Benjamin Radchewski
1937-1939
Werkdorp Nieuwesluis im Wieringermeer Polder, nicht weit von dem kleinen Dorf Wieringerwaard, war eineinhalb Fahrtstunden von Amsterdam entfernt. Man fuhr nach Norden, ber Alkmaar. Die Halbinsel Wieringen gehrte zum Gebiet des Zuiderzee, ein Binnenmeer durch die Sturmfluten des 12ten Jahrhunderts enstanden. Die Hollnder lernten zeitig das, was von ihrem Lande verblieben, durch hohe Deiche zu schtzen. Ein Absinken des Meeresspiegels an der Kste Frieslands in den letzten Hundert Jahren ermglichte die Entwickelung eines Projekts zur Eindeichung und Austrockenung weiterer Gebiete.
Das Projekt begann, wenn ich mich nicht irre, in den 20iger Jahren. Die eingedeichten Gebiete wurden durch ein verzweigtes Schleusen- und Pumpsystem leer gepumpt; der ussere Grenzdeich, der "Affsluitdijk", schloss das Ganze gegen das offne Meer ab. Der Wasserspiegel der eingedeichten Flchen, der 'Polder', sank und ein Drainage-System von Tonrhren und Grben sorgte fr weitere Austrockenung. Regen wusch deas Salz durch die Drainage aus und knstliche Dngung mit Stickstoffbakterien beschleunigte die Entwickelung der bentigten Bodenflora zur Bearbeitung der Bden und ihrer Parzellierung.
Eine dem Projekt vorgestzte Behrde war verantwortlich fr die Planung der Drfer und Anzahl der Gehfte in jedem Polder. Im Zentrum jeder Bodeneinheit stand ein Bauernhof - Wohnhaus und Scheune unter einem Dach. Grsse jedes Gehfts war an die 120 Morgen. Nach welchen Kriterien die Ansiedler ausgewhlt wurden, ob sie den Boden kauften oder pachteten, weiss ich nicht mehr. Auch der 'Wieringermeer Polder' war desgleichen organisiert und das 'Werkdorp' umfasste die Bodenflche, die fr das Dorf Nieuwesluis vorgesehen war. wohl an die 1200 Morgen.
Das Werkdorp als Hachschara war nach Art der Kibuzim in Erez Jisrl in diesen Jahren organisiert und aufgebaut. Im Zentrum stand das 'Gemeinschaftshaus', ein grosses, zwei- stckiges Gebude. Im Erdgeschoss befanden sich ein grosser Essaal und anschliessend die Kche, mit der sich allerdings kein Kibuz im Lande damals vergleichen konnte: sie war aufs Modernste ausgerstet, mit Dampfkesseln und elektrischen Bratpfannen, alles aus Nirosta, und Maschinen zur Bearbeitung von Gemse und zum Schneiden von Brot. Auch ein Khlhaus (mit Blockeis) gab es. Eine Anzahl kleinerer Sle in beiden Stockwerken dienten zum Unterricht und Versammlungen. Rings um das 'Gemeinschaftshaus' ersteckten sich Rasenflchen mit Blumenbeeten.
Die Lernbetriebe der Landwirtschaft im Werkdorp waren der Landbouw, Kuhstall, ein Geflgelhof mit Legehhnern und einem kleinen Inkubator, ein nicht zu grosser Gemsegarten mit Obstbumen. Zur Bearbeitung der Felder des 'Landbouw' dienten einige Gespanne, Pflge, Mher und sonstiges Gert. Dem Handwerk dienten eine grosse Tischlerei, eine Schlosserei und eine Arbeitsstube fr elekrische Reparaturen. Mit solchen Betrieben htte das Werkdorp ein betrchtliches Produktionspotenzial entwickeln und sich wirtschaftlich absolut fundieren knnen. Dem war aber nicht so. Die Landwirtschaft Hollands war damals, wie brigens heute auch, grsstenteils auf Export eingestellt, hauptschlich nach Deutschland. Die Weltwirtschaftskrise zwang auch die Deutschen dem Import aus den Nachbarlndern auf ein Minimum einzuschrnken. Die hollndische Landwirtschaft wurde dadurch schwer betroffen und war gezwungen durch strickte Rationierung ihre Produzenten am Leben zu halten. Es ist daher verstndlich, dass die hollndischen Behrden wenig Interesse hatten, dem Werdorp Produktionsquoten ber den Masstab einer Landwirtschaftsschule zuzubilligen.
Mitte April 1937 berschritt ich die deutsche Grenze nach Holland, um nie wieder zurrck zu kehren. Es war dies das erste Mal in meinem Leben, dass ich Deutschland verliess. Ein merkwrdiges Gefhl der Erleichterung, pltzlich 'frei' zu sein. Fr einen Juden war der Begriff 'Freiheit' am Vorabend des Ausbruchs des zweiten Weltkrieges relativ. In ganz Europa waren die Juden, unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda, von vorn herein verdchtig und sicher jeder Jude, der in dem entsprechenden Land als Auslnder galt. So auch in Holland. Der Ausdruck der Anteilnahme an dem Schicksal der verfolgten Juden, die nach 1933 in Holland Zuflucht suchten, ist eine Sage. Das Verhalten der Behrden spiegelte nicht unbedingt die ffentliche Meinung der wieder. Es gab zwar ein Asyl-Recht fr politische Flchtlinge. Wo aber steht geschrieben, Juden als politische Flchtlinge zu behandeln. Man konnte mitten auf der Strasse in Amsterdam von der Fremdenpolizei verhaftet und verhrt werden. Die vorgewiesenen Papiere sahen sie als unglaubwurdig an. Die stereotypische Frage war, wie lange man sich noch in Holland aufzuhalten gedenke. Nur ein Ausweis, nhmlich Aufenthaltsgenehmigung frs Werkdorp, befriedigte die Beamten: "alles Gute und viel Glck". Auch wer eine stndige Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis besass blieb nicht von derartigen Unannehmlichkeiten verschohnt. Die Beamten der Fremdenpolizei waren Nazis, die nur darauf warteten, unverhllt ihren Anschauungen gemss arbeiten zu knnen.
Mamma fuhr mit mir bis Amsterdam; nicht als Begleitung - sie hatte ein Safe in einer A'damer Bank und wollte bei dieser Gelegenheit mal nach dem Rechten sehen. Es gibt darber noch einiges zu erzhlen.
Mamma fand sich berhaupt gut im Ausland zurrecht, was Psse, Visen, Devisen, Unter-knfte und Einkufe anging, ohne dass sie je eine fremde Sprache gesprochen htte. In Amsterdam hatten wir eine Adresse, eine Pension, wo Juden aus Deutschland abzusteigen pflegten. Im Vergleich zu Berlin war Amsterdam eine kleine Stadt und von berraschender Sauberkeit. Die Wohnkultur Amsterdams war es Besonderes und Neues fr mich. Auch in mehrstckigen Husern hatte jede Wohnung ihren Eingang von der Strasse und ein eigenes Treppenhaus. Die Treppen waren schmal und steil und die Mbel wurden beim Einzug von einem auf dem Dach befestigtem Kran durch die Fenster gehievt. Im Vergleich zu Deutschland waren die Zimmer niedrig und klein. Nach zwei Tagen sightseeing nahm ich meinen Koffer und reiste nordwrts, ins Werkdorp.
Eine Fahrt durch Nord-Holland im April hat einen eigenen Zauber. Tulpenfelder in allen Farben des Regenbogens breiten sich ins Unendliche aus. Nord-Holland verkauft die Tulpen nicht als Blumen, es zchtet die Zwiebeln. Jede Blte-Saison vergrssert die Tulpenzwiebel ein wenig, bis sie nach drei, vier Jahren die Grsse erreicht, die der Markt verlangt. Die Blumenzchter kaufen die fertigen Zwiebeln und verkaufen sie ihrerseits an Grtner und Privatleute zum Blhen in Grten und Tpfen. Tulpen werden in Holland seit Generationen gezogen; letztlich hat man aber ein Patent entdeckt, um das Wachstum der Zwiebeln etwas zu beschleunigen: man schickt sie fr eine Saison nach Israel, und die Zwiebel kommt in markfertiger Grsse zurrck!
Ich glaube, die Eisenbahn fuhr damals nur bis Skagen, und von dort musste man den Autobus zum Wieringermeer-Polder benutzen. Der Polder war flach wie ein Tisch und kahl von Bumen und Struchern. Nur grne Felder und Weideland, durchzogen von Grben und Rinnen wie ein Rechenheft. Der Autobus hielt an einem Platz, der aussah, wie Jahre spter im Land ein Kibuz im Aufbau: Ein grosses, zweistckiges Gebude inmitten eines Rasens. Nicht weit davon, im Halbkreis angeordnet, ein schwarzes, zweistckiges Holzhaus und an die 15 lange, schwarze Baracken. Ausserhalb des Halbkreises und in weiterer Entfernung befanden sich grssere Bauten, die Schlosserei und die Tischlerei, und auch, was sich als 'Kleiderkammer' und Nhstube entpuppte - wie im Kibuz. Es gab dann noch eine Krankenbaracke mit rztezimmer. Und eine Baracke aus Wellblech - die ffentliche Dusche - ganz wie damals im Kibuz. Gegenber vom Camp (wir gewhnten uns daran, den Wohnbezirk als 'Camp' zu bezeichnen), auf der anderen Seite der Chaussee, standen noch einige landwirtschaftliche Ge- bude, eine grosse Scheune, wie erwhnt, und dicht dabei der Kuhstall mit Auslauf frs Vieh. Dahinter der Gemsegarten, der 'Tuin', mit einem kleinen Glasshaus und einiger Reihen Obst- bumen.
Der Autobus hielt und ich stieg aus. Es war in den Vormittagstunden und die ganze Gegend schien wie ausgestorben. Ein Schild wies in Richtung "Bro". Drin sass ein kleiner, bebrillter Mann jgeren Aussehens, mit schwarzem Kppchen. Er fragte mich im Ton eines viel be- schftigten Beamten was ich hier wnsche. Ich weiss nicht, ob ihn meine Antwort befriedigte, jedenfalls verwies er mich ins zweite Stockwerk (das Bro war im Erdgeschoss), an eine Faru Laufer, der Hausdame. Gerade an Frau Laufer hatte ich besondere Grsse auszurichten, und zwar von einem Ehepaar aus Wriezen, das, wie Frau Laufer, aus Beuthen stammte (Grsse auszurichten ist immer ntzlich bei Einfhrungen). Frau Laufer war eine usserst gut aussehende Dame; sie war geschieden und Mutter von drei Shnen, von denen zwei der Jugendgruppe im Werkdorf angegliedert waren, und der kleinste, der noch in die Schule ging, bei ihr war. Ich glaube, dieser Arbeitsplatz ermglichte es ihr, sich und ihre Kinder mehr oder weniger durchzubringen. Sie war auch verantwortlich fr Kleiderkammer und Nhstube - und ganz wie im Kibuz, erhielt man jeden Freitag Mittag sein Paket frisch gebrgelter Wsche und Kleider (gewaschen wurde ausserhalb(.
Man schien ber meine Ankunft informiert zu sein. ich bekam einen Platz in irgend einem Zimmer zugewiesen. Vorher aber bat man mich, mich dem Leiter des Werkdorp vorzustellen: Moshe Kaznelson sprach ganz gut Deutsch; ein Vierziger, zugehrig der `Aristokratie' der Juden Osteuropas und Erez Jisraels, der typische 'Mapai-Politiker' der damaligen Zeit. Offiziell leitete er das Werkdorf als Vertreter der 'Jewish Agency' in Holland, indem die Mehrheit in den Hnden der 'Allgemeinen Zionisten' war. Er kam nicht aus dem Kibuz, war hochgebildet und im Grunde war seine Stellung eine politische: die des linken Flgels der zionistischen Bewegeung, der Arbeiterpartei. Seine Frau, Lea, gebrtigte Berlinerin und erheblich jnger als er, war ehem. Mitglied des Kibuz 'Givat Brenner' gewesen. Der Klatsch wollte es haben, dass sie von ihrer Kibuzvergangenheit als einem 'Albtraum' sprach, immerhin etwas gewagt an einem Platz, an dem die Mehrheit der Praktikanten ideologisch dem 'Kibuz Heame'uchad' affiliert waren. Schon damals waren dem Eingeweihten die Unterstrmungen und Spannungen zwischem dem Kibuz und der Parteihierarchie bekannt, die spter verhehrende Folgen haben sollte; das aber gehrt zu den Feinheiten der 'Israel-Politics', von denen ich damals weder etwas wusste, noch verstand. Wir wechselten ein paar belanglose Worte, und damit begrenzte sich unser Kontakt whrend meines Aufenthaltes im Werkdorf. Nur einmal noch wandte er sich an mich: ich hatte mit mir, ich weiss nicht mehr warum, meine 'Hagada', eine besondere Ausgabe, die ich zur Barmizwa bekommen hatte. Aus irgendwelchem Grunde war er davon begeistert, und ich glaube, er hat mir die Hagada nie zurrckgegeben.
Ich erinnere mich nicht mehr, wohin ich einquatiert wurde. Die Unterkfte waren in den schwarzen, mit Asbest gedeckten Baracken. Ein 'Zimmer' waren im Grunde zwei aneinander liegende Rume, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Jede Baracke hatte sechs Wohneinheiten. Im Wohnzimmer stand im Allgemeinen ein Tisch mit sechs Sthlen, ein Wandschrank mit sechs Fchern, irgend eine Kommode oder Regal und ein Kanonenofen, mit Anthrazit heizbar. Im Schlafzimmer gab es sechs Betten, aus Brettern zusammengenagelt und eine Strohmatratze. Jeder installierte sich, so gut es ging, eine Nachttischlampe an seinem Bett. Im Zimmer sassen zwei oder drei Jungens, die sich wie 'Jugendbndler' benahmen, wenngleich sie ein wenig zu erwachsen dafr aussahen. Sie schienen auf mich Eindruck machen zu wollen. Sie sprachen unter sich Hollndisch und stellten sich spter als Angehrige irgendwelcher Berufsgattungen vor. Ich wusste nicht recht, ber was mit ihnen zu reden.
Der Essaal war fr mich etwas Neues. Im Vergleich zu den Esslen, die ich spter im Land kennen lernte, war dieser Essaal erstklassig eingerichtet. Tische und Bnke aus schwerem Holz, Bestecks aus Stahl und Geschirr aus Keramik. An jedem Tisch sass eine unserer Mdels als Verantwortliche fr geordnete Bedienung. Jeder Tisch sorgte kollektiv fr sein Essen, dass durch den 'Schalter' der anliegenden Kche gereicht wurde. Im Essaal ass man Mittags und Abends. Das Frhstck holte man sich ins Zimmer. Das Essen war deutsch-jdisch und כשר, unter Aufsicht des Amsterdamer Rabinats (dennoch habe ich nie einen משגיח im Werkdorf gesehen). Natrlich, wer schlankweg von Haus und Mutters Kche kam, der mochte sich wenig fr den 'Essaal' begeistern. Aber wir waren berrascht, die vielen 'Palstinenser', alle Kibuzniks natrlich, die das Werkdorf im Laufe der Zeit als Gste besuchten, wie verrckt auf das Essen einzuhauen zu sehen - wie nach einem Hungerstreik. Ert spter, im Land und im Kibuz, verstanden wir, warum...
Es darte eine Zeit, bis ich die Menschen um mich kennen lernte. Ich verstand bald, dass die Jungens, in deren Zimmer ich per Zufall geraten war, sicher nicht zu meinem zuknftigen Bekanntenkreis gehren wurden. Die Werkdorfbevlkerung war, was Alter und Bildung anlangt, sehr bunt. Die Jngeren, zwischen 16-18, sofern sie sich als Zionisten betrachteten, waren MIHA-Gruppen (Mittleren Hachschara) zusammengefasst,< Lerngemeinschaften hnlich der Jugendgruppen in den Kibuzim fr Ivrit und Allgemeinbildung. Ihre Instruktoren waren fr gewhnlich einige der lteren und gebildeteren Praktikanten. Die lteren waren formell Mitglieder des deutschen 'Hechaluz'. Auch fr sie gab es Ivrit-Kurse, im Allgemeinen unter Leitung von Lehrern oder 'Palstinensern'. Darber hinaus gab es unbegrenzte Mglichkeiten fr freie Lernkreise in beinahe jedem Gebiet, dass einen interessierte; immer fand sich jemand, der einen solchen Kreis bernehmen konnte. Viele unter den lteren Chawerim hatten bereits im wirtschaftlichen Leben gestanden, waren Akademiker und Mitglieder freier Berufe, Einige waren politisch aktiv gewesen, in den Linksparteien, unter ihnen geschworene Marxisten. Andere aber auch bewandert in Geschichte und Wissenschaften des Judentums. Ein paar Doktoren waren dabei. Aber auch viele musikalisch begabte - wunderbare Pianisten und Geiger. Chordirigenten und Versschmiede, fr gewhnlich der leichteren Muse ergeben. Man brauchte nur die ntige Energie dafr aufbringen - und das Joch der schweren Arbeit drckte nicht allzusehr auf uns.
Nicht jeder gehrte zur Bewegung an oder hatte ein Ziel vor sich. Aber auch unter den "orientierten" gab es nicht wenige, die sich nicht zur Alija nach Erez Jisrl verpflichtet fhlten, sollte sich inzwischen eine Einreise in die U.S.A., nach Australien, oder nach Sd-Amerika ergeben; und auf der Skala der Einreisemglichkeiten stand Erez Jisrl an unterster Stufe. Die Lnder West-Europa waren praktisch fr Juden geschlossen. Man verstand sehr wohl die drhnden Anzeichen des hereinbrechenden Sturmes; und viele wollten ihre Entscheidung nicht durch ideologische Erwgungen bestimmen lassen - die Entscheidung nhmlich, vor allem ihre Haut zu retten, und, wenn mglich an einen Platz, der auch wirtschaftliche Vorteile versprach.
Der Grundgedanke bei der Errichtung des Projekts 'Werkdorf' war die berufliche Umschichtung, um eine Auswanderung nach bersee zu ermglichen. War mit Auswanderung nun Nord- oder Sd-Amerika gemeint, so htte eine 'Umschichtung' im Stil vom Werkdorf dem Auswanderer nicht viel gentzt. Die Initiatoren des Projekts dachten immer noch in den Denkkategorien der JCA von 1880, die der etwas befremdlichen Ansicht frhnte, ein jdischer Landwirt oder Handwerker geniesse hhere Achtung in den Augen der Nichtjuden. Bekenntnis und Untersttzung des zionistischen Gedankens war weiten Kreisen des westlichen Judentums unbequem - und dies nicht nur wegen den Schwierigkeiten der Alija. Man frchtete, dass ein knftiger 'Judenstaat' den Status der Juden der westlichen Lnder gefhrden knnte.
Anfangs war ich ziemlich fr mich allein; ich war auch nicht besonders beweglich, Anschluss an andere zu suchen. Eines Abends klang aus einem der Sle des Gemeinschaftshauses Musik. Man hrte Schallplatten, das 'Forellenquintet'. Um das kleine Reisegrammofon (noch mit Handkurbel) sasen Leute und hrten zu. Keiner achtete auf mich, alles war so ruhig und gelassen. Ich glaubte aber nicht, dass ich hier so ohne weiteres Bekanntschaften machen wrde.
Am nchsten Mittag entstieg dem ankommenden Autobus ein junges Paar, beide braungebrannt, wie Bronze. Das Mdchen schritt voran, hinter ihr der junge Mann, wie eine Fregatte, die ihr Rettungsboot im Tau hat. Beide mit Koffern und Reisetaschen beladen, und jeder ein paar Ski auf der Schulter - als wie direkt von den Alpen. Auf die ehrfrchtige Frage 'woher' einiger Umstehenden antworteten beide in uniso 'Schweiz!' Das war Annemie Posner (der nachschwnzelnde Junge war rein zuflliger Natur), die ihr Glck auf Alija im Werkdorf versuchen wollte, nachdem sie in ihrem gottverlassenen skandinavischen Dorf daran verzweifelt war. Dann erschien dort im Essaal eine junge Frau in Gummistiefeln und rotem Kopftuch - die Melkerin, wie man mir erklrte. Donnerwetter, dachte ich, tatschlich Hachschara! Spter lernte ich jedoch, dass die Rechte der Frau nach beruflicher Gleichheit zwar unantastbar wren, die waltenden Umstnde aber die Leitung zwngen, vor allem fr Besetzung der Posten in Kche und Kleiderkammer zu sorgen. Auch hierin glich das Werkdorf absolut jedem echten Kibuz. Dass es Karla fertig brachte, drei Monate im Kuhstall zu arbeiten, war schon immerhin etwas.
Dann stiess ich eines Tages auf jemenden, der sich, wie ich, allein im Camp herumdrehte. Er war lter als ich. Wir begannen ein Gesprch. Er erzhlte mir, dass er erst gestern angekommen sei und sich nicht so recht in der kibuzischen Umgebung zurrecht fnde - wie in einem Jugendlager, und mit niemanden zu reden. Er hatte Deutschland bereits vor drei Jahren verlassen und lebte in Amsterdam als Flchtling, ohne Arbeits- und Verdienstmglichkeit. Letztlich hatte die hollndische Fremdenpolizei ihren Druck auf unbeschftigte Flchtlinge verstrkt, um sie zur Ausreise zu zwingen. Da aber die 'Flchtlinge' berwiegend deutsche Juden waren, waren die Behrden bereit, einen Aufenthalt bis zu einer mglichen Ausreise zu dulden - wenn dieser Aufenthalt u.a. in einem Platz wie das Werdorf war. Mit Hilfe des jdischen Flchtlingskommitees erreichte die Aufnahme ins Werdorf, wenn auch im Alter etwas ber dem Durchschnitt. Er erzhlte mir, er sei von Beruf Arzt, Doktor der Universitt Berlin. In Holland hatte er keine Mglichkeit als Arzt zu arbeiten. Die Ereignisse im April 1933 zwangen ihn und seine Angehrigen Berlin fluchtartig zu verlassen. Seine Eltern, in der Konfektion ttig, kehrten einige Monate spter nach Berlin zurrck, er selbst hatte alle mglichen Auswanderungsplne, u.a. auch nach Birobidjan in Russland - er behauptte in diese Richtung inkliniert zu sein (obgleich ich nicht den Eindruck hatte, er bessse irgendwelche marxistisch-ideologische Fundierung). Wie immer kam alles anders und aus einigen Monaten Wartezeit wurden Jahre und kein Ziel. Zum Schluss war auch fr ihn das Werdorf und Aussicht auf Alija der einzige Ausweg. Er stellte sich vor: Arno Goldschmidt.
Arno hatte keinerlei Kontaktschwierigkeiten. Eins zwei drei kannte er jeden - und ich durch ihn. Natrlich, er war Arzt und stellte sein Licht durchaus nicht unter den Schffel. Schon am nchsten Tage stberte er in der Krankenbaracke herum, machte sich mit der 'Krankenschwester' bekannt, visitierte das rztezimmer. Zwei Tage spter stellte er sich dem fr das Werkdorf verantwortlichen Arzt, einem Hollnder aus Wieringerwaard, vor. Der ernannte Arno sofort als 'Hilfskraft' fr die Krankenschwester. Es war ihm usserst bequem, jemanden am Platz zu wissen, der selbst entscheiden konnte, wann und ob ihn des Nachts ins Werdorf zu rufen. Nur eines musste Arno Dr. De Fries hoch und heilig versprechen: auf keinen Fall mit den Chawerim ber Verhtungsmittel zu reden...
Wie ich schon sagte, durch Arno erwarb ich mit einen grossn Bekanntenkreis, in dem ich eigentlich zu den Jngeren zhlte. Da war natrlich Karla; Arno und sie befreundeten sich einige Zeit spter. dann war das Ehepaar Heinz und Anni Levin (es gab damals einige Ehepaare im Werkdorf, die ihr eigenes Zimmer hatten), das, hauptschlich sie, dem beliebten Sport frhnten, andere aufs giftigste zu kritisieren. Zwei tchtige Tischler, beide Juristen von Beruf, Hans Golde und Dr. Alfred Gutsmuth (spter als Dr. Bar Menachem Brgermeister von Nathania). Da war der Tischler Alfred Zobel, bekannt durch sein treffendes Berlinerisch ("Die Frau, die mir heiratet is dhmlich - und ne dhmliche Frau heirat' ick nich!"). Inge Moser, eine wunderbare Violinistin, die zweistimmig singen konnte; allerdings tat sie das nur im Dunkeln - scheinbar musste sie ihr Gesicht dabei verziehen. Lola Punfud (Sentas Schwester), von natur sehr ruhig, die stundenlang unserem Kaffeeklatsch zuhren konnte. Einer der lteren Eigen- brdeler, auch aus der Reihe der Juristen und wunderbarer Pianist, war Manfred Laubheimer, vom Typ der etwas neurotischen Intellektuellen, die sich nie zu etwas entschliessen knnen und vor jeder Entscheidung zurrckscheuten; er blieb und kam nicht lebend heraus. Und da war Shimon Cosmann - Koschwitz im Volksmund geheissen, Auch er ehemaliger Jurist - aber das ganze Gegenteil eines Intellektuellen. Ein sprhender Rheinlnder, ganz so, wie man sich die Rheinlnder vorstellt: immer lustig aufgelegt, die Welt durch die rosa Brille betrachtend und das Leben fr einen grossen Witz haltend. Er war der geborene Kabarettist. Gerichtsurteile ausfertigen htte ich ihn mir nicht vorstellen knnen, aber Feuilletons, Sketchs und Drehbcher konnte er nur so aus den rmeln schttteln. Den Spitznamen 'Koschwitz' hatte er sich zugelegt wegen eines faulen Witzes, eines double entendre, das sich noch nicht einma zu Papier bringen lsst, und mit dem er sich mit Begeisterung jedem Neuankmmling vorstellte. Und Inge Feltenberg, das Teepppchen, deren Pfade hier im Land nicht mit Rosen bestreut waren und die frhzeitig in eine bessere Welt hinberging.
Das sind nur einige, wenige, andere werde ich vielleicht spter erwhnen. Im Anfang waren unsere Zusammenknfte wenig formell, bei Kaffee und Kuchen (irgend wer sorgte immer da- fr), aber von Camp-Klatsch und Politik kamen wir zum gemeinsamen Lesen. Anni Levin war eine begeisterte Anhngerin von Herrmann Hesse; sie erffnete einen "Hessekreis" und trug unserem Zimmer (6/3) damit den Namen 'Cafe Hesse' ein. Man kann hier vielleicht den Beginn des Zusammenschlusses unserer Alija-Gruppe sehen. In unserem Zimmer schrieb Koschwitz seine Feuilletons und Scenarien, hier grndeten wir die Wochenzeitung des Werkdorfs, das "Schwu'on", hier war spter das "Hauptbro" unserer Alija-Gruppe. Nicht wenig Kaffee und Kuchen wurden verzehrt und Suse Cohn und Lotte Ebel brieten einmal auf einem Primuskocher Pfannkuchen fr dreissig Teilnehmer. Aber ganz so idyllisch war das alles keineswegs; es gab auch viele Spannungen unter uns, und der Grund dafr war das enge Zusammenleben und die Ungewissheit unserer Zukunft.
Gesellschaftlich standen die verschiedenen Betriebszweige beinahe im hierarchischem Rang. An der Spitze der Pyramide stand die Tischlerei, gefhrt von einem deutschen Tischlermeister, 'Meester Hirsch' (Nichtjude), der als aktiver Sozialdemokrat nach Holland geflohen war (mit Einmarsch der Deutschen wurde er zwar eingezogen, kehrte aber nach Kriegsende nicht mehr nach Deutschland zurrck, sondern ging nach Australien). Gutsmuth, Golde und Zobel gehrten zu den Sttzen des Betriebes. Die Tischlerei hatte den grssten Teil des (hlzernen) Inventars im Werkdorf hergestellt. Die Tischlerei als Betrieb sprach sich das Recht zu, Elemente, die ihrer Meinung nach einen 'negativen Individualismus' an den Tag legten, entsprechend zu 'bestrafen' durch eine sogenannte 'berlage`. Der Verurteilte wurde von vier Mann zur Exekution geschleift, und dort verabreichte ihm jeder der beteiligten 'Richter' eine auf das Hinterteil. All das geschah unter Vorankdigung und zum Gaudium einer grossen Zuscharmenge. Bses war nicht beabsichtigt - nur dass nicht jeder der 'Verurteilten' einen Witz darin sehen wollten. So musste die Tischler schliesslich schweren Herzens auf ihre 'Gerichtsbarkeit' verzichten; die Zeitlufte liessen auch nicht mehr viel Zeit zum Lachen brig.
Die Schlosserei stand unter der Leitung eines hollndischen Schlossermeisters. Die Arbeiten der Schlosser beschrnkten sich meistens auf die Gebiete, die auch in den Fachschulen gelehrt werden. Zusammen mit der Tischlerei waren die Schlosser verantwortlich fr den technischen Sicherheitsdienst im Camp - an erster Stelle die Brandwache. Das ganze Camp bestand, mit Ausnahme des Gemeinschaftshauses, aus Holzbaracken, noch dazu mit Kanonenfen beheizt. Die Ferversicherung verlangte daher Nachtwache und eine gebte Feuerwehrmannschaft. Die Nachtwache wrte meist, bis der letzte Ofen im letzten Zimmer ausgegangen war. Die Feuerwehr aber musste ihr Knnen durch stndige bungen unter Beweis stellen. Eine Feuerwehrbung glich einer Kulthandlung. Mit dem Geheul der Sirene rannte jedes Mitglied, sich vor allem erst Uniform und Helm aus dem Zimmer zu holen. Sammelpunkt war der Feuerwehrschuppen. Dort stand bereits der Kommandant und bellte Befehle. Gerte wurden verteilt, Schluche zum nchsten Hydranten geschleppt, irgend jemand hielt eine Stopuhr in der Hand - in krze: The Rites of Spring, Werdorfausgabe. Es herrschte die allgemein-pessimistische Ansicht, dass man sowieso zu spt kommen wrde, den Brand rechtzeitig zu lschen. Zwei vorangegangene Brnde hatten das bewiesen. Um so mehr sei daher Nachdruck auf die bung zu legen. Zumal nicht selten hohe Gste von Ausserhalb, Curatoren oder sonstige VIP's, Zuschar einer solchen bung zu sein pflegten - hnlich wie heute IDF seine Tanks vor Vertretern der Bonds auffahren lsst...
Der dritte Betrieb im Rang der Hierarchie war der 'Landbouw'. Gefhrt wurde der Betrieb durch einen hollndischen Landwirt. Der Feldbau war weniger eingeschrnkt in seiner Produktion. Getreide, Grnfutter und Heu waren nicht rationiertt. Jeder, der nicht gerade Handwerker sein wollte, sah darin die echte Landwirtschaft. Feldarbeit ist immer schwer, damals viel mehr als heutzutage. Es gab bereits Mhbinder, die Garben banden, aufladen musste man mit der Hand. Einen Combine, der an Ort und Stelle drischt, gab es bei uns nicht. Das besorgte, wie seit jeher, die gemietete Dreschmaschine in der Scheune. Dort wurde auch das Stroh gepresst. Auch Futterrben wurden angebaut. Alles mit der Hand, von der Aussaat bis zum Einsammeln. Herausgenommen wurden sie im November. Das Wetter war kalt und regnerisch und der Boden kncheltiefer Schlamm. Natrlich konnten die 'Landbauer' nicht allein damit fertig werden, und so wurde alles, was nur irgend Beine und Hnde hatte, mobilisiert.
Wieviel Khe der Kuhstall hatte, kann ich mich nicht mehr erinnern, wahrscheinlich nicht viel mehr als 15-20. Ich weiss auch nichts mehr ber den Milchertrag. Ich weiss nur, dass wir im Werkdorf Milch unbegrenzt und immer frische Butter hatten...
An unterster Stelle der gesellschaftlichen Rangliste stand der Tuin, der Gemse- und Obstgarten. Er sah gepflegt aus wie eine Puppenstube, mit einem (nicht heizbaren) Glasshaus und Glassksten (Beeten). Obstbume waren feinsberlich zu Seiten der Pfade gepflanzt. Ein Hhnerstall, mit einer Hand voll Legehhnern und ein winziger Inkubator vervollstndigten das Inventar. Wie gesagt, an irgend einen kommerziellen Anbau war nicht zu denken, und so pflanzte man hier und da eine Reihe Bohnen, Erbsen, Blattsalat, Endivien - ehrfrchtig bestaunt. Vorstand dem allem ein alter Hollnder, ein pensionierten Lehrer einer landwirtschaftlichen Schule, Mijnheer van der Laan, ein grosser Theoretiker vor dem Herrn, der viel Leidwesen durch den gesunden Menschenverstand seines Gehilfen, eines biederen Landarbeiters mit Namen Slaabekoorn, erfahren musste.
Es war eine bunte Schar von Praktikanten, die sich da im Tuin angesammelt hatte: solche, die keine Neigung zum Handwerk hegten, andere, die sich weder fr die Mist- noch Heugabel begeisterten, aber auch manche mit wirklichem Interesse am hollndischen Obst- und Ge- msebau, der damals in Europa berhmt war. War auch der Betrieb nicht viel mehr als ein Schaukasten, so versuchte man doch allen Ernstes das sich anzueigenen, was geboten wurde. Das heisst nicht, dass nicht gengend Witzbolde unter uns waren, die keine Gelegenheit vor- ber gehen liessen, van der Laan und seine Theorien durch den Kakao zu ziehen. Koschwitz war darin natrlich fhrend, aber richtig lustig wurde es, als sich Arno dem Betrieb zugesellte. Arno stellte sich Herrn van der Laan gleich am ertsen Tage als Arzt vor, und als Beweis lud er ihn in den Hhnerstall ein, wo er zum allgemeinen Gaudium einige Hhner hypnotisierte. Van der Laan war tief beeindruckt, wenn auch unter gewissem Vorbehalt, denn als Mitglied der Nieuwe Nederlandse Kerk, d.h. der Fundamentalisten, sah er sicher in der ganzen Sache Blend- und Satanswerk. Den theoretischen Unterricht - etwas organische Chemie, Boden- und Planzenkunde, gab er in den Nachmittagsstunden. Ich selbst fand Interesse daran - in der Schule war ich nicht einmal so weit gekommen - fr die Akademiker war das ganze natrlich lcherlich. Dazu war auch das Deutsch, dessen sich Herr van der Laan befliss, fr die meisten unverstndlich. Es wurmte Herrn van der Laan nicht wenig, dass er so gar keinen Eindruck auf seine akademischen Zuhrer machen konnte. Er beschloss daher, die Vor- trge in gutem Deutsch auf stencil zu verbreiten. Er lud daher einige von uns ein, u.a. auch mich, in seiner Wohnung in Wieringer Waard bei einem Glass Tee und einem (1) Kuekje (ganz im Stil sparsamer hollndischer Gastlichkeit) das Material in die Schreibmaschine zu diktieren. Unsere Aufgabe war es, das Kauderwelsch ins Deutsche zu bertragen. Das war schon von sich aus gar nicht so einfach; Hollndisch ist zwar deutschen Ursprungs, im Laufe der Generationen aber hat sich die Bedeutung vieler Wrter gendert, wenngleich die Homonyma weiter existierten. Dazu kam dann noch, dass auch die Bildung des Hernn van der Laan nicht so ganz Hieb- und Stichfest zu sein schien. Um mit akademischem Jargon zu imponieren, bezeichnete er gewisse Mangelkrankheiten, die Avitaminose, mit: A-Vitaminose, B-Vitaminose, C-Vitaminose, enstsprechend dem Mangel an A, B oder C. Die meisten Schwierigkeiten bereitete ihm das Wort 'kippen'. Ich weiss nicht, ob er je begriffen hat, dass man im Deutschen eine Schubkarre nicht 'umhhnert', wenngleich auch 'kippen' auf Hol- lndisch 'Hhner' sein mgen. Es braucht gar nicht besonders erwhnt zu werden, dass der 'Tuin' Koschwitz Material fr ein abendfllendes Program lieferte.
Ob ich nun im Werkdorf die Landwirtschaft erlernt habe? Zweifellos bin ich den grundlegenden Elementen nahe gekommen in einem Material, das mir von Beginn vllig fremd war. Genutzt hat mir das meiste in Erez Jisrael wenig - so weit auch Kollegen von ehemals das Gegenteil behaupten mgen. Die klimatischen- und Bodenverhltnisse im mittleren Osten sind mehr als unterschiedlich zu Westeuropa. Dazu kommt noch, dass der zweite Weltkrieg eine totale Umwlzung der landwirtschaftlichen Auffassung brachte - agrotechnisch wie konomisch. Israel braucht sich seiner Landwirtschaft nicht zu schmen, aber wenn man mit dem einzelen Landwirt spricht, so ist das gute Jahr fr ihn immer das nchste. Und das Damoklesschwert der berproduktion hngt nach wie vor ber jedem Anbauzweig. Und es hilft keinem, dass ein anderer Teil der Welt hungert - mgen die Grnen und anders Gefrbten noch so viel darber philosophieren. Nein, auch ohne den 'Tuin' im Werkdorf htte ich meinen Meshek in Sde Moshe aufbauen knnen - jedoch nicht ohne das Werkdorf. Aber das, wie Fontane sagt, 'ist ein zu weites Feld'...
An erster Stelle der kulturellen Beschftigung im Werkdorf stand natrlich das Erlernen der hebrischen Sprache. Die Lehrer waren meistens 'Beauftragte' aller mglichen Stellen, offiziellen oder halb offiziellen Charakters, nur war es nicht immer ganz klar, wer die Stelle und was der 'Auftrag' war. Einer unser Lehrer war z.B. Joseph Chanani, seines Zeichens Volksschullehrer in Petach Tikwa. Chanani sah sich aber an erster Stelle als Schriftsteller, und die mehr als reichliche Freizeit eines Ivritlehres im Werkdorf sollte ihm ermglichen, ein weiteres Buch zu schreiben. Aber unterrichten konnte er und ich kam bei ihm allen Ernstes vorwrts. Nur eines konnte er mir nicht beibringen: Interesse an der zeitgenssischen he- brischen Literatur - auch wenn sie nicht aus dem Jiddischem bersetzt war. Es waren die Klassiker des 19ten und Beginn des 20ten Jahrhunderts. die mich nicht warm werden liessen. Es war die Atmosphre des osteuropischen Milieus oder die Mentalitt des nachrevolutio- nren Russlands, dass diese Literatur beherrschte. Vielleicht durfte man nicht in Thomas Mann und Stephan Zweig aufgewachsen sein, um in dieser Literatur heimisch zu werden (und nicht nur in Ivrith: vor zwei Jahren brachte mir Karla den 'Butt' von Gnther Grass; sie war nicht im Stande mehr als 20 Seiten darin zu lesen). Natrlich ist der Schlssel zum Verstndnis der modernen hebrischen Literatur die Kenntnis in Bibel und Talmud - und die habe ich nie besessen. Aber mehr oder weniger fliessend zu sprechen begann ich bald.
Die Lehrer wechselten sich ab. Eine Weile unterrichtete uns der Maler Arje Aroch, der sich in irgend einem 'Auftrag' in Holland herumdrehte (er muss als Maler etwas gewesen sein, denn das stdtische Museum in A'dam kaufte einige Bilder von ihm). Dann war ein Chawer mit Namwn Zwi Kuttner aus Degania B'. Seine 'Sendung' bestand darin, dass er mit seiner Frau auseinander gegangen war und den Aufenthalt in Holland zwecks seelischer Gesundung ben- tigte. Nun war aber nicht jeder, der das Werkdorf besuchte in offiziellem Auftrag unterwegs. Der weitaus grsste Teil waren einfach 'Kibuznikim', von denen kein Mensch wusste, wer ihnen die berfahrt bezahlt hatte. Den Kontinent selbst bereisten sie als 'Trampisten'. Der Besuch im Werkdorf war nicht mehr als noch ein oder zwei bernachtungen mit Vollpension. Nach 1938 nderte sich das Bild: die Zigeunerscharen verschwanden und wer dann noch kam, der meinte 'Business'. Der Dachverband des 'Kibuz Hame'uchad' sandte im Sommer 1938 Uri Koch aus Na'an, einen ehemaligen Breslauer, nach Holland mit der Aufgabe, koste es was es wolle, unsere Alija nach Erz Jisrl vorzubereiten. Das war natrlich nicht eine Sache des guten Willens oder frommer Wnsche. Die Zusammenarbeit eines grossen Kreises von Vertretern der zionistischen- wie der Kibuzbewegung und vor allem der 'Hagana' war notwendig, um unsere Alija im Sommer 1939 zu ermglichen.
Unsere kulturelle Ttigkeit wuchs im Laufe der Monate. Unter den neu Hinzugekommenen waren viele, die ausgezeichnet alle mglicen Instrumente spielten, und bald hatten wir ein Kammerorchester, dass sich sehen lassen konnte. Anni Levin vergrsserte ihren Chor, und wider meines besseren Urteils schloss ich mich an. Nicht fr lange. Der Bruch kam, nachdem ich, vielleicht zu Unrecht, eine etwas abfllige Kritik ber eine unserer Auffhrungen - die 'Ja Sager' von Kurt Weill - geussert hatte; es war blich, in allem zu bertreiben. Anni war tief beleidigt und ich hatte die Konseqnzen zu ziehen.
Eine der schnsten Auffhrungen, die zu unserer Zeit war zweifellos die 'Bauernkantate' von Bach. Ich habe im Laufe der Jahre die Kantate fters im Radio gehrt, doch keine der Bearbeitungen hat mir so gut gefallen, wie die unsere im Werkdorf (ich erhebe keinen Anspruch auf Objektivitt). Ein volles Kammerorchester, verstrkt mit Blockflten, Chor und Solisten. Annemi Posner war uns schon als zwar kein Saalfllender, aber geschulter Alt bekannt, durch ihre Schubertlieder (`schreib im Vorbergehen ans Tor Dir gute Nacht...'); in der 'Bauernkantate' war sie ganz gross. Unvergesslich war auch die 'Kindersynphonie', die damals noch Joseph Haydn zugeschrieben wurde - mit Koschwitz an der Blechtrommel. Manfred Laubheimer konnte brillant den 'Harmonous Blacksmith' und die 'Goldberg Variationen' wiedergeben. Dramatische Talente tauchten auf. Ich entsinne mich an Jola Jakobson, der nicht nur spielen, sondern auch Schauspiel und Posie rezitieren konnte. Der Hhepunkt aber war ein bunter Kabaretabend, mit Koschwitz als Conferencier. Schlager und Knittelverse waren selbstfabriziert. Die Spitzen richteten sich, wie gewhnlich, gegen das Personal, an der Spitze Moshe Kaznelson. Der hatte unzhlige Fahrstunden hinter sich, ohne zu einem Fhrerschein zu gelangen, und auch seine Urteilskraft betreffs grsserer oder kleinerer Konflikte, die uns damals bewegten, wurde angezweifelt.
In diesen Monaten kam zu uns aus Paris ein Ehepaar, das dort einige Jahre als Flchtlinge gelebt hatte - Leo Schwarzschild und Frau Rita. Er war ungeheuer belesen, nicht nur in marxistischer Philosphy, sondern auch in Francois Villon und zeitgenssischer Pornographie. Er erffnete einen Kreis ber dialektischen Materialismus - aber wichtiger, er bernahm die Redaktion der Wochenzeitung, das 'Schwu'on', die beinahe bis zum Schluss jede Woche erschien. Als technische Grundlage diente meine Schreibmaschine (ohne Schreibmaschine htte man zu Haus nie eine Zeile von mir gesehen). Eine alte Kopiermaschine befand sich irgendwo in einem Schuppen - die einzige Ausgabe waren stencil - und los gings. Auch ich leistete meine Beitrge (im Erinnerungsheft, das '89 im Kibuz Kfar Menachem herausgegeben wurde, sind noch einige davon abgedruckt). Wie gewohnlich bertrieben wir in vielem, aber wenn man diese Zeilen heute liesst, so empfindet man auch die Atmosphre der Angst, der Spannungen und der Ungewissheit wie damals.
Drohende Wolken kommender Katastrophe zogen nicht nur am europischen Himmel auf. Deutschland war aufs neue bewaffnet. Franco siegte in Spanien und die Englnder und Franzosen hatten nur eine kalte Schulter fr die spanische Republik; wichtiger war es, Hitler nicht zu nahe zu treten. Im fernen Osten gab sich Japan lngst nicht mehr mit China zufrieden; die Manschurei - wenn nicht die brige Welt - war ihr nchstes Ziel. Die Unruhen in Erez Jisrael, die 1936 ausgebrochen waren, zerstrten nicht nur die Balance, eine Art ungeschriebenes Abkommen zwischen den Lagern seit 1929, sie erwiesen aufs Neue die Brutalitt des jdisch-arabischen Konflikts und die unnachgiebige und unvershnliche Haltung der Araber den Juden gegenber. Zeigte doch auch die westliche Welt, dass die Juden ein strender Faktor sind, auf den man nicht besondere Rcksicht zu nehmen hat. Was im Falle eines neuen Weltkrieges geschehen wurde, daran wagte keiner zu denken. Fliehen - wohin? Alija - wie?
Rosch ha Schana 1937 hatte in Doetingem (Ostholland) ein Treffen des gesammten hol- lndischen 'Hechaluz' stattgefunden. Es sei hier zu erwhnen, dass das Werkdorf durchaus nicht der Schwerpunkt der hollndischen Hachschara war. Es war dies eine hollndisch- jdische Institution, die 'Deventer Vereeniging', die die Praktikanten als Arbeiter bei hol- lndischen Bauern unterbrachte. Der Entgelt war Schlafen und Essen und die Verpflichtung des Bauern, den Praktikanten ein Maximum an Fachkenntnissen beizubringen - soweit das in seinen Krften stand (nicht jeder Bauer besass weitgehende Schulbildung). Das System war beraus erfolgreich. Wohl ntzte hier da ein Bauer seine billige Artbeitskraft etwas ber die Norm aus, im grossen ganzen knpften sich gute Verhltnisse zwischen Bauer und Praktikant an, von denen auch manche weit ber den Krieg hinaus in Korrespondenz und Zusammentreffen whrten. War auch mancher Bauer schwerfllig im Erklren, so war doch der Praktikant ge- ngend gebildet, um ohne besondere Schwierigkeiten zu begreifen, was man von ihm wollte - und warum. An erster Stelle stand natrlich die Milchwirtschaft - und man kann wohl ohne bertreibung behaupten, dass die Grundlagen der Milchwirtschaft in Ejn-Charod und Beth-Haschita, und damit in ganz Erez Jisrl in der Deventer Hachschara gelegt worden waren. Die Deventer Vereeniging hatte auch ein Handwerkshachschara (Ambacht) und verteilte Praktikanten in Utrecht und Ijmoiden.
Bei diesem ersten Treffen lernten wir den grssten Teil der ausserwerkdrflichen Chawerim kennen, mit denen wir spter nach Kibuz 'Machar' gingen. Man tauschte Erlebnisse und Meinungen aus, aber auch nicht wenig 'Ideologie'. Die Neigung war allgemein zum Kibuz Hame'uchad, und unser Bestreben eine selbststndige Gruppe in diesem Rahemen zu bilden. Oberstes Prinzip: landwirtschaftliche Ausbildung und krperliche Arbeit! Die Leute aus Deventer lehnten uns, das Werdorf, mit einer Handbewegung und nicht zu hflichen Bemerkungen ab: "Prinzenhachschara, Luxusdasein, unglaublich, dass die Bewegung Euch berhaupt anerkennt...". Was Schwerarbeit und krperliche Anstrengung anbetraf, hatten sie vielleicht recht. Aber im Werdorf sah man auch die andere Seite der Medaille: viele unter uns sprachen schon fliessend Ivrit, viele nahmen an den politischen Auseinandersetzungen teil und schlossen sich im Land den fhrenden Krften an. Natrlich konnte niemand den Chawerim der Einzelhachschara einen Vorwurf machen, wenn sie totmde zu ihren Ivritstunden oder Vortrgen kamen und dort einschliefen. Wer kann nach einem Arbeitstag von 12-15 Stunden noch lernen? Alles hat eben seinen Preis.
Rckblickend kann ich heute sagen, dass letzten Endes die ganze Diskussion akademisch war. Jeder lernte im Lande frher oder spter Ivrit, nicht jeder aus beiden Lagern blieb dem Kibuzgedanken treu - und auch nicht alle dem Zionismus. Nicht jeder sah in krperlicher Arbeit und Landwirtschaft erstebenswertes Ziel - und das ist auch gut so; in einer normalen Gesellschaft muss ein jeder den ihm genehmen Platz finden. Aber was tun, wir waren jung und wollten eine andere Welt und eine andere Gesellschaft, nachdem Europa die menschlichen Werte, die es selber geschaffen, in Frage stellte.
Gab es in der ganzen Welt berhaupt noch einen Platz, wo man nicht gegen uns war? Es gab niemanden, der uns darauf htte antworten knnen. Es gab nur eins: mit aller Kraft zu versuchen, nach Erez Jisrl zu gelangen. Der Gedanke war, sich als grosse Gruppe zu organisieren, 'Kibuz Alija' nannte man das, zur Suche eines geinsamen Weges. Die Chawerim der Einzelhachschara waren es, die diesen Gedanken anregten. Awram Gutsmuth im Werkdorf und Schmul Lesser und Alex Rosenblum aus Deventer begannen entsprechende Anregungen zusammen auszuarbeiten.
Alijagruppen schlossen sicht ohne Grund zusammen. Die ersten Gruppen aus Wieringen und Deventer gingen nach Ejn-Charod und spter nach Bet-Haschita. Seit 1937 aber wollte die Zentrale des Kibuz Hame'uchad vor allem die kleinen Kibuzim, die noch nicht angesiedelt und als Arbeitergruppen in den Moshawot lebten, durch Zuwachs strken, und nicht die grossen, bereits fundierten Meshakim. Ohne diesen Zuwachs war auch an eine sptere Ansiedlung der kleinen Arbeiter-Kibuzim nicht zu denken, wenngleich im Augenblick die Aussichten darauf gering waren. Sie wollte es berhaupt nicht dem Einzelen berlassen, wohin sich im Lande zu wenden sondern wollte die Verteilung der Einwanderer zentral regulieren. Das war vielleicht schn und gut dem Einzelen gegenber. Mit geschlossenen Gruppen, die sich anschliessen wollten, musste man schon verhandeln.
Meine kleine Schreibmaschine begann Rundschreiben auszuspucken, Treffen und Sitzungen wurden organisiert, Chawerim der Einzelhachschara begannen sich fr den Gedanken zu interessieren. Ich rede hier in den Begriffen der damaligen Zeit. Denn wenn man von der 'Tendenz' des Kibuz Alija spricht, so muss man den Charakter der verschiedenen Kibuz-Bewegungen seinerzeit (d.h. bis zur Staatsgrndung) in Betracht ziehen. Die lteste der Kibuz-Bewegungen, der 'Chewer Hakwuzot', gegrndet in Degania, vertrat den kleinen, 'intimen' Kibuz von nicht mehr als 50-60 Familien auf usserst selektiver Basis. Der 'Kibuz Hame'uchad' (gegrndet in Ejn-Charod) dagegen wollte den grossen Kibuz mit unbegrenzter Mitgliederzahl und einem Minimum an gesellschaftlichen Kriterien. Seine Vertreter waren der Ansicht, dass ein Kibuz mit weniger als 100 Familien berhaupt keine Landwirtschaft mit vielen Betriebszweigen entwickeln knne; 'in' war damals die 'gemischte Wirtschaft' und Monokultur wurde als gefhrlich und entwickelungshemmend angesehen. Die dritte Bewegung, der 'Kibuz Ha'arzi' des Schomer Haza'ir sah das Kriterium im intellektuellen Niveau seiner Mitglieder. Ihr Ziel war 'ideologische Gemeinschaft', ein reichlich leninistisches Prinzip, das diese Bewegung bis auf heute begleitet. Es hat sie aber nicht gehindert, die besten und fundiertesten Meshakim im Lande aufzubauen.
Das Prinzip der gemeinsamen Kindererziehung (ein zentrales Axiom aller Kibuzbewegungen) war in den drei Strmungen mehr oder weniger das gleiche. Organisatorische Unterschiede hatten meistens technische Grnde. Anders war es schon in der Frage des 'Privateigentums'. Der 'Kibuz Ha'arzi' lehnte jeden 'Privatbesitz' strikt ab - sei es der Groschen im Portmonnaie oder das Kleid und die Bluse in der Kleiderkammer -gleichgltig, ob diese Sachen auch diesem oder jenem Passten. Absolute Gleichheit. Diese Art der Organisation nannte man dor 'Machsan aleph'. Bse Zungen behaupten, dass man im "Kibuz Arzi' Neuankmmlingen ihre armseelige Habe 'beschlagnahmte'. Passte sich der Kandidat dann nicht an, so setzte man ihn ohne viel Federlesen nach drei Monaten an die Luft; an eine Zur- rckerstattung seiner paar Sachen dachte man nicht... Die Ablehnung des Privatbesitzes und vor allem die Gleichheit wurden fanatisch bertrieben. Die Gleichheit der Geschlechter drckte sich auch in gemeinsamer Dusche aus (zu unserer Zeit schon nicht mehr) und die Kinder riefen ihre Eltern beim Vornamen, damit sich unverheiratete nicht gesellschaftlich benauchteiligt fhlten.
Bei uns, im 'Kibuz Hame'uchad' gab es das alles nicht. Ein jeder hatte sein Fach und seine Sachen in der Kleiderkammer und keiner stberte in den Portmonnaies herum (allerdings er- mglichte die 'Wiedergutmachung' der 60iger Jahre erhebliche Bankkonten nicht wenigen Kibuzmitgliedern, ein Kapitel fr sich, fr das es hier an Raum fehlt). Auch die Zimmereinrichtung, soweit man von so etwas reden kann, gehrte den Chawerim. Was aber einige Damen in der Kleiderkammer in Kibuz 'Machar' nicht hinderte, fr sich aus meinen Bettlaken Leinenkostme zu schneidern...
Nach oben gesagtem ist es klar, wie wir die Bedingungen formulierten, unter denen sich ein Chawer oder Chawera der Alija-Gruppe anschliessen konnten. Es brauchte keiner Akademiker und Doktor der sozialen- und Geisteswissenschaften zu sein. Er oder sie mussten nur in einem grossen, offenen Kibuz zu leben wollen, der immer bereit ist, ne Mitglieder aufzunehmen. Man hatte auch zuzustimmen, dass sich die Alija-Gruppe nicht einem der alten, fundierten Kibuzim anschloss, sondern an eine der jungen Arbeitergruppen, die die Reserve des Verbandes fr evtl. Ansiedlung (vorerst noch in weiter Ferne) darstellten. Alles das war - natrlich sehr zionistisch-sozialistisch und Verwirklichung anstrebend. Aber es gab noch einen Grund, ber den sonst niemand sprach: eine Gruppe ist ein Heim, Wrme, eine Schutz- mauer gegen alles Ungewisse. Man wusste dass die Aklimatisierung im Land und im Kibuz sehr schwer war. Eine 'Familie' sollte das erleichtern.
Zertifikate gab es nur wenige, dennoch konnten im Frhjahr 1938 im Rahmen der holl. Zuweisung drei Chawerim, die breits zu unserer Alija-Gruppe gehrten, ein Zertifikat zur Einwanderung in Erez Jisrael bekommen. Wir sandten sie als quasi 'Kundschafter' aus; sie sollten, innerhalb des 'Kibuz Hame'uchad', einen passenden Platz fr uns finden. In Frage kam ein kleiner Kibuz, gegrndet durch eine Gruppe hnlich unser, mit denen man spter auf Ansiedlung gehen konnte. Nach einigen Wochen verkndete uns eine langer Brief, dass unsere 'Kundschafter', im Einvernehmen mit der Leitung des Zentralverbandes, einen solchen Platz gefunden htten. Der Kibuz, 'Kibuz Machar' bestand aus drei Gruppen: deutsche Hachschara, schon mehrere Jahre im Land, czechische Hachschara, und eine Gruppe der Jugend-Alija, die ihr Training in Jagur beendet hatte. Dieser kleine Kibuz hatte schon eine Geschichte hinter sich: Mitte der 30iger Jahre glaubte der Zentralverband des 'Kibuz Hame'chad' eine Gruppe des Hamburger religisen 'Hechaluz' zusammen mit (nicht religisen) Chawerim der deutschen Hachschara ein Arbeiterkibuz formen zu lassen. Der Gedanke der berhmten 'gegenseitigen Toleranz' endete in einem Fiasko: die nicht weniger berhmte Zigarette am Schabat. Das war damals aber schon vorbei, aber ein Unglck, das dem kleinen Kibuz geschah, verstrkte den Beschluss der drei Chawerim, sich anzuschliessen: eine junge Chawera, die den Gemsegarten versorgte, wurde in den Abendstunden beim Zudrehen der Bewsserung hinterrcks von einem Araber erschossen. Ihr Begleiter traf den Angreifer zwar mit seiner - illegalen - Waffe, was damals, wie immer, ein grosses hin und her mit den englischen Behrden verursachte, aber das brachte das Mdel nicht mehr ins Leben zurrck. So kam zu uns das erste Echo einer Wirklichkeit, die bisher uns nur aus Zeitungsausschnitten bekannt war. Wir wussten nun, wohin wir gehrten - nach Kibuz 'Machar' in Kfar Ssaba.
Eli'eser Liebenstein aus Ejn-Charod, der an dem grossen Seminar fr internationale Beziehungen des britischen Aussenministeriums teilgenommen hatte, hielt sich einige Tage auf der Rckfahrt im Werkdorf auf und hielt nun seinerseits ein Seminar ber die Weltsituation, sowie sie sich im Herbst 1938 abzeichnete: der spanische Brgerkrieg, Hitlers Forderungen in Osteuropa, ein agressives Japan im fernen Osten - und vllige Machtlosigkeit, oder vielmehr Willenlosigkeit der Westmchte, d.h. England und Frankreich, nur zuversuchen, dem Einhalt zu gebieten. Die junge Generation im Westen rief dazu bei jeder Gelegenheit: "Gebt Hitler was er will, nur lasst uns zu Hause sitzen!" Hauptschlich scheuten aber die herrschenden Schichten vor jedem Schritt zurrck, der zu gesellschaftlichen Erschtterungen und zum Verlust der Position der Oligarchie fhren knnte. Deshalb schliesst man auch den Juden die Grenzen. Kein Ausweg.
In Deutschland wurde der Druck auf die Juden auszuwandern immer Strker. Die Nazis waren sogar bereit, Devisen fr eine Orientierungsreise zwecks Auswanderung zur Verfgung zu stellen. Mamma nutzte das aus und teilte mir mit, sie gedenke im Sommer (1938) mit mir eine Reise nach Palstina zu unternehmen, um sich ein wenig umzusehen. Es war alles etwas kompliziert, mit den verschiedenen Ein- und Ausreisebestimmungen und Transitvisen der verschiedenen Lnder - fr Juden, versteht sich. Im Juni also dampften wir von Marseille zu einem drei wchigem Besuch im Lande ab. Verwandte und Bekannte hatten wir dort schon genug. Viel Orientierung kam nicht dabei heraus. Wir besuchten die drei grossen Stdte, Jerusalem, Haifa und Tel-Aviv (und fassten auch die obligaten Schsse auf unseren Autobus unterwegs). In Naharia verstanden wir, dass zu Errichtung einer Farm, mit der man sich ernhren kann, weit mehr als 1000 L Sterling ntig sind - und dass fr vermgenslose ltere Leute berhaupt kaum Existenzmglichkeit im Lande besteht.
Zu unseren Leuten in Kibuz 'Machar', damals noch in Hadar, fuhr ich vorsichtshalber allein - ich wollte Mamma den zu erwartenden Schock ersparen. Der Platz machte auch einen niederdrckenden Eindruck: einige halb verfallene Baracken und Blechtten, wie alle diese provisorischen 'Lger', die man die Kibuz-Gruppen zeitweilig zur Verfgung stellte. Auch die Menschen machten einen mden und abgehetzten Eindruck, aber alle waren guter Stimmung. Zu berichten gab es viel; man war dabei, nach Kfar Ssaba berzusiedeln, in ein Camp mit besseren Bedingungen und gebauten Husern. Man riet mir, gleich dazubleiben - und ich htte es vielleicht getan, htte nicht die persnliche Garantie eines Bekannten in Amsterdam, die die Englnder als Bedingung fr Erteilung eines Touristenvisums verlangten, im Wege gestanden. Tiefe Eindrcke hatte die Reise nicht in mir hinterlassen. Verwandte und Bekannte unserer Eltern lebten in den Stdten, wenn auch weitmehr eingeschrnkt, ihren gewohnten Lebensstandart. Dem gegenber konnte man das Lebensniveau der kleinen Arbeiter-Kibuzim als Existenz-Minimum bezeichnen (es dauerte bis in die 60iger Jahre, bis sich das Bild zugunsten der Kibuzim zu ndern begann). Ich selbst lebte damals bereits zwischen den Welten: zu zu Hause hatte ich die Beziehung verloren - wie aber die 'andere Welt' aussehen sollte, war mir nicht recht klar.
Die schwerste Erschtterung erwartete uns bei der Rckkehr nach Amsterdam. Schon lange wollte Mamma ihr geheimes Bankfach, das auf den Namen eines entfernten Verwandten in einer Amsterdamer Bank bestand revidieren. Der Mann selbst, ein ehem. Rechtsanwalt mit Namen Neumann, war nirgends zu finden. Schliesslich gelang es uns duch einen der hilfreichen Bankbeamten zu erfahren, dass der Safe gar nicht mehr existierte - eine Information, die er uns gemss dem Bankgeheimnis gar nicht htte vermitteln durfen. Verschwunden also 15000 Pfund Sterling und der gesammte Schmuck. Wir hatten bald heraus, dass der Mann nicht nur unsere Eltern beraubt, sondern noch andere Mitglieder einer weitlufigen Verwandtschaft, und u.a. die Familie Pinkus aus Breslau, die Eltern von Ernst und Margot. Neumann hatte sich in Grundstcksspekulationen eingelassen und sich an dem ihm anvertrauten Gut vergriffen. Was uns blieben, waren 1000 Pfund Sterling, die ich auf einem persnlichen Konto auf der Bank hatte, und das war es, was die Eltern retten sollte.
Der 'Anschluss' sterreichs und das Mnchener Abkommen berrollten uns wie eine Lawine. Was Hitler vor hatte, an dem bestand kein Zweifel mehr. Was aber sollte aus uns werden. Das Kuratorium des Werkdorfes suchte uns zu beruhigen: Ein neutrales Holland und Belgien von 14 Millionen Einwohnern, was kann Euch schon passieren? So hrten wir auch auf der Konferenz der holl. Zionisten die Fhrer der hollndischen Juden reden, die spter ihre Gemeinden nach Westerborck geleiten sollten. Oh, alle waren sich einig darin, dass eine zionistische Erziehung notwendig sei. Ein Vertreter des 'Misrachi' zitierte mit Pathos: "איך נשיר את שיר יי על אדמת ניכר" - "wie knnen wir das Lied des Ewigen auf fremdem Boden singen". Ein Aufruf fr sofortige Alija aus Holland wurde unter rger und mit grosser Mehrheit zurrck gewiesen: wir drfen unsere Position in Eurapa nicht schwchen. Der Zionistenkongress, der im gleichen Sommer in Luzern tagte, kam zu keinerlei Beschlssen; der Ruf war nach Rettung. Aber wie das zu bewerkstelligen, das wusste keiner. Berl Kazenelson, einer der fhrenden Kpfe Erez Jisrls und Chefredakteur der Tageszeitung 'Davar' (er war der Onkel von Moshe, unsrem Direktor), kam zu uns auf seiner Reuckreise von London, wo an der 'Round-Table-Conference' mit den Arabern teilgenommen hatte, ohne irgendwelchen Fortschritt zu erreichen. Und in unserer Wochenzeitschrift erschien ein Artikel, den ich bis heute nicht vergessen habe, mit der Aufschrift: "Muss man in die Grube?"
Ende des Sommers 1938 erhielten weitere Mitglieder unsere Gruppe Zertifikate. Am Abend vor ihrer Abreise versammelten wir uns auf dem Rasen vor dem Gemeinschaftshaus. Pltzlich erschien ein Licht am nrdlichen Horizont, Feuergarben in allen Farben des Spektrums; das Spiel der Lichter whrte die ganze Nacht hindurch. Ein Nordlicht, das noch nie in unseren Breiten beobachtet worden war und nach Ansicht mancher auf einen kommenden schweren Winter hindeutete (was tatschlich auch eintraf). Fr uns aber verkndete das Nordlicht Bses. Wo mgen wir nchstes Jahr sein?
In Erez Jisrl schien man die Sache endlich ernstlich in die Hand genommen zu haben. Es wurde beschlossen, illegale Transporte zu organisieren, im Volksmund Alija B genannt. Eine ganze Reihe von Leuten waren dabei, in Europa und auch in Holland. Einer der uns bekannteren davon war Gideon Rufer (Raphael), Chawer Kibuz, nach der Staatsgrndung lang- jhriger Diplomat und Leiter des Aussenministeriums. Viel erzhlte man sich ber die weitreichende Organisation der Alija B. Riesenprobleme standen dem Unternehmen im Wege: Transitvisen zu eienm Ausgangshafen im Mittelmeer, Erhalt einer Ausfahrtsgenemigung durch die Hafenbehrden - unter Wahrung vollster Verdunkelung des Projekts gegenber den Eng- lndern. Illegale Einwanderung in Erez Jisrl existierte schon einige Zeit. Die ersten, die sich darin versuchten, waren die Revisionisten, die, nach ihrer Abspaltung von der Weltorganisation, sich in der Zuteilung von Zertifikaten benachteiligt fhlten. Auch die 'Hagana' hatte seit 1936 Transporte organisiert, von Brindisi oder Constanza. Seit Ausbruch des spanischem Brgerkrieges aber hatten viele Lnder Bedenken, Gruppen oder Einzelen Transitvisen in die Hfen zu gewhren, aus Angst, ihre 'Neutralitt' Deutschland gegenber zu verletzen. Es schien aber, als ob eine Ausfahrt von Marseille sich im Winter 1938/39 er- mglichen lassen wrde.
Gleich nach ihrer Rckkehr von unserer Palstinareise beschagnahmten die Behrden die Psse unserer Eltern; bei ihrer Auswanderung wurden sie sie wiedererhalten. Der Verkauf von Geschft und Grundstck war abgeschlossen, die Wohnung stand ihnen einstweilig noch zur Verfgung. Meta wurde auf alle Flle ins Werkdorf geschickt - eine Sorge weniger; ich weiss nicht mehr, wie ich es anstellte, dass man ihre Aufnahme besttigte, das war damals gar nicht mehr so einfach. Meta hat sich im Werdorf gut eingelebt; ihre Arbeit wurde geschzt und sie hatte einen grossen Bekanntenkreis.
Und dann kam die 'Kristallnacht'. Mamma war in Breslau, nach ihrer Mutter zu sehen, die damals schon an die 86 war. Pappa war in Geschften in Berlin. Ein Kommando uniformierter Nazis strmte die Wohnung, in der Gertrud allein war, und begann systematisch alles zu zerschlagen und zerbrechen. Gegen Abend kam Pappa aus Berlin zurrck und in der Nacht kam die Polizei und Verhaftete ihn. Am Morgen darnach wurde er frei gelassen, nachdem er eine Verpflichtung zu baldigster Auswanderung unterzeichnet hatte. Die Eltern verliessen Wriezen sofort und suchten sich eine Wohnung in Berlin. Das alles hrten wir viel spter, als die Telefonverbindungen zu Deutschland wieder hergestellt worden waren. Der entstandene Sachschaden war hauptschlich im Porzelan und Silbergerten, abgesehen vom Flgel und einigen Bildern.
In Berlin versuchten die Eltern unter unglaublichen Schwierigkeiten ihre Ausreise vorzubereiten. berall versuchten sie ihr Glck, in den Caribien, in Sd-Amerika. Alle waren bereit, in Deutschland Visa zu verkaufen; nur dass die Behrden bei der Einreise diese Visa nicht anerkannten, die Einwanderer abwiesen, oder, schlimmer noch, verhafteten und sie um die letzten Pfennige erpressten. Und nebenbei packten die Eltern ihre ganze Wohnung ein, alles, was nicht niet- und nagelfest war, Mbel, Teppiche, Wsche, in Kisten und Koffern - und schickten alles mit der Bahn als 'Unbegleitetes Passagiergut' nach Holland. Das war bei der deutschen Reichsbahn seit jeher mglich; man brauchte nur eine Fahrkarte an den Bestimmungsort vorzuweisen und das Gepck wurde verladen. Im Laufe der Wochen gingen 12 Kisten und Koffer nach Amsterdam und die Hollnder hielten sie 'bonded'. Unsere Eltern waren nicht die Einzigen, die sich dieser beqmen Einrichtung bedienten. Als ich im Juni 1939 das ganze Gepck ans Schiff nach Antwerpen berfhren liess, war das Riesenlager in Amsterdam voll bis unter das Dach mit Sendungen deutscher Juden. Alle 12 Kisten und Koffer kammen zur rechten Zeit ans Schiff in Antwerpen; jede Sendung trug den deutschen Stempel 'auf Devisen geprft': das Meiste war berhaupt verboten auszufhren. Todesstrafe stand darauf. Wie sie das fertig gebracht haben weiss ich nicht.
Die Kristallnacht brachte einen Ansturm von 'Chaluzim' und Jugendalija ins Werkdorf, aus Deutschland, sowie aus sterreich. Die Deventer Hachschara nahm auch Leute aus der Czechoslowakei und Ungarn auf. Letztere hatten es besonders schwer: ausser Ungarisch sprachen sie keine Sprache, und wie sie mit dem hollndischen Bauern auskamen ist mir ein Rtsel. Im Werkdorf begann es eng zu werden. Aus Hamburg kam zu uns ein Schauspieler, Herbert (Tuvia) Grnbaum mit seiner Frau Grete. Er begann sofort dramaturgisch aktiv zu sein und inszenierte die Auffhrung in drei Akten eines zu damaliger Zeit in Erez Jisrl laufenden Theaterstcks. Die Auffhrung war ein voller Erfolg. Ausserdem lenkte sie uns etwas von dem tglich um uns Geschehenen ab, und erleichtere auch den vielen neuen Menschen das Einleben in die fremden Bedingungen. Von den Beteiligten an der Auffhrung ist mir noch Arno Goldschmidt in Erinnerung geblieben. Er spielte - was sonst? - die Rolle des Arztes im Kibuz, in kurzen Hosen, die Brille auf der Nasenspitze und Tasche in der Hand, und hatte den Tod dreier Opfer eines arabischen berfalls festzustellen. So ging er gesenkten Hauptes, einen anklagenden Finger gegen die Opfer ausgestreckt, an jedem der drei vorber und murmelte: "Tot", "Tot", "Tot".
Tuvia und Grete Grnbaum waren an die 10 Jahre lter als wir alle und waren beim besten Willen nicht mehr als 'Praktikanten' anzusehen (Herberts lezte Anstellung war beim Kulturbund in Berlin gewesen). Sie mssen ausgezeichnete Beziehungen gehabt haben, um berhaupt bei uns unter zu kommen. Grete und Herbert schlossen sich unserem inneren Kreis an. Er liebte es besonders Scholem Alejchem vorzulesen und konnte eine grosse Menge Zuhrer in seinen Bann ziehen. Grete war eine intelligente und praktische Frau, die wusste, wie sie ihren Mann fest im Zaum halten konnte. Tuvia war nhmlich beraus hysterisch und geneigt, Anflle von 'temper tantrum' auf dem Rasen vor dem Gemeinschaftshaus zu inszenieren, wenn ihm irgend etwas nicht in den Kram passte (ein herrliches Beispiel davon liefert der englische Film 'The Dresser'). Vielleicht htten seine Verbindungen ausgereicht, beide noch mit auf unseren Transport zu nehmen; vor einem solchen Unternehmen aber hatte Herbert zu grosse Angst. Das Ehepaar (sie waren kinderlos) erreichte die Gestaade unseres Landes vllig legal im Sommer 1940, also schon nach Kriegsausbruch, irgendwie ber Sz. Kibuz Jagur nahm sie auf, wenn auch man dort nicht recht wusste, was mit ihm anzufangen. Hysterische Anflle bekam er dort auch - aber der hfliche Kibuz sandte ihm dann einen Arzt aufs Zimmer. Ivrit lernte er schnell, und als Schauspieler akzentlos dazu, und so begann er bald in die Kibuzim herumzufahren und dramatische Abende zu veranstalten.
Im Jahre 1948 wurde in Tel-Aviv das 'Kammertheater' erffnet. Tuvia wurde als Schauspieler ins Ensemble aufgenommen. Stargagen wurden nicht gezahlt (nicht - dass er einer gewesen wre), aber Grete konnte als Kostmschneiderin am Theater arbeiten, und so hatten beide ihr Auskommen. Das blutarme Theater besorgte ihnen auch eine zwei Zimmer Wohnung in Tel-Aviv, ich weiss nicht wie, denn ohne erhebliches Schlsselgeld war eine Wohnung damals nicht zu bekommen. Jahrelang blieben wir in Kontakt, und wir sahen Tuwia in manchen Auffhrungen. Und dann, in den 50iger Jahren, verschwanden Herbert und Grete pltzlich von der Bildflche. Bei Nacht und Nebel packten sie ihre Sachen und verkauften die Wohnung, auf die das Theater eigentlich das erste Anrecht gehabt htte. In Berlin tauchten sie wieder auf. Es hiess, er sei der Erbe des Linstrm-Schallplatten Vermgens. Wie dem auch sei, sie richteten sich in West-Berlin eine grosse Wohnung ein. Theater spielte Tuvia aber in Ost-Berlin, ich glaube an der Brecht-Bhne, bis zur Errichtung der Mauer. Dann ging er zum stdtischen Theater in West-Berlin ber, wo er bis zu seiner Pensionierung blieb. Ich habe ber Tuvia und Grete geschrieben, weil sie irgendwie zu unserem Kreis gehrt hatten. Das Kammertheater (und auch wir) waren betroffen von der Art und Weise, wie sie das Land Hals ber Kopf verliessen. Dem Theater htte wenigstens die Rckerstattung des Schl-sselgeldes der Wohnung gebhrt. In den 70iger Jahren machten Herbert und Grete einen 'Wiedergutmachungsbesuch' im Land, und wir trafen uns noch einmal bei Arno und Karla in Nes Ziona. Auch das Kammertheater zeigte ihnen nicht die Tr und empfing ihren Besuch. Als ich aber vor zwei Jahren im Foyer des Kammertheaters eine Austellung zum 40 jhrigen Jubi- lum sah, fand ich den Namen Grnbaum nicht erwhnt, nicht unter den Grndern und nicht als Teilnehmer jener Inszenierungen, an denen er mitgewirkt hatte. Tuvia gehrte zu jenem Typ Leuten, die immer erwarten, dass jemand etwas fr sie tut. Sie selbst aber fhlen sich zu nichts verpflichtet. Beide weilen nicht mehr unter den Lebenden.
Der Winter 1938/39 war besonders schwer und viele Tage war es unmglich draussen zu arbeiten. Man sprach wieder von Alija, es gab sogar ein Datum: Mitte Januar. Fieberhafte Vorbereitungen unter tiefster Verschwiegenheit wurden in Gang gesetzt. Es dauerte aber nicht lange und jeder Ladeninhaber in Amsterdam wusste, dass am 15. Januar ein illegaler Transport nach Palstina abgehen sollte, und zwar von Marseille. Aber die internationale Politik stellte uns auch diesmal ein Bein. Nach dem Fall von Barzelona schlossen die Franzosen Flchtlingen ihre Grenze - und Marseille war 'out'. Was nun?
Die Enge im Werkdorf und auch in der Deventer Hachschara wurde unertrglich. Die Vertreter der Jewish Agency beschlossen daher als zeitweilige Unterkunft fr 100 Menschen eine alte Ritterburg, die seit Jahren als Jugendherberge diente, zu mieten - die Assenburg. Die Burg, vollstndig mit Wallgraben und Rittersaal, hatte einen alten Kastellan, Oom Gert geheissen, der sich uns als Veteran der Jugendbewegung vorstellte, mit der Gitarre in der Hand. Der Platz ermglichte Vortrge und Intensivkurse in Ivrit. Nach einigen Wochen wechlelten sich die Teilnehmer ab.
Im Frhjahr 1939 erhielten weitere Mitglieder unserer Alijagruppe, die inzwischen auf dreissig angewachsen war, die Einreise ins Land. Auf jedes Zertifikat aber konnten zwei einreisen - wenn es sich um ein Eheepaar handelte. Es war daher blich eine Liste von fiktiven Ehen aufzustellen. Die betreffenden Paare mussten dann die nchste Dienststelle aufsuchen, in der es ein Standesamt gab, und sich offiziell trauen lassen. Soviel ich weiss sind keinem der Paare irgendwelche amtlichen Schwierigkeiten daraus in Zukunft entwachsen; im Lande gab es sowieso keine Ziviltrauung, und wer nicht wollte, dem erkannte das Rabinat die Ehe nicht an.
Dass wir einmal abfahren wrden war sicher, die Frage war nur, wann? "Den Glauben haben wir wohl - allein uns fehlt die Botschaft" - in Abwandlung des 'Faust' zitierte Harry Litten. Georg Josephthal, der Leiter des deutschen Hechaluz erschien eines Tages bei uns. Er versuchte, so weit es ging, die in deutschen Hachscharapltzen weilenden Chawerim ins Ausland zu bringen und die dringensten Flle zur Alija. Anschluss an einen Transport aus Holland war eine Mglichkeit. Seine Frau Senta hatte an der Spitze der 'Jugendalija ' in Deutschland gestanden. Jetzt war sie mit einer grossen Gruppe gemeinsam (legal) ins Land gekommen um einen neuen Kibuz zu grnden. Der zweite Teil dieser Gruppe sollte mit uns fahren. Auch aus England kamen einige Chawerim, die sich uns anschliessen wollten. Auf jeden Fall wurde gepackt.
Es wurde uns gesagt, dass es unmglich sei, auf einem Transport dieser Art sein gesamtes Gepck mit zunehmen. Einen Rucksack oder Handkoffer fr das Ntigste, alles andere sei als regulres Frachtgut an die gewnschte Adresse im Land zu verpacken. Fr den Versandt wrde die Jewish Agency sorgen. Wie es sich spter herausstellt, war das beinahe die einzige, aber schmerzhafteste Fehlkalkulation der Organisatoren. Das Gepck kam ordnungsgemss im Haifa Hafen an. Die (britischen) Hafenbehrden verlangten aber Zoll und Lagergebhren. Wie gering dieselben auch gewesen sein mgen - die meisten Chawerim hatten zu der Zeit keinen Pfennig in der Tasche. Ein Apell an korrespondierende Institutionen blieb erfolglos. Die ffentlichen Verpflichtungen uns gegenber waren erfllt... Ich selbst hatte von Anfang an kein gutes Gehl gegenber der ganzen Sache und schickte meine Kiste an die Adresse von Alli Levi (lsner), die seit einigen Jahren mit einem Zahnarzt verheiratet war und in Haifa lebte.
Und dann begannen die Rder sich zu drehen. Im Sommer sollte es tatschlich los gehen - von Amsterdam. In den letzten Wochen beschloss die Werkdorf-Leitung uns 'Schiessunterricht' erteilen zu lassen, natrlich unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit (Damals organisierte sogar die antisemitische polnische Regierung Schiessbungen in den Hachscharazentren unter der Aufsicht der Armee). Die ganze Angelegenheit war mehr als bescheiden, wenn nicht gar lcherlich: Luftflinten. ber Handgranaten werfen gab es einen theoretischen Vortrag.
In der ersten Juniwoche kam die gesammte Familie Pinkus, Mnne und Lea, Ernst und Margot, aus Prag nach Amsterdam. Sie waren aus Breslau nach Prag entkommen und hatten dort eine Einreise in die U.S.A. bekommen. Mit ihnen kam auch Gert aus Freienwalde, der auch irgendwie nach Prag verschlagen worden war und dann ein Visum nach Amerika erwischt hatte. Wir trafen uns in Amsterdam. Wie bereits erwhnt, war auch Mnne Pinkus zusammen mit meinen Eltern ein Opfer des Herrn Neumann geworden. Am nchsten Tag gingen wir zu Neumanns Bruder, der als Adresse des Burschen diente. Onkel Mnne war von Natur aus gutmtig und konnte keiner Fliege etwas zu Leide tun - er war aber gross gewachsen und breitschulterig und konnte sich das Auftreten eines Schlgers oder Gangsters geben. So ging er zu Neumann herein. Eine halbe Stunde spter kam er heraus, in der Tasche den gesammten Schmuck der Eltern, den Neumann nicht angerhrt hatte, und eine unbestimmte Summe Bargeld. Den Schmuck bergab er mir, das Geld behielt er fr sich. Gleichzeitig bergab er mir eine monatliche Rckzahlungsverpflichtung Neumanns. Und damit verabschiedeten wir uns. Pinkus dampften nach New York ab. Mein Vater war schwer betroffen ber das Abkommen mit Neumann. Er htte seinen Anteil an der Barsumme verlangt. Die Schuld liegt natrlich an mir. Ich htte mich nicht in den Hintergrund drngen lassen sollen und auf das meine bestehen sollen. Aber ich war in diesen Dingen unerfahren und naiv (und bin es auch bis auf heute geblieben). Es ging dann noch eine Weile eine rgerliche Korrespondenz zwischen Santiago und New York hin und her. Ich glaube aber, man hat sich spter ausgeshnt.
Der Epilog zu der Tragdie erfolgte dann in den 70ger Jahren, als jemand mit Namen Neuman, Chawer des Kibuz Giv'at Brenner, sich an mich wandte. Er stellte sich mir als gleichfalls ein Opfer der Unterschlagungen des Rechtsanwalts Neumann aus Amsterdam vor, und teilte mir mit, was ich bereits seit langen wusste, das die Witwe des Diebes (Nichtjdin) als reiche Frau noch in Amsterdam lebte. Er beabsichtigte sie auf Schadenersatz nach ihrem verstorbenen Mann zu verklagen und schlug mir vor, mich an den Unkosten der Klage zu beteiligen. Die hollndischen Gerichte aber sahen in einer derartigen Forderung eine Zivilklage und keinen Kriminalfall. Sie verlangten daher die Hinterlegeung von 60% der Hhe der Forderung, abgesehen von den brigen Gerichtsunkosten. Das konnte ich mir natrlich nicht leisten . Erstens hatte ich nicht das Geld; und dann bin ich absolut nicht sicher, ob berhaupt irgendwelche Aussichten bestanden htten die Klage zu gewinnen: die Witwe wiess auf ihr Vermgen als ihr privates hin und behauptete, nie in die Geschfte ihres Mannes verwickelt gewesen zu sein.
Endlich bekamen auch unsere Eltern ihre Einreise - nach Chile; Henny Schlesinger hatte sie ihnen besorgt. Das Visum war fr alle, ich htte mitfahren knnen. Ich weiss bis heute nicht, warum die Eltern nicht von jemanden ein Affidavit fr die U.S.A. htten bekommen knnen. Aber vielleicht war es besser so. Mit dem wenigen, was sie hatten, htten sie vielleicht in Amerika gehungert.
Am 14. Juni fuhren die Eltern von Hamburg ab. Das HAPAG-Schiff sollte am nchsten Tage Antwerpen anlaufen. Ich hatte nur fr die Verfrachtung des Gepcks aus Amsterdam zu sorgen. Die Kisten und Koffer erschienen rechtzeiten am Kai und wurden auf das Schiff verladen - no questions asked. Meta schloss sich den Eltern an. Es blieben uns noch zwei Stunden Zeit zum Abschied nehmen. Keiner von uns glaubte, dass wir uns je im Leben wieder sehen wrden. Was die Eltern an Mitteln in der Tasche hatten, waren die 1000 Pfund und die 6% Umrechnungskurs vom Verkauf des Hauses. Hatte ich richtig getan, sie ohne mich ziehen zu lassen? Aber fr Erwgungen dieser Art war es bereits zu spt. Wir sagten uns Lebewohl - und sie begannen ihre lange Reise, sechs Wochen, in die Ferne, jenseits des Equators. Besonders bedrckend war, dass das Schiff, das neben dem Liner der Eltern am Kai vertaut lag, die 'St. Louis' war, das Schiff, dass die Nazis mit 900 Juden nach Kuba geschickt hatten, um der Welt zu beweisen, dass kein Mensch die Juden will. Nach ihrer Rkkehr nach Europa gewhrten vier Lnder den Juden Asyl - nachdem die Sache im Westen genug Staub aufgewirbelt hatte. Nur die, die das Glck hatten, nach England zu kommen, berlebten. Ein amerikanischer Film, 'The Voyage of the Damned', hat versucht diese Episode wieder zu geben. Deprimierend, denn wer konnte uns im Sommer 1939 garantieren, dass unsere Fahrt anders aus gehen wrde.
Ins Werkdorf zurrgekehrt, blieb wenig noch zu tun. Wir hatten Gelegenheit zu einer interessanten Unterhaltung mit Georg Josephthal. Er kam Erez Jisrael zurrck, wohin er Senta und ihre Gruppe begleitet hatte und war auf dem Weg nach England, von wo er weitere Alija-Gruppen zu organisieren versuchte. Befragt ber seine Eindrcke vom Land, antwortete er: "Wer sich schnell im Lande akklimatisieren will, muss sich vor allem an die Pinsker Mentalitt gewhnen". Ich brauchte im Lande nicht lange Zeit, um zu verstehen, dass er damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte - aber das gehrt schon in ein spteres Kapitel.
Wir sollten von Amsterdam abfahren, an die 250 Menschen, 70 aus dem Werkdorf, an die 100 von der Deventer Hachschara, Hachschara-Gruppen des 'Poel Hmisrachi' und der 'Agudat Jisrael', der Rest ltere Leute, die nicht organisiert oder irgendwie liiert waren und nicht lnger in Holland verbleiben konnten. Einige aus dem Werdorf, die das Recht zur Alija gehabt htten, blieben zurrck; sie hatten Angst vor dem 'illegalen' Unternehmen. Es war aber bereits eine zweite berfahrt geplant, und beinahe alle htten mitkommen knnen. Der Kriegsausbruch machte diesen Plan zunichte. Eine Gedenktafel vor dem Gemeinschaftshaus erinnert heute an die 180 Zurrckgebliebenen.
Am 15. Juli 1939 erwarteten uns um acht Uhr Abends zwei Autobusse an der Einfahrt zum Werdorf. Sie sollten uns nach Amsterdam zum Hafen bringen. Schweigend stiegen wir ein; Grund zum jubeln bestand keiner. Manche weinten. Aus dem Radio des Autobusses ertnte ein altes flmisches Lied, aus dem dreissig jhrigem Krieg - 'Flandern in Not, in Flandern da reitet der Tod'. Irgendwie lief es mir kalt ber den Rcken, ich weiss nicht warum. Ein Jahr spter ritt der Tod ber Flanderns Felder und eine Erinnerung an die Fahrt ist bei mir immer mit dieser Melodie verbunden. Es dunkelte und wir fuhren langsam in den Abend hinaus.
Wir fuhren in den sogegannten Ij-Hafen ein, auf jeden Fall kein Platz der offiziellen Passagier-Abfahrten, sondern ein Kai fr Frachtschiffe. Wir traten in einen grossen Hangar ein. Wir waren nicht die ersten. Alle Chawerim von Deventer waren bereits da und unsere Alija-Gruppe, an die dreissig Mann, vollstndig. Und ausser uns noch eine grosse Menschenmenge, Leute, die nicht in den Rahmen des Hechaluz gehrten, auch welche, die Hol- lndisch sprachen, und nicht wenige, die kamen, um uns zu winken. Wie die Polizei sie berhaupt da reingelassen hat, weiss ich nicht - Juden drcken sich immer rein. Das Tor zum Kai ffnete sich und zwei Beamte liessen uns nach Vorzeigen der Psse passieren. Fragen wurden nicht gestellt. Wir versammelten uns draussen. Einige Minuten spter gesellte sich die Hollndisch sprechenden zu uns und hielten sich den Bauch vor Lachen, als ob sie eben den besten Witz der Welt gehrt htten: die Beamten hatte sie berzeugen wollen, sich auf keinen Fall auf eine Fahrt auf diesem frchterlichen Schiff einzulassen, mit ihrem guten hollndischen Pssen htten sie das doch nicht ntig...
Zwei Schiffe waren am Kai vertaut, ein grosser Frachter und ein kleines Dampfschiff, von der Sorte, wie man sie fr Transporte im Hafengebiet benutzt. DORA stand in grossen Buchstaben am Heck geschrieben und darunter 'Panama'. Man wies uns an, das kleine Schiff zu besteigen (so, dachten wir, man fhrt uns also heraus). " besteigen ist aber nicht der richtige Ausdruck, die Dora war kaum hher als der Kai. An Deck standen drei junge Mnner unseren Alters und wiesen uns in Deutsch und in Ivrit unsere Pltze an. Wir stiegen eine kleine Treppe hinunter und gelangten in einen grossen Schlafsaal mit zweistckigen Betten. Also, da war nicht viel herum zu raten - das war das Schiff, dass uns in das gelobte Land bringen sollte - what ever that means. Jeder suchte sich einen Platz, es war ja gengend davon da, vorlufig waren wir nur die Hlfte der Passagierliste. Die Beleuchtung war schwach, zu sehen gab es nicht viel. Ich sah durch das 'Bullenauge' hinaus: der Kai war verlassen, die Lichter gelscht. In diesem Augenblick hrte ich die Maschinen anlaufen; ein leises Vibriren und die Hafengebude glitten vorber und zogen sich zurrck. Rings umher Stille. Jemand kam herunter und rief uns etwas zu, schien uns beruhigen zu wollen: "Alles O.K. - geht schlafen. Morgen hrt Ihr alles weitere". Es war ein Uhr Nachts.
Mit Tagesanbruch ging ich nach oben. Wir warem mitten im englischen Kanal, nicht weit von der belgischen Kste. Das Meer war leicht bewegt, es wehte eine kalte Briese. In der kleinen 'Kche' im Mitteldeck waren einige unserer Mdels bereit mit Kaffee kochen be- schftigt. Man gab bekannt, dass in einer halben Stunde Generalversammlung auf Deck sei. Die drei 'Palstinenser', wie wir sie nannten (heutzutage nicht ganz passend), die uns am Vorabend an Bord empfangen hatten, erschienen an Deck und stellten sich uns vor. Johny, Tommy und ein dritter, lterer Mann, dessen Namen mir entfallen ist . Vie spter erst lernten wir die wahre Identitt der drei kennen. Johny war stmmig und kurz gedrungen, mit schwarzem Kraushaar. Er sprech nur Ivrit und Englisch machte den Eindruck eines befehlsgewohnten Offiziers. Sein wirklicher Name war Zwi Spektor, Sohn einer alt eingesessenen Familie im Land, ein 'Hagana-Mann' und Kommandant des Schiffes (1941 war er im 'Boot der 23', einer Comando-Operation der 'Hagana' in britischem Auftrag, die die l-Raffinarien in Tripoli-Libanon ze- stren sollten, um den britischen Einmarsch gegen Vichy-Syrien zu erleichtern. Das Comando kehrte nie zurrck und sein Schicksal ist bis auf heute unbekannt). Johny erluterte in kurzen Worten das Schiff. Die Dora war ein Viehtransporter, wohl an die 50 Jahre alt und hatte als solcher viele Jahre zwischen den dnischem Inseln verkehrt. Sie hatte 1600 Tonnen Raum (also nicht so eine Nusschale, wie es zuerst schien) und eine starke Dampfmaschine, die 10 Knoten Geschwindigkeit ermglichten und eine grosse, moderne Funkanlage. Ihre Besatzung war an die 8-10 Seeleute, je zur Hlfte Dnen und Griechen, eine bunte Gesellschaft, die in jedes Scenario der 'Schatzinsel' oder des 'Totenschiffs' von Traven gepasst htten. Der offizielle Kapitn war ein kleiner Grieche, den wir aber kaum zu Gesicht bekamen und der sich immer in seine Kabine einschloss. Der befehlshabende Kapitn war Johny. Tommy, der Funker, war, wie wir spter erfuhren, Chawer Kibuz Ejn-Charod. Der dritte der drei, dessen Name mir entfallen ist , sprach griechisch und war ein hoher Beamter des Tel-Aviver Hafens. Alle waren Mitglieder der 'Hagana', unter deren Befehl das Schiff stand. Die Funkverbindung ging ber Kibuz Giv'at Chajim. Das alles aber erfuhren wir erst viele Jahre spter.
Der Proviant des Schiffes war auf zwei Monate berechnet. Er bestand aus den blichen Grundnahrungsmitteln wie Bohnen und Erbsen und einem nicht kleinen Vorrat von Bullbeef und anderen Konserven. Als Brot diente 'Schiffszwieback', den man aber in irgend etwas eintunken musste, um ihn beissen zu knnen. Auch das Trinkwasser war nur als Tee oder Kaffee zu geniessen, und auch diese hatten brackigen Geschmack, und die Situation verschlimmerte sich noch im Laufe der Zeit. Und dann war noch die Sache mit der Kohle. Die Dora war zum Verkehr ber kurze Strecken eingerichtet und die Kohlenkammer neben dem Maschinenraum war klein . Daher war man gezwungen, die fr die weite Fahrt bentigte Kohle in ein oder zwei Lagerrumen unterzubringen. Die Kohlenkammer am Maschinenraum hatte man also tglich oder alle zwei Tage aufzufllen. Diese Arbeit konnte man wegen des vielen Staubes nur bei Nacht durchfhren, und zwar im Turnus. Die Kohle wurde in Krben geschleppt. Es wre alles halb so schlimm gewesen, htte man sich hinterher richtig waschen knnen, aber die Dora hatte kein Ssswasser zum waschen. An Deck gab es eine Zelle, mit Jute umspannt und einer Handpumpe fr Seewasser. Seewasser aber seift nicht, und nicht nur in der Klte des englischen Kanals, sondern auch nicht in der Bullenhitze des Mittelmeers. Kein Wunder also, das manche ihre Ringe unter den Augen und Trauerrnder der Fingerngel erst auf dem Festland loswurden. Und vergessen wir nicht die Toiletten: zwei Klos aus Eisenblech auf dem Achterdeck. Die Mittelmeersonne sorgte schon dafr, dass man sich nicht zu lange drinnen aufhielt. Probleme aber gab es erst, als whrend der letzten Tage vor der Landung einige Flle von Dysentry auftauchten. Das bringt mich zur Klinik. Die Klinik war ein winziger Raum, ver-hltnismssig gut eingerichtet, mit allem Ntigen fr eine lngere Fahrt, und dazu noch zwei oder drei Krankenbetten. Arno hatte die Klinik unter sich. Die Kche dagegen war mehr als primitiv. Ein offener, mit Kohle geheizter Herd, einige grosse Tpfe und Schsseln. Karla hatte die Kche bernommen. Woraus wir assen, weiss ich nicht mehr. Ich glaube, jeder hatte Teller und Blechtasse im Rucksack.
Wir hatten Befehl, Antwerpen um Mitternacht anzulaufen, die auf uns Wartenden schnell an Bord zu nehmen und uns ungesehen aus dem Staube zu machen. Alle hatten unter Deck zu sein, die Lichter wurden gelscht. Absolute Stille. Wir machten fest. Die Leute stiegen schnell ein und ergossen sich in die Schlafsle. Pltzlich war gar nicht mehr so viel Platz - im Gegenteil, es wurde reichlich eng. Die Menschen waren sehr erregt, im letzten Augenblick der Lebensgefahr entronnen. Sie gehrten zum Teil der deutschen Hachschara an , unter ihnen eine Grupee Staatenloser, die die Nazis abgeschoben hatten und die sich mehrere Wochen illegal in Belgien aufgehalten hatten. Auch ltere Leute waren dabei, Emigranten aus Deutschland. Und dann war eine Gruppe des belgischen Hechaluz, die spter den Kibuz 'Bet Oren' auf dem Carmel grndeten, Chawerim des 'Poel Misrachi' aus Munkacz, die besser Ivrit sprachen als viele Ssabres, oder zu mindest richtiger. Dann gab eine Gruppe der 'Agudat Jisrl', die spter 'Chafez Chajim' grndeten, und der zweite Teil von Senta Josephsthals Kibuz, heute 'Gal'ed'.
Die Maschinen liefen an, wir verliessen den Hafen, musschenstill, so wie wir eingefahren waren. Nach einer Weile stoppte die Maschine. Anker rasselten, dann Stille. Wir ankerten am Ausgang des Hafens, in der Scheldemndung. Ringsum stockfinster. Was war los? Im Morgengrauen ging ich an Deck. Es schien, wir ankerten an einer Kste des malaiischen Archipels und nicht in der Scheldemndung: Eine Barkasse der Hafenpolizei umkreiste uns und Dutzende von Booten, die sich uns zu nhern versuchten und es doch aus irgend einem Grunde nicht wagten. Sie waren voll mit Reportern, Pressefotografen und Filmleuten. Ein Boot legte schliesslich doch an und einige Reporter stiegen an Bord. Einer schwengte die Morgenzeitung und in ihr eine Riesenschlagzeile: "Hafenpolizei stopt Ausfahrt von Totenschiff". "Ein Schiff mit Flchtlingen nach Shanghai wegen Seeuntchtigkeit an der Ausfahrt gehindert". Das hatte uns gerade noch gefehlt zur Geheimhaltung unseres Unternehmens. Einige Zeit spter kam der Vertreter der Jewish Agency an Bord, und von ihm erfuhren wir die ganze story. Die Revissionisten, die eine lange Rechnung mit der Jewish Agency und der 'Hagana' zu begleichen hatten, suchten und fanden hier eine Gelegenheit, um dem Projekt ein Bein zu stellen. Sie stellten sich hinter die kommunistische Fraktion im belgischem Parlament; diese, immer bereit, den Zionisten eins auszuwischen, stellten im Parlament eine Anfrage an die Regierung, warum die Ausfahrt dieses 'Totenschiffes' gestattet wurde, ein Schiff in heruntergekommenen Zustand und lebensgefhrlich fr seine Passagiere. Das gengte und Reporter und Wochenschan hatte was zu berichten. Als Ziel der Reise war Shanghai angegeben, weil einige der in Antwerpen Zugestiegenen ein Visum nach Shanghai besassen. Den ganzen Tag ber dauerte das Theater um uns an. dann verlor man pltzlich das Interesse an uns. Gegen Abend rasselten die Ankerketten und klingelte der Maschinentelegraph: Volle Kraft vorraus! Nach Sden, vorbei an Dover und Calais, in Richtung Biscaya.
Die Biscaya war spiegelglatt, die Sonne brannte bereits, es wurde heiss. Die Enge auf der Dora erheischte Disziplin und Routine. Eine feste Tagesordung wurde bestimmt, mter und Aufgaben verteilt und Schichten fr die verschiedenen Arbeiten eingeteilt. Inventar wurde aufgenommen - kurzum ein Arbeitsprogram fr die nchsten Wochen. In seiner Klinik merkte Arno eines Tages, dass der Medikamentenschrank aufgebrochen worden war. Nhere Untersuchung ergab, dass das Morphium fehlte. Der Verdacht fiel auf einen lteren Mann, Mitter der fnfziger, der mit der Gruppe der nicht Organisierten in Amsterdam zu uns gekommen war. Er war ein deutscher Emigrant, Akademiker, scheinbar Arzt - und Morphium schtig. Seine Verwandtschaft in Holland, eine einflussreiche Familie, wollten ihn auf elegente Art und Weise loswerden, indem sie ihn auf das Schiff setzten - gewiss nicht ohne fetten Beitrag zur Ausrstung der Dora. Dem Vertreter der Jewish Agency wurde erklrt, er sei Arzt und knne auf der Reise als Schiffsarzt fungieren. Im Land wrde ihn seine Familie erwarten. Was an dem alles stimmte, weiss ich nicht. Tatsache war, dass er ein gehriges Loch in den Morphiumvorrat gerissen hatte. Was tun? Wir konnten ihn nicht am nchsten besten Hafen absetzen. Was wir tun konnten, war auf ihn aufpassen, ihn mit einer Minimaldosis zu versehen und eine Flasche Hennessy, aus dem Schiffsvorrat, neben ihn zu stellen.
Das Essen in der Kche vorzubereiten war mehr als eine Sysiphusarbeit. Man ass in Schichten. Es wre schwer behaupten zu wollen, dass sich Essen durch irgend etwas ausgezeichnet htte - im Vergleich zu dem, was wir im Werkdorf gewhnt waren. Aber keiner beklagte sich; wir hatten andere Sorgen. Es wurde heiss und das bernachten in den Schlafs - slen wurde immer unertrglicher. Die tgliche Dusche wurde zum Problem: eine lange Wartereihe und eine Salzschicht, die sich langsam auf der Haut festsetzte. Die Hitze und die Enge erschwerten das Dasein hauptschlich den lteren Menschen; der absolute Mangel an Alleinsein, vor allem der Frauen bei ihrer tglichen Toilette, machten ihnen die Reise uner- trglich. Uns jungen Leuten bedeutete das nicht mehr als die Unbequemlichkeiten eines grsseren Ausflugs.
Unsere nchste Hrde war die Durchfahrt bei Gibraltar. Wir vertrdelten einen halben Tag mit halber Kraft, um in die Meerenge erst um Mitternacht einzulaufen. Wie immer - Lichter aus, Stille. Um ein Uhr Nachts waren wir durch. Von britischer Seite blinkte man uns an: "Wer seid Ihr?" "Dora, Panama". "Danke, gute Fahrt". Nach Osten, entlang an der afrikanischen Kste. Die Juli Hitze des Mittelmeers. Wir suchten uns Schlafpltze auf Deck. Ein grosses Rettungsboot eignete sich wunderbar dafr. An den Abenden sassen wir im Kreis um die Funkkabine, sangen, hrten Nachrichten vom BBC und dem Deutschlandsender. Die Nachrichten klangen nicht besonders sympathisch: Reibungen zwischen Polen und Deutschen in Danzig. Die Nazis hatten ihre Kriegsmaschine in Bewegung gesetzt.
Auf der Hhe von Tunis begann es strmisch zu werden. Dabei war der Himmel blau und die Hitze brennend. Die Dora wurde in alle Richtungen geschttelt. Nur einige wenige wurden von der Seekrankheit verschont, u.a. auch ich. Die Seekrankheit macht die Betroffenen vllig fertig; sie haben nur einen Wunsch - zu sterben. Die Verschonten aber haben fr sie nur ein mitleidiges Lcheln brig - sorry for you. Angenehmer aber wurde das Erlebnis dadurch nicht. Ein schweres Unglck passierte in der Kche: ein Topf mit kochendem Wasser ergoss ber Karlas Beine. Sie litt ausserordentlich, zumal passende Mittel fr Verbrennungen nicht vor- rtig waren. Noch nach der Landung hatte sie einige Zeit in Behandlung zu bleiben.
Wir verliessen die strmischen Regionen, nachdem wir Stromboli Island und Sizilien hinter uns hatten. Ruhig war das Meer aber keinesfalls. Der Sturm brach aufs neue los, als wir uns zwischen Creta und den griechischen Inseln hindurch schlngelten. Und dann war unser Kurs auf einmal nach Norden fuhren. Warum? Keiner weiss. Noch zwei Tage Schaukeln und Ben bei jeder kleinen Insel.
Schwere Hitze. Wir halten an. Geschrei auf der Brcke. Der griechische Kapitn erschein pltzlich, im Grtel einen riesigen Mauser. Flche auf Englisch. Was war los? Die Mannschaft meutert, die Leute haben Angst, weiter zu fahren, sie wollen mehr Geld. Sie schliessen sich im Maschinenraum ein. Schreie hin und her. Mittlerweile organisierte man sich auch bei uns. Hier und da versorgen sich einige mit Messern und Knppeln. Eine Tollkpfe wollen den Maschinenraum erstrmen. Die verngstigte Mannschaft wagt jetzt berhaupt nicht mehr, den Kopf aus der Tr zu stecken. Einige Stunden verhandeln unsere Befehlshaber mit den Seeleuten. Und dann kommt man zu uns und erklrt: wir mssen der Mannschaft noch 500 Pfund zulegen - jeder soll, soweit er kann, seinen Beitrag dazu leisten. Man sammelt das Geld ein, schreibt auf, Probleme scheint es nicht zu geben. Noch zwei Stunden Spannung. Dann beginnt die Maschine zu arbeiten. Richtung: Norden.
Am nchsten Morgen nherten wir uns der Kste und liefen in einen kleinen Fischerhafen ein, in Phnikia, in der Trkei. Etwas merkwrdiges geschah inzwischen mit dem Schiff: wir bekamen 'Schlagseite'. Und etwas nicht weniger befremdendes - an die 100 Meter von uns lag ein anderes Schiff, bis an die Mastspitzen mit Menschen besetzt, wie wir in schrger Lage. Irgendwelche Erklrungen gab es nicht. Wir befanden uns eben in der Levante.
Und dort ist auch immer buisiness as usual. Boote, beladen mit Gemse und Frchten aller Art boten ihre Waren an. Die Mdels von der Kche fhlten sich zu den Oberginen hingezogen. So etwas bekam man in Deutschland nur in Delikatessgeschften zu Gesicht. Wie man sie aber zubereitet, das wusste kein Mensch. Einiger der lteren waren bereit, fr eine Wassermolone eine Armbanduhr zu geben. Die gestrigen Ereignisse waren vielen auf die Nerven gegangen. Sie begannen apathisch zu werden. Die Hitze glhte. In einem offenen Boot brachte man uns Trinkwasser. Mittels Eimern wurde es in den Tank des Schiffs geschpft. Dass die Bootsleute barfuss mit dem Eimer in der Hand im Trinkwasser standen, braucht nicht besonders erwhnt zu werden.
Viele Romane und Filme erzhlen ber die Romantik der Mittelmeer Hfen. Wer darber geschrieben hat, hat sicherlich nicht Phnikia gemeint. Drckende Hitze, um ein vielfaches schwerer im geschlossenen Hafen. Der Gestank von faulem Wasser und faulen Fischen, ohne den geringsten Luftzug. Jeder hatte das unbestimmte Gefhl, irgend etwas msste passieren, aber keiner wusste, was. Dieses Warten, sieben Tage lang, auf grnes Licht aus Erez Jisrl, in dem verstunkenen kleinen Hafen - die Sache fing an, uns auf die Nerven zu gehen.
Auf dem Schiff uns gegenber waren mehr Menschen als auf dem unseren. Wir konnten Verbindung zu einander aufnehmen. Den Namen des Schiffes war 'Tigerhill'; es erreichte Erez Jisrael 14 Tage spter als wir. Die Passagiere kamen aus sterreich und der Czechoslovakei, ab Constanza. Organisiert war der Transport durch die Revisionisten - und so sah auch das ganze Unternehmen aus. Eine Gruppe Jugendlicher, gedrillt wie die Sturmtruppen, hatte die Befehlsgewalt ber die Reisenden, Menschen jeder Altersstufe, grssenteils keiner Organisation angehrend. Es herrschte ein Terrorregime, die Menschen wurden, ohne ersichtlichen Grund, den grssenten Teil der Reise unter Deck gehalten. Die 'Truppe' aber fhrte sich auf, als sei das goldne Zeitalter breits angebrochen und Palstina ein jdischer Staat. Die logistische Seite des Unternehmens war weniger glnzend. Sie hatten weder genug Proviant, noch adequate Radioverbindung.
Am siebenten Tage kam das erhoffte Zeichen. Wir rckten endlich ab und am nchsten Morgen waren wir auf hoher See. Die Dora hatte sich wieder aufgerichtet und dampfte mit voller Kraft gen Osten. Am selben Nachmittag rief man uns zur Versammelung zusammen: "Morgen Nacht machen wir einen Landeversuch. Ihr werdet ausgebootet werden. Das ist eine der Landungsmglichkeiten". Ich war nicht besonders neugierig zu erfahren, was die Alternative htte sein knnen. An Land schwimmen? Vom nchsten Morgen an herrschte 'Alarmzustand'. Auf Deck konnte man sich nur in kleinen Gruppen bewegen. Um drei Uhr Nachmittags, berflog uns, ohne das wir es vorher bemerkt htten, ein britischen Mili- trflugzeug; es ging ber uns hinunter und verschwand dann am Horizont. Wir waren nicht wenig erschrocken. Nur das hatte uns noch gefehlt, ein paar Stunden vor dem Ende. Optimisten aber meinten, das Flugzeug sei von Captain Wingate, der sich vergewissern wollte, ob bei uns alles in Ordnung sei. Wer weiss. Warum auch nicht? So viele merkwurdige Dinge waren uns bei dieser Reise passiert - und sollten uns noch passieren. Zum Beispiel, dass jedem ein Personalausweis der Mandatsregierung 48 Stunden nach der Ankunft zu Teil wurde. Warum? Darum!
Um die Mittagszeit machte einer der Commandanten die Runde und erstatte jedem das wegen der 'Meuterei' eingezahlte Geld zurrck - in Heller und Pfennig, in Whrung, Banknoten und Mnzen, wie eingezahlt. Fragen fragte lngst keiner mehr. Es war Freitag, der 12. August 1939. Eine der Hollnderinnen erhob Bedenken gegen eine mgliche Landung nach Eingang des Schabat. Man bedeutete ihr, dass seitens des Oberrabinats keinerlei Einwnde vor- lgen( !). Mit Einbruch der Dunkelheit befand sich keiner mehr an Deck. Alle Lichter gingen aus. Die Hitze in den Schlafslen unten war schrecklich. Ich hatte Glck und fasste einen Platz an einem Bullenauge. Wir waren schon nahe der Kste. Ich konnte die Lichter von Haifa ausmachen, spter die von Tel-Aviv. Dzwischen der Scharon, in Dunkel gehllt, hier und da das schwache Licht einer Siedlung. Zwei Stunden krochen wir so dahin, dann stopte die Maschine. Stille, dann Stimmen, Ruderschlge, Fssetrampeln auf Deck. Man beginnt mit dem Ausbooten. Noch lange sassen wir unten, aneinandergepfercht, gespannt. Keine Luft zum atmen. Dann ruft man uns: "Schnell, nicht reden, nicht fragen". Johny steht an der Reeling und lsst einen nach dem anderen ins Boot springen. Kein Problem, es ist nicht tief. 10 Leute fllen das Boot. Zwei stmmige Burschen am Ruder. Eine junge Frau fngt aus irgend einem Grunde hysterisch zu schreien an. "Gib ihr gleich ein paar Backpfeifen" sagt einer der Ruderer dem anderen, auf Deutsch. "Woher seid Ihr?" frage ich den einen. "Kfar Schmarjahu". Daher das Deutsch. Wir landen am Strand von Schfajim. Wir nhern uns einem dunkelen Felsen, irgendwo an der Seite ein schwacher Lichtpunkt. Das Boot luft auf Sand auf. "Raus! ". Das Wasser ist noch kncheltief, wir waten einige Schritte bis aufs Trockene. Irgendwer umarmt mich pltzlich, eine Fremde, die ich mich nicht erinnere vorher gesehen zu haben. "Wir sind da!"
Am Strand herrschte vllige Dunkelheit, dennoch konnte man Gruppen von Menschen, die zusammen standen, erkennen. Verschiedene Stimmen riefen aus: 'Hakibuz Hme'uchad', 'Chewer Hkwuzot', 'Haschomer Haza'ir", 'Haifa', 'Tel-Aviv', 'Jeruschalajim' - so wie ungefhr die Taxis an der Zentral-Station. Die Absicht war, die Ankmmlingen nach Zugehrigkeit und Ziel zu verteilen. Am Sammelpunkt des 'Kibuz Hame'uchad' waren alle Chawerim beinahe voll- zhlig erschienen. Spter erzhlte man sich, dass Johny, nachdem sich das Schiff entleert hatte, vorsichtshalber nochemel eine Runde durch die Schlafsle machte, um zu sehen, ob nichts vergessen worden war. Er fand dort einen unserer Chawerim - schlafend in einer Ecke...
Ein Befehl auf Ivrit: "In Reihen antreten, aufschliessen, absolute Ruhe, ohne Tritt marsch! ". Es war schwer, im Dnkeln etwas zu sehen. Wir hatten zwei Begleiter, die uns fhren sollten, einer voraus, der andere am Schluss. Einer in der Uniform der 'Hilfspolizei', beide trugen Gewehre. Ein schmaler Pfad fhrte die Steilkste hinauf. Nach 10 Minuten Stacheldraht, eine Toreinfahrt. "Willkommen in Kibuz Schfajim! ". Jemand drckt mir eine Tasse Wasser in die Hand. Dann: "Alles Gute, weiter, nicht aufhalten! ". Wir marschieren auf Sandwegen durch Pardessim, weiter, weiter, durch die Nacht. In der Ferne heult ein Schakal, Grillen zirpen, eine Eule krchzt - die Gerusche der Sommernacht. Einmal halten wir an: im Laufschritt mssen wir einzeln eine Verkehrsstrasse berqueren. Dann weiter, durch Weingrten und Pardessim. Der Morgen graut. Es wird hier schnell hell. Wir kommen an den ersten Husern einer Siedlung vorbei. Die Fenster stehen offen, und hinter einem der Vorhnge ertnt im schnsten Deutsch: "Mammi, ich kann nicht mehr schlafen". Und wir alle brechen in ein Ge- lchter aus, nach Spannung von Stunden, Tagen, Wochen - befreiendes Gelchter. Wir sind am Ziel. Und ich weiss auch, wo wir sind: die Sonne geht ber einer Anhhe auf, Kibuz Re'anana, voriges Jahr besuchte ich dort Heini Fellner aus Wriezen. Wir stehen vor einer grossen Baracke, der Essaal des Kibuz. Unsere Begleiter rufen uns zu: "Geht nur rein". Sie nehmen das Gewehr von der Schulter, ihre Aufgabe ist beendigt.
Es ist fnf Uhr Morgens. In der Kche richtet man schon das Frhstck her. Ich setze mich irgendwo hin; meine Schuhe sind nass vom Seewasser und die Fsse aufgerieben. Ein Mdel stellt inzwischen auf jeden Tisch eine Kanne heissen Kaffees und eine Schale. Schmuel Ebel, ein weitgereister Mann und erfahren in allen Sitten und Bruchen, weist auf die Schale hin: so trinkt man gemeinsam Kaffee im Kibuz. Wir lassen die Schale rumgehen - und dann erscheint das Mdel mit einem Tablett voll Tassen. Sie lsst das Tablett beinahe fallen und starrt uns mit offenem Munde an: was von diesen neuen Olim alles zu erwarten ist . Dei Schale war nur fr den Abfall bestimmt...
Und dann steht In der Tr Dan Misch. Er war von Kfar Ssaba mit Pferd und Wagen herber gekommen, um uns nach Kibuz 'Machar' zu holen. Noch eine halbe Stunde Fahrt durch die Padessim, und die Alija-Gruppe hat, vollstndig, ihr Ziel erreicht.
Wir waren nicht der erste illegale Transport und auch nicht der letzte, der die Kste Erez Jisraels anlief. Nicht wenige landeten noch in den Monaten und Wochen vor Kriegsausbruch. Fr gewhnlich kamen sie bers Schwarze Meer oder duch die Adria. Wir waren der erste Transport direkt aus Westeuropa; nach uns sollte die Dora aus Kopenhagen und Stockholm die skandinavische Hachschara abholen. Nicht jeder Transport kam durch, nicht wenige wurden abgefangen. Zwei verunglckten: die 'Struma' wurde 1940 versenkt oder lief auf eine Mine auf, die 'Patria sank im Haifaer Hafen. Das alles ist bekannt, auch das, was nach 1945 geschah, da jeder Transport eine moralische Ohrfeige fr die Englnder bedeutete.
Und damit wren wir eigentlich am Ende - nein, nicht am Ende. Es war ja der Beginn, und unser ganzes Leben vor uns. Was hinter uns lag, war das, was einmal war. Hatten wir die Eisdecke des Bodensees berquert - damals wussten wir es noch nicht. Wir hatten eine Minute vor 12 die rettende Kste erreicht. Die Brcken zu Gestern waren verbrannt, unsere Psse im Meer. Die Vergangenheit? - Das Entsetzen der Kriegsjahre (wenn auch fr uns in relativer Sicherheit) und die Bedrohung unserer Existenz in den Jahren darnach haben Kindheit und Jugend in die Ferne blosser Erinnerung rcken lassen, hnlich einem Film mit glcklichem Ausgang.
Und darum will ich hier abschliessen, mit den Worten Kurt Tucholskis, der das auch schon immer gewusst hat: Und darum wird beim Happy End im Film zu meistens abjeblendt... oder, wie ich es fr meine Kinder bersetzt habe Happy End