Benjamin Radchewski
Unterwegs
Zu jeder Aufgabe bereit, tglich, immer, an Ort und Stelle, ohne Voranmeldung - Kibuz "Machar" erfllte sicher die Forderungen des Kibuz Hame'uchad, 'des groen und wachsenden Kibuz' - und sei es nur auf der Suche nach Arbeit, die nicht mehr als eine drftige Existenz versprach. Der Ursprung dieser spartanischen Lebensauffassung ist vielleicht im 'G'dud Ha'awoda' zu suchen (eine Bewegung Anfang der zwanziger Jahre), dessen Ideal der 'unbekannte Soldat der Arbeit', stndig bereit zu jeder Arbeit an jedem Platz, bar persnlicher Verpflichtungen, an niemanden gebunden, allein dem Befehl der Bewegung folgend - ein heroischer Gedanke! Aber nach lngerer Auenarbeit nach Hause kommend und kein Bett fr sich frei zu finden, von festem Wohnraum gar nicht zu reden, nicht selten auch den Koffer mit ein paar persnlichen Sachen zu vermien - das war die Kehrseite der Medaille heroischer Lebensfhrung.
Ledige wohnten meist zu drei in einem Zimmer, nicht unbedingt drei Jungens oder Mdels. Nach den Richtlinien fortschrittlichen Denkens achtete man nicht absolut auf die Trennung der Geschlechter. Man behauptete, ein Mdel im Zimmer wrde mehr fr Ordnung sorgen - tat- schlich sehr 'fortschrittlich' Zimmer aufrumen auf die Frauen abzuschieben. 'Gemischtes' Wohnen war in allen Kibuzim eine Selbstverstndlichkeit. Fremde, Religise vor allem, waren schockiert - und die Quelle zahlreicher Phantasien und Schauergeschichten, an denen kaum etwas wahr war. Die Kibuz-Gesellschaft ist bis auf heute prde und kleinbrgerlich, beinahe eine Kleinstadt. Fremder, will Dir jemand pikante Geschichten aus Giv'at Brenner erzhlen - take it with a grain of salt...!
Die sagenhafte Wrme unserer Alija-Gruppe half hier nicht mehr viel. Es verlangte einen nach seinen eigenen vier Wnden, die ab und zu mal ein Jeder braucht, und die konnte sie nicht geben. Wir waren eben ber die Bedrfnisse einer Jugendgruppe nach 'Gesellschaft' hinausgewachsen. Deprimierend. Der Ausweg: das uralte Heilmittel der Menschheit, die Ehe. Es ist eben nicht gut, da der Mensch allein sei. Im Verlauf einiger Monte fand jedes Tpfchen sein Deckelchen. Und scheinbar nicht nur unter dem Zwang der Situation; von wenigen Ausnahmen abgesehen hielten die Ehen ihr Leben lang an. Das Band, das uns, die hollndische Gruppe irgendwie zusammenhielt, verlor zwar viel von seiner Kraft, es war aber trotz alledem im Hintergrund noch da und erlaubte nicht, ganz im Stil der Jugendbnde, persnliche Bindungen nach Auen hin zu betonen, damit sich nicht die, die bisher es nicht zu solcher Bindung gebracht, Gott behte getroffen fhlen knnten. So vermied man es mglichst, Arm in Arm in der ffentlichkeit zu flanieren, zusammen zum Essen zu gehen und an einem Tisch zu sitzen. Bei einer Generalversammlung, in der irgend eine Angelegenheit des Partners zur Diskussion stand, enthielt sich der andere Teil nicht nur der Stimme, sondern erschien ostentativ erst gar nicht bei der Versammlung.
Das junge Paar hatte ein geheiligtes Recht auf ein eigenes Zimmer (oder Zelt). Ein Anliegen dieser Art beriet die Wohnungskommission uerst ernstaft, denn jedes 'Ehezimmer' beein- trchtigte die Manverierungsfhigkeit der Wohnungskommission betreffs des ihr zur Ver- fgung stehenden Wohnraums.Wer eines solchen 'eigenen' Zimmers teilhaftig wurde, erreichte damit das, was dem Unverheirateten absolut fehlte: seine eigenen vier Wnde. Hier konnte man sich nach Geschmack einrichten und Zimmer oder Zelt nach Herzenslust mbelieren: Apfelsinenkisten oder Kisten von 'Tnuva' - fr den, der so etwas besass, ein unerhrter Luxus. Wer berdies noch als Tischler begabt war, konnte sie in Schrnke oder Kommoden umwandeln. Wer mit dem Schweissapparat umzugehen verstand, vermochte zwei 'Ssochnut-Betten' in ein doppel breites Ehebett umzubauen und wer auerdem noch ein Feld mit 'Rhodos-Grass' entdeckte, erlangte damit eine himmlische Matratze und paradisische Nchte - unter der Bedingung natrlich, da die Wanzen bereit waren ihm diese zuzustehen. Wir kmpften gegen sie mit allem Heroismus an und mit einer Ltlampe, soweit es das Eisenbett betraf; die schne Matratze aber musste man in Petroleum einweichen, mit dem Effekt, da mit den Wanzen auch die Bewohner das Weite suchten. Der Scheiterhaufen war in den meisten Fllen die einzige Lsung.
War das eigene Zimmer das verbriefte der Recht der Ehepaar, so waren dem dennoch Grenzen gesetzt. Nahmen die zur Auenarbeit gehenden dem Ledigen sein Zelt, so musste fr den Bedauernswerten andere Unterkunft gefunden werden. Notgedrungen fiel man auf eine althergebrachte Lsung zurrck: der/die Ledige wurde als 'Primus' in Zimmer oder Zelt eines Ehepaares einquatiert. 'Primus', weil diese Einrichtung fr genau so unumgnglich galt, als der Gebrauch des Petroleum-Brenners dieses Namens im Haushalt. Ich glaube, der Ursprung dieser genialen Erfindung, der Einquatierung eines Dritten nhmlich, ist in der russischen Oktoberrevolution zu suchen. Die neuen kommunistischen Machthaber suchten dem Wohnungsmangel in den groen Stdten durch eine ideologische Gesetzgebung Herr zu werden, die in den eigenen vier Wnden eine kleibrgerliche Auffassung sah, die sich nicht mit fortschrittlichem Denken vertrug. Und wie wir in den Ausgaben des 'Mibifnim', der Monatsschrift des Kibuz Hame'uchad, schon in den 20iger Jahren nachlesen knnen, war der 'Primus' im Privatzimmer eine feste Erscheinung und ein Fluch obendrein, der mehr als eine Ehe zerstrte. Die fhrende Schicht der Kibusbewegung aber erschtterte derartiges nicht. Fr sie war die Sache zwischen ihr und ihm, leninistischer Auffassung gem, jeglichen Ge- fhlswertes bar - nicht mehr als ein Glas Wasser fr den Durstigen, die auf keinen Fall uns von den wirklich groen Zielen unseres Wirkens abzulenken vermag - der Erneuerung der Gesellschaft und der Weltrevolution.
Zerstrte der 'Primus' das Eheleben und verhinderte nchtliche Entspannung nach zermrbender Tagesarbeit - die vor mglicher Schwangerschaft war weitaus grer. Jede zustzliche Geburt eine weitere finanzielle Belastung fr uns. Sowieso hatten wir kaum von was zu leben und diese Belastung trug berdies auch der Unverheiratete. Daher eine Schwangerschaft, auch eine erste, versetzte das junge Paar in Panik, in einen Wirbel von Schuldgefhlen gegen die anderen. Das "konntet Ihr Euch nicht vorsehen?" stellte im Grunde die ganze Ehe in Frage. Letzten Endes war nur alles eine Geldfrage, Mangel an Geld aber fhrte zum seelischen Bankrott. Nicht, da junge Paare auerhalb des Kibuz nicht die Schwere ihrer Existenz zu spren hatten - im Kibuz aber standen sie dem erhobenen, anschuldigen Finger gegenber.
Abtreibung war im Allgemeinen der einzige Ausweg, auch bei erster Schwangerschaft. Die betreffenden Gesetze der Mandatsregierung waren nicht sehr verschieden von denen heuzutage: eine sozial-rztliche Kommission konnte auf Grund gewisser, auch heute blicher Kriterien einen solchen Schritt besttigen und im Rahmen der Krankenversicherung durchfhren lassen. Aber besagte Kriterien nahmen keinerlei Rcksicht auf die finanzielle Lage des Kibuz, wenn die junge werdende Mutter gesundt und stark und noch dazu zum ersten oder zweiten Mal schwanger war. Die Lsung auf privatem Wege war mit betrchtlichen Ausgaben verbunden und nicht immer ganz ungefhrlich. Zwar wandte man sich zu diesem Zwecke fr gewhnlich an einen der erfahrenen Frauenrzte, die dieses Handwerk als einbringende Nebeneinnahme betrieben, aber nicht jeder Arzt konnte seinen Patientinnen ein oder zwei Tage Hospitalisierung anbieten, sondern sandte sie nach dem Eingriff unverzglich nach Hause. Auch nicht jeder verfgte damals, im Krieg, ber Betubungsmittel und Anti-Biotika waren um ein Jahrzehnt von uns entfernt. Mit Komplikationen war also fast immer zu rechnen, was aber kaum eine Frau, die in die 'Situation' geraten war, abschreckte und viele konnten in ihren rztlichen Akten auf mehr als nur eine Abtreibung hinweisen. Der Druck von auen war zu gro, wenn auch niemand das zugegeben htte.
Es waren aber nicht nur gesellschftliche Grnde ausschlaggebend. Auch persnliche Erwgungen: in den wenigsten Fllen die Fortsetzung der Ehe selbst, meistens die nhere oder fernere Zukunft an Ort und Stelle, im Kibuz. Immer gab es Leute die ausschieden und auch nicht alle, die mit der "Dora" nach Kibuz "Machar" segelten, blieben dort mehr als einige Wochen. Die Auenarbeit, besonders die in den alten, fundierten Kibuzim, ffnete vielen neue Horizonte, interessantere Arbeit, andere Menschen, hherer Lebensstandart - kurzum, auch hier sah der Rasen beim Nachbarn fters grner aus.
Die Beziehungen unter den Mitgliedern von Kibuz "Machar" wurden immer gespannter, kein Wunder, wir lebten weit unter 'Armutsgrenze', und nicht nur nach heutigen Begriffen, auch wenn wir uns das selbst nicht eingestehen wollten; letzten Endes war die ideologische Grundlage unserer Existenz auf den Stand 'eines Arbeiters in einem Arbeitsbattallion' ge- grndet. Da die Mhe unserer Arbeit uns nicht ein minimales Auskommen ermglichte, daran war sicher nicht die Idee schuld (nach Hegel: "wenn die Idee nicht in die Wirklichkeit passt, um so schlimmer fr die Wirklichkeit"). Nur, da die Sache vielen langsam auf die Nerven zu gehen begann. Ansiedlung lag Jahre hinaus, die Zukunft im Nebel. Kann man sich eine etwas nhere Zukunft aussuchen, eine etwas mehr versprechende?
Die Mehrheit der in den letzten Jahren Eingewanderten war mittellos und zum groen Teil auch ohne Beruf. Was man an landwirtschaftlichen Kenntnissen noch in Europa erworben, galt auerhalb Kibuz oder Moschaw nicht als Beruf. Als Arbeiter in der Zytruswirtschaft war man auf keinerlei berufliche Ausbildung angewiesen. Auerhalb des kibuzischen Rahmens war man nicht mehr als ein ungelernter Arbeiter mit bester Aussicht, den grten Teil des Jahres arbeitslos zu sein. Man konnte sich zum Sicherheitsdienst des jdischen Sektors anwerben lassen, fr Hungerlohn und britischem Drill. Wem es glckte, der ging zum Bau und konnte vom ungelernten Arbeiter allmhlich zum Maurer aufsteigen. In den 40iger Jahren aber lag der private Bau vllig brach; auer dem britischen Militr baute niemand. Auch Arbeit fr Frauen als Hausangestellte gab es kaum. Dazu Wohnung in bauflliger Barakke und 2 fr Essen und Kleidung im besten Falle, ein solcher Lebensstandart war sicher nicht hher als im Kibuz. Einige rannte aus Verzweifelung zur britischen Armee (noch bevor die Jewish Agency versuchte in diesem Rahmen eine jdische Einheit zu mobilisieren - und auf Ablehnung stie), erltten auf Kreta die beschmende Niederlage und wer am Leben blieb geriet fr sechs Jahre in deutsche Gefangenschaft. Schlielich und endlich hing viel von einem selber ab. Ein groer Teil sogannter beruflicher Ausbildung ist auch die Fhigkeit, sich den Bedingungen und Forderungen der Umgebung anzupassen. Von einer der Jugendgruppen im Werkdorf schloss sich uns einer an, ohne jegliche formelle Bildung, aber mit seltener Anpassungsfhigkeit, eher mimicry begabt. In Aschdot Ja'akov traf ich ihn wieder, in den verschiedensten Arbeitszweigen. Wo er auch immer arbeitete, im Kuhstall, als Gehilfe in der Zahnklinik, in der Bckerei, er trat dort als alterfahrener Fachman auf. Spter sah ich in in Tel-Aviv wieder - als Leiter einer TWA-Filiale, und von dort verkrmelte er sich wahrscheinlich nach USA. Irgendwelche soliden Kenntnisse hatte er nicht, aber auch keine Existenzprobleme... Es gibt auch Menschen, die nicht so whlerisch auf der Suche nach Erwerbsmglichkeiten sind. Ich kannte ein Ehepaar, auch von der hollndischen Hachschara, die whrend ihrer ersten Jahre im Land heie Wrstchen am Eingang zur 'Habima' in Tel-Aviv verkauften. Nicht viele in unserem Bekanntenkreis wren dazu bereit gewesen. Warum eigentlich? Was hielt uns davon ab? Ideologische Erkenntnis oder 'Standesbewusstsein'?
Schildere ich auch die Stimmungen der ersten Jahre sehr allgemein, so war ich natrlich von alledem selbst hchstpersnlich betroffen. Mit Nanni und iherer Familie machte ich bereits whrend meiner ersten Wochen in Kibuz "Machar" Bekanntschaft. Pessach 1940 beschlossen wir, ein gemeinsames Zimmer zu erbitten. Unser beiderseitige Bekanntenkreis war keineswegs von unser gegenseitigen Wahl begeistert, wieso und weshalb weiss ich bis heute nicht. Sicher waren wir im Charakter grundverschieden, aber so waren auch andere Paare. Nanni war die aktive von uns beiden, in den Kommissionen des Kibuz, im Arbeiterrat in Kfar Saba. Sie schien jeden zu kennen und jeder kannte sie. Aus groer Entfernung konnte sie heraushren, welches Kind wo weinte. Ihre Prinzipien waren absolut und ihre Folge der Idee unwiederruflich. Whrend einer Demonstration gegen das britische 'Weibuch' wollten Vertreter des "Betar' die rote Fahne von Kibuz "Ha'ogen" angreifen. Nanni war mitten im Handgemenge zur Verteigung der roten Fahne. Dabei war das Recht ganz und garnicht auf Seiten von 'Ha'ogen'. Man hatte sich vor verpflichtet um der Einheit nach auen hin auf politsche Abzeichen zu verzichten. Immer war ich verblfft ber die Leichtigkeit, mit der sie Bekanntschaft mit Fremden schloss.
Man besttigte uns ein gemeinsames Zelt. Ein oder zwei Apfelsinenkisten, ein Tonkrug, den wir irgendwo aufgetrieben und der uns als Vase diente (aber nicht den Kritikern der Wohnkultur in Kibuz "Machar" genehm war). Nach zwei Monaten zogen wir sogar in ein Barakkenzimmer ein, drei mal drei mit ein Zentimeter dicken Wnden. Ob wir einen Schrank hatten weiss ich nicht mehr. Jahrelang hatten wir noch Koffer unter dem Bett.
Wir lieen das zweifelhafe Erlebnis einer Schwangerschaftsunterbrechung ber uns ergehen, wie oben geschildert und die Komplikation, die Nanni darnach noch viele Jahre begleitete. Die Ausgaben dafr kamen aus unserer Tasche (ich hatte immer ein paar Pfund und ich kann mich nicht entsinnen, sie je fr etwas anderes als Abtreibungen ausgegeben zu haben, drei im Ganzen).
Auch wir zerbrachen uns den Kopf ber unsere Zukunft in Kibuz "Machar", jeder hatte seine eigenen Grnde; hier Reibungen bei der Arbeit, dort Benachteiligung bei der Arbeitseinteilung - nicht mehr als Ausreden um dem Rahmen zu entfliehen. Hinaus!
Auch schon vorher sind wir im Land herumgewandert. Unsere 'Flitterwochen' haben wir auf den Chausseen verbracht, so waren unsere Ausflge, im Hinblick auf unser Portemonnaie. Ausfliegen, das hie trampen, Bekannte in anderen Kibuzim aufsuchen im Emek, im Scharon oder im Galil, den damaligen Grenzen jdischer Ansiedelung. Besuch ohne Voranmeldung, kein Mensch fragte an, ob man auch genehm ist, macht nichts, derartige berraschungen waren gegenseitig. Wie htte der Kibuznik wohl sonst ein wenig herauskommen knnen, mal andere Luft zu atmen, mal in einem anderen Essaal ein anderes Men zu essen, dass vielleicht um einen Mil teuerer war als das zu Hause. Als 'Primus' irgendwo einquatiert zu werden und Abends auf dem Rasen zu sitzen, den rtlichen Klatsch zu hren oder sogar etwas Neues aus der Bewegung. Im Grunde genommen verlie man garnicht seinen Rahmen; wir hatten schon vergessen, da es da drauen noch eine andere Welt gibt, an der wir keinen Anteil hatten und in der wir nicht mehr als eine verschwindend kleine Minderheit waren. Wir hatten vergessen, da es so etwas wir einen privaten Haushalt gibt und eine eigene Kche, ohne Essaal. Nur einmal heraus, sei es auch nur in einem anderen Kibuz, mit anderen Freuden und anderen Sorgen.
So lernte ich die fhrenden Meschakim (Kibuzim) des Kibuz Hame'uchad kennen, das von Menschen wimmelnde 'Jagur', wo keiner den anderen kannte, das behbige, wohlfundierte 'G'vat', wo man Ziegenkse und Sahne zum Frhstck a. Und 'Ejn Charod', the 'Jewel of the Crown', Mutter der Kibuzim und Sitz der Gren der Bewegung, Namen wie Ssisling, Livne und Levit und natrlich Tabenkin.
Wie alle celebrities der groen Welt umspann auch diese hier ein Schein von Dichtung und Wahrheit, meist Dichtung, die trotz allem irgendwie den Charakter des Betreffenden herausstrich, seine berzeugungen und sein Privatleben. Eines war dieser alten Garde gemeinsam: Intoleranz dem Nchsten gegenber, besonders dem politischen oder ideologischen Gegener. Die 'pinsker Mentaltt', wie sie Georg Josephstal genannt hat. In Wirklichkeit waren diese Parteifhrer aus dem selben Holz geschnitzt, wie ihre bolschwistischen Lehrer in Russland. Intoleranz liegt der leninistischen Lehre zu Grunde: den Gegener auf den Abfallhaufen der Geschichte zu werfen. So der Ton: Ich und kein Anderer! Ein Wunder, da es noch 15 Jahre bis zur Spaltung des Kibuz dauerte.
Vieles wusste ich damals noch nicht, dort auf dem Rasen in Ejn Charod. Manches lernte ich Jahre spter in Aschdot Ja'akov and auf dem Seminar im selben, nunmehr geteilten Ejn Charod, doch das war noch lange hin. 1941 sa eine andere Kongregation auf dem Rasen, deutsch-hol- lndische Alija, die vielleicht weniger Anteil hatte an der politischer Gestaltung der Bewegung bis zur tragischen Spaltung der Arbeiterbewegung, die aber den alteingesessenen Dickkpfen die Fhrung einer modernen Milchwirtschaft aufzwang und die erste moderne Molkerei aufbaute. Am Abend auf dem Rasen spielte man Schallplatten mit einfachem Koffergramophon und Handkurbel, Beethoven und Mozart, bis spt in die Nacht. Der Kreis der Zuhrer war nicht besonders gro. Europische Kultur, das war beinahe auschlielich eine Angelegenheit der 'Jekes'.
Wie gesagt, Nannis Bekanntenkreis gengte als 'Entreebilliet' in den Essaal und zum bernachten. Wir kamen auch nach Jerusalem, damals lebte noch Max Lewin, wir konnten noch in der Altstadt umherwandern und vom Skopus und dem Aphitheater die Aussicht ans Tote Meer genieen. Diesmal aber wollte wir garnicht 'verreisen', dazu hatten wir ja kein Geld, wir wollten uns einen anderen Platz aussuchen. Dazu muten wir uns erst einaml nach Fug und Recht trauen lassen. Von Anfang beabsichtigten wir so etwas gar nicht. Fr uns war die Ehe eine Privatangelegenheit und bedurfte keines ffentlichen Siegels. Das war die Einstellung der meisten Kibuzmitglieder und bis zur Staatsgrndung lie sich kaum jemand beim Raw trauen. Die Krankenhuser schrieben ohne viel zu fragen die Geburten entsprechend dem angegeben Namen des Vaters.
Die groe Welt aber fhrte Krieg, einen Krieg auf Leben und Tod, wir jedoch in unserem kleinen Lndchen merkten davon nur die ueren Anzeichen in Wirtschaft und Verwaltung. Noch wute kein Mensch etwas ber das Schicksal der Juden Europas. Die jdische Fhrung versuchte die Englnder zu bewegen, jdische Einheiten aus Palstina in die Streitkrfte des Mitteleren Ostens aufzunehmen. Dazu waren die Englnder nicht bereit, aus mehr als einem Grunde.Freiwillige konnten sich zwar zu den im Lande stationierten britischen Truppen melden - wenn dies auch die gleiche Anzahl Araber tat. Die Araber aber rannten nicht zum englischen Militr; ihre Sympathien lagen woanders. Dennoch glaubten die Kinder Israels im Heiligen Land, da nach dem Fall von Kreta eine britische Generalmobilmachung bevorstand (die Hoffnung war verfrht, die 'Jewish Brgade Group' erstand erst 1944). Wurde man aber 'eingezogen', so wrde die monatliche Zahlung (allowance) nur einer gesetzlich verheirateten Ehefrau zu Gute kommen. So wie Lebensgefahr die Heiligung des Sabbats verdrngt, so ver- drngte die Aussicht auf Militrrente ideologische Erwgungen gegen eine rabinische Trauung. In Massen bestllte man Trauungen beim rtlichen Rabiner. 'Lag b'Omer', der einzige Tag zwischen Pessach und Schwu'ot, an dem eine Trauung mglich ist, fiel auf den 15. Mai.
Der Raw von Kfrar Saba verlangte 30 Grusch (ein drittel Pfund) fr Traung und Einschreibegebren, nicht allzuviel. Uns schien die Summe exhorbitant, das jhrliche 'Taschengeld' das jeder in Kibuz "Machar" bekam, berstieg keine 30 Grusch. Man sagte, der Raw im benachbarten Magdiel wrde es billiger machen. Der Raw dort, der seine Kibuzniks kannte, machte uns klar, wenn wir seinen Kriterien eines orthodox jdischen Lebens gerecht wren. Da dies aber kaum der Fall zu sein schien, so sei an so etwas nicht zu denken. Wir schrieben uns alo in Kfar Saba ein; man sagte, wir htten fr 'Mesonot' zu sorgen, d.h. fr Kuchen und sen Wein, und auch fr zwei Trauzeugen.
Die kleine Stube beim Raw war brechend voll, all die Atheisten hatte das Traufieber gepackt. Um vier Uhr Nachmittags waren wir dran. Mit uns war noch ein Ehepaar von "Machar", die schon einen einjhrigen Jungen hatten, nach so etwas fragte man aber nicht. Auch von 'Mikwe' redete man nicht. Die Trau-Zeremonie war fr mich etwas befremdend. Ich entsann mich hnlicher Feierlichkeiten in Deutschland: dort saen die Gste ordentlich im Saal und die Zeremonie wickelte sich wie auf der Bhne ab. Hier ging es im osteuropischen Stil: ich hatte ein Taschentuch zu halten und zu versichern, da der Ehering aus Gold und mein Eigentum sei. Umstndlich die Aufsetzung der 'K'tuba'. 50 Kaution legte ich als meinerseitige Verpflichtung fest, jeder Zoll ein gentleman! Dann fhrte man die Braut sieben Mal rund um die 'Chupa'. Das zertetene Glas sammelte man in einer Zeitung ein.
Schon vor der Trauung hatten wir unseren Jahresurlaub beantragt und bekamen sogar die 30 Grusch als Feriengeld ausgehndigt, ob jeder oder zusammen weiss ich nicht mehr. Wohin nun? Wir konnten nur Bekannte aufsuchen, Reisespesen waren ausser Frage. Als erstes Ziel whlten wir 'Ja'arot Hakarmel (heute Bet Oren), gegrndet von Mitgliedern der belgischen Dror-Bewegung, Leute, die Nanni in Belgien kennen gelernt hatte und die zu uns in Antwerpen in die "Dora" einstiegen. Nach Ja'arot Hakarmel kamen wir ber Haifa, per Tramp natrlich, auf einem Lastwagen des Kibuz durch dan damals noch vllig unentwickelten Karmel, auf dem es noch nicht einmal eine gepflasterte Strae gab. Noch war die herrliche Gegend unberhrt und von 'Naturschutzgebieten' wusste man noch nichts.
Zu sehen gab es nicht viel in diesem Kibuz, mit der Entwickelung der Landwirtschaft hatte man noch garnicht begonnen und Touristik in der Wildnis kannte man nicht. Wir verstanden sehr bald, da auch in Ja'arot Hakarmel so manches besser ungesagt blieb. Die Leute waren alle deprimiert, kaum Aussichten auf gesicherte Existenz, die Entwickelungsgelder waren noch nicht einmal besttigt...
Bei der Wegkreuzung 'Jagur' fanden wir Tramp ins Emek Jesre'el (oder fuhren wir mit der Bimmelbahn fr ein paar Pfennige dorthin?). Unser Ziel war 'Moledet', eine Gruppe Deutscher, angehrig der Moschaw-Bewegung. Ihre Vorbereitung hatten sie in Nahalal absolviert und sich im Emek, nicht weit von 'Bet Haschita' angesiedelt. Schon in Deutschland hatten sie die Lebensform des Moschaw fr sich gewhlt, sie wollten aber nicht den "Familienbetrieb' des Kleinbauers. Die Wirtschaftszweige wollten sie, wie im Kibuz, gemeinsam, bearbeiten, ihren Haushalt aber als private Familie fhren.
Die Synthese zwischen Kibuz und Moschaw fhrte zu der Bildung des 'gemeinsamen Moschaw', eine Strmung, deren erster Vertreter 'Moledet' war. Die Idee einer Dorf-Kooperative war nichts Neues in der groen Welt. Hier im Land versuchten sich darin als erste Juden aus Sddeutschland, die dort ihr Dorf (Rexingen) gemeinsam verlieen und 'Schawe Zion' bei Naharia grndeten. Diese guten Leute hatten keinerlei politische Affilation. Sie whlten die gemeinsame Bewirtschaftung aus rein kommerziellen Grnden. In Europa kannte man schon hunderte von Jahren gemeinsame Nutzung der Weide, des Wassers und Nutzung von Bden im Turnus. Bei uns pflegten Zyniker zu behaupten, der 'Gemeinsame Moschaw' vereinigte in sich keine Vorteile, wohl sicher aber alle Nachteile der Kibuz- und der Moschaw-Bewegungen zusammen. Trotzdem entwickelte sich im Laufe der Zeit die 'Gemeinsamer Moschaw'-Bewegung zu einer Reihe gut situierter Siedlungen.
Auch in 'Moledet' hatte Nanni eine Bekannte, eine Schulfreundin noch aus Breslau. 'Moledet' war nicht mehr als ein paar Schritte von 'Bet Haschita' entfernt, allerdings als provisorische Ansiedlung, bis zum Bau. Vorlufig stand da eine groe Barakke als Essraum und Kche, und viele Zelte. Die Bden aber, mehr als 10,000 Dunam wurden schon voll bearbeitet, im Feldbau allein natrlich. Auch ein Kuhstall war in den Anfngen. Vorlufig war noch alles wie im Kibuz, sehr zum rger der Mitglieder, die schon mit Ungeduld darauf warteten, in ihre eigenen Wohnungen einziehen zu knnen.
Man empfing uns warm, troz unseres Hereinschneiens. Was konnte man uns mehr bieten als das bliche: ein Bett in einem leeren Zelt und einen Platz im Essaal, ohne viel zu fragen (Abweichungen von der Norm waren selten: Dgania B' sandte einmal an Aschdot Ja'akov eine Rechnung fr das Mittagessen eines Chawers, ein Landvermesser, der in ffentlichem Auftrag dorthin geraten war).
ber die Bewegung des 'Gemeinsamen Moschaw', im Unterschied zum Kibuz, wussten wir nicht viel. Im gewhnlichen Moschaw ist jeder fr sich, Herr in den eigenen vier Wnden, und solange er niemanden etwas schuldet und Lohnarbeit exploitiert, kmmert es niemanden, was er tut. Der 'Gemeinsame Moschaw' garantiert zwar das eigene Heim und den selbststndigen Haushalt, verlangt aber von seinen Mitglieder den vollen Einsatz zur Bearbeitung der gemeinsamen Landwirtschaft. Ein jeder hat sein Knnen und Wissen unter Beweis zu stellen, damit nicht die Anderen die Arbeit fr ihn tut und er dennoch die Frchte gemeinsamer Anstrengung geniet. Das berhmte 'Gemeinschafts-Syndrom', angetan wie keines, die Atmos- phre zu vergiften.
Wir baten uns einige Tage aufhalten zu knnen, wenn auch, da alles im Augemblick sich wie im Kibuz abspielte, nicht viel zu lernen war; bis die Entwickelungsgelder frei wurde, dauerte es noch einige Jahre. Man teilte uns also zur Arbeit ein, Nanni in die Kleiderkammer, mich aufs Feld, mit allen anderen, Getreide aufladen, das soeben vom Mhdrescher geschnitten war. Alle waren 'Jekes', Umgangssprache Deutsch. Ein Teil Akademiker. Das Gesprch drehte sich hauptschlich um persnliche Erfahrungen whrend ihrer 'Ausbildung' in Nahalal. Es schien, als habe man ihnen dort den 'Stachanovismus' eingeblut.
Man machte uns auch mit einem jungen Ehepaar bekannt, einem Hans Prinz und Frau, aus Berlin, und etwas lter als wir. Beide sehr gebildet. Der Bruder von Hans war kein anderer als der berhmte Joachim Prinz, einer der bekanntesten Rabiner seiner Zeit in Deutschland. Der mehr liberalen Strmung angehrend, war er auch einer der fhrenden Zionisten. Brillanter Redner, so ganz nach dem Herzen der westberliner Juden, die 'Provinz' begeisterte sich weniger. 'Modepriester' nannte ihn mein Vater und er war absolut nicht der einzige dieser Gattung. Er zog es vor, nach Amerika zu gehen anstatt nach Erez Jisrael (wie ein groer Teil der berliner Zionisten; Felix Rosenblth und Chajim Cohen waren Ausnahmen). Es ist wohl anzunehmen, da Dr. Joachim Prinz hier im Lande erste Geige nicht gespielt haben drfte, aber auch in Amerika ist es nicht wahrscheinlich, da er neben Steven Wise und Hillel Silver ein Stern erster Gre gewesen war. Gehrt hat man von ihm schon damals nichts mehr. Hans Prinz, der nicht berhmte Bruder des groen Joachim, war uerst bescheiden, er frchtete immer, den rigorosen Anforderungen des Moschaw als Landwirt nicht zu gengen. Diese Atmosphre eines wilden Wettbewerbs untereinander scheint mir zum grten Teil nur in der Einbildung einiger Mitglieder (mit Minderwertigkeitskomplexen) bestanden zu haben; sie verbitterte ihnen aber das tgliche Leben. Spter fuhren wir, da wir gute Aussichten gehabt htten in "Moledet' aufgenommen zu werden. Nach einer "Ausbildung' in den Pardessim von Kfra Saba und am Toten Meer brauchte man wirklich keine Angst vor den 'Falachen' in Moledet zu haben. Aber die Angst hatte uns Hans Prinz eingejagt. Vor gesellschaftlichen Spannungen waren wir ja gerade ausgerissen.
Wir zogen unseres Weges. Die Ereignisse der groen Welt nahmen ihren Lauf, und die Ereignisse waren der Krieg. Die Nachrichten darber waren alles andere als ermutigend. Frankreich war gefallen, die nrdliche Hlfte von den Nazis besetzt, der Sden regiert von Vichy aus. Einige Einheiten der Kolonial-Armee in Nord-Afrika hatten sich gegen das Regime von Petain erhoben, unter der Fhrung eines General de Gaulle, das 'Freie Frankreich'. Das koloniale Syrien und Libanon aber unterstanden noch der Vichy-Regierung und begannen, unter der Nase der Englnder, den Deutschen Einla zu gewhren. Die Englnder bereiteten also den Einfall in Syrien und Libanon vor. Das konnte man besonders im nrdlichen Teil des Landes bemerken: Zeltlager von Militreinheiten sprossen pltzlich berall hervor, so auch im Emek. Auf den Feldern von "Moledet' fragten uns Soldaten in franzsischer Uniform nach Wegrichtung. Dies waren die ersten von de Gaulles Einheiten, die sich den Englndern beim Einmarschin Syrien anschlossen. Unser nchstes Ziel war aber Naharia.
Nach Naharia kamen wir einige Tage vor 'Schwu'ot'. Naharia kannte ich breits. Entfernte Verwandte meiner Mutter hatten sich dort 1936 niedergelassen und ein kleines Restaurant erffnet, das sich bald in ein Caf und Gasthaus erweiterte. Die verwandtschaftliche Nhe war etwas weit hergeholt: Frau Ella Flatow war die Schwester der Witwe des ltesten Bruders meines Vaters, der im ersten Weltkrieg in Frankreich fiel (die Witwe heiratete ein zweites Mal und war mit ihrer Familie ein Opfer der Judenvernichtung, auer den zwei Shnen aus erster Ehe, Kurt und Martin Radzewski, die nach Argentinien ausgewandert waren). Herr Flatow erffnete sein Restaurant als zeitweiligen Mittagstisch fr die zahlreichen Arbeiter, die damals noch Naharia aufbauten. Zwei Tchter hatte die Familie, Ruth, die kleinere, damals 12 Jahre und Else, die ltere, bereits verheiratet mit David Botsheim, spter Me'iri. Schon bei meinem ersten Besuch in Naharia, 1938, war Caf Flatow der Mittelpunkt des Stdtchens. Whrend der Sommermonate vergrerte der groe Rasen vor dem Haus die Flche des Cafs betrchtlich. Flatow fhrte das Unternehmen, aber ich glaube sein Schwiegersohn war der Fachmann.
Flatows empfingen uns beraus herzlich. Sie ffneten uns eines iherer Gstezimmer. Sie verstanden sofort, was uns nach Naharia gebracht hatte. Von Kibuzniks, die 'das Morgen' suchen, Naharia war voll von solchen bis unter das Dach. Viel konnten wir ber uns nicht sagen - vielleicht das Nanni Erfahrung mit Kleinkindern hatte, und ich, nun ja, irgend einen Beruf oder eine Handfertigkeit konnte ich nicht vorweisen.
Am nchsten Morgen drehten wir uns ein wenig in Naharia herum. Der Platz war 1933 oder '34 als landwirtschaftliche Ansiedlung von deutschen Juden gegrndet worden, zum Teil begtert, und mittels einer Genossenschaft, die 'Naharia GMBH', die die Bden zur Parzelierung vom Keren Kajemet zugewiesen bekam. Ob Entwickelungsgelder damit verbunden waren weiss ich nicht mehr. Jedenfalls, bei unserem Besuch 1938, erklrte man uns bei der "Naharia-Gesellschaft', eine Parzelle von 9 Dunam, mit kleinem Wohnhaus, Hhnerstall fr 100 Legehennen und ein- oder zwei Dunam bepflanzt mit Obstbumen, wrden zwischen 1000 bis 2000 kosten. Fr gewhnlich kam jemand im Besitz eines 'Kapitalisten-Zertifikats' mit nicht viel mehr als 1000 an. Wie baut man sich eine solche Wirtschaft auf? Die 'Naharia-Gesellschaft' versprach fr entsprechende Instruktion zu sorgen. Man konnte auch eine nicht-landwirtschaftliche Einheit erwerben, zu welchen Bedingungen erinnere ich micht nicht mehr. Im Juni 1938 war von Landwirtschaft in Naharia nicht mehr viel zu spren. Sehr schnell stellte es sich heraus, da Kernobst dort nicht wuchs; Wind und Salzgehalt der Luft unterdrckten die Entwicklung. Aber die Einwohner Naharias waren sowoiso nicht besonders an Landwirtschaft interessiert. Sie waren im Durchschnitt lter als die Einwanderer der Chaluzbewegung und hatten auch keine europische Hachschara hinter sich. Einige wenige hielten ein paar Hhner, hier und da versuchte es jemand mit Gemse, wenn er etwas schwereren Boden hatte, oder hielt eine oder zwei Khe. Mit den landwirtschaftlichen Produkten der Araber der Umgebung zu konkurieren, das konnte niemand. Die Naharianer jedoch entdeckten den wahren Schatz, der am Strand Naharias verborgen war: die Touristik. Schon 1938 war die Fremdenindustrie gut entwickelt, im Sommer 1941 erreichte sie durchaus europisches Niveau. Naharia hnelte manchem kleinen Badeort an der Ostsee, mit seinen blitzblanken Cafs, Restaurants und Pensionen (ein Hotel gab es noch nicht). Die Umgangssprache war - Deutsch.
Die Hauptstrae durchquert Naharia von der Einfahrt bis zum Strand. Ein fieberhaftes Hin- und Her fiel uns auf. Schon beim Frhstck hatten Flatows bemerkt, da Naharia zum Fest viele Gste erwartete, sozusagen ausgebucht war. Sogar der High Commissioner hchstselbst hatte sich angesagt, um das Fest (Pfingsten fiel damals mit Schwu'ot zusammen) in Mauern Naharias zu verbringen. Dies zu hren, beschlossen wir, nicht noch eine weitere Nacht Flatows Gastfreundschaft auszunutzen und falls alle Strnge reien sollten, auch am Strand zu schlafen. Wir sagten Flatows daher sofort, wir wrden uns noch heute feste Unterkunft suchen.ber eins der augenblicklichen rtlichen Probleme waren wir bereits orientiert: bei einem Luftangriff auf die l-Raffinerie in der Haifa Bucht durch Vichy Flugzeuge war die Butan-Gas Installation getroffen worden. Butan-Gas diente in vielen Haushalten, aber fast ausschlielich in den zahreichen Gaststtten, zum Kochen. Es entstand pltzlich ein unvorhergesehener Mangel an Koch-Gas. Die nchste Niederlage von 'Shell', die den Mangel htte beheben knnen war weit weg - in Suez. Was tun, noch dazu kurz vor den Feiertagen? Damit jedes Restaurant und Pension wenigstens ein Minimum geliefert bekam, beschlo der Gaslieferant, Inhaber der rtlichen Gasagentur, die Ballons zu ffnen und jedem einen halben zu geben - ein nicht ganz ungefhrliches Unternehmen. Wir sahen zu, wie er die Gasflaschen umgo, als ob es sich um Milchkannen gehandelt htte und sie dann anschlo, von Haus zu Haus. Er sah uns, kam uns pltzlich entgegen und strahlte bers ganze Gesicht: "Ich bin Benjamin Jeremias, ich hrte von Flatows, da Nanni mit Kleinkindern arbeiten kann. Meine Frau hat einen Kleinkindergarten und sucht Hilfe". Wir waren etwas verblfft ber die Geschwindigkeit, mit der Nachrichten in Naharia wandern, aber es war ja auch das erste Mal fr uns auerhalb des Kibuz.
Noch Bekannte trafen wir in Naharia, diesmal von mir. Jaques Scherman, einer von unserem frhlichen Haufen in Markendorf bei Jterbock im Sommer 1936. Seine Mutter hatte scheinbar viel Geld, die Familie besa eine groe Villa am Meer und einige Dunam Land, das sie Anfangs zu bearbeiten versuchten, es dann aber bald aufgaben. Er selbst arbeitete bei der Post, sein jngerer Bruder irgendwo in der Landwirtschaft. Wir tauschten Erinnerungen aus und ich kam bald zu dem Schlu, da die Aussichten auf Arbeit keinesfalls rosig seien. Jaques Rat: "Versuche bei Flatow unterzukommen, das wre das Beste was Dir hier passieren knnte".
Noch einen Bekannten von mit trafen wir, von dem ich garnicht wusste, wo er geblieben war. Harry Litten gehrte im Werkdorf einer Gruppe des 'Makkabi Haza'ir' an, er kam mit uns auf der 'Dora' und ging, wie vorgeschrieben, nach 'Kfar Makkabi' in der Nhe von Haifa. Auch er kam nach Naharia sein Glck suchen. Er war lter als wir, in Deutschland war er Dozent fr Literatur an irgend einer Universitt gewesen. Auch er gehrte zu jenen Typen, die immer auf die Beine fallen und sich berall assimilieren. Akademische Arbeit fand er in Naharia nicht, aber er schien es nicht schlecht als Kellner und Passpartout in einer Pension getroffen zu haben. Unsere gegenseitige Begrung war begeistert und er kam direkt zur Sache: seine Arbeitgeberin, eine Frau Burmeister, Deutsche, etwas ber das 'beste' Alter hinaus, hatte sich mit ihrer Kchin verkracht, gerade vor den Feiertagen, vielleicht knnte Nanni... Wir begaben uns unverzglich in die Pension Burmeister. Die Dame des Haus machte Eindruck: eine Mischung aus Blaustrumpf, enttuschte Intellektuelle und Gefngniswrterin, von der Sorte der landgngigen Hexen, die man im Allgemeinen frei und ohne Aufsicht herumlaufen lsst. Frau Burmeister liebte es nicht Ivrit zu sprechen, da man von einer Person ihres Niveaus eine 'reiche' Sprache erwartete, zu der sie es aber bisher nicht gbracht hatte. Viele Fragen stellte sie nicht, zu mindestens nicht zur Sache. Sie schien den Ansichten Harry Littens in allem zuzustimmen, und wir hatten den Eindruck, die Beziehungen zwischen den beiden ging etwas ber das Arbeitgeber/Nehmer-Verhltnis hinaus. Kurz und gut - Nanni war breit bei ihr Kchin zu spielen. Was zu kochen war, das wusste man noch nicht, Nanni sollte auf jeden Fall am nchsten Morgen zur Arbeit erscheinen.
Viele Jahre sind seitdem vergangen und ich weis nicht mehr, wo wir Abendbrot aen, was wir Flatows ber unseren 'festen' Wohnsitz mtteilten und wo wir unsere Koffer unterstellten. Wir nahmen uns unsere Decken und gingen zum Strand hinunter. Stille ringsum, nur von ferne leise Schallplattenmusik aus einem der verschiedenen Cafs. Wir streckten uns im Sand aus. 'Der gestirnte Himmel ber uns', das beruhigende Pltschern der Wellen um uns - das Morgenrot fand uns erfrischt und ausgeruht.
Harry Litten, der Nanni zur Arbeit begleitete, war entsetzt, als er hrte, wir htten die Nacht am Strand verbracht. Er bot uns fr einige Tage seine eigene Unterkunft an, die er, wie er sagte, nicht immer benutze (!), ein Lift, Container wrden wir heute sagen, der deutschen Einwanderen zum Mbeltransport gedient hatte und in manchen Hfen noch als Wohnraum vermietet wurde. Wir trennten uns, Nanni ging zu ihrer Arbeit, fr 20 angesagte Gste Abenessen vorzubereiten. Ich vertreib mir die Zeit bei Jaqui Scherman. Mittags trafen wir uns irgendwo. Nanni hatte Glck: sie hatte es fertig gebracht, sich die Aura einer erfahrenen Kchin zu verleihen und berdies ein Abendessen hingelegt, das die Anzahl der Sterne, die Frau Burmeister ihrer Pension zusprach, durchaus nicht beschmte. Am Abend mute sie nochmals zurck in die Kche um das Anrichten des Essens zu beaufsichtigen. Es war schon nach 11 Uhr als wir uns wieder sahen. Nanni hatte etwas von der Dinner-Tafel fr mich zum Abendbrot mitgebracht und dann fhrte uns Harry Litten zu seinem Lift, ein Kfig von 2.5 mal 1.5 Meter im Quadrat, verdreckt wie eine Jungesellenbehausung. Wir lieen uns nieder und machten uns zusammen Kaffee. Inzwischen erwachte die Besitzerin des Grundstcks und des Lifts in ihrem kleinen Huschen nebenan und erschien in zerschlissenem Morgenrock um zu fragen, was der Lrm zu bedeuten habe. Harry erklrte ihr, er wolle uns ein oder zwei Nchte hier unterbringen, da er, Harry, sowieso wegen der Feiertage an seinen Arbeitsplatz auch des Nachts gebunden sei. Die Frau des Hauses reagierte wie jemand, dem man ein zweifelhaftes Geschft vorschlgt, "Schlielich sei ihr Grundstck kein Asyl fr Obdachlose". Aber als sie uns Deutsch sprechen hrte beruhigte sie sich, wnschte uns eine gute Nacht und zog sich zurrck. Wir beschlossen, am nchsten Morgen so schnell wie mglich den Platz zu rumen, um ihr nicht noch einmal unter die Augen zu kommen. Jahre spter baute sich Liesschen Mller, so hie die Dame, ein Haus in Gvaram, und meine Mutte kaufte es ihr dann ab. Sie war die Tante von Ge'ula Benjamin.
Gleich nach Ausgang der Feiertage fanden wir uns einen anderen Lift in einem anderen Gehft, eingerichtet mit Eisenbett und Apfelsinenkiste. Wir beschafften uns eine Kochflamme und einen Kochtopf - siehda, unser erster Privathaushalt in den eigenen vier Wnden! Am kommenden Tage schlug mir Flatow bei sich Arbeit vor als Hausknecht, wie man so sagt, Hausgrtner, Lieferant, 'Mdchen fr alles', 'Schlattenschammes', der Lohn entsprechend dem rtlichen Tarif des Arbeitsamtes, 30 Grusch (Naharia zahlte immer mehr als anderswo). Ich nahm an - es war wirklich das Beste was mir geboten wurde, das Einzige nhmlich...
Eine 'Wohnung' hatten wir also, ich hatte Arbeit und Nanni einige Angebote, nachdem bei Frau Burmeister nach den Feiertagen es nichts mehr zu tun gab, alle Vorschlge aber waren nur zeitweilig. Der Gasmann hatte dafr gesorgt, da das ganze Stdtchen Nanni pltzlich zu kennen schien. Seine Frau, Channa Jeremias bot Nanni Arbeit als Hilfe in ihrem Kleinkinderheim an.
Diese Familie Jeremias war etwas Besonderes. Sie hatte etwas von dem 'carefree' im Stil der 60iger Jahre. Ihr Grundstck gehrte bereits zum (knftigen) Entwicklungsgebiet des Strand-Bezirks. Parzellierung gab es bereits, Planung aber noch weit weg. Daher hatte sie weder Wasser, noch Strom. Ein Zollrohr verband sie von irgendwo mit einem Wasserhahn, fr Licht sorgte ein 'Lux', na, und elektrische Khlschrnke hatten sowieso die wenigsten damals. Ihre Abode war eine Kreuzung aus Barakke, Blechhtte und Sperrholz. Das gerumige Wohnzimmer glich einer Patio, mit Pflanzen, die aus den Wnden durch die Decke wuchsen. Der Raum diente auch als Schlafzimmer des Ehepaar, die beiden Tchter bewohnten zwei anliegende Kammern; eine dritte war ein kitchenette. Die Dusche versteckte sich in irgend einer Ecke des Hauses. Das Wohzimmer war auch das Bro der Gas-Agentur: ein Tischchen in einer Ecke. Vor allem aber diente das Wohnzimmer in den Vormittagsstunden zur Aufnahme der Kleinen. Eine berdachte 'Terasse' vor dem Haus erweiterte den Raum als Spielplatz whrend des grten Teils des Jahres.
Channa und Benjamin Jeremias kamen beide aus Deutschland, aber nicht mit der organisierten Alija, wie die meisten Jngeren. Ob sie bemittelt waren weiss ich nicht. Benjamin schien eine landwirtschaftliche Hochschule oder hnliches absolviert zu haben und kam nach Naharia als Instruktor. Channa war die Tochter irgend eines bekannten zionistischen Fhrers und das verhalf beiden zu einem Zertifikat. Naharia aber ward immer weniger auf die Dienste eines landwirtschaftlichen Instruktors angewiesen, Benjamin Jeremias fand aber bald Anstellung in den britischen landwirtschaftlichen Versuchsstation und 'Stockfarm' im benachbarten Akko. Dort bernahm er die Leitung der Schweinezucht, ein wichtiger Betriebszweig fr die christlich-arabische Landbevlkerung der Umgebung. Das hie aber nicht, da man auch in Naharia Schweine zu zchten begann - in Naharia hatte man lngst aufgehrt von 'Boden' zu reden, dort sprach man nur von 'Grundstcken'. Das Gehalt eines Angestellten H.M.Government reichte aber nicht zum Leben aus und hier sprang, wie der Kindergarten von Channa, die Gas-Agentur ein. Diesen beiden Beschftigungen, Gas und Instruktion, blieb Jeremias sein Leben lang treu: Noch Anfang der 80iger bezeugte davon der elegante Pas-Gasladen in Naharias Hauptstrae und dann traf ich ihn einmal bei einem Landestreffen von Instruktoren in Kirjat Gat - bezglich Obstbaus, nicht Schweinezucht...
Damals jedoch ernhrten sie sich mehr schlecht als recht, ihrer zahlreichen Beschftigungen zum Trotz. Soweit wir sahen, bemhten sich beide nicht bsonders mit ihren sprlichen Einnahmen wirtschaflich umzugehen. Channa konnte ohne viel nachzudenken einkaufen, Benjamin spielte es keine Rolle bei Flatow zu frhstcken, bevor er zur Arbeit fuhr - der Autobus hielt genau vor dem Caf Flatow. Ein derartiger Lebensstil war nicht uninteressant fr uns, wenn auch nicht ganz verstndlich; zu Hause hatten wir so etwas nicht gesehen. Aber das alles ist relativ: nach heutigen Verhltnissen lebte man in Naharia mehr als bescheiden.
Eines konnte man jedenfalls lernen, wenn man bei Jeremias am Tisch sa (ab und zu a ich dort zu Mittag): den rtlichen Klatsch. Alles ber Jeden. Die bloe Beschftigung von Channa und Benjamin machte sie zu zentralen Figuren in Naharia. In jedem Kochtopf und jedem Schlafzimmer kannten sie sich aus. Irgend ein Vorfall, eine unbeabsichtigte Bemerkung, wuchsen in Jeremias' Nachrichten-Agentur zu Ereignissen aus. Einmal passierte es, da ein Ei, das der alte Flatow Benjamin Jeremias servierte nicht ganz frisch war. So etwas kann schon mal vorkommen und nicht angetan, den Ruf, dessen Caf Flatow sich erfreute, in Frage zu stellen. Den ganzen Tag aber war Flatow sich nicht sicher, da Jeremias die Sache nicht im Autobus nach Haifa ausposaunen wrde. Und so war es dann auch: noch am selben Abend hrte man Jeremias Version zitiert, gleich der Schlagzeile einer gelben Presse.
Ohne Ende knnte man ber die Leute von Naharia erzhlen. Einige wurden bekannt. Die Fleischerei wurde von einem Ehepaar Kwilezki aus Breslau betrieben, Bekannte meiner Mutter. Der Laden war klein und adrett und sie besaen bereits einen Khlraum, den auch Flatow manchmal zur Khlung von Getrnken benutzte, wenn seine Einrichtung wegen groen Andrangs an Sonn- und Feiertagen nicht ausreichte. In einem Zimmer 33 hinter dem Geschft kochten sie auch Wurst, die stolz den Wasserturm Naharias als Warenzeichen trug. Ihre Tochter war bereits verheiratet und der Schwiegersohn Teilhaber im Geschft. Er hie Zaglobeck. Ein anderer, gro gewachsen und bebrillt, fuhr tglich per Fahrrad von Haus zu Haus und verkaufte Milch und Sahne. Seine Ware fhrte er auf dem Gepcktrger mit sich. Ich glaube nicht da er Khe hielt, seine 'Molkerei' befand sich in einem kleinen Zimmer, daselbst ein Separator und ein Tisch zur Bereitung von Kse. Er war gut situiert, davon bezeugte die schne Villa, in der er wohnte. Er nannte sich Strauss.
Was aber Naharia damals auszeichnete war nicht Zaglobeck und Strauss als Fabrikanten, als der 'jekische' Charakter des Ortes. "Die Teilung kann ausfallen wie sie will, Naharia bleibt deutsch!", pflegte man zu sptteln whrend der 'Round Table Conference' in London. Bei Ausbruch der Unruhen 1936 war Deutsch die Sprache des Sicherheitsdienstes. Die Schullehrer behaupteten, den Kindern mangele es an Ausdruckfhigkeit in Ivrit, weil sie zu Hause nur Deutsch hren wurden - blanker Unsinn, wie viele mehrsprachige Diplomatenkinder in aller Welt bewiesen.
Wenn die Naharianer, insbesondere die 'Haute voll' unter ihnen, nach einer zweiten Sprache strebten, so war dies Englisch. Englisch sprechen, das war schon 'standesgem'. Die Englnder hatten ein Ferienlager ausserhalb Naharias eingerichtet. Zum grten Bedauern vieler Gaststtteninhaber war Naharia 'in Bound to all Ranks' erklrt worden und leider nicht 'Officers only!' Das garantierte zwar grere Einnahmen, war aber keineswegs immer einfach. Die britische Armee ihrerseit hatte keine andere Wahl; sie hatte fr die kurzen Urlaube ihrer kmpfenden Einheiten in der westlichen Wste zu sorgen.
Alles bemhte sich eben in Englich flieend zu sein. Man erzhlte sich auch, da die Jungfrau Maria unbeabsichtigt in Naharia stecken geblieben war und nach Oben telefonisch anrief: "Mary is speaking..." Man konnte sie totsicher bei Flatow antreffen, zum 'Five o'clock Tea (sharp)' , beim Tanz zu einer Schallplatte 'Somewhere in France', in den Armen des 'Captain of the scottish Guards', der gerade aus Tobruk eingetroffen war. Sollten da die Frauen Naharias unttig zusehen? "Unsere guten Beziehungen zur britischen Armee sind wohl hier und da ein Baby wert" erklrte der Brgermeister von Naharia an einem Ver- brderungsabend im Kreise englischer Offiziere, mit mehr Promille Alkohol als zutrglich im Blut. Und sowieso, sagte man, die Frauen htten alle schwarze Unterhosen zu tragen, wegen des Verdunkelungsbefehls fr militrische Objekte...
Fr viele, beonders fr manche Damen, bedeutete alles was englisch, englische Kultur war etwas Erstrebenswertes, fand auch diese 'Kultur' ihren Niederschlag hchstens in Schallplatten und Filmen, berdies zum grten Teil amerikanischen Herkunft, und die Trger britischer Kultur sich nicht selten als betrunkene Soldaten und ungebildete Subaltern Beamte materialisierten, die ihren Dienst hier als Strafversetzte absolvierten. Keiner dachte daran, da London zerbombt, da auf den britischen Inseln alles streng rationiert war und da, den Briefen ihrer hier dienenden Mnner zufolge, Palestine sich in Augen englische Hausfrauen als ein Paradis auf Erden abzeichnete, wo alles in Hlle und Flle zu haben war.
Nein, nicht jeder Englnder, der bei Flatow ber seinem Glas Whisky brtete war ein Lord und Herr eines 'Manor-House'. Es waren Menschen wie Du und ich, die sich um ihren Ange- hrigen im zerbombten England sorgten, was sein wrde, sollten sie von Rommel und der 'Western Desert' nicht lebend zurrckkehren. Sie redeten nicht viel ber sich. Hier und da murmelte einer der lteren Offiziere, "ja, er sei der letzte von seinem Regiment und warte auf Versetzung in eine andere Einheit". Ihre persnlichen Probleme und Sehnschte lsten sie, wie es ihre Vter und Urvter getan, vom Atlantik bis zum Ural,: mit Hilfe von 'John Barleycorn', dem Schnaps, sei er aus Getreide oder Kartoffeln, ihre Sorgen und ngste zu ersufen. Wir Juden sahen darin nie einen Ausweg, wir wurden aber auch nie unsere Sorgen los. Dem Englnder oder Schotten, der da bei Flatow hinter seiner Flasche sa, half es ber die nchsten 48 Stunden von Verzweifelung und Einsamkeit hinweg. Das heisst solange sie allein waren, Englnder, Schotten, Australier, Sd-Afrikaner, jeder fr sich. Die Anwesenheit von mehr als je einem Vertreter der Lnder des Commonwealth an einem Platz schuf im Handumdrehen die 'kritische Masse', die sofort zur Explosion fhrte. Besonders Englnder und Australier konnten in einem Lokal nicht mehr als eine viertel Stunde zusammen sein, ohne da es zu Zusammensten gekommen wre.
Gegenseitiger Antagonismus, noch aus der Zeit der Strflingstransporte und dem Abenteuer von Galipoli, da Churchill Australiens Regimenter verheizte. Jetzt wieder, im Libanon 1941, gingen die Australier voraus und saen natrlich in Tobruk in den vordersten Linien. So fhlten jedenfalls die Australier gegenber den Pommies, die sich vor allem drcken und andere fr sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen lassen. So stellten eines Abends ein Dutzend Englnder und Australier das Caf Flatow innerhalb weniger Minuten auf den Kopf; nur das schnelle Eintreffen der Militrpolizei verhinderte Tote. Ein Ur-Hass. "Wisst Ihr", fragte einamal ein schottischer Offizier eine Gruppe von Anwesenden mit Stentor-Stimme, "you know, what's the British Empire? Scottish brains, irish work and jewish money" Wer braucht da noch die Englnder!
Der alte Flatow liebte das alles gar nicht, und in den Jahren, da Erez Jisrael die Etappe der Nord-Afrikanischen Front gegen Rommel war, htte er lieber ein Wiener Caf an Stelle einer Wild-West-Bar gefhrt, in der Umsatz an akoholischen Getrnken alle andere Konsumtion weit berstieg. Sein Schwiegersohn David Me'iri aber schwamm darin wie ein Fisch im Wasser. Der sprach flieend Englisch, verstand es Soldaten und Offizieren auf die Schulter zu klopfen und fand die Strme von scharfen Getrnken etwas selbstverstndliches. Er bemhte sich, das Lokal zu vergrern und den Umsatz zu verdoppeln, solange noch die Konjunktur anhielt, d.h. Militr im Lande war. Schwiegervater Flatow lehnte solche Plne angeekelt ab und trumte von dem Tag, an dem der letzte britische Soldat aus dem Landschaftsbild Naharias verschwand. Diese Unterschiede der Auffassung wurden wohl im Laufe der Zeit zu Meinungsverschiedenheiten betreffs der Geschftsfhrung. Ich hatte das Gefhl, David sah in seinem Schwiegervater einen Dickkopf, der nichts von Business verstehen will und Flatow sah in ihm einen leichtsinnigen Jungen, dem es an geschftlicher Urteilskraft mangelt. Die Spannungen waren fhlbar, auch da Else darunter litt, wenn auch nach auen hin alle uerst beherrscht waren. Was wirklich in der Familie vorging weiss ich natrlich nicht, Tatsache ist, da nach dem Krieg Else und David Naharia verlieen und nach Haifa bersiedelten. Dort arbeitete David jahrelang in verschiedenen Hotels, das Caf in Naharia verkauften Flatows an einen Fremden. Warum? Wer weiss.
Im Sommer 1941 waren die Wirrnisse der Welt weit von uns entfernt und manchmal unwirklich. An Abenden leer von Soldaten saen die Brger von Nahria in den Cafs bei Kaffee und Kuchen oder hchstens einem Glas Bier. Bei Flatows spielte der Plattenspieler die gngigen Platten, man tanzte auf einer kleinen Flche mitten auf dem Rasen, darber bunte Glhbirnen gespannt. An einem solchen Abend ertnten pltzlich die Sirenen. Kein Mensch nahm davon Notiz, rannte in den nchsten Keller oder losch das Licht. Man tanzte weiter. Scheinwerfer und Leuchtspurmunition ber der Haifa-Bay. Ein Flugzeug strzt ins Meer. Bombenaufschlge. Immer neue Angriffswellen, Stunden lang. Frhaufsteher nahmen den sechs Uhr Autobus um nach zu sehen, was sich in Haifa tut, oder bei der Raffinerie. Garnichts, nicht ein Kratzer, die auf dem Karmel stationierte Anti-Aircraft lie die Angreifer sich erst garnicht der Kste nhern, was Gring zu der Bermerkung anregte, Haifa sei besser verteidigt als London.
Flatow fhrte sein Caf auch als Restaurant, worin sich aber das Men auszeichnete, weiss ich nicht mehr. Die Soldaten bestellten meisten Steak and Ships, ich glaube aber die Auswahl war grer. Drei oder vier Frauen arbeiteten in der Kche. Das Menu bestimmte Herr Flatow selbst. Schon um 5 Uhr Frh war er in der Kche, dem groen Kessel mit Kaffee vorzubereiten. "Das macht mit niemand gut genug, das mu ich selber tun". Die Frau des Hauses sah man man nicht in der Kche und auch selten whrend des Tages im Restaurant. Hufig war sie bettlgerig. Besuchern erklrte sie, nach Jahren schwerer Arbeit sei sie heute erschpft; der Urspung ihres Leidens sei in der Gebrmutter zu suchen. Das hatte der behandelnde Arzt ihr gesagt, der getreue Dr. Weidenfeld. Der Doktor war ein vollendeter Gentleman und Diplomat. Er hatte versucht ihr anzudeuten, da das Wort hysta - Gebrmutter - die Quelle des Ausdrucks Hysterie sei. Mit andern Worten, sie, die Frau Flatow, sei kerngesund und was ihr fehle sei Beschftigung. Was Ella Flatow durchaus nicht hinderte auch Mittags, im grten Schwitz und vollem Restaurant wegen irgend etwas nach einer Angestellten zu klingeln. Die Familie kochte - und schwieg.
Mehr oder weniger feste Arbeit hatten wir beide, wir beschlossen also, uns eine etwas bessere Behausung zu suchen. Aus dem Bekanntenkreis von Jeremias wurde uns so etwas wie ein Bungalow vorgeschlagen, eine Blechhtte von einem groen Zimmer, innen mit Sperrholz ausgeschlagen, mit Dusch-Ecke und Toilette. Kleine Luken ringsum sorgten fr etwas Durchzug. Wir nahmen an. Die Wirte waren das Ehepaar Lilo und Herbert Hallitscher, die sich ihr Drei-Zimmer-Huschen auf einem Grundstck von einigen Dunam erbaut hatten; die Htte diente ihnen als Unterkunft bis zur Fertigstellung des Hauses. Ich weiss nicht, ob Herbert irgend einen Beruf hatte, ich glaube, er arbeitete am Bau. Er war einer der nicht so seltenen Typen, die sich zu Hherem berufen fhlen, zu groen Geschften und groen Einkommen. Da diese aber vorerst sich nicht einstellten, geruhte er gndigst auch mit einfachen Arbeiten vorlieb zu nehmen, wenn auch unter seinem persnlichen Niveau. Lilo ergnzte die fehlenden Einnahmen dadurch, da sie sich auf ihr Fahrrad setzte und von Strasse zu Strasse und Haus zu Haus die Gemeindesteuern kassierte. Hchstwahrscheinlich war auch unsere Wohnungsmiete ein nicht unerheblicher Teil des monatlichen Budgets. Es gab auch auch ein Shnchen im Alter von zwei Jahren. Lilo war immer gut aufgelegt und sprach Deutsch mit schwbischen Akzent; Herbert hatte sich immer ber Gott und die Welt zu beklagen.
Die Nachbarn von Hallitscher, und somit auch unsere, waren ein Ehepaar Walter und Hanna Deutsch, gleichfalls deutscher Herkunft. Ihr Husschen war usserst einfach, mehr im Stil von Jeremias. Sie bearbeiteten den zum Grundstck gehrigen Boden, meistens fr Grnfutter, denn Walter Deutsch hielt einige Milchkhe in einem aus Blech und Holz zusammengenagelten Schuppen. Auserdem war er noch Mtglied des Gemeinderates. Walter Deutsch war ein gebildeter Mann, scharfzngig - und hatte es sich in den Kopf gesetzt, koste es was es wolle, Landwirt zu bleiben. Allem Anschein nach aber gewhrte ihm dies nicht mehr als eine drftige Existenz. Seine Frau war hoch gewachsen, die Haare glatt nach hinten gekmmt und die Zpfe zu einem Krnchen um den Kopf gewunden, ein wenig Missionarstyp, von uerster Ruhe. Zweit Babies krochen um ihre Fe herum.
Darber hinaus hatten wir keine Bekannten - wir hatten weder Geld, noch die ntige Zeit zum Ausgehen. Nanni arbeitete teilweise bei Channa Jeremias und ihren Kleinkindern, teilweise auch bei Flatows, in der Kche oder beim Servieren an Sonnabend-Nachmittagen. Ich selbst begann mich nach etwas besser bezahlter Arbeit umzusehen. Die gab es vorerst nicht, aber ein Projekt der britischen Armee in nchster Nhe stand in Aussicht. Einmal allerdings holte man mich von der Strae weg zum Gieen des Betondaches des im Bau befindlichen Kinos. Von sieben Uhr frh bis vier Uhr nachmittags dauerte der Gu von ein paar Quadratmeter Dach - der Bauunternehmer (die Firma Stern) verfgte nur ber eine kleine Betonmaschine. Wir arbeiteten ohne Unterbrechung und waren zum Schlu alle hungerig und durstig. Der Besitzer erschien am Bauplatz mit einem Tablett belegten Broten und Getrnken, und, wie sich bals herausstellte, waren die Gtrnke Brandy und Likr. Durstig wie ich war go ich einige Glschen hinunter, ohne viel zu achten was ich da trank. Nach wenigen Minuten fing dann alles sich um mich herum zu drehen, irgendwie hrte ich noch den Unternehmer sagen, wo und wann das Geld abholen - dann schwankte ich nach Hause mit etwas Schlagseite. Ich machte sogar noch einen Abstecher aufs Arbeitsamt, wo alle mich sehr merkwrdig ansahen.
Im Herbst begannen die Englnder dann mit dem Bau eines Flugplatzes, nicht weit von dem arabischen Dorf Bassa, heute Bezet. Eine Haifaer Baufirma mit dem schnen Namen NERCO - Near East Road Construction, war mit der Duchfhrung des Projekts betraut, ein nicht besonders groes berdies. Zwei Flugbahnen, gekreuzt, einige Hangars, eher Schutzwlle aus Feldsteinen erbaut, dreiseitig, nach vorn offen. Das Flugfeld ermglichte Landung und Aufstieg von 'Liberators', die damals in der westlichen Wste eingesetzt wurden.
Die Anlaufbahnen wurden noch nach althergebrachten Model konstruiert, nicht gegossen, sondern gepflastert, so wie man seit jeher Chausseen gepflastert hat, mit behauenen Feldsteinen, die, gewalzt, mit mehreren Schichten Schotter verschiedener Gre bedeckt wurden und zum Schlu mit Asphalt. An Ort und Stelle saen schon, wie wir hinkamen, schon hunderte von arabischen Steinklopfern, Einwohner der umliegenden Ortschaften, auch von jenseits der naheliegenden libanesischen Grenze. Den Hammer in der Hand saen sie dort und reihten Stein an Stein, ohne den Kopf zu heben. Die Steine, die in einem nahe gelegenen Steinbruch vorbereitet wurden, lieferten ihnen Tger. Der schwere Boden der ungepflasterten Zufahrtsstraen war hufig vom Regen aufgeweicht und erschwerte den Lastwagen mit Steinen das Durchkommen. Jeden Laster umschwrmten Dutzende von Leuten mit der Hacke in der Hand um, wenn mglich, ein Absinken zu verhindern, meist verlorene Liebesmh und um den bis an die Achsen abgesunkenen Laster erhob sich ein Geschrei, als wre die Schlacht von Agincourt noch einmal im Gange.
Was wir Juden aus Naharia hier zu tun hatten, so stellte es sich heraus, das war auf die arabischen Arbeiter aufzupassen. Die Aufsicht hatte sich in Flchen und Gebrll auszu- drcken, da die Araber angeblich eine andere Sprache nicht verstnden. In Wahrheit - die Sprache, die die Araber verstanden, war eben Arabisch, und wer Arabisch sprach hatte keinerlei Schwiergkeiten mit den Arbeitern auszukommen. Diese Leute waren Fachleute in ihrem Beruf. Die 'Runway' wurde wie damals jede gute Chaussee angelegt, mit Feldsteinen und Schotter, und nicht nur 'Mix and Place' wie die Strae in Chan Junis. Ein beladerner vier motoriger Bomber war nicht so federleicht, Grund und Drainage baute man mit aller Sorgfalt. Die arabischen Steinhauer lieferten ihre Arbeit glatt wie ein Tisch - das Verstreuen von verschiedenen Sorten Schotter nach Gre war Arbeit von Juden. Die arbeiteten nur nach Augenma und hatten auch fr die leichte Krmmung der Oberflche zu sorgen. Man bezahlte sie zehn mal mehr als uns und wahrscheinlich zwanzig mal mehr als die Araber.
Die Fachleute zu baufsichtigen war nicht unsere Sache, wohl aber die (manuelle) Vorbereitung von Banketts und Straengrben. Nach Ansicht des Leiters hatten wir selbst mit der Hacke in der Hand mit dem Beispiel 'mir nach!' voran zu gehen und die Menge zum Kriegseinsatz anzuspornen. Das aber war die Ansicht des Leiters einzig und allein; auer ihm nahm keiner an, da die Juden Hand an eine Turia zu legen verpflichtet wren. Schlielich war das britische Imperium eine Kolonialmacht. Sogar die Araber teilten nicht die Ansicht des Leiters. Sie redeten uns mit 'Chawadj'a' an, zu mindest soviel wie 'Sahib' in Indien. Es fand sich ein modus vivendi mit den Arabern: wir sahen ihnen nicht ber die Schulter und sie blamierten uns nicht vor dem Leiter. Der fate uns nhmlich einmal (ein Ingenieur, Fnfziger, mit ansehnlichem Bauch) beieinander beim Austausch von Tagesereignissen, ohne da wir ihn bemerkt htten, whrend die Araber schufteten. Er stellte sich breitbeinig vor uns und begann: "Ihr seid doch sicher alle groe Sozialisten, schmt Ihr Euch unttig zuzusehn wie andere arbeiten?" Was nur beweisst, da er keinen blassen Schimmer von Sozialismus hatte... Russische Werkleiter htten ihm schon einiges diesbezglich beigebracht. Sicherheits halber schlossen wir ein Abkommen mit seinem Chauffeur: von weitem solle er uns blinken, wenn sein Boss nicht neben ihm sitzt.
Wer war das, 'wir'? Junge Leute aus Naharia, ohne Beruf und ohne feste Beschftigung, dazu eine Gruppe frhlicher Kibuzniks aus Kibuz Ga'aton (heute Ne'ot Mordechai), der am Ende Naharias ein leeres Gehft und einige leere Hhnerstlle als Wohnraum besetzte. Alles Wiener, begabt das Leben von der leichteren Seite zu nehmen, wie es sich fr Leute aus der Walzerstadt gehrt. Ihre Witze erzhlten sich zum Schlu sogar die Araber.
Nur wenige Wochen war fr uns dort etwas zu tun, Mitte Januar war alles vorbei. Ich weiss nicht ob der Flugplatz noch in Betrieb genommen wurde, das groe Feld Akko war dich nebenbei. Es war immerhin noch ein Jahr vor El-Almejn, Rommel drohte und die Englnder fhlten sich absolut nicht so sicher in ihrer Haut. Fhrt man heute die Grenzstrae mit Libanon entlang, so kann man noch gegenber Moschaw Bezet, mitten im Feld, einige Mauern aus Feldsteinen sehen - die berreste einer imperialischen Vergangenheit. Ich nehme an, Bezet hat es an Baumaterial nicht gefehlt...
Durch die Arbeit in Bassa geriet ich irgendwie in die Liste der 'Bauarbeiter' und fand Arbeit beim Bau in Naharia. Whrend der Kriegsjahre herrschte Mangel an Baumaterial im Land, bei Privatunternehmen natrlich und vor allem an Zement. 'Nescher' bei Haifa war die einzige Zementfabrik im Land und das Militr beschlagnahmte von vorn herein den grten Teil der Produktion. So blieb nur wenig fr Wohnhuser brig - wenn berhaupt. Ein junger Bauingenieur, Chawer des Kibuz Ejn Hamifraz, hatte eine Methode entwickelt, die ermglichte mit einem Minimum an Zement pro Quadratmeter Bau auszukommen. Die Sache war basiert auf die Benutzung der Ziegel der Ziegelei 'Na'aman' in der Haifa-Bay. Die Ziegel waren hohl, aus gebranntem Ton und wurden als Decke oder Fuboden gewlbt, was ihnen Festigkeit verlieh, ohne gegossene Decke oder Boden aus Beton. Die Wnde waren doppelt aufgefhrt und mit Stiften verankert. Alles wre gut und schn gewesen, htte man den Bau an einem Tag in einem Stck fertig stellen knnen, um den gegenseitigen Halt zu sichern. So aber lag ein strmisches Wochenende dazwischen, und als ich am Sonntag frh zur Arbeit kam, traute ich meinen Augen nicht: was blieb war ein Ziegelhaufen. Nicht schlimm, nach ein paar Stunden war allen wegge- rumt und man konnte von Neuem beginnen, mit der Hoffnung auf besseres Wetter.
Ein Jahr beinahe waren wir nun in Naharia, 'selbstndig', auerhalb des Kibuz; auf besondere Fortschritte konnten wir nicht hinweisen. Es lebte sich garnicht so schlecht in Naharia, aber feste Arbeit hatte ich nicht, einen Beruf auch nicht und wrde beides in absehbarer Zukunft auch nicht erreichen. Das ist nicht immer eine Geldfrage, meistens ist nur Einfallsreichtum in Initiative von Nten. An beidem mangelte es mir. Andererseits, sein Leben lang beim Arbeitsamt anstehen... Also beschlo ich, Fahrstunden zu nehmen, als Lastkraftfahrer.
Ich fand eine Fahrschule oben auf dem Karmel in Haifa. Der Karmel - Central-Carmel und Achusa - war damals noch ziemlich in den Anfngen und viele Straen bestanden vorerst nur aaus Sandwegen. Fahrunterricht war damals nur auf dem halbleeren Karmel erlaubt, die Fahrprfungen aber fanden unten in der Altstadt und im Hafenviertel statt. Die Prfer waren englische Polizisten, die einen Bakschisch als Bestechung erwarteten, so jedenfalls sah es aus. Bei der ersten Fahrprfung durchzukommen stand sowieso auer Frage; die Fahrschulen pflegten ihre Schler nach fnf oder sechs Fahrstunden zum 'Test' zu schicken und wer nicht schon vorher fahren konnte wute nach fnf Stunden berhaupt nichts, zumal die Prfer einen durch die Gsschen der arabischen Altstadt jagten. Diese Methode brachte den Fahrschulen nicht weniger ein als die obligatorischen zehn oder fnfzehn Stunden heute. Wie dem auch sei - mein Test war schnell vorber: an einer belebten Straenkreuzung unten, in der Nhe des Hafens lie sich der Gang nicht in die ausgeleierte Schaltung (trotz 'Zwischengas') drcken und der Motor 'wrgte ab'. Der 'Tester' wurde fuchsteufelswild, ergriff das Steuer, aber es dauerte auch bei ihm eine Weile bis der klapperige Testwagen wieder in Gang kam. Der Englnder verfluchte mich, die Fahrschule, die geistig minderbemittelte Schler zu den Prfungen schickt in betriebsunfhigen Testwagen, und sein, des Testers, bitteres Schicksal, das ihn zwingt sich mit alledem abzugeben. Im Bro des Verkehrsamt, damals gegenber dem heutigen 'Dagon' Speicher, verfasste er eine lange Epistel betreffs meiner Fahrkenntnisse, die mit einer versteckten Drohung schloss was passieren wrde, sollte ich es noch einmal in absehbarer Zeit wagen, die Schwelle des Verkehrsamtes zu betreten.
Dieser miglgte Versuch privaten Unterhehmungsgeistes hielt mich davon ab, weitere Fahrstunden zu nehmen; ich hatte auch nicht das Geld dazu. Viele Juden aber entdeckten ein weit billigeres Patent zur Erreichung eines Fhrerscheins: sich zu den Transporteinheiten der britischen Armee anwerben lassen. Dort lehrte man die Leute fahren nach der Methode 'spring ins Wasser und schwimm'. Hinter Rafa, an der gyptischen Grenze, setzte man sie ans Steuer des Militrlasters. In Kairo angekommen, waren sie perfekte Fahrer. Bei der Durchquerung Sinais konnten sie nicht viel Schaden anrichten. Billig, wie es schien, mir sagte das nicht zu. berdies wurde Nanni schwanger. Was wir jetzt brauchten war Sesshaftigkeit. Ob in Naharia - das war durchaus nicht klar.
Whrend unserer Zeit in Naharia hatten wir die Verbindung zu Kibuz "Machar" nicht abgebrochen. Man besuchte uns hufig, wie immer ohne Voranmeldung; die Gste brachte man dann, mangels anderer Alternativen, auf dem Fuboden unserer Ein-Zimmerwohnung unter. Damals arbeiteten viele Miglieder von Machar in den groen Meschakim des Kibuz Hame'uchad. Einige aus unserem nheren Bekanntenkreis der Hollndischen Alija-Gruppe arbeiteten in der Konservenfabrik von Aschdot Ja'akov im Emek Hajarden. Unsere Freunde Se"ev Mnzer und Joram Lewinsohn hatten sich dort eine feste Stellung erworben, waren von Aschdot sehr begeistert und Joram wollte garnicht mehr nach Machar zurck. Sie kannten bereits alle magebenden Leute und schlugen uns vor auch einen Anschlu zu erwgen. Mir selbst schien der Gedanke an eine Rckkehr ins Kibuzleben nicht gerade verlockend. Noch dazu in unserer nicht gerade glnzenden wirtschaftlichen Verfassung, mit einer schwangeren Frau, in einem der entwickelsten und fundiertesten Kibuzim Zuflucht zu suchen. Nanni sah das anders. Sie hatte nie die Idee des Kibuz aufgegeben. "Wenn uns "Machar" nicht geglckt ist, warum es nicht woanders versuchen?" Bessere Vorschlge hatte ich natrlich nicht und Aschdot Ja'akov war immerhin eine Reise wert. Ich nahm also die Einladung an, den 1. Mai mit unseren Freunden in Aschdot Ja'akov zu verbringen.
Die 1. Mai Feiern in Stdten und Drfen (im jdischen Sektor wohlgemerkt) spielten sich damals im europischen Stil ab: Demonstrationen proletarischer Solidaritt, Umzge, Versammlungen, gelegenlich auch Zusammenste mit Kommunisten oder anderen Extremisten von Links oder Rechts. In den groen Kibuzim dagegen, weitab von stdtischem Getriebe, der 1. Mai war ein Nationalfeiertag, weniger Demonstration als Bezzirkstreffen mit Auftreten von Schulkindern in Ballet und Tanzgruppen, Chren, Musik und Gesang. Ein Massenpiknik. Wohl gab es noch Gegenstze zwischen den einzelen ideologischen Strmungen - die bliche Parole: "Mit dem arabischen Arbeiter gegen den jdischen Kapitalisten" hatte man lngst beiseite gelegt.
Aschdot Ja'akov machte schon Eindruck auf den Besucher von draussen, mit seinen weit angelegten Rasenflchen, an die 300 Familien mit Kindern und vielen zeitweiligen Einwohnern und alles im Rahmen einer gesellschaftlichen Hierarchie die als selbstverstndlich hingenommen wurde.Joram und Se'ev empfingen mich uns fhrten mich in ihren Bekanntenkreis ein. Sie machten mich vor allem mit einem Ehepaar deutscher Herkunft bekannt, etwas lter als wir, Raphael und Miriam Kleinschmidt. Raphael war schon mehrere Jahre Mitglied von Aschdot Ja'kov, als Angehriger einer deutschen Gruppe, die sich Mtte der 30iger Jahre dem Kibuz anschloss. Miriam flchtete 1938 aus Berlin, wo sie beruflich ttig war; ihre anscheinend weitreichende Beziehungen ermglichten ihr ein 'Pstchen' im Palstina-Amt in Stockholm. Dort lernte Raphael sie kennen und lste ihr Problem durch Heirat und seinen Mandatorischen Pass.
Die Maifeiern der Kibuzim des Emek Hajarden fanden fr gewhnlich auf einem groen Platz bei Zemach (damals ein arabisches Stdtchen am Kinneret-See gelegen) statt und bis auf heute Treffpunkt fr Aufmrsche und Festivitten, nur da auf dem leeren Feld ein groes Amphi-Theater entstanden ist. Die Kibuzim erschienen dort, hnlich dem Einzug der Nationalmannschaften im Olympischen Stadium, in Reihen geschlossen, in blauen Blusen und roten Fahnen, in einer Staubwolke und 40 im Schatten, so wie es sich nun einmal frs Emek Hajarden gehrt. Wir gelangten nach Zemach mit den brigen Chawerim von Aschdot Ja'akov, im Marsch, Joram, Se'ev, das Ehepaar Kleinschmidt und ich. Da wir nicht zu den Ideologen der ersten Reihe gehrten, nahmen wir einen Vorschlag Miriams, uns eine Zuflucht etwas weiter weg von Staub und Lrm zu suchen, dankbar an. Es war diese ein kleines Caf, am See gelegen, Caf Wolf. Man sa dort angenehm und schattig und konnte in aller Ruhe die Tagesereignisse besprechen. Joram schwamm in Aschdot wie Fisch im Wasser; er lebte seine hierarchische Umgebung. Meine Gastgeber waren der Ansicht, da in absehbarer Zeit wir in Naharia nichts zu erwarten htten. Wir sollten uns lieber an Aschdot Ja'akov wenden und um Aufnahme bitten. Sie hatten keinen Zweifel, da Nanni und ich uns einleben wrden. Wir kamen berein, da auch Nanni in Krze nach Aschdot zu Besuch kommen und bei dieser Gelegenheit beim Sekretriat vorsprechen wrde.