waren. Ein Lastwagen sollte uns gegen Abend zum Flugplatz bringen. Ein Jeder hatte seine Waffe mitzunehmen und auch
noch etwas zum Anziehen, in Tel-Aviv hatten wir ja keine Garderobe. Der 'Flugplatz' zwischen Dorot und Ruchama war um Grunde nichts anderes als ein gewalztes Feld. Eine Reihe Blechdosen, zu jeder Seite gefllt mit Diesell, dienten
als Beleuchtung. Die Menge, die sich hier staute, htte keinen regulren Flughafen beschmt. Um alle die hier Wartenden zu befrdern, htte es einer greren Fluglinie bedurft. Im ganzen bediente uns ein viermotoriges Transportflugzeug
vom Typus Skymaster, das auch noch Sdom am Toten Meer anflog, wo Kibuzniks und Chawerim von Bet Arawa den Punkt gegen die Legion hielten. Uns war nicht klar, wem das Flugfeld eigentlich unterstand und wer die Passagierlisten
zusammensetzte. Das Ganze hatte hier etwas von einem russischen Bahnhof an sich, wo Menschenmengen drei Tage lang auf den nchsten Zug warten.
Es war schon zehn, als das Flugzeug eintraf. Es landete in einer riesigen Staubwolke. Als erster stieg der Pilot aus, ein junger Amerikaner, unrasiert, in Badehosen und Sandalen,
einer der Abenteuerer jener Tage, die haufenweise Dollars machten, mit Army-Surplus des vergangenen Krieges, in den entferntesten und gottvergessensten Lndern der Welt, unter zweifelhaften Bedingungen, was Legalitt und Sicherheit
anbetraf. Die Luftbrcke in den Negev war nur eine Gelegenheit mehr.
Nur wenige stiegen noch aus dem Flugzeug, das mit Militrmaterial beladen war und Brennstoff fr die Meschakim. Joseph Jakobowitz und Mosche Kiesler waren unter den Ankommenden.
Joseph Jakobowitz, einige Tage unrasiert, umklammerte eine Flasche Kmmel, scheinbar gegen Fear of Flying, trozdem er schon auf festem Boden stand. Als Auenvertreter des Meschek war er mit evakuiert worden. Was er eigentlich in
Tel-Aviv zu tun hatte in unser gegenwrtigen Lage, weiss ich nicht. Die Ttigkeit eines Vertreters beschrnkte sich jetzt auf dem Empfang eines Schecks von Mal zu Mal beim 'Merkas Hachaklai' und eventuellem Einkauf bei 'Maschbir'.
Darber hinaus war kaum etwas zu tun. Mosche Kiesler war auf 'Schlichut' (d.h. im Auftrage der Jewish Agency) in der Czechoslovakei und ntzte die Verbindung der inzwischen angelaufenen Waffentransporte von dort zu einem
Heimatbesuch. Im Gegensatz zu Jakobowitz war er sorgfltig rasiert und gekleidet, jeder Zoll ein Diplomat.
Wie es sich bald herausstellte, waren wir garnicht in der Passagierliste fr heute Nacht. Den Vorrang hatten die Chawerim von Kfar Hadarom und Be'erot Jizchak, die gerumt werden
muten. Wann wir nun an der Reihe wren konnte uns niemand sagen; auch ohne uns war die Warteliste noch lang genug und ein zweites Flugzeug war fr diese Nacht nicht avisiert. Also zurck, nach Hause. Am nchsten Tage aber organisierte
man eine groe Kolonne, die zu sich Fu durch die Stellungen der gypter zwischen Brur Chajil und Negba hindurch schlngeln sollte. In Negba wrde ein Autobus auf uns warten. Wir waren nicht die ersten, die diesen Weg machten,
Militrpatrouillen taten es die ganze Zeit. Mit Einbruch der Dunkelheit marschierten wir also von Brur Chajil los, in Begleitung zweier Streifgnger, nach Negba. Im Gnsemarsch, lautlos, an die hundert Menschen, wanden wir uns durch
vertrockete Sorghumfelder, durch Feldwege, immer dicht an den gytischen Stellungen vorbei, unter der Hhe 113 und der berchtigten Polizeistation Irak Suedan. Es war eine Vollmondnacht, man konnte die gypter in ihren
Stellungen hren, die aber bemerkten uns nicht und nach ein einhalb Stunden gelangten wir am Einfahrtstor von Negba an. Dort wute man natrlich von unserem Kommen; man hatte etwas zu trinken fr uns bereit und eine Ecke, wo wir uns
ausruhen konnten. Frh Morgens nahm uns ein Autobus nach Tel-Aviv.
Es war ein komisches Gefhl so auf der Strae nach Be'er Tuvia, Gedera, Rechowot dahin zu rollen. Seit dem Herbst war ich hier nicht mehr gewesen. Alle arabischen Drfer am Wege
waren verlassen, auf den Polizeistationen Gedera und Bet Dagan weht die jisraelische Fahne. Jasur und Abu Kabir, die gefhrlichsten Nester vor Tel-Aviv, abgebrannt. Der Autobus setzte uns kurz vor Tel-Aviv in einem Militrlager ab.
Dort notierte man unsere Namen und nahm uns unsere Waffen ab. "Waffen abgeben, was soll das heissen?" Wir hatten vergessen, nach einem halben Jahr mit der Waffe in der Hand, da es auch noch so etwas wie ein Zivilleben gab, in dem
das Militr keinen Zutritt hat und wo es nicht als selbstverstndlich gilt, mit der Flinte auf der Schulter herum zu rennen. Eine neue Welt! Ebenso unbegreiflich, da es mglich ist, da es garnichts anderes gibt, als
mit dem Autobus von "Dan" durch Tel-Aviv nach Jaffa zu fahren.
Tel-Aviv war wie gewhnlich hektisch. In jenen Jahren war Chaki als Mnnerkleidung allgemein blich - heute wurde sie zur Uniform. Jaffa war menschenleer, die Huser vernagelt und
verriegelt, ab und zu an einer Straenecke ein Wachtposten mit dem Gewehr in der Hand, ein 'Reservist' mit einem Streifen am rmel der drauf hinwies, da der Mann der bewaffneten Macht angehrte.Worauf er eigentlich aufpasste war im
ersten Augenblick nicht zu erkennen.
Die Evakuierten von Gvaram hatten ihren Zufluchtsort in der 'Deutschen Kolonie' in Jaffa gefunden. Eine Odysse von Irrungen und Hindernissen begleitete ihre Ausfahrt in den
Panzerwagen der Palmach. Einmal fuhren sie irrtmlicher Weise in ein arabisches Dorf ein; die erschreckten Einwohner erffneten sofort das Feuer. Sie konnten abdrehen, aber bei Be'er Tuvia wre die Kolonne beinahe in eine Falle
geraten. In Be'er Tuvia wusste man nichts von dem Kindertransport und bereitete sich vor, auf den Konvoy zu schieen. Im letzten Augenblick jedoch vernahm der Befehlshaber des Hinterhalts Kinderweinen aus einem der Wagen. Der
Transport gelangte nach Rischon le Zion. Dort quatierte man alle provisorisch in eine Schule ein, ohne irgend welche passenden Einrichtungen. Am nchsten Tagen muten sie dort einen gyptischen Luftangriff ber sich ergehen lassen,
ohne Luftschutzkeller oder Unter-stnde.Dann berwies man die Kinder nach Jaffa, in die 'Deutsche Kolonie'.Die Deutsche Kolonie war bis 1939 von den 'Templern' bewohnt, die, soweit sie nicht im letzten Augenblick abreisten, whrend
der Kriegsjahre in 'Sarona' bei Tel-Aviv interniert waren. Dann wurden sie 'heim ins Reich' abgeschoben. Die britische CID besetzte die meisten Gebude der Kolonie, die ausser den Wohnhusern im sddeutschen Stil noch ein groes Hotel
und eine protestantische Kirche aufzuweisen hatte. Die Kirche hatte Wilhelm II bei seinem Besuch in Palstina 1906 eingeweiht woselbst Herzl sich um eine Audienz bei Hochdero bemhte, die Trume seines Judenstaats betreffend.
Das Hotel, 'Hotel Jerusalem', war gerumig, mit Riesenkche und einem groen, altdeutschen Bierkeller, ganz aus Eiche. Was konnte es passenderes geben fr einen Kibuz als viele Zimmer
und Kche und Essaal? Anfangs mute Gvaram den Platz noch mit Kibuz Ruchama teilen, aber bald fand Ruchama eine eigene Unterkunft. Wie gesagt, das Hotel, in den 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut, war auch heute noch
blitzblank und gut gehalten. Ein Teil der Chawerim besetzte auch eines der anliegenden leer stehenden Wohn- huser. Strom und Wasser waren in bester Ordnung.
Es war erst sieben Uhr frh, als wir im Hotel ankamen. Ein Teil der Frauen schlief noch, die Kinder aber tobten schon im Haus herum, vom Keller bis zum Dachboden. Nanni holte ich
aus dem Bett, Ofrale und Ilan entdeckten mich bald. Sie hatten schwere Wochen hinter sich, die Zeit die Nanni in Gvaram verblieben war. Jetzt gingen sie ihr nicht mehr von der Seite. Trotz aller annehmbaren Bedingungen am Platz
machte doch jeder in Jaffa eine schwere Zeit durch. Die Trennung und Sorge um die an der Front, Mangel an Ruhe und eigenem Zimmer, trugen nicht dazu bei, die Spannungen zwischen den Frauen, an denen es auch in normalen Zeiten
nicht fehlte, zu mildern. Alex und Rutha, die als Lehrer mit den Kindern gegangen waren, erffneten ihre Schulklassen, die Atmosphre des Provisorischen aber lie keinen verpflichtenden Rahmen schaffen und die Kinder etwas mehr im
Zaum halten.
Die Kinder, die waren bereits in Jaffa zu Hause, was Jaffa - ganz Tel-Aviv, mit Kiosken, Lollipops und Gasos und dem Strand und der See, wo sie wie die Wilden herum tobten und die
Mtter bald vor Angst vergingen. "Wie die Teufel sind sie im Wasser, ohnmchtig stehen wir dabei, auerstande sie zu zgeln".
Einige der Erwachsenen aber entdeckten Jaffa hnlich wie Alladin mit seiner Wunderlampe den Sesamsberg. Schmuel H., einer der lteren Auschwitz-berlebenden, die als Angehrige der
czechischen Gruppe mit Kriegsende nach Gvaram gekommen war, war gesundheitlich zerbrochen und zu irgendwelcher Arbeit nicht mehr fhig und deshalb auch mit den Kindern weggeschickt. In Gvaram hatte er noch etwas Schuhe repariert,
in Jaffa gab es nichts fr ihn zu tun. Er hatte also viel Zeit und begann als erster die Umgebung der deutschen Kolonie zu rescherschieren. Vor allem wollte er herausbekommen, warum die Wachtposten an jeder Strassenecke der
menschenleeren Stadt aufgestellt waren. Er hatte es bald heraus: ganz Jaffa war ein riesiges Warenlager, nicht allein das Inventar verlassener Wohnungen, weit mehr die Lger von Geschften, Handwerksbetrieben und Fabriken. Das alles
war verriegelt und versiegelt und galt nach internationalem Gesetz als Feindeigentum. Was aus alledem geworden ist, weiss ich nicht, ich nehme an, da ein nicht kleiner Teil den beruflichen Plnderern und Fledderern in die Hnde
fiel, die ja bereits an jeder Ecke lauerten. Schmuel entdeckte nicht nur hier und da ein Warenlager in vernagelten Kellergeschossen - er entdeckte vor allem sich selbst.
Ich weiss nicht, wieviel Ballen Stoffe er Ida, der Verantwortlichen der Kleiderkammer, bergab und wieviel er
selbst hintenherum verkaufte - das 'Breir-Syndrom' trat wieder in Erscheinung: vom Ausrumen des Dorfladens, dem Aufladen der Mbel von Schmuel Ebel bis zur Entwendung versiegelter Lager in Jaffa. Viel habe ich darber nachgedacht -
was passierte hier eigentlich? Habgier? Egoismus des Augenblicks? Sich verlieren in Gesetzlosigkeit? Verachtung der Beraubten? Nach heutigen Begriffen lebten wir alle dicht an der Armutsgrenze. Es taten sich uns aber nicht die
Schtze Alladins auf, die unsere Lage von Heut auf Morgen htten verndern knnen. Diese kleinen erbrmlichen Diebereien konnten hchstens unsere Selbstachtung herabsetzen. Ein Zyniker htte uns vielleicht angedeutet, wir seien
eben nicht die richtigen Leute am richtigen Platz. Man flsterte, und nicht nur beim Tee, von Millionen, die aus arabischen Banken beim Einmarsch verschwunden seien, aber
nicht durchs Militr. Der Krieg schuf eben neue Normen auch bei uns. Man kann es nennen wie man will, die Sache ward schon zum Witz auf der Strae: der neue Sitzungssaal der Regierung wird allgemein bewundert. Nur fragt jemand,
warum eigentlich kein Bild von Herzl, wie es sich gehrt, an der Wand hngt. "Das haben wir in Jaffa nicht gefunden".
Wenn man schon Ferien hat, dann will man auch ausgehen. Ich glaube auch nicht, da ich viel Geld in der Tasche hatte, sicher nicht fr groe Vergngungen. Wir wussten auch nicht, was
Tel-Aviv Soldaten im Urlaub zu bieten hatte. Gegen Abend faten wir den Autobus zur Strandprommenade. Die Prommenade war damals der Stolz der Einwohner Tel-Avivs, noch sehr kurz und kaum ausgebaut und ziemlich vernachlssigt. Keine
Fnf-Stern Hotels und glitzernde Cafs reihten sich dort aneinander. Die Prommenade war schwarz von Menschen, die vergngt langsam dort hin und her schlenderten. Es schien, als ob jeden Augenblick sich irgend etwas ereigenen
msse, da auf keinen Fall zu versumen sei. Was, das wuste keiner, jeder wartete auf etwas. Merwrdiger Weise waren die paar kleinen armseeligen Kioske, die es gab, geschlossen. Nichts wies darauf hin, da der Himmel Eistten und
Lolipops auf uns regnen lassen wrde, ein Sinai der Strandprommenade...Das Rtsel bestand natrlich nur fr uns Kibuzniks. Die Tel-Aviver wussten sehr gut, da der Abend, den wir uns zum Ausgehen ausgesucht - Tischa b'Av war und
da gem dem 'Status Quo' der neuen Regierung Ben-Gurion Vergngungssttten geschlossen blieben. Nachdem uns das klar wurde, konnten wir uns nur ber den Stumpfsinn und die Unterwrfigtkeit der Menge wundern, die diesen Irrsinn als
selbstverstndlich hin zu nehmen schien und einer Herde gleich ziellos hin und her blkte.
Gegenber dem 'Hotel Jerusalem' hatte sich eine Einheit Militrpolizei stationiert. Was die da mitten in der Stadt zu tun hatten anstatt in einem der groen Militrlager, in Sarona
oder in Sarafand, weiss ich nicht. Vielleicht bentigte man sie noch im eroberten Jaffa. Jedenfalls war ihre Hauptbeschftigung exerzieren, von frh bis spt. Man sagte uns, diese Einheit sei die einzige in der gesammten israelischen
Armee, mit der man beim Empfang von Diplomaten und Honoratioren aufwarten knne. Die Czechoslowakei war die erste, die ihren Gesandten nach Israel entbot und der mute Protokol gem empfangen werden. Amerika und Russland sollten
folgen. Geschniegelte und gebgelte Soldaten waren bisher im ganzen Heer nicht zu finden, zu allerletzt in der Palmach, die ihrem ueren nach mehr einem bewaffneten Haufen aus dem Dreiigjhrigem Krieg glich. Ich brauche gar nicht so
weit zu gehen: als die Uno-Vermittler die feindlichen Linien im Negev im Sommer besuchten, wollten sie den Befehlshaber der Krfte in den Stellungen Saad sprechen. Das sei ein Captain Wartenburg, sagte
man ihnen. An Ort und Stelle, erschien der captain, kein anderer als unser Freund und Chawer Gvaram, Jecheskel, in der Mittagshitze, in Unterhosen, zerissenen Sandalen, drei Tage nicht rasiert. Es war ihm nicht einfach, die
schwedischen Offiziere zu berzeugen, da er hchstselbst der captain sei und nicht Anfhrer einer Ruberbande. Wie man sieht, mute man schon die notwendigen Zinnsoldaten von Grund aus fabrizieren. Rein militrisch gesehen war die Be-
schftigung der Parade-Polizei nicht gerade interessant, aber die Sache hatte auch ihre angenehme Seite: nhmlich gengend Zeit um mit den jungen (und auch nicht ganz so jungen) Damen vom Kibuz im Hotel gegenber zu flirten -
und wie man munkelte, nicht ganz ohne Erfolg.
Meine Schwgerin Mariam besa einen ungeheueren Vorrat verborgerner Energie. Whrend der Jahre, da ich sie kannte, war sie immer etwas krnklich und schwacher Konstitution; sie
arbeitete meist nur halbe Tage. Bei auftauchenden Krisen aber konnte sie ein unglaubliches Ma an Selbstbeherrschung und Ernergie aufweisen, sogar Fhrerschaft. So in den ersten Tagen des Krieges, dort bernahm sie, single handed,
die Camufflage und Verdunkelung der groen Gebude in Gvaram (wie ich schon sagte, man kmpft immer der vergangenen Krieg: im Mai 48' glaubte man sich noch im 'London-Blitz' von 1940). Hier in Jaffa sorgte Mariam fr Kultur und
Unterhaltung, soweit das bei unseren mehr als beschrnkten Mittel berhaupt mglich war. Der Haupt-Clou dabei war ein 8 mm Filmprojektor, den die Verwandten Mariams, reiche Kaffeezchter aus San Salvador, im Zeichen der
Kriegsanstrengung zur Hebung der Moral gestiftet hatten. 8 mm Filme waren en masse beim Filmverleih der Histadrut in allen zur Zeit gelufigen Titeln zu haben. An diesem Freitag Abend (in den Kibuzim fr gewhnlich fr Filmvorfhrungen
bestimmt) sollte "Good-bye Mr Ships" laufen. Der Film war in England whrend der Kriegsjahre gedreht. Es gibt dort eine Scene wo Fliegeralarm gegeben wird und deutsche Zeppeline London mit Bomben
belegen - im ersten Weltkrieg, that is. Im Geheul der Sirenen gngelt der alternde Mr Ships seine Schlerherde in die Shelter, Authoritt gebietend und beruhigend. Der Film sah darin dem britischen Nationalgefhl Genge getan und ging
zur nchsten Scene ber. Nicht so Jaffa. Durch die offenen Fenster drhnte die Warnsirene unserer Nachbarin, der Militrpolizei-Wache und sofort darauf auch aus Tel-Aviv. Unsere Kinder brauchten wir nicht in den Keller
scheuchen, das saen wir nhmlich schon, im Bier-Keller. Nach einigen Minuten erfolgte Entwarnung und wir kehrten zu den Abenteuern des Mr Ships zurck.
Am nchsten Tag hellte sich alles auf: Unsere Militr-Polizei hatte, auch durch ihre offenen Fenster, unseren 'Film-Alarm' vernommen. So, wie man es ihnen beigebracht, gaben sie
ihren 'Befund' sofort nach "Oben' weiter, d. h. nach Tel-Aviv. Tel-Aviv befahl Alarm, und so geschah es. Inzwischen konnte aber keine Radarstation irgendwelchen feindlichen Einflug verzeichnen. Man zuckte also die Achseln und gab
Entwarnung. In den Analen des Krieges von 48' ist dieser 'Angriff' nicht verzeichnet und die MP gegenber dem "Hotel Jerusalem" liebten es nicht ber diesen Zwischenfall zu reden, auch nachdem sie die volle Wahrheit erfahren hatten.
"Der Urlaub ist vorbei...", ""... es gab noch Karten zu..." ging der gelufige Song im Front-Cabaret. Es gab noch Karten zu "Er ging ber Felder", das aktuelle Theaterstck der
Saison im neu etablierten 'Kammertheater'. Tuvia Grnbaum hatte Ivrith gelernt, 'Jagur' hinter sich gebracht war wohlbestelltes Mitglied der Kooperative des Kammertheaters geworden. Tuvia war ehr geschmeichelt, als wir ihn bei der
Probe aufsuchten. Natrlich gab noch es Karten fr uns. Das Theaterstck selbst - soviel wie man damit hermachte war es auch wieder nicht wert. Der ewige Konflikt zwischen ihm und ihr, im Rahmen eines Kibuz an der Front, was noch
alles, wie sich eben der kleine Moritz den Kibuz vorstellt. Sowas war eben damals 'in'.
Der Weg zurck nach Gvaram ging wieder durch Wiesen und Felder und feindliche Stellungen, mittlerweise beinahe Verkehrsstrae der Armee. Das nchste Urlaubskontigent wartete schon
auf seine Abreise. Die kommenden Tage in Gvaram reihten sich aneinander wie graue Perlen an einer Schnur, einer wie der andere, ununterschiedlich. Um gegen die wachsende Langeweile anzukmpfen lieen sich einige von uns Schnurrbrte
wachsen und schworen, sie nie mehr abzunehmen; berflssig zu erwhnen, da jeder glatt rasiert vom Urlaub zurck kam Gideon Grnberger, Arzt und Chawer, hatte auch Anrecht auf Urlaub, Zahal sorgte fr seine Vertretung am Platz (so etwas
gab es schon). An seiner Stelle erschien eine junge rztin, Zafrira mit Namen, ihres Zeichens Voluntrin aus Sd-Afrika, frisch von der Medical School. Sie hatte geglaubt, es erwarteten ihrer hier ungesehene und ungehrte Heltentaten,
ein Hohelied der Selbstaufopferung - glcklicherweise waren wir alle kerngesund und es erwartete sie garnichts. Ich weis noch nicht einmal, ob irgend jemand mit ihr angefangen hat. Immerhin kam doch manchmal jemand mit Kopfweh zu
ihr, so auch Jan, der Junge des unzertrennlichen hollndischen Liebespaares. Sie stellte bei ihm Grippe (!) fest und verordnete Bettruhe. Er war sofort dazu bereit. Am nchsten Tage beschlo Zafrira laut Vorschrift auf Krankenbesuch
zu gehen Im Zelt fand sie nicht nur Jan sondern auch Mareis im Bett. Beide erschraken ein wenig und Jan rief der rztin zu: "Ich bin schon wieder gesund". "Oh I see" stammelte Zafrira und zog sich schleunigst zurck.
Der Sommer ging seinem Ende zu und wir dachten manchmal, was wohl mit uns im Winter sein wrde. Die Regenzeit in zerstrten Husern verbringen, Grabennetz und Bunkern,
die sich wohl bald mit Wasser fllen wrden. Wo dann Schutz suchen? Im Regen Krieg fhren ist nirgendwo angenehm. Wenn schon kmpfen, dann wenigstens auf grnem Rasen unter blhenden Bumen, wie im Mrchen. "Verlasst Euch auf Jigal
(Alon), Jigal wird schon was tun" versicherte man uns gelegentlich. Nur war nicht klar, was. Trotz der Waffenruhe war es alles andere als ruhig in der Gegend. Die ganze Zeit gab es Geplnkel mit den gyptern um die Hhe 113 und Tel
Elkunetra. Wir merkten sehr wohl, da stndig Krfte nach Sden strmten, des Nachts, manchmal ganze Kompanien in Begleitung von Commandcars. Grtenteils neue Olim, einmal eine ganze Abteilung frisch aus Marokko, wie sie uns stolz
erzhlten. Alles durch die gyptischen Stellung bei Negba. Die gypter schienen zu schlafen, wie jeder mutige Soldat, der damit beweisst da er keine Angst hat. Wohl riefen sie ab und zu mal herber "Wer da?" Die Antwort war dann
"Masr" gypter und das schien ausreichend.
Erev Rosch Haschana kam ein Befehl durch: um Punkt 8 Uhr eine Minute aus allen Rohren Feuer! Von allen jdischen Punkten des eingeschlossenen Negev.
"Wir sind noch da!" Die gypter waren ein wenig berrascht und wussten scheinbar nicht, wie sich zu verhalten. Zum Schluss taten sie garnichts. Es drfte ihnen aber wohl nicht verborgen geblieben sein, da sich eine
Offensive unsererseits anbahnte, eine Offensive greren Ausmaes. Diplomatische Kontakte der Uno whrend des ganzen Sommers waren nach der Ermordung von Bernadotte in eine Sackgasse geraten. Einer der Grnde dafr war vielleicht, da
die einmarschierten arabischen Staaten keine Lust hatten nun ihrerseits zur Errischtung eines unabhngigen palstinensischen Staates an Seiten Israels beizutragen. Sie verlangten nach
wie vor Annulierung des Teilungsplans und sahen in Palestine nicht mehr als besetztes Gebiet.
Nachdem wir den ganzen Sommer hindurch treu und brav alle Esel die von N nach S und umgekehrt getrottet waren, notiert hatten, hielt auch der Stab in Nir-Am sein Versprechen und
gab uns Winke, da der groe Kladdaradatsch unmittelbar bevorstehe. Zwischen 15 und 20 Oktober kam die Brigade Jiphtach nach Sden und besetzte von neuem die Drfer Batima und Kaukaba und die anliegenden Hgelketten. Noch in derselben
Nacht griffen sie die gypter in Chulikat an. Die Kmpfe waren schwer unter nicht geringen Verlusten unsererseits und es war durchaus nicht sicher, da man in dieser Nacht die Stellungen wrde nehmen knnen. So wenigstens erzhlte mir
Ovadia Jahre spter in Sde Mosche. Er war selber dabei. Nachdem drei Angriffswellen zurckgeschlagen wurden, schwankte man, ob eine vierte zu versuchen. Man beschloss noch einen Angriff zu wagen und es gelang sich der
Stellungen bemchtigen. Wir es sich dann herausstellte, waren die Verteidiger gar nicht mehr gypter, sondern Sudanesen. Die gypter hatten sich vorsorglich bereits am Nachmittag nach
Aschkelon abgesetzt. Die Sudanesen waren aus anderem Holz geschnitzt; sie kmpften wie die Lwen und als alles verloren war wollten sie sich nicht ergeben, sondern bissen wie wild um sich.
Nachts um Eins war alles zu Ende, Chulikat in unseren Hnden und der Weg nach Norden offen.Im Morgengrauen tauchte bei uns bereits ein Reporter auf und schwenkte eine frisch
gedruckte Tel-Aviver Morgenzeitung. Wir gehrten wieder zu Israel. Noch am selben Tage begannen Trampfahrten nach Jaffa (wieder einmal zeigte sich das
Breir-Syndrom: an der lbohrung der IPC in Chulikat, wenige Stunden nach Rumung der gypter, stand bereits ein Tel-Aviver Lastwagen und ein 'Demolition-Team' versuchte sich mit dem Abbruch des Bohrturms. Das gelang
ihnen zwar nicht, aber die verschlossenen Gertekammer rumten sie aus. Die gypter hatten nichts angerhrt, solange sie dort saen - so IPC-Headquarters aus London...).
Der Krieg war natrlich nach alledem noch nicht vorber. Wir konnten zusehen, wie drei B17 Aschkelon angriffen; die B17 waren, so erzhlte man, aus amerikanischen Armee-Surplus
erworben und dann, des Embargo wegen, herber geschmuggelt worden. Was es eigentlich in Madjdal-Aschkelon zu bombardieren gab war schwer vorzustellen. Viel Lrm und viele Brnde waren
ersichtlich, darber hinaus wurde nichts bekannt. Ein siebenter Versuch, die be- rchtigte Polizei-Station Irak-Suedan zu nehmen gelang: nicht wenig Verluste hatten wir bei den sechs vorigen erlitten. Diese Polizei-Stationen waren
in den dreiiger Jahren erbaut worden, auf Anraten Lord Teggarts, ehemals Befehlshaber in Indien, der glaubte mit Befestigungen die Massen bndigen zu knnen. Aus Eisenbeton, in einem Stck gegossen, konnte sie von einer Handvoll
Leuten verteidigt werden, bis wir ein oder zwei Kanonen hatten, den Beton zu sprengen...
Vorerst hielten die gypter noch die Kstenstrae Aschkelon-Ghaza. Am vierten November aber, als ich am Morgen das Dach des Essaals bestieg um meine Wache als Beobachter zu beginnen,
bot sich meinen Augen ein unvergessliches Bild: die Chaussee war schwarz von Menschen, Vieh und Fahrzeugen, alles in Richtung Ghaza. Teils zu Fu, teils auf Rdern strmte alles dahin, Militr war kaum zu sehen. Um halb zehn erschien
ein Commandcar vom Stab und gab bekannt, da die gypter Aschkelon rumen und sich scheinbar auf Ghaza zurck ziehen. Mit dem Rckzug der gypter verlieen auch allen Einwohner ihre Drfer zwischen Aschkelon und Ghaza.Wir hielten das fr
Jgerlatein, um zwei Uhr Nachmittag aber beschlossen wir unseren Lastwagen mit ein Paar Leuten herunter zu schicken, um zu sehen, was da eigentlich los ist. Alle unsere Nachbardrfer unten waren leer, ausgefegt, nur in Aljije saen
vor einer Tr zwei Alte, einer von ihnen blind. Sie erzhlten, da alle auf Befehl verlassen htten, sie selbst seien dazu nicht mehr im Stande gewesen. Am Bahnbergang fuhr der Wagen dann noch auf eine Mine auf, zum Glck kostete es
nichts als einen Reifen. Man konnte schon einen Blick auf die Bden werfen, die sich von Aschkelon bis Ghaze leer ersteckten.
Und so war es: die gypter gruben sich bei Bet Lachije ein, Zahal ihnen auf den Fersen. Ein Strom von Flchtlingen ergo sich sdlich von Aschdod beginnend nach Ghaza. So entstand der
'Ghazastreifen', bis heute unverndert, mit Hunderttausenden von Flchtlingen, Hunger und Not den Einen, politisches Kopfweh und unlsbares Problem den Anderen. Und wir, zurck bei uns, blickten rund um uns: kein Haus das ganz
geblieben war, aber auch kein einziger verwundet von den 2000 Granaten, die die gypter auf uns herab regenen lieen. Schwere Verluste aber hatte die Negev-Brigade zu verzeichnen, von der einige Abteilungen whrend der schwersten
Wochen bei uns lagen. Einige davon fielen in Jad Mordechai, die meisten in Chulikat. Gerschon 'Debambam' (Diebenbum), ihr Kommandant, fiel bei Be'er Schewa (Gerschon scheint in seiner Vaterstadt Rechowot wenig bekannt gewesen zu
sein, trozdem er aus einer der alteingesessenen Familien stammte. Krzlich tauchte sein Name im Fernsehen auf: Jemand hatte ein Buch ber ihn geschrieben, oder besser, den Nachlass seiner Tagebcher und einige Gedichte verffentlicht;
Gvaram wurde nicht erwhnt, aber im Herzen des Kibuz, auch der jngeren Generation, bleibt sein Andenken bewahrt).
Es galt also an den Wiederaufbau zu denken und die Familien so schnell wie mglich nach Hause zu bringen. Die Huser zu reparieren, soweit dies mglich war, die Grben zuzuschaufeln -
einige der Unterstnde blieben als Luftschutzkeller bewahrt. Praktisch blieben wir ohne Produktionsmittel. Geflgelwirtschaft lt sich in wenigen Monaten errichten, Milchwirtschaft baut man nicht von heut auf morgen auf. Aber der D2
klapperte nach unter zur jetzt unseren Chaussee Aschkelon-Ghaza und ffnete die erste Furche, ein Kilometer lang. Wenig spter folgten auch wir nach, zehn Chawerim mit Welvele an der Spitze und begannen mit Beschneiden
von 500 Dunam Weingrten der Sorte Jabuti, essbare Trauben, die berhmten Weingrten von Barbara.
Die Leute von Jad Mordechai kamen wenige Stunden nach dem Rckzug der gypter. Was sie vorfanden war nichts als Ruinen. Als erstes ffneten sie ein einheitliches Grab fr ihre 25
Gefallenen. Viele ihrer Chawerim neigten nicht zur Rckkehr. "Wie knnen wir auf den Grbern unserer Kameraden, mit denen wir von Jugend auf verbunden, noch unseren Meschek bauen?"
Schlielich aber siegte der Druck ihrer Bewegung. Jad Mordechai erstand von neuem.
Wiederaufbau ist keine leichte Sache. Nirgends. Wir waren mit einem blauen Auge davon gekommen, jetzt standen wir vor der Frage unserer wirtschaftlichen Existenz. Die
Masseneinwanderung hatte begonnen und das Wort 'Mangel' lag bereits in der Luft. Erst im kommenden Frhjahr konnten die letzten der Evakuierten aus Jaffa heimkehren. Nicht alle kamen zurck. Es war damals nicht besonders schwer, den
Kibuz zu verlassen. Das leere Jaffa bot eine Auswahl von Wohnungen und fr alteingesessene war es kein Problem, Arbeit zu finden. Den Rckkehrern ffneten sich neue Horizonte zum Aufbau einer Landwirtschaft; es fehlte aber noch
im Land das System, das eine passende Finanzierung dieser Projekte garantieren konnte.
Auch die Kinder kehrten in eine andere Umgebung zurck als in die, die sie verlassen hatten. Auerhalb der Umzunung des Meschek brtete noch der Geruch der verbrannten arabischen
Drfer. Die ersten Infiltranten machten sich Nachts bereits bemerkbar. Ganze Rudel herrenloser Hunde, von ihren Besitzern zurck gelassen, streunten rings um die Umzunung, bellten am Tage und heulten des Nachts. Einmal, gegen Abend,
ging ich mit Ofra und Ilan spazieren, den Zaun entlang. Aus irgend einem Grunde hatte ich mein Gewehr bei mir und die Kinder drngten mich: "Schie doch auf die Hunde, verjag sie". Ich weiss nicht, warum ich es getan habe, viel Sinn
hatte es nicht, verjagt damit htte ich sie nicht. Der Knall zerriss die abendlich Stille und das Geheul des getroffenen Hundes stieg zum Himmel. Ofra und Ilan waren kreideweiss. Auch ich war wie betubt und pltzlich war ich mir der
ganzen Ironie bewusst: der erste und einzige Schu den ich whrend des ganzen Krieges auf ein lebendes Wesen abgegeben habe. Auf einen streunenden Hund.
Ich weis nicht, ob wir in diesem Kriege gesiegt haben. Die ganze Welt sagte ja, Tatsache ist, Israel besteht. Wenn aber Sieg, im klassisch-historischem Sinne, die Beseitigung
eines politischen Problems durch Aufzwingen des Willens des Siegers auf den Besiegten bedeutet - in diesem Sinne haben wir nicht gesiegt. Der jdisch-arabische Konflikt ist bisher nicht beigelegt. Das Flchtlingsproblem, nicht der
Kern sondern das Ergebnis des Konflikts, kam uns in den Herbsttagen 1948 garnicht zu Bewusstsein. Nicht nur, da wir erleichtert aufatmeten: der junge jdische Staat htte
mit einer arabischen Minderheit von 40% keinerlei berlebenschancen gehabt. Dann aber standen wir auch unter dem Eindruck des Transfers von Millionen von
Deutschen aus den Sudeten, Ostpreussen, Schlesien, Pommern. Nur da die 'Ostvertriebenen', die damals die Elbe berschritten in den Westen des Marschall-Plans, wenig spter am deutschen Wirtschaftswunder Teil hatten. Sie bildeten
wohl nostalgische Vereine, waren aber nie eine Bedrohung Deutschlands innerer oder uerer, d.h. der Ostpolitk. Im Innern ihres Herzens waren sie wohl heilfroh, dem Sowjetregime entronnen zu sein. Oder 100 Jahre frher, die Massen
Osteuropas, die die Gestade der neuen Welt suchten und dort in der nchsten Generation bereits wohlfundiert waren.
Nicht so die arabischen Flchtlinge. Die erwarteten keine offenen Arme jenseits der Waffenstillstandslinien. Man empfing sie mit Mitrauen, die Palstinenser erfreuten sich nie
besonderer Sympathie. Man stopfte sie in 'Flchtlingslager' ohne irgend welche Integration zu begnstigen (das reiche Libanon htte sie ohne Schwierigkeiten absorbieren knnen), ohne Aussicht auf bare Existenz,
einzig allein mit einer irrsinnigen Geburtsrate.
Ein unlsbares Problem, ein unentwirrbares Gestrpp, dessen Ausweg vielleicht nur in einer Art globaler Restitution liegt. Dem Einzelen wird wohl keiner mehr gerecht werden.
Im Seminar in Ejn-Charod
Im Herbst 1953 beschlo die Generalversammlung mit Stimmehrheit mich am Arbeitsseminar des Kibuz Hame'uchad in Ejn-Charod teilnehmen zu lassen. Nach der Staatsgrndung hatte die
Kibuzbewegung zwei Seminare eingerichtet: das ideologische Seminar in Ef'al fr die knftigen 'Politruks' der Bewegung - und das Arbeitsseminar, um knftige Auenvertreter und landwirtschaftliche Inspektoren heran zu bilden.
Zu Beginn der fnziger Jahre war die wirtschaftliche Lage der Meschakim beinahe verzweifelnd. Die mit der finanziellen Leitung betrauten Auenvertreter wussten nicht mehr ein und
aus. Es fehlte nicht nur an Mitteln zur Durchfhrung von Entwickelungsprogrammen, fr die tglichen Ausgaben war keine Deckung da. Noch gab es keinen passenden Rahmen zur Finanzierung landwirtschaftlicher
Entwicklung und Wohnunsbau. Die Kibuzim suchten Hilfe kurzfristiger Anleihen, nicht selten fr Wucherzinsen am 'grauen Markt'. Kein Wunder, da viele Kibuzim bald in Schwierigkeiten gerieten; kein Meschek kann ohne passende
Finazierung bauen, am wenigsten einer, der erst im Beginn seiner Entwicklung steht. Die Politik der Behrden war, den Kredit auf ein Minimum zu beschrnken, aus Angst vor Inflation. Von den Banken
war also kein ffentlich sanktionierter (billiger) Kredit zu erwarten, die Vertreter erfanden eine Technik, die ihnen etwas Luft verschaffte, sie einfach berleben lie, nach der Parole: "Fly now - pay later", das berhmte 'Rollen'
der Schecks, das im Laufe der Zeit sich zu einer 'fine art' entwickelte. Es konnte damals mangels einer fortgeschrittenen Telekommunikation florieren. Ein Scheck in Metula auf eine Bank in Eilat gezogen er-mglichte dem Vertreter
vier Tage Atemraum und Zeit zum Nachdenken, wie den Scheck dann in Eilat zu decken. Was tun - man zieht eben auf Haifa. Die Banken machten da keine Probleme, sie honorierten die Schecks sogar in bar - wovon sich die Vertreter aber
nichts wissen machten war, da die Banken den Meschek mit tglichen, stndlichen Zinsen des 'grauen Marktes' belasteten. Ich wiss nicht ob sich Israel das Urheberrecht dieser Methode zuschreiben kann, immerhin, im Laufe von zwei,
drei Jahren wurde das Rollen der Schecks zur Lawine: immer grere Summen waren notwendig um laufende Ausgaben zu decken und die verhltnismig geringe Anzahl der Bankfilialen brachte der Vertreter der Kibuzim dazu ihre Schecks
gegenseitig auszuwechseln.
Natrlich blieb die Betriebsamkeit der Kibuzim, sich aus der Luft Kredit zu verschaffen, den wirtschaftlichen Leitern der Bewegung nicht verborgen. Solange aber die Banken
schwiegen und sich irrsinnige Zinsen zugute schrieben, war wenig was sie tun konnten. Bis dann eines schnen Tages der groe Knall kam und dem Festival ein Ende setzten. Und so ging die Annekdote, die man sich in den Korridoren der
Banken erzhlte: Piefke, der Vertreter von Kibuz Ejal bei Kfar Saba, kam eines Tages in die kleine Kneipe gegenber der Hauptfiliale der 'Bank Hapoalim' damals noch in der Montifiore, und hielt sich den Bauch vor Lachen: "Ich hab
die Bank Hapoalim gesprengt!" "Piefke, was ist passiert, erzhl" Wie es sich herausstellte hatte Piefke an die I 70,000 in Umlauf gebracht, mehr als ganz Ejal mit Kind und Kegel wert war und konnte nicht mehr weiter. Die 'Bank
Hapoalim' strzte zwar nicht zusammen, die Erschtterungen aber sprte sie. Das Direktorium der Bank trat zusammen, der Beamte am 'Desk' der Kibuzim flog und der 'Schieber' wurde geschlossen. Schulke Sack, Mitglied des Direktoriums
der Bank und Chawer des Kibuz Giv'at Haschloscha, machte die Runde in den Kibuzim und drohte mit erhobenem Finger. Ein Protestgeheul der Kibuzim stieg gen Himmel, denn es ist ein Ding, fiktive Kredite zu sperren, ein anderes,
jegliche Entwicklung in den Meschakim abzuwrgen. Es dauerte noch geraume Zeit, bis Avram Brum aus Schfajim seinen 'Club' etablierte, jenes Institut der 'Landwirtschaftsbank' das laufende und Entwicklungskredite den Kibuzim und
Moschawim ermglichte. Vorerst blieb nur das Geschrei.
(Vielleicht will jemand wissen, was nun mit Piefke passiert ist, dem Helden des Bankkrachs. Nichts, soviel ich weiss. Seiner Karriere hat es zumindest nicht geschadet. Piefke
verlie bald darauf seinen Kibuz und arbeitete im Ansiedlungsdezernat der Jewish Agency. Spter war er viele Jahre Bgermeister von Kirjat Gat, allerseits beliebt und geachtet. Parteizugehrigkeit hat da auch mit geholfen.
Seinen eigentlichen Namen wusste kein Mensch, 'Piefke' war sein Spitzname, als Berliner, in der Jugend-Alija in Aschdot Ja'akov, wo wir noch zusammen in den Bananen gearbeitet hatten. Man erzhlt, da Levi Eschkol als Regierungschef
seine Sekretrin fragte, ob der Brief an Piefke schon fertig sei. "Der Brief liegt vor Ihnen, auf Ihrem Schreibtisch" Der Brief war an Arje Me'ir adressiert. Der Name Piefke aber blieb fr immer assoziiert mit dem Begriff des Rollen
von Schecks).
Vielleicht war es auf Grund der Finanzpolitik, oder eher mangels einer solchen in der Kibuzbewegung, das zu Errichtung des Arbeitsseminars fhrte, neben dem bereits mehrere Jahre
bestehenden ideologischen Seminar. Die Fhrer der Bewegung glaubten an den Einfluss des Lernens. Sie waren berzeugt, da wenn man dem jungen Vertreter seines Meschek einblut, da 11 nicht unbedingt 5 sein mu,
er dann auch in Zukunft die Spielregeln beachten wird. Die Fhrer der Kibuzbewegung begriffen nicht, da die Aufdeckung der bitteren Wahrheit "There is no free Lunch" im absoluten Gegensatz zum kibuzischem Konzept "Jeder nach seinem
Bedrfnis - jeder nach seinem Knnen" steht. Als echte Marxisten glaubten sie, da hier die Antithese zur Synthese werden wrde. Dazu kam dann auch noch, da wir alle in den Wirbel der Spaltung des Kibuz Hame'uchad gerissen waren,
deren Forderer das rein wirtschaftliche Axiom und die Loslsung von jeglicher Ideologie auf ihre Fahne geschrieben hatten. Das Seminar sollte uns bei der Quadratur des Zirkels helfen.
Ejn-Charod
Im strmischen Meer der politischen Auseinandersetzung innerhalb der Kibuzbewegung war Gvaram nurmehr eine stille Insel, abseits vom Weltgeschehen. Ejn-Charod aber stand im Zentrum
des Konflikts. Nach Spaltung der Partei (Mapai) 1944 als Folge von Verschiedenheiten der Auffassung betreffs des Teilungsplans und der Haltung zur Sowietunion, in Wirklichkeit wohl mehr persnliche Ambitionen der Fhrer des Kibuz
Hame'uchad, die die dominierende Rolle Ben Gurions nicht anerkennen wollten - griff die Diskussion nach der Staatsgrndung das Gefge der Kibuzbewegung selbst an: gegenber dem Traum Jizchak Tabenkins die Ideale des Kibuz Hame'uchad
vom Jahre 1920 nun endlich in die Tat umzusetzen, mit stark maoistischen Untertnen, stand die Forderung der 'Wirtschaftler' einzig und allein die wirtschaftliche Entwicklung der Kibuzim voranzutreiben mit dem Ziel unbegrenzter
Erhhung des Lebenstandarts. Was die Haltung zu den Russen anlangte, da blieb kaum nocht etwas zu diskutieren. Die antisemitische und antijisraelische Haltung Stalins offenbarte sich bereits in den Prager Prozesen.
Von weitem sah alles ganz friedlich aus, die roten Dcher zwischen den grnen Baumkronen, der hoch berragende (wenn auch nicht ganz sthetische) Betonbau der Bhne des Amphi-Theaters
(des ersten im Land) erinnerten ganz an alte Zeiten. In Ejn-Charod selbst sah es schon anders aus. Es drngt sich der Vergleich mit Ghaza whrend der 'Intefada' auf: Berge von Mll und Abwsser aus den Gullis quellend.
Im Sekretriat des Seminars empfing uns, den neuen Jahrgang, Heti Br, geschieden und mitteleren Alters, auch eine ehemalige der deutsch-hollndischen Hachschara, die sich Ejn-Charod
angeschlossen hatte. Was sie eigentlich dort zu tun hatte war nicht ganz ersichtlich, scheinbar eine Art 'Hausdame' und Hilfskraft dem Seminarleiter, Arie Scharon aus Alonim. Die Bros lagen im ersten Stock, gleich neben dem
Vortragssaal. Unten im Parterre lag die Buchhaltung. Der Buchhalter, ein betagter Junggeselle und Veteran von Ejn-Charod, giftig wie eine Natter erwhnte Heti Br nur als 'die Frau da oben', warum, das zu ergrnden reichte die Zeit
unseres Aufenthalts in Ejn-Charod nicht aus. Wir, das waren an die 25/30 Seminaristen beiderlei Geschlechts, aus beinahe allen Kibuzim der Bewegung, die da kamen, um aus dem Munde der alten und weisen des Stammes die Lehre zu
vernehmen. Der grte Teil waren Jngere, im Landere geboren, aber auch meine Altersstufe war vertreten, dazu eine Hand voll Jekes. Man brachte uns in Barakken unter, zwei in einem Zimmer,
spartanisch, wie es sich fr knftige Verknder der kibuzischen Wirtschaftsleere schickt.
Nach Absolvierung der blichen Aufnahmeformalitten versammelten wir uns zur Erffnungsrede von Winja
Cohen, Mitbegrnder von Ejn-Charod, Mitglied des Zentralkommitees der Bewegung und seit Jahren Vorsitzender des Wirtschaftsdezernats. Er verkndete uns, da sich uns eine neue Welt vllig neuer Begriffe von Gesellschaft und Wirtschaft
auftuen wrde. Nicht mehr die Anschauungen einer veralteten Welt, begrndet auf eine irrige europische Philosophie, sondern die neuen Denkkategorien der marxistischen Dialektik. Eindringen in die Naturwissenschaften mit dem Ziel,
sich der Natur zu bemchtigen, jetzt. Ohne marxistische Weltanschauung ist das garnicht mglich. Winja sprach wie jemand, der in allen Zweigen der Wissenschaft zu Hause ist. War er doch in stndigem Kontakt mit Professoren und
Wissenschaftlern. "...natrlich, wenn ich mit denen spreche, bediene ich mich einer anderen Sprache als mit Euch!" Einfaltspinsel, Amateur, mit einer Bildung von Klischees...
Das Seminar sollte acht Monate dauern, vier davon waren als Vorbereitung (oder Auffrischungskurs) der gymnasal Realfcher gedacht, so was zwischen Sekunda und Prima. Ich hatte kaum
noch eine Ahnung von allem, vielmehr, das meiste hatte ich berhaupt nicht gelernt. Inzwischen aber waren mehr als 20 Jahre vergangen, der zweite Weltkrieg, die Spaltung des Atoms, der Double Helix und das DNA und Einstein und Max
Plank, die man bei uns nicht erwhne gehrten schon zu den Klassikern. Was wuste ich von Trigonometrie und Hydraulik und von Mathematik berhaupt. Was ich ja beherrschte war Englisch, die Sprache der wenigen entsprechenden
Literatur die wir vorfanden; 1953 gab es kaum Lehrmaterial in anderer Sprache.Die jngeren unter uns waren noch nicht so weit von der Schulbank und dem Abitur entfernt und hatten Auffrischungen nicht so ntig. Die lteren Jahrgnge
fhlten sich verloren. Das heisst nicht, da es nicht Talente unter den 'alten' gab: da war eine, Jeke, der rechnete alles aus, bevor der Vortragende die Aufgabe nocht an die Tafel geschrieben hatte, weit vor dem Zeitalter der
Taschenrechner, zum Gaudium der ganzen 'Klasse'
So fingen wir wieder an, eine Klasse, mit Lehrer und Wandtafel. Im Rechnen Dreisatz, Algebra, Geometrie, bevor man zur Trigonometrie und Integralrechnung berging. Hier waren die
Gymnasiasten zu Hause, die alte Garde aber schwitzte Blut. Nicht gerade bei der komplizierteren Mathematik; dort fand sich von Anfang an keiner zurecht. Sondern bei den einfacheren Aufgaben, von Quarta oder Terzia. Man nahm sich
'Hausaufgaben mit aufs Zimmer und einige saen daran die Nchte durch und veranstalteten Amoklufe im Morgengrauen, vor Verzweifelung, bis in einer besonderen Versammlung darauf hingewiesen wurde, da alle diese kleinen bungen nur zur
Auffrischung des Gedchnis uns zum Verstndnis spterer Themen diene - nicht mehr.
Winja Cohen hatte versprochen die Natur- und Gesellschaftswissenschaften im Geiste des Fortschritts zu lehren - und der Fortschritt war nun einmal im Osten. Der dialektische
Materialismus fhrte nicht nur zu einer fortschrittlichen Gesellschaft - was anderes war der kibuzische Gedanke als "sozialistische Insel im kapitalistischen Meer"? - auch die Auffassung der Naturwissenschaften war der des Westens
diametral entgegengesetzt. "Die Sowjetische Forschung hatte zweifellos bewiesen, da Vererbung das Ergebnis von Umweltseinflssen ist. Genetische Einflsse schienen fraglich. Die westliche Vererbungslehre, die sich auf rein
biologische Auffassung sttzt, will damit nur das Versagen der kapitalisten Gesellschaft ber- tnchen. Der Beweis: nicht nur sowjetische Versuche (die sich bis dato nicht bewahrheiten lieen), sondern auch die Kreuzung
verschiedener Arten in einem der Kibuzim des Haschomer Haza'ir. Schwarz auf Weiss. "Natrlich mu man sich noch ein Weilchen gedulden, die Kreuzungen weigern sich vorlufig Samen zu produzieren..." So ein Professor der
Biologie, frisch aus dem Osten und Verehrer Lyczenkos. Mancher bemhte sich aus Taktgefhl ein Lcheln zu unterdrcken.
Natrlich, nicht alle Theman hatten politische Frbung; die europische Philosophie fhrte nunmal ber Kant und Hegel zu Marx und die moderne Wissenschaft fand ihren Niederschlag in
der Technologie "zum Besten der Menschheit". Uns aber interessierte augenblicklich Hydraulik mehr, deren Gesetze das Bewsserungsnetz beherrschten, Elektrizitt als Energiequelle und Chemie als Teil der Bodenkunde.
Die Wogen der Erregung gltteten sich also und die Diskusionen beschftigten sich Stichpunkten - zum Beispiel die groen Unterschiede, gesellschaftlich wie wirtschaftlich, zwischen
den einzelen Kibuzim und, zwangslufig, die entsezliche Lage in die Ejn-Charod geraten war. Die Vortrge zogen sich von acht Uhr morgens bis in die Spten Abendstunden hin, fr Nebenschlichkeiten blieb also nicht viel Zeit. Immerhin,
man brauchte sich nicht viel umzusehen, um der Kluft, die sich zwischen den Lagern aufgetan hatte, gegenwrtig zu werden. Die gegenseitige Feindschaft war nicht von heute auf morgen entstanden, sie war im Laufe vieler Jahre
gewachsen. Ejn-Charod, wie der gesammte Kibuz Hame'uchad als Dachverband und Bewegung war aus mehreren politischen Strmungen zusammengesetzt. Die Verschmelzung gelang nie. Es lebten da unter einem Dach Leute wie Levit, der uersten
Linken zugehrig und Livne, den man schon gut und gern als 'rechts' bezeichnen konnte. Viele Untertne klangen in diesem Gegensatz mit: "Sozialismus jetzt!" und Anlehnung an die Sowjetunion und auf der anderen Seite
Wirtschaftsentwicklung nach kapitalistischen Grundstzen, "das ganze Erez Jisrael!", jdische 'Tradition' mit religisen Elementen - die gesammte Farbskala der 90iger Jahre schillerte in Ejn-Charod bereits 1953. Es ist anzunehmen, da
diese abgrundtiefe Feindschaft ihren Ursprung noch in der Jugenbewegung in Europa hatte und in der persnlichen Ambitionen der um die Krone raufenden Prtendenten.
Die Spaltung der Partei 1944 erschtterte die ganze Arbeiterbewegung, traf aber besonders schwer den Kibuz Hame'uchad. Die Fusion des abspaltenden Teils, der'Achdut Awoda' mit der
Bewegung des 'Schomer Haza'ir' im Jahre 1948 zu einer Partei, Mapam, verschrfte noch die Spannungen. Dazu kam, da die Fusion der beiden Bewegungen niemals durchgefhrt wurde: der 'Sicherheitsfex' Galili und die 'sowjetischen
Trumereien' von Chasan lieen das garnicht zu. Die 'Prager Prozesse' 1954 machten alledem ein Ende; es kam zu erneuter Trennung. Doch die Spaltung des Kibuz Hame'uchad war nicht mehr zu verhindern.
In Ejn-Charod war das politische Zerwrfnis lebende Tatsache und zerri Familien. Der Kampf um weltanschauliche Prinzipien war nicht immer von gesundem Menschenverstand begleitet.
So erzhlten uns eine Mutter voller Stolz von ihren beiden Shnen, die aktiv (und nicht nur gewaltlos) um jeden Quadratmeter von Ejn-Charod kmpfen. Wie die Betriebszweige des Meschek noch aufrecht erhalten wurden, weiss ich nicht.
Ein Abkommen zu gemeinsamer Fortfhrung bestand betreff des Nirosta-Werks. Alles brige begann jede Seite fr sich allein zu entwickeln.
Das ganze 'Theater des Absurd' zeigte sich am deutlichsten im 'geteilten' Essaal. Der Mittelgang war die Grenze zwischen beiden Lgern. Jede Seite verfgtte ber einen Teil der
Kche. War das Essen in Ejn-Charod schon zu normalen Zeiten unter aller Kritik, so war jetzt von 'Mahlzeiten' im eigentlichen Sinne garnicht mehr zu reden. Kalter Tee wurde zu allen Jahreszeiten gereicht und in den Wintermonaten
kam das Essen in halb gefrorenem Zustand auf den Tisch. Was wir aen wiss ich nicht mehr, nur, da es keine 'extra-curiculare' Lsung fr uns gab: wir hatten kein Auto auf dem Parkplatz um ins nchste Restaurant zu flitzen.
Fruchtfolge war des erste Thema der Fhrung eines landwirtschaftluchen.Betriebs. 'Fruchtfolge' war damals in den Kibuzim heilig, ein Prinzip erster Ordung; in wie weit es beachtet
wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Viel hing von der Struktur des Meschek ab, von der Menge des Wassers, Gre der Pflanzungen, Rentabilitt der Produktion. Viel ndeerte sich nach der Staatsgrndung, nicht zuletzt dank der
Entwicklung der 'Einwanderer-Moschawim' und der Ansiedlungslinie der Jewish Agency, die nicht wenig von Ideologie und Politik beeinflut war.
Der 'Politruk' des Seminars, ein Chawer, der im Allgemeinen ber Philosophie und Gesellschaft dozierte, erffnete den Kursus mit einer langen Rede und dem Ansturm auf zwei Themen:
Monokultur und Industrie-Anbau. Monokultur, das war Getreide, Industrie-Gewchse - Baumwolle und Zuckerrben. Geraden an diesen beiden hatte die Kibuzwirtschaft weit greren Anteil als die des
Moschaw, abgesehen von den 'Einwanderer-Drfern' natrlich. "Monokultur heisst die Wirtschaft dem kapitalistischen Markt zu verpfnden!" Gemischtwirtschaft, an der auch Industrie und Handwerk teilhaben, garantiert Krisensicherheit
und ist nicht Privatinteressen ausgesetzt.
Privatinteressen gab es natrlich in Hlle und Flle, vor allem bei den Landwirten selbst und an der Spitze den Kibuzim. Zytruspflanzungen strten die Fruchtfolge kaum; mehr als 300
Dunam Pardess hielt kein Meschek. Industriegewchse dagegen waren in groer Mode. Kurz nach der Staatsgrndung hatte Sam Hamburg, jdischer Millionr und Baumwollzchter aus Texas, eine neue Baumwollsorte, 17/15, eingefhrt, an Stelle
der 'Pima', der gyptischen, langfaserien Variett (die sich nicht zum mechanischen Pflcken eignete) und damit auch neue Bearbeitungsmethoden. Im Emek Hajarden, bei Bet Joseph, grndete die 'County' eine Versuchsstation, die
Sam-Farm, von mehreren tausend Dunam unter Sam Hamburgs gide (alles war dort tatschlich amerikanisch, wenn auch nicht immer den hiesigen Verhltnissen angepasst, zu mindest was die Bden des Emek Hajarden anbetraf: ich selbst war
Zeuge, da nach einem regenreichen Winter Mitte Mrz ein D8 mit einem Pflug so gro wie ein Haus, den schwarzen, schweren Boden dort zu vergewaltigen suchte. Traktor und Pflug versanken bis ber die Achsen und die Umgebeung sah aus
wie die Schlachtfelder Flanderns im ersten Weltkrieg. Ich glaube nicht, da dort fr die nchsten Jahre nocht etwas gewachsen ist). Logistisch ist Baumwolle ein bequemes Gewchs; mit voller Mechanisierung knnen eine Hand voll Leute
tausende von Dunam bearbeiten. Auch vor Einfhrung der Pflckmaschinen konnten die Kibuzim ihre Jugendgruppen einsetzen - da aber war die Rentabilitt schon fraglicher.
Auch Zuckerrben waren fr die Kibuzim kein Problem. Hier konnte man sogar auf jegliche manuelle Arbeit verzichten. Zwei Raffinerien wurden damals im Land gebaut, eine in Afule
(fr die Kibuzim) und eine in Kirjat Gat (fr die Moschawim). Der Anbau war nicht schwierig, die Rentabilitt ungewiss.
Dann gab es noch den Mais als kurzfristigen Sommeranbau, Rentabilitt dem Wasserpreis entsprechend, zum Eigenbedarf.
Erst in Sde Mosche verstand ich die volle Tragweite der Diskussion um den Industrie-Anbau. Das Ansiedlungsdezernat der Jewish Agency wollte die Drfler (vor allem die
Neueinwanderer) zum Anbau von Baumwolle und Zuckerrben bewegen, schon um die Errichtung von Baumwollschlgerei und Zuckerfabrik im Bezirk zu rechtfertigen. Man malte uns ein Jahreseinkommen aus, das auf dem Papier allein nicht
einmal ein Minimum garantierte. Hier gab es nichts zu diskutieren; Industrie-Anbau rentierte sich nur in Kibuzim, des Umfangs wegen. Mit den paar Dunam des Moschawnik lohnte sich die ganze Sache nicht. Fr die Jewish Agency war das
Projekt politisch: es ging um die Absorbierung der Alija. Die nordafrikanischen Einwanderer zeigten keinerlei Neigung fr den Kibuz; wenn es nach ihnen gegangen wre, sie htten sich nicht einmal im Moschaw angesiedelt und
Landwirtschaft betrieben. Und schon garnicht Landwirtschaft, die von vornherein nur Hunger versprach.
Kehren wir zur Fruchtfolge zurck. Mit schien die ganze Angelegenheit von Anfang an nebelhaft. Nicht, da ich nichts von Fruchtfolge wusste, die Themastellung war etwas verwirrend.
Der Vortragende waer ein berhmter Professor der landwirtschaftlichen Fakultt, der auch in Mekwe Jisrael lehrte, Pedant und starrsinnig, der sich allein als Verknder der Lehre sah. Sein Grundprinzip begriff ich nicht: eine drei
jhrige Fruchtfolge von Garten-, Feldbau und Leguminosen als Grndnger. Ohne natrlich Grnfutter und Obst zu vergessen. Unlsbares Kreuzwortrtsel. Kein Wunder ich fiel durch und erntete einen Rffel des Herrn Professors. Der aber lste
uns keineswegs die rein wirtschaftliche Seite des Feldbaues. Schlielich lebten wir nicht mehr im 19ten Jahrhundert; einbringenden Anbau aus
Grnden eines Axioms abzulehnen entbehrte jeder Logik. Da man nicht drei Mal hintereinander Tomaten am am selben Platz macht wusste jeder auch ohne landwirtschaftliche Hochschule. Aber was tun - die dreijhrige Fruchtfolge galt nun
einmal in den Kibuzim als Grundlage der Gemischtwirtschaft; ob sie ihren Mann ernhrte war nicht bewiesen.
Die Lehre von der Fruchtfolge sttzt sich auf die Bodenkunde, deren hervorragender Vertreter im Land damals Jossi Neu war. Jossi Neu hatte sich als Dozent einen beinahe
stenographischen Stil entwickelt. Er sprach in Stichworten und wiederholte nicht zweimal das selbe Wort oder den selben Satz. Wehe, dem ein Steinchen aus dem Puzzel verloren ging, er war unwiederruflich gestrandet. Arrogant im
Auftreten verachtete er seine Zuhrer und war kaum bereit Fragen zu beantworten, wie ein Lehrer der lstige Schler abwimmelt. Hier aber hatte er mit Landwirten zu tun, fr die diese Fragen den Unterhalt bedeuteten.
Die Diskussion war nicht aus der Luft gegriffen: bereits in den dreissiger Jahren rumten viele der Gerte, die seit Generationen den Boden bearbeitet hatten ihren Platz neuen
Kombinationen ein, die zu uns von bersee, aus Amerika, kamen. Pferd und Pflug wurden durch den Diskus mit vielen Tellern abgelst, durch Kultivatoren aller Art und in feuchten Bden auch die Bodenfrse. Der
Traktor mit den Gummirdern bearbeitete die bewsserten Bden und schaffte dadurch neue Probleme, nhmlich die Zerstrung der Struktur. Aber auch damals htete sich mancher 'Star' vor bereilter Meinungsuerung zu einem
wirtschaftlich unabwendbaren Prozess...
Die Prager Prozesse fielen unserer Ideologen auf den Kopf wie der Blumentopf dem ahnunglosen Fugnger. Orenstein, ein er der Fhrer des 'Schomer Haza'ir' wra in Prag verhaftet
worden und sollte in einem Landesverratsprozess gegen die die Czechische Fhrung aussagen. Wilde antizionistische Propaganda begleitete den ganzen stlichen Nachrichtendienst. Die Verwirrung war gro. Teilnehmer des wirtschaftlichen
Seminars waren im allgemeinen keine Politiker; die gingen ins ideologische Seminar. Hier und da aber versuchte jemand zu erklren, was da eigentlich passiert war: Trotz intensiver czechischer Waffenlieferungen 1948 war Israel nicht
in den Ostblock abgeschwenkt; es schien, da die czechiche Fhrung dafr mit ihrem Kopf bezahlen sollte. In den Verrcktigkeiten von Stalin waren natrlich keine plausibelen Grnde zu suchen, ebensowenig wie die krankhafte Anlehnung des
'Schomer Haza'ir' an der 'Mutter des Sozialismus'. Einen dieser Tage fasste ich Tramp auf einem Lastwagen von Bet Sera. Der Lenker, ein junger Bursche, wusste nicht ein noch aus: "Wir wissen nicht was dort eigentlich los ist,
unsere Fhrer aber sind sicherlich im Bilde". "Warum erzhlt man Euch dann nichts?" "Sicher gibt es Grnde dafr".
Die Vernunftehe mit dem 'Schomer Haza'ir' ging als wieder auseinander und die Partei des Kibuz Hme'uchad, Achdut Awoda, ging selbststndig in die Wahren der Histadrut die im Mai
1954 stattfanden. Das ganz Seminar wurde zum bevorstehenden Wahlkampf mobilisiert; es war schwer sich davor zu drcken - alle Meschakim des Kibuz standen auf dem Kopf. Wir wurden dem Wahlbezirk Tel-Aviv zugeteilt, in die Jarkonstr.
110, die alte Parteizentrale. Das Drunter und Drber war klassisch, keiner wusste dort, was wir eigentlich zu tun htten. Wie bei der Oktoberrevulotion: Veteranen standen da mit strenger Mine Wache, vor wem wohl? Ich suchte das
Quartier der frischgebackenen Partei, 'Achdut Awoda'. Auf der Treppe hielt mich ein alter Mann an, amerikanischer Tourist, elegant, einen Brillanten in der schwer seidenen Kravatte. In amerikanischem Jiddisch fragte er micht, wo
hier die 'Poale Zion' wre. Ich lie mir schnell etwas zionistische Geschichte durch den Kopf gehen - 'Poale Zion' war einmal ein Teil der 'Mapai', vor dreiig Jahren. Der Jid, der in en 20uger Jahren nach Amerika auswanderte, kam
jetzt zurckt seine Jugend und ideologischen Wurzeln zu suchen, in Jisrael, das inzwischen auch ohne ihn erstanden war.
Ich fand eine Tr mit der Aufschrift 'Achdut Awoda'. Am Tisch sa Jigal Alon und um ihn herum noch ein Haufen politischer, kibuzischer Celebrities jener Tage. Man wies mich ins
Nebenzimmer, da war ein Tisch voll mit Couverts und dicken Adressbchern, scheinbar Listen der Kupat-Cholim. Daraus sollte man die Adressen der potenziellen Whlerschaft abschreiben. Wichtiger aber waren Hausbesuche. Die neue Partei
hatte sich ja bisher noch nicht selbststndig versucht und kein Mensch wusste, wie gro der vermutliche Sektor eigentlich sei. Die Wahlparole war ausschlielich gegen den 'Schomer Haza'ir' gerichtet: "Ganz Gro Siegen!" hie es. Was
aber die potenzielle Whlerschaft anbetraf, so mute man diese erst davon berzeugen, da das Heil in der 'Achdut Awoda' zu suchen war, Uber die kein Mensch das Geringste wusste. Die ganze Kibuzbewegung in all ihren Richtungen und
Strmungen machte auch damals nicht mehr als drei Prozent der Gesamtbevlkerung aus. Wenn auch nur Histadrutwahlen, die Whlerschaft war vorwiegend in der Stadt und scherte sich einen feuchten Staub um die ideologischen Nuanzen
einiger megalomanen Kibuzpolitiker. Ich, der nicht im Stande war jemanden auch nur ein paar Strmpfe zu verkaufen, sollte in der nagelneuen Nordaustrae in Nord-TelAviv den dort ansssigen Beamten und Akademikern der Histadrut-Elite
eine Partei aufreden, fr die in der ffentlichkeit nicht das geringste Interesse bestand. Meine unmittelbare Vorgesetzte in diesem Job, die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft predigte mit Moral: "Glauben! Ohne Glauben kein Kampf!"
Wozu denn eigentlich Kampf, im Namen aller guten Geister? Was zum Teufel tu ich denn hier, in einem absurden Auftrag, so wie man im 'Werdorf' jemanden schickte, den 'Erdhobel' zu holen.
"Viel reife Frucht blieb ungepflckt" klagte einer der abgehetzten Agitatoren; mir war keine Frucht, die sich fr 'Achdut Awoda' htte pflcken lassen, begegnet. Der 'Wahlkampf' mit
dem 'Schomer Haza'ir' wurde inner der Bewegungen entschieden; uere Stimmen gab es nicht. Der 'Sieg' war im Unterschied der Mitgliederanzahl, ein und einviertel Prozent, und das nach dem Riesenaufmarsch am 1. Mai in Tel-Aviv, mit
Jigal Alon an der Spitze. Aber auch Chasan und Ja'ari, Golda und Ben Gurion marschierten dort. Es ist eben dafr gesorgt, da die Bume nicht in den Himmel wachsen.
Wer sollte wohl die Vorlesungen ber 'Erziehung' halten, wenn nicht Segal, Vorsitzender des Zentral-Kommitees fr Erziehung und Leiter des Lehrerseminars 'Oranim'. Er wird sicher
nicht ber Kleinkinderprobleme reden, ber Disziplin und Ordnung in den Schulklassen, ob Zensuren verteilen oder Prfungen durchfhren. Er wird sich vor allem vorsehen, die Problematik der Gemeinschaftserziehung zu berhren, zentral
dem Leben der Kibuzgesellschaft, er wird auch keine Meinung uern zu der Frage, was vorzuziehen sei, Gemeinschaftswohnungen der heranwachsenden Jugend oder Anteil am Wohnraum der Eltern. Alle diese brennenden Fragen waren damals
noch garnicht reif zur ffentlichen Diskussion und dem Abschlachten 'heiliger Khe', wenn auch der Kibuz Hame'uchad bereits Unterschiede in Auffassung und Struktur aufwies.
Was Segal im Sinn hatte, wenn er sich an das Auditorium des Wirtschaftsseminars wandte, war der zentral Aspekt des knftigen Erziehungssystems: der wirtschaftliche. Erziehung
kostet vor allem Geld. Sollte jede Siedlung, jeder Meschek fr sich selbst ein in sich geschlossenes Erziehungssystem aufbauen, Grund- und Mittelschule mit Bibliotheken, Laboratorien, Fachleherschaft? Sicher schien die Antwort
darauf verneinend: in den meisten Siedlungen die Anzahl der Schulkinder war unter der Norm des Erziehungsministeriums. Gab es eine Alternative? Der 'Kibuz Ha'arzi' des 'Schomer Haza'ir' hatte sein Erziehungssystem
institutionalisiert: die Mittelschuljahrgnge besuchten Internate in den greren Kibuzim, voll eingerichtet und auf hohem Niveau. Die Regierung hatte schon 'Bezirksschulen' gegrndet, die hauptschlich die Kinder der Moschawim
besuchten. Die Eltern des Kibuz Hame'uchad schreckten davor zurck, ihre Kinder in Internate, oder, Gott behte, in Bezirksschulen mit Moschawimkindern oder Neueinwanderern aus den 'Entwicklungsstdten'. Der 'Kompromiss' wie seit
jeher: Gymnasium ja, an jedem Platz, Mittel - keine. Also gut, dann auch kein Abitur, die Ideologen waren schon immer dagegen, auch gegen Zensuren und 'sitzenbleiben', Abitur fhrte sowieso nur aus dem Kibuz
hinaus. Der Aufruf Segals an die knftigen Wirtschaftler des Kibuz: "Schafft Geld zum Aufbau eines unabhngigen geschlossen Erziehungssystems!" Auch wenn es jeglicher wirtschaftlichen Logik entbehrt.
Nicht jeder wollte sich mit dieser Linie abfinden. Tabenkin z.B. bemerkte einmal bei seinen gelegentlichen Besuchen im Vortragssaal, er sei durchaus fr Prfungen und Versetzungen
und sehe keinen Grund nicht am ffentlichen Abitur teilzunehmen. Aber Tabenkin war damals schon 'elder statesman' und die fhrende Schicht wollte ihn in Sachen die sie sich in den Kopf gesetzt hatten, nicht ernst nehmen. Wie dem
auch sei - viel Wasser ist seitdem den Jordan herunter geflossen und der Kibuz Hame'uchad hat seinen Anteil an vielen Bezirksschulen. Wie antwortete Chrustschow bei seinem Besuch in Amerika, damals, auf eine Frage David Sarnows?
"Auch in Pinsk hat sich einiges gendert, seit Sie ein Junge waren". Ich nehme an, auch hier.
Miriam aus Kabri sollte uns einige Begriffe betreffs Fhrung eines kibuzischen Familienhaushalts beibringen. Obgleich es keiner ffentlich eingestehen mochte, in den meisten Kibuzim
des Kibuz Hame'uchad war das Essen herzlich schlecht und nicht immer wegen mangeldem Budget. Es lag vielmehr an gutem Willen (Gvaram bildete da eine hervorstehende Ausnahme), aber auch an Arbeitsbedingungen und Inventar.
Was besser also als ein Demo, wie anders. Essaal und Kche von Kibuz Misra dienten damals als hervorragendes Beispiel. Mit offenem Munden standen wir da und staunten. Der mehr als
gerumige Essaal glich einem modernen Cafetaria, mit kleinen Tischen, Sthlen, Nirostabesteck und Porzellangeschirr. Die Kche, der Traum jeder Kchin: es fehlte hier kaum ein Gert oder Maschine, die in einem amerikanischen Katalog fr
kitchen equipment zu finden war. Alles Nirosta, blitzblank, Dampfkessel und Pfannen, Backfen und Geschirrwaschmaschine. Perfekt! - Nur eines fehlte, Dan Gelbert zeichnete es in einer seiner Karrikaturen: die
Maschine zum Kochen von weichen Eiern...
Wie fhrt nun eigentlich einen 'Meschek', einen landwirtschaftlichen Betrieb? Heue, nach dreiig Jahren Sde Mosche, verstehe ich ein wenig mehr, was das heit, als nach acht Monaten
Seminar. Damals verstand ich nichts. Die Verknder der kibuzischen Wirtschaftslehre namen an der Schlussvorlesung teil, mit erhobenem Zeigefinger so zu sagen: "Wir haben Euch in die Geheimnisse des Berufs eingeweiht. Handelt nach
den Grundregeln, die wir Euch beigebracht und nichts kann schief gehen!".
Als Schlussarbeit hatten wir einen Jahresplan auszuarbeiten, der alles enthielt was man von einem landwirtschaftlichen Plan verlangt: Aussaat und Pflanzungen, im Rahmen der
Fruchtfolge, Wasserverbrauch, Arbeitstage - allgemeine Kostenvoranschlge, die auch den Markt in Rechnung zu ziehen hatten. Kurzfristige Anleihen als Betriebskapital haben einzig und allein den nominellen Zweck zu dienen,
keinesfalls laufenden Ausgaben."Nehmt die Zgel in die Hand und sorgt vor allem fr eine geordnete Buchhaltung!"
Awraham Brum schilderte uns seinen Traum der fernen Zukunft, da jeder Kibuz zu Beginn des Jahres seinen Plan der Bank einreicht, die dann die Finanzierung der einzelen Projekte
gem den Jahreszeiten unternimmt und sich aus der sukzessiven Vermarktung bezahlt macht. Ein Traum damals, der aber in den 60iger durch die 'Landwirtschaftsbank' zur Wirklichkeit wurde. Den 'Brum-Club' nannten wir das Programm, an
dem Kibuzim und Moschawim teil hatten, bis Arik Scharon als Landwirtschaftsminister ihn dann buchstblich zerstrte, um seine Potemkin-Projekte in der Westbank finanzieren zu knnen.
Schulke Sack, Mitglied des Direktoriums der 'Bank Hapoalim' und Chawer Kibuz Giv'at Haschloscha war prosaischer: bei ihm kein 'Jeder nach seinen Bedrfnissen, jeder nach seinem
Knnen'. "Wenn Du nicht hast, friss nicht!", nach Milton Friedman. "There ist no free lunch!".
Das alles war aber sehr abstrakt. Ich beendete den Kurs mit dem Gefhl, man htte mir hier ein Spiel beigebracht, von dem alle, ausser mir, die Spielregeln kannten. Die in das Spiel
Eingeweihten mogeln nach Herzenslust, alle Anstndigen, alle Zgernden, fallen erbarmungslos durch. Joske aus Alonim, der Unermdliche, organisierte die Schlufeier. Er erschien auf der Bhne mit einem Fahrrad, darauf ein Plakat "Der
Meschek". "Setz Dich drauf", brllte er, "Du bist hier der Bos!" ("Ich hab' die Bank Hapoalim gesprengt" klang mit noch in den Ohren) Wirklich?
Aussenvertreter in Gvaram
Mit Stimmehrheit bestellte mich die Generalversammlung zum 'Gisbar', Aussenverteter, wozu war ich zum Seminar gegangen? Noach Schnfeld, der jetzige Vertreter wartete auf seine
Ablsung. Er hatte vorher das ideologische Seminar in Eph'al absolviert, das ihm eine Auffassung bolschewistischer Parteidisziplin vermittelt hatte: die Quadratur des Zirkels ist auch gegen den gesunden Menschenverstand
durchzufhren; zu essen muss zu Hause sein, die Betriebe mssen produzieren - come rain and high water - und dazu sind alle Mittel recht.
Die Auswechselung von Auenvertretern kann nicht mehr als wenige Tage in Anspruch nehmen. Man hat bei Banken und Dezernaten vorgestellt zu werden. Man hat vor allem
Selbstsicherheit auszustrahlen, das Gefhl zu verleien von einem Mann, bei dem einWort ein Wort ist und der sich auskennt. Das alles war fr mich natrlich spanisch. Nie war ich ge- schftlich ttig gewesen, hatte ein
Bankkonto besessen, hatte weder je einen Scheck empfangen, noch einen ausgestellt. Was das Seminar zu diesen Dingen erwhnt konnte ich beim besten Willen hier nicht anwenden.
Ich machte mit Noach die Rundgnge zu all den Pltzen, mit denen Gvaram geschftlichen Kontakt hatte, Bank Hapoalim, die Landwirtschaftsbank und das Finanzinstitut des Kibuz
Hame'uchad, 'Keren Hakibuz'. Darber hinaus gab es dann noch alle mglichen Banken und 'Agenturen', die man hflicher Weise als 'grauer Geldmarkt' bezeichnete. Gvaram schuldete nicht bermig viel, was auffiel, war ein groer teil
berhhter Zinsstze, weit ber den blichen Bankzinsen. Eine besonders zweifelhafte Geldquelle entdeckte ich in der 'Barcleys Bank', dort hatte Noach zwar ein Konto erffnet, die Anleihe aber bekam er 'privat' duch einen kleinen
Beamten daselbst fr 3% im Monat und auerdem hatte man ihm zu jedem Feiertag eine Kiste Eier zu liefern. Levante-Geschfte. Es gab da noch zwei drei Banken, bei denen Noach Konten erffnet hatte mit dem Versprechen, sie rege zu
benutzen, alles wegen der damit verbundenen 1000 Pfund Anleihe. Unser Geldumsatz gengte kaum fr eine Bank, beim besten Willen konnte ich mir nicht vorstellen, was mit mit zustzlichen Konten anzufangen.
Anleihen von tausend Pfund hatte Noach an allen mglichen und unmglichen Pltzen aufgenommen, in einer armseeligen Garage in der 'Alija', bei einer zweifelhaften
Versicherungsagentur in der 'Rothschild', einen aufgeblasenen Ballon, mit Noach seine Ablsung einleitete, ohne sich im Geringsten den Kopf zu zerbrechen, wie das alles
zurckzahlen, oder wenigstens die Zinsen dafr. Denn das Geld wurde einfach aufgegessen: Essen und Kleidung und Futter und Brennstoff mussten zu Hause sein.
Die laufenden Einnahmen des Meschek berstiegen nie die 20,000 Pfund im Monat, die monatlichen Ausgaben, inkl. lfd. Zahlungen dagegen betrugen das Doppelte. Um unter diesen
Bedingungen zu bestehen, brauchte man einen Akrobat.
Um das tgliche Brot Gvaram zu sichern war der Meschek einfach nicht entwickelt genug. Der Milchertrag lag weit unter dem Landesdurchschnitt, der damals schon die 6000 Liter
erreichte. Der Gemsegarten war klein, die Preise aber noch kleiner. Eier und Masthhnchen waren gut, aber das gengte bei weitem nicht. Getreideanbau lohnte sich selten im Sden des Landes; um rentabel zu sein htte man 400 Kilo pro
Dunam ernten mssen. Der Pardess blieb problematisch, troz Ausdnnung der Reihen zum modernen Standart 48 Meter sieg der Ertrag nicht.
Einmal im Monat konnte man in der 'Tnuva-Zentrale' Zahlungen auf Grund 'Interimsabrechnung' erhalten. Das war vor dem computerisierten Zeitalter und die Buchhaltungen arbeiteten
im Schneckentempo; Abrechnungen zogen sich Wochen hin. 'Tnuva', die groe Vermarktungsgesellschaft war daher bereit auf Grund mndlicher Angaben von im Laufe des letzten Monats vermarketen Produkten Vorschsse zu zahlen. Der
'Kuhhandel' spielte sich zwischen Vertreter und Beamten ab, ersterer die gelieferten Mengen nach Mglich aufbauschend, letzterer, der erfahrene Beamte, die Liste auf
ein Minimum be- schrnkend. Nicht selten waren die Gelder schon Monate vorher verausgabt, dank 'Tnuvagutscheinen', die man auf Grund knftiger Lieferungen erhalten konnte, die berall gern in
Zahlung genommen wurden, lieber als dubiose Schecks, die Vorlufer der Creditcart. Kein Wunder also da der Scheck, den der Vertreter des Meschek am Ende der 'Verhandlungen' in die Hand bekam, nicht selten enttuschte, aber immerhin
mehr der Wirklichkeit entsprach. Das ersehnte Geld in der Hand, stellte sich sofort die Frage, was als erstes tun. An erster Stelle standen natrlich die Laufenden Zahlungen an Banken und Einkaufsgenossenschaft. Noach aber hatte
eine unsinnige Menge vordatierter Schecks, auer seinen offiziellen und inoffiziellen Anleien, rings um sich verstreut und das machte eine geordnete Zahlungspolitik von vornherein unmglich.
Bildete der Kontakt mit den Banken den geschftlichen Rahmen, so war unsere Beziehung zur Einkaufsgenossenschaft 'Irgun
Mischke Hadarom' einfach die Lebensader. Der berwiegende Teil der Einkufe wurden ber die Einkaufsgenossenschaft gettigt, auch die Kufe in allen Abteilungen bei 'Maschbir Hamerkasi'.
Die monatlichen Zahlungen waren durch vordatierte Schecks zu decken (bei Leibe nicht Wechseln) und eine Schlieung des Kontos bei Zahlungsrckstand drohte stndig wie ein Damoklesschwert ber unseren Kpfen.
Zu Hause zeigte man wenig Verstndnis fr diese absurde finanzielle Situation. Den laufenden Bedrfnissen der Menschen wurde nicht Genge, wenn man Brennstoff oder Viehfutter
einkaufte. ber die Bestellung von Kche, Kleiderkammer und Krankenkassenbei- trgen hinaus blieb noch fr viele persnliche Einzelheiten zu sorgen. Passende Finanzierung von Huserbau fr 25 Jahre und niederigem Zinssatz gab es nicht,
aber auch fr einen einfachen Kleiderschrank frs Zimmer bestand keinerlei Aussicht. Fr den Kassierer von Gvaram war eine Anleihe, jede Anleihe, nicht mehr als ein augenblickliches Zahlungsmittel, keine Investition. Das war des
Pudels Kern.
Nach vierzehn Tagen blieb Noach zu Hause und berlie mich meinem Schicksal. Zu erklren gab es nichts mehr, klger und versierter war ich nicht
geworden. Zu tun gab es nichts. Machtlos stand ich einer einbrechenden Flut von ungedeckten 'geplatzten' Schecks gegeber, Noachs 'Abschiedsgeschenk' Ich wagte kaum am Donnerstag nach Haus zu fahren; wie sollte
ich Bestellungen fr laufende Ausgaben entgegen nehmen? Die Einkaufsabteilung des Kibuz Hame'uchad nahm Schecks von Gvaram nicht mehr an: "Was passiert, wenn ich den Scheck deponiere?" Damit endete eigentlich meine Karriere als
Aussenvertreter, nach drei Wochen. Auch Lipa, der Vorsitzende der Einkaufsgenossenschaft 'Mischke Hadarom' gab mir zu verstehen, da er in mit keinen Partner zur Verhandlung ber die weitere Kreditfhigkeit von Gvaram sieht. Was
hatte ich getan? Ich fhlte mich schuldig an einer Situation, die ich nicht geschaffen, die ich aber zu berwinden htte auf Grund der Ideologie des Kibuz. Ich schmte mich vor mir selbst, vor Frau und Kindern. Htte ich
Unterschlagungen begangen, ich htte mich nicht schuldiger fhlen knnen.
"Gescheitert bin nur ich!" - das wurde mir klar nach einer Unterhaltung mit einem der lteren Beamten der 'Bank Hapoalim'. Er lehrte
mich die Lehre sozusagen 'auf einem Fu': Es gengt nicht nur saisonbedingte Schwierigkeiten zu berbrcken, nachdem die Finanzstruktur der Landwirtschaft nicht ausreicht, die laufenden Ausgaben bis zur Vermarktung zu decken, die
Persnlichkeit des Auenvertreters ist hier entscheidend. Ich begriff: ich, der ich nicht im Stande war, jemanden auch nur ein paar Strmpfe zu verkaufen, sollte Bank und Einkaufsgenossenschaft von der Zahlungsfhigkeit Gvarams
berzeugen. Schlimmer noch, wie berzeuge ich mich selbst? Wenn ich Gebr. Jeruschalmi in der Allenby vordatierte Schecks zur Zahlung fr Hanfschnur fr die Strohpresse gebe, bin ich denn sicher, da die Milchwirtschaft, die
Verbraucherin des Artikels, die Rechnung berhaupt zahlen kann? Ist es nach rein monetarischer Logik nicht besser Heu und Stroh gleich zu verkaufen, um Schnur und Ersatzteile fr die Strohpresse zu sichern? Wie ich die Dinge sah,
gab es in Gvaram keine 'saisonbedingten Schwierigkeiten' Die Schwierigkeiten bestanden das ganze Jahr hindurch.
Nicht, da anderswo es besser aussah. Langfristige Investierungen wurden mit kurzfritigen Anleihen gemacht. Senta Josephtal aus Gal'ed arrangierte eine Dringlichkeitskonferenz der
Kibuzbewegungen. Levi Eschkol war damals gerade zum Finanzminister ernannt worden; man sprach schon ber die Mglichkeit einer amerikanischen Anleihe. Was wir verlangten war Konversion der kurzfristigen Anleihen in passende
langfristige. Senta, immer noch im berliner Akzent, pldierte fr die Sache, Levi Eschkol war weniger optimistisch. Scheinbar war der Geldmarkt an der herrschenden Situation mehr als interessiert. Neben mir sa Kadisch Lus, seines
Zeichens Landwirtschaftsminister und Mitglied von Degania. Er hatte keine Zigaretten mehr und fragte mich ob ich ihm aushelfen knnte. Scheinbar war auch Degania in Bedrngnis. Kuba Wilan aus Negba warnte vor Verlassen des
sozialistischen Weges (what ever that means). Fr israelische Verhltnisse war die Lage kompliziert: die Amerikaner wrden auf Investierung der Anleihen entsprechend der Deklarierung bestehen. Sie kennen weder unsere Usanzen, noch
unsere Mentalitt, eben 'die Mentalitt von Pinsk', wie sie Georg Josephtal einmal, noch drben in Holland, apostrophiert hatte.
Es dauerte noch zwei Jahre, bis man im Ernst die Konversion der Landwirtschaftsschulden in die Hand nahm, zuerst bei Kibuzim, dann auch die der Moschawim. Mittlerweile wurde es in
Gvaram klar, da ich nicht der Mann bin, der mit fnf Bllen in Luft jonglieren kann. Jehuda Rothschild wurde eingespannt, Anfanfangs nur zu meiner Untersttzung - und siehe da, alle Tren ffneten sich ihm, Lipa von 'Mischke Hadarom'
fhrte mit ihm ein langes Gesprch, Jehuda versprach ihm das Blaue vom Himmel und Lipa nahm sein Wort fr bare Mnze. Die 'Landwirtschaftsbank' besttigte eine Anleihe fr 'Sommergetreide' (bei uns das Unrentabelste von allen Gewchsen).
Jehuda schaffte sich auch die ungedeckten Schecks Noachs vom Leibe. Wie? Beim besten Willen, ich weis es nicht. Er forderte auch einen groen Teil der wenig ertrglichen Herde zu verkaufen um den allgemeinen Milchertrag zu
erhhen. Mir nichts Neues, mich aber htte man bei derartigem Ansuchen gelyncht. Der Leiter des Kuhstalls hatte seine persnlichen Grnde dagegen zu sein. Und wenn schon verkaufen, dann er selbst. Auch nichts Neues. Wir wussten, da er
bei privaten 'Verkufen' Prozente fr sich herausschlug. Der Verkauf durch 'Tnuva' wurde eingeleitet, der rger war gro und der Verkauf zog sich schleppend hin, Monate. Reform der Sowjetwirtschaft!
Das Geheimnis Jehudas war, da er sich ber unsere finanzielle Lage berhaupt keine Kopfzerbrechen machte; im Gegenteil - sie schien fr ihn das natrlichste Ding der Welt zu sein. Die
Akrobatik Noachs sah er als berflssig. "Die einzige Mglichkeit fr uns ist die Welt zu berzeugen, Gvaram zu nehmen wie es ist. Es wird schon alles gut werden!". Jehuda fuhr dann allein nach Tel-Aviv, ohne mich. Er tat, was auch ich
die ganze Zeit getan, Lcher stopfen und andere aufreien. Bei ihm ging das alles reibeungslos. Acht Monate war ich 'draussen', die acht Monate des Seminars habe ich also bezahlt. Uri van Esso, der unter mir als Einkufer fungierte,
war mit sich sehr zufrieden. Weshalb? "Es ist doch die natrlichste Sache der Welt, da wir kein Geld haben. Willst Du die gttliche Weltordnung umstoen?". Womit hat er eigentlich 'eingekauft'? Ich war nicht der erste Gisbar, der
seinen Posten so schnell gerumt hatte. Welwele rckte schon nach einer Woche aus. "Der Einblick allein gengt mir", erklrte er. Auch mir gengte es. Aber ich war im Schock. Fr viele Jahre.
Die Geschftswelt besteht auf striktes Einhalten von Abmachungen. Auch wenn Du ausserstande bist hast Du den Eindruck zu erwecken, da gleich, morgen Frh, Du Deinen Obligationen
nachkommen wirst. Kibuzische Ideologie befreit Dich nicht von geldlichen Verpflichtungen (was mich an Marduk Glcksman aus weiland Kibuz "Machar" erinnert, der einmal in Kfar Saba in einen Autobus von 'Eged' einstieg und behauptete
nicht verpflichtet zu sein eine Fahrkarte zu lsen, da er als Kibuzmitglied ber keine Mittel verfge). Woran ich mich persnlich nicht gewhnen konnte, das war schuldig zu bleiben und nicht an Ort und Stelle die Schuld zu begleichen.
Logisch war eine solche Haltung nicht und ich wusste sehr wohl wo die Wurzel des Problems zu suchen. In der Verdoppelung und Verdreifachung der Produktion nhmlich. Aber wie? Die Turia in die Hand nehmen, damit war noch
nichts getan. In Sde Mosche siedelte sich seinerzeit ein Ehepaar an, nicht mehr jung, das wollte mit leeren Hnden den furchtbaren Zauberkreis, den Mangel an Produktionsmitteln und Investitionskapital, durchbrechen. Im Wohnzimmer
zogen sie Kcken auf und hungerten sich das Futter ab. Vom Verkauf der Masthhnchen wollten sie ein Kalb kaufen und vom Erls des Stiers eine Geflgelwirtschaft aufbauen. Ein phantastischer Plan, aus Nichts Besitz zu schaffen.
Leichter, das Perpetuum mobile erfinden. Nach kurzer Zeit flohen sie Hals ber Kopf nach Brasilien, in den Slums von Rio fanden sie dann das passende wirtschaftliche Klima.
Auch Gvaram versuchte vieles. Wir versuchten Zahnpasta zu fabrizieren, mit Hilfe einer bekannten Kosmetikfirma, die glaubte durch uns den kibuzischen Markt zu erschlieen. Die
Kibuzniks aber standen nicht Schlange nach dem Artikel und begngten sich auch weiterhin mit dem Produkt der 'Kupat Cholim'. Wir versuchten auch unser Glck mit der Fabrikation von Waschseife, mit Hilfe eines privaten Teilhabers und
Fachmanns. Der aber wollte sofort Geld sehen und so wurde nichts aus dem ganzen Projekt. Die Rohstoffe in beiden Versuchen blieb man schuldig... Noch eine Lektion im Investieren und Entwickeln: sei Dein eigener Fachmann und
betreibe Markforschung bevor Du reinfllst.
Wem aber predige ich hier? Ich selbst hatte mir in den Kopf gesetzt in Gvaram Bananen zu pflanzen, trotzdem es fest stand, da wir nie die 30 Kilo per Staude erreichen wrden, wie
im Emek Hajarden oder zu Fen des Karmels. Doch nicht immer handelt man der Logik gem. Wieviel enttuschte Hoffnungen erwarteten uns in Sde Mosche, wieviel verlorene Investierungen. Nicht der Ertrag enttuschte, sondern der zu kleine
Umfang der Produktion (siehe Zauberkreis). Die Gestehungskosten sind konstant, der Erls variabel.
Zum Abschlu: Als Aussenvertreter hatte ich Gvaram keine hervorragenden Talente zu bieten. Das Seminar hat daran nichts gendert. Auch nicht die Ideologie. Ideologie ist Glaube. Der
Glaube soll angeblich Berge versetzen. Das tgliche Brot ersetzt er keinesfalls.
(Juni 1995)