Viele Jahre sind seitdem vergangen und ich weis nicht mehr, wo wir Abendbrot aen, was wir Flatows ber unseren 'festen' Wohnsitz mtteilten und wo wir unsere Koffer unterstellten.
Wir nahmen uns unsere Decken und gingen zum Strand hinunter. Stille ringsum, nur von ferne leise Schallplattenmusik aus einem der verschiedenen Cafs. Wir streckten uns im Sand aus. 'Der gestirnte Himmel ber uns', das beruhigende
Pltschern der Wellen um uns - das Morgenrot fand uns erfrischt und ausgeruht.
Harry Litten, der Nanni zur Arbeit begleitete, war entsetzt, als er hrte, wir htten die Nacht am Strand verbracht. Er bot uns fr einige Tage seine eigene Unterkunft an, die er,
wie er sagte, nicht immer benutze (!), ein Lift, Container wrden wir heute sagen, der deutschen Einwanderen zum Mbeltransport gedient hatte und in manchen Hfen noch als Wohnraum vermietet wurde. Wir trennten uns, Nanni ging
zu ihrer Arbeit, fr 20 angesagte Gste Abenessen vorzubereiten. Ich vertreib mir die Zeit bei Jaqui Scherman. Mittags trafen wir uns irgendwo. Nanni hatte Glck: sie hatte es fertig gebracht, sich die Aura einer erfahrenen
Kchin zu verleihen und berdies ein Abendessen hingelegt, das die Anzahl der Sterne, die Frau Burmeister ihrer Pension zusprach, durchaus nicht beschmte. Am Abend mute sie nochmals zurck in die Kche um das Anrichten des Essens zu
beaufsichtigen. Es war schon nach 11 Uhr als wir uns wieder sahen. Nanni hatte etwas von der Dinner-Tafel fr mich zum Abendbrot mitgebracht und dann fhrte uns Harry Litten zu seinem Lift, ein Kfig von 2.5 mal 1.5 Meter im Quadrat,
verdreckt wie eine Jungesellenbehausung. Wir lieen uns nieder und machten uns zusammen Kaffee. Inzwischen erwachte die Besitzerin des Grundstcks und des Lifts in ihrem kleinen Huschen nebenan und erschien in zerschlissenem
Morgenrock um zu fragen, was der Lrm zu bedeuten habe. Harry erklrte ihr, er wolle uns ein oder zwei Nchte hier unterbringen, da er, Harry, sowieso wegen der Feiertage an
seinen Arbeitsplatz auch des Nachts gebunden sei. Die Frau des Hauses reagierte wie jemand, dem man ein zweifelhaftes Geschft vorschlgt, "Schlielich sei ihr Grundstck kein Asyl fr Obdachlose". Aber als sie uns Deutsch sprechen
hrte beruhigte sie sich, wnschte uns eine gute Nacht und zog sich zurrck. Wir beschlossen, am nchsten Morgen so schnell wie mglich den Platz zu rumen, um ihr nicht noch einmal unter die Augen zu kommen. Jahre
spter baute sich Liesschen Mller, so hie die Dame, ein Haus in Gvaram, und meine Mutte kaufte es ihr dann ab. Sie war die Tante von Ge'ula Benjamin.
Gleich nach Ausgang der Feiertage fanden wir uns einen anderen Lift in einem anderen Gehft, eingerichtet mit Eisenbett und
Apfelsinenkiste. Wir beschafften uns eine Kochflamme und einen Kochtopf - siehda, unser erster Privathaushalt in den eigenen vier Wnden! Am kommenden Tage schlug mir Flatow bei sich Arbeit vor als Hausknecht, wie man so sagt,
Hausgrtner, Lieferant, 'Mdchen fr alles', 'Schlattenschammes', der Lohn entsprechend dem rtlichen Tarif des Arbeitsamtes, 30 Grusch (Naharia zahlte immer mehr als anderswo). Ich nahm an - es war wirklich das Beste was mir geboten
wurde, das Einzige nhmlich...
Eine 'Wohnung' hatten wir also, ich hatte Arbeit und Nanni einige Angebote, nachdem bei Frau Burmeister nach den Feiertagen es nichts mehr zu tun gab, alle Vorschlge aber waren
nur zeitweilig. Der Gasmann hatte dafr gesorgt, da das ganze Stdtchen Nanni pltzlich zu kennen schien. Seine Frau, Channa Jeremias bot Nanni Arbeit als Hilfe in ihrem Kleinkinderheim an.
Diese Familie Jeremias war etwas Besonderes. Sie hatte etwas von dem 'carefree' im Stil der 60iger Jahre. Ihr Grundstck gehrte bereits zum (knftigen) Entwicklungsgebiet des
Strand-Bezirks. Parzellierung gab es bereits, Planung aber noch weit weg. Daher hatte sie weder Wasser, noch Strom. Ein Zollrohr verband sie von irgendwo mit einem Wasserhahn, fr Licht sorgte ein 'Lux', na, und elektrische
Khlschrnke hatten sowieso die wenigsten damals. Ihre Abode war eine Kreuzung aus Barakke, Blechhtte und Sperrholz. Das gerumige Wohnzimmer glich einer Patio, mit Pflanzen, die aus den Wnden durch die Decke wuchsen. Der Raum diente
auch als Schlafzimmer des Ehepaar, die beiden Tchter bewohnten zwei anliegende Kammern; eine dritte war ein kitchenette. Die Dusche versteckte sich in irgend einer Ecke des Hauses. Das Wohzimmer war auch das Bro der Gas-Agentur:
ein Tischchen in einer Ecke. Vor allem aber diente das Wohnzimmer in den Vormittagsstunden zur Aufnahme der Kleinen. Eine berdachte 'Terasse' vor dem Haus erweiterte den Raum als Spielplatz whrend des
grten Teils des Jahres.
Channa und Benjamin Jeremias kamen beide aus Deutschland, aber nicht mit der organisierten Alija, wie die meisten Jngeren. Ob sie bemittelt waren weiss ich nicht. Benjamin schien
eine landwirtschaftliche Hochschule oder hnliches absolviert zu haben und kam nach Naharia als Instruktor. Channa war die Tochter irgend eines bekannten zionistischen Fhrers und das verhalf beiden zu einem Zertifikat. Naharia aber
ward immer weniger auf die Dienste eines landwirtschaftlichen Instruktors angewiesen, Benjamin Jeremias fand aber bald Anstellung in den britischen landwirtschaftlichen Versuchsstation und 'Stockfarm' im
benachbarten Akko. Dort bernahm er die Leitung der Schweinezucht, ein wichtiger Betriebszweig fr die christlich-arabische Landbevlkerung der Umgebung. Das hie aber nicht, da man auch in Naharia Schweine zu zchten begann - in
Naharia hatte man lngst aufgehrt von 'Boden' zu reden, dort sprach man nur von 'Grundstcken'. Das Gehalt eines Angestellten H.M.Government reichte aber nicht zum Leben aus und hier sprang, wie der Kindergarten von Channa, die
Gas-Agentur ein. Diesen beiden Beschftigungen, Gas und Instruktion, blieb Jeremias sein Leben lang treu: Noch Anfang der 80iger bezeugte davon der elegante Pas-Gasladen in Naharias Hauptstrae und dann traf ich ihn einmal bei einem
Landestreffen von Instruktoren in Kirjat Gat - bezglich Obstbaus, nicht Schweinezucht...
Damals jedoch ernhrten sie sich mehr schlecht als recht, ihrer zahlreichen Beschftigungen zum Trotz. Soweit wir sahen, bemhten sich beide nicht bsonders mit ihren sprlichen
Einnahmen wirtschaflich umzugehen. Channa konnte ohne viel nachzudenken einkaufen, Benjamin spielte es keine Rolle bei Flatow zu frhstcken, bevor er zur Arbeit fuhr - der Autobus hielt genau vor dem Caf Flatow. Ein derartiger
Lebensstil war nicht uninteressant fr uns, wenn auch nicht ganz verstndlich; zu Hause hatten wir so etwas nicht gesehen. Aber das alles ist relativ: nach heutigen Verhltnissen lebte man in Naharia mehr als
bescheiden.
Eines konnte man jedenfalls lernen, wenn man bei Jeremias am Tisch sa (ab und zu a ich dort zu Mittag): den rtlichen Klatsch. Alles ber Jeden. Die bloe Beschftigung von Channa und
Benjamin machte sie zu zentralen Figuren in Naharia. In jedem Kochtopf und jedem Schlafzimmer kannten sie sich aus. Irgend ein Vorfall, eine unbeabsichtigte Bemerkung, wuchsen in Jeremias' Nachrichten-Agentur zu Ereignissen aus.
Einmal passierte es, da ein Ei, das der alte Flatow Benjamin Jeremias servierte nicht ganz frisch war. So etwas kann schon mal vorkommen und nicht angetan, den Ruf, dessen Caf Flatow sich erfreute, in Frage zu stellen. Den ganzen
Tag aber war Flatow sich nicht sicher, da Jeremias die Sache nicht im Autobus nach Haifa ausposaunen wrde. Und so war es dann auch: noch am selben Abend hrte man Jeremias Version zitiert, gleich
der Schlagzeile einer gelben Presse.
Ohne Ende knnte man ber die Leute von Naharia erzhlen. Einige wurden bekannt. Die Fleischerei wurde von einem Ehepaar Kwilezki aus Breslau betrieben, Bekannte meiner Mutter.
Der Laden war klein und adrett und sie besaen bereits einen Khlraum, den auch Flatow manchmal zur Khlung von Getrnken benutzte, wenn seine Einrichtung wegen groen Andrangs an Sonn- und Feiertagen nicht ausreichte. In einem Zimmer
33 hinter dem Geschft kochten sie auch Wurst, die stolz den Wasserturm Naharias als Warenzeichen trug. Ihre Tochter war bereits verheiratet und der Schwiegersohn Teilhaber im Geschft. Er hie Zaglobeck. Ein anderer, gro gewachsen
und bebrillt, fuhr tglich per Fahrrad von Haus zu Haus und verkaufte Milch und Sahne. Seine Ware fhrte er auf dem Gepcktrger mit sich. Ich glaube nicht da er Khe hielt, seine 'Molkerei' befand sich in einem kleinen Zimmer,
daselbst ein Separator und ein Tisch zur Bereitung von Kse. Er war gut situiert, davon bezeugte die schne Villa, in der er wohnte. Er nannte sich Strauss.
Was aber Naharia damals auszeichnete war nicht Zaglobeck und Strauss als Fabrikanten, als der 'jekische' Charakter des Ortes. "Die Teilung kann ausfallen wie sie will, Naharia
bleibt deutsch!", pflegte man zu sptteln whrend der 'Round Table Conference' in London. Bei Ausbruch der Unruhen 1936 war Deutsch die Sprache des Sicherheitsdienstes. Die Schullehrer behaupteten, den Kindern mangele es an
Ausdruckfhigkeit in Ivrit, weil sie zu Hause nur Deutsch hren wurden - blanker Unsinn, wie viele mehrsprachige Diplomatenkinder in aller Welt bewiesen.
Wenn die Naharianer, insbesondere die 'Haute voll' unter ihnen, nach einer zweiten Sprache strebten, so war dies Englisch. Englisch sprechen, das war schon 'standesgem'. Die
Englnder hatten ein Ferienlager ausserhalb Naharias eingerichtet. Zum grten Bedauern vieler Gaststtteninhaber war Naharia 'in Bound to all Ranks' erklrt worden und leider nicht 'Officers only!' Das garantierte zwar grere
Einnahmen, war aber keineswegs immer einfach. Die britische Armee ihrerseit hatte keine andere Wahl; sie hatte fr die kurzen Urlaube ihrer kmpfenden Einheiten in der westlichen Wste zu sorgen.
Alles bemhte sich eben in Englich flieend zu sein. Man erzhlte sich auch, da die Jungfrau Maria unbeabsichtigt in Naharia stecken geblieben war und nach Oben telefonisch anrief:
"Mary is speaking..." Man konnte sie totsicher bei Flatow antreffen, zum 'Five o'clock Tea (sharp)' , beim Tanz zu einer Schallplatte 'Somewhere in France', in den Armen des 'Captain of the scottish Guards', der gerade aus Tobruk
eingetroffen war. Sollten da die Frauen Naharias unttig zusehen? "Unsere guten Beziehungen zur britischen Armee sind wohl hier und da ein Baby wert" erklrte der Brgermeister von Naharia an einem Ver-
brderungsabend im Kreise englischer Offiziere, mit mehr Promille Alkohol als zutrglich im Blut. Und sowieso, sagte man, die Frauen htten alle schwarze Unterhosen zu tragen, wegen des Verdunkelungsbefehls fr militrische Objekte...
Fr viele, beonders fr manche Damen, bedeutete alles was englisch, englische Kultur war etwas Erstrebenswertes, fand auch diese 'Kultur' ihren Niederschlag hchstens in
Schallplatten und Filmen, berdies zum grten Teil amerikanischen Herkunft, und die Trger britischer Kultur sich nicht selten als betrunkene Soldaten und ungebildete Subaltern Beamte materialisierten, die ihren Dienst hier als
Strafversetzte absolvierten. Keiner dachte daran, da London zerbombt, da auf den britischen Inseln alles streng rationiert war und da, den Briefen ihrer hier dienenden Mnner zufolge, Palestine sich in Augen englische
Hausfrauen als ein Paradis auf Erden abzeichnete, wo alles in Hlle und Flle zu haben war.
Nein, nicht jeder Englnder, der bei Flatow ber seinem Glas Whisky brtete war ein Lord und Herr eines 'Manor-House'. Es waren Menschen wie Du und ich, die sich um ihren Ange-
hrigen im zerbombten England sorgten, was sein wrde, sollten sie von Rommel und der 'Western Desert' nicht lebend zurrckkehren. Sie redeten nicht viel ber sich. Hier und da
murmelte einer der lteren Offiziere, "ja, er sei der letzte von seinem Regiment und warte auf Versetzung in eine andere Einheit". Ihre persnlichen Probleme und Sehnschte
lsten sie, wie es ihre Vter und Urvter getan, vom Atlantik bis zum Ural,: mit Hilfe von 'John Barleycorn', dem Schnaps, sei er aus Getreide oder Kartoffeln, ihre Sorgen und ngste zu ersufen. Wir Juden sahen darin nie einen Ausweg,
wir wurden aber auch nie unsere Sorgen los. Dem Englnder oder Schotten, der da bei Flatow hinter seiner Flasche sa, half es ber die nchsten 48 Stunden von Verzweifelung und Einsamkeit hinweg. Das heisst solange sie allein waren,
Englnder, Schotten, Australier, Sd-Afrikaner, jeder fr sich. Die Anwesenheit von mehr als je einem Vertreter der Lnder des Commonwealth an einem Platz schuf im Handumdrehen die 'kritische Masse', die sofort zur Explosion fhrte.
Besonders Englnder und Australier konnten in einem Lokal nicht mehr als eine viertel Stunde zusammen sein, ohne da es zu Zusammensten gekommen wre.
Gegenseitiger Antagonismus, noch aus der Zeit der Strflingstransporte und dem Abenteuer von Galipoli, da Churchill Australiens Regimenter verheizte. Jetzt wieder, im Libanon 1941,
gingen die Australier voraus und saen natrlich in Tobruk in den vordersten Linien. So fhlten jedenfalls die Australier gegenber den Pommies, die sich vor allem drcken und
andere fr sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen lassen. So stellten eines Abends ein Dutzend Englnder und Australier das Caf Flatow innerhalb weniger Minuten auf den Kopf; nur das schnelle Eintreffen der Militrpolizei
verhinderte Tote. Ein Ur-Hass. "Wisst Ihr", fragte einamal ein schottischer Offizier eine Gruppe von Anwesenden mit Stentor-Stimme, "you know, what's the British Empire? Scottish brains, irish work and jewish money" Wer braucht da
noch die Englnder!
Der alte Flatow liebte das alles gar nicht, und in den Jahren, da Erez Jisrael die Etappe der Nord-Afrikanischen Front gegen Rommel war, htte er lieber ein Wiener Caf an Stelle
einer Wild-West-Bar gefhrt, in der Umsatz an akoholischen Getrnken alle andere Konsumtion weit berstieg. Sein Schwiegersohn David Me'iri aber schwamm darin wie ein Fisch im Wasser. Der sprach flieend Englisch,
verstand es Soldaten und Offizieren auf die Schulter zu klopfen und fand die Strme von scharfen Getrnken etwas selbstverstndliches. Er bemhte sich, das Lokal zu vergrern und den Umsatz zu verdoppeln, solange noch die Konjunktur
anhielt, d.h. Militr im Lande war. Schwiegervater Flatow lehnte solche Plne angeekelt ab und trumte von dem Tag, an dem der letzte britische Soldat aus dem Landschaftsbild Naharias verschwand. Diese Unterschiede der Auffassung
wurden wohl im Laufe der Zeit zu Meinungsverschiedenheiten betreffs der Geschftsfhrung. Ich hatte das Gefhl, David sah in seinem Schwiegervater einen Dickkopf, der nichts von Business verstehen will und Flatow
sah in ihm einen leichtsinnigen Jungen, dem es an geschftlicher Urteilskraft mangelt. Die Spannungen waren fhlbar, auch da Else darunter litt, wenn auch nach auen hin alle uerst beherrscht waren. Was wirklich in der Familie
vorging weiss ich natrlich nicht, Tatsache ist, da nach dem Krieg Else und David Naharia verlieen und nach Haifa bersiedelten. Dort arbeitete David jahrelang in verschiedenen Hotels, das Caf in Naharia verkauften Flatows an einen
Fremden. Warum? Wer weiss.
Im Sommer 1941 waren die Wirrnisse der Welt weit von uns entfernt und manchmal unwirklich. An Abenden leer von Soldaten saen die Brger von Nahria in den Cafs bei Kaffee und Kuchen
oder hchstens einem Glas Bier. Bei Flatows spielte der Plattenspieler die gngigen Platten, man tanzte auf einer kleinen Flche mitten auf dem Rasen, darber bunte Glhbirnen gespannt. An einem solchen Abend ertnten
pltzlich die Sirenen. Kein Mensch nahm davon Notiz, rannte in den nchsten Keller oder losch das Licht. Man tanzte weiter. Scheinwerfer und Leuchtspurmunition ber der Haifa-Bay. Ein Flugzeug strzt ins Meer. Bombenaufschlge. Immer
neue Angriffswellen, Stunden lang. Frhaufsteher nahmen den sechs Uhr Autobus um nach zu sehen, was sich in Haifa tut, oder bei der Raffinerie. Garnichts, nicht ein Kratzer, die auf dem Karmel stationierte Anti-Aircraft lie die
Angreifer sich erst garnicht der Kste nhern, was Gring zu der Bermerkung anregte, Haifa sei besser verteidigt als London.
Flatow fhrte sein Caf auch als Restaurant, worin sich aber das Men auszeichnete, weiss ich nicht mehr. Die Soldaten bestellten meisten Steak and Ships, ich glaube aber die Auswahl
war grer. Drei oder vier Frauen arbeiteten in der Kche. Das Menu bestimmte Herr Flatow selbst. Schon um 5 Uhr Frh war er in der Kche, dem groen Kessel mit Kaffee vorzubereiten. "Das macht mit niemand gut genug, das mu ich selber
tun". Die Frau des Hauses sah man man nicht in der Kche und auch selten whrend des Tages im Restaurant. Hufig war sie bettlgerig. Besuchern erklrte sie, nach Jahren schwerer Arbeit sei sie heute erschpft;
der Urspung ihres Leidens sei in der Gebrmutter zu suchen. Das hatte der behandelnde Arzt ihr gesagt, der getreue Dr. Weidenfeld. Der Doktor war ein vollendeter Gentleman und Diplomat. Er hatte versucht ihr anzudeuten, da das Wort
hysta - Gebrmutter - die Quelle des Ausdrucks Hysterie sei. Mit andern Worten, sie, die Frau Flatow, sei kerngesund und was ihr fehle sei Beschftigung. Was Ella Flatow durchaus nicht hinderte auch Mittags, im grten Schwitz und
vollem Restaurant wegen irgend etwas nach einer Angestellten zu klingeln. Die Familie kochte - und schwieg.
Mehr oder weniger feste Arbeit hatten wir beide, wir beschlossen also, uns eine etwas bessere Behausung zu suchen. Aus dem Bekanntenkreis von Jeremias wurde uns so etwas wie ein
Bungalow vorgeschlagen, eine Blechhtte von einem groen Zimmer, innen mit Sperrholz ausgeschlagen, mit Dusch-Ecke und Toilette. Kleine Luken ringsum sorgten fr etwas Durchzug. Wir nahmen an. Die Wirte waren das Ehepaar Lilo und
Herbert Hallitscher, die sich ihr Drei-Zimmer-Huschen auf einem Grundstck von einigen Dunam erbaut hatten; die Htte diente ihnen als Unterkunft bis zur Fertigstellung des Hauses. Ich weiss nicht, ob Herbert irgend einen Beruf
hatte, ich glaube, er arbeitete am Bau. Er war einer der nicht so seltenen Typen, die sich zu Hherem berufen fhlen, zu groen Geschften und groen Einkommen. Da diese aber vorerst sich nicht einstellten, geruhte er gndigst auch mit
einfachen Arbeiten vorlieb zu nehmen, wenn auch unter seinem persnlichen Niveau. Lilo ergnzte die fehlenden Einnahmen dadurch, da sie sich auf ihr Fahrrad setzte und von Strasse zu Strasse und Haus zu Haus die Gemeindesteuern
kassierte. Hchstwahrscheinlich war auch unsere Wohnungsmiete ein nicht unerheblicher Teil des monatlichen Budgets. Es gab auch auch ein Shnchen im Alter von zwei Jahren. Lilo war immer gut aufgelegt und sprach Deutsch mit
schwbischen Akzent; Herbert hatte sich immer ber Gott und die Welt zu beklagen.
Die Nachbarn von Hallitscher, und somit auch unsere, waren ein Ehepaar Walter und Hanna Deutsch, gleichfalls deutscher Herkunft. Ihr Husschen war usserst einfach, mehr im Stil von
Jeremias. Sie bearbeiteten den zum Grundstck gehrigen Boden, meistens fr Grnfutter, denn Walter Deutsch hielt einige Milchkhe in einem aus Blech und Holz zusammengenagelten Schuppen. Auserdem war er noch Mtglied des Gemeinderates.
Walter Deutsch war ein gebildeter Mann, scharfzngig - und hatte es sich in den Kopf gesetzt, koste es was es wolle, Landwirt zu bleiben. Allem Anschein nach aber gewhrte ihm dies nicht mehr als eine drftige Existenz. Seine Frau
war hoch gewachsen, die Haare glatt nach hinten gekmmt und die Zpfe zu einem Krnchen um den Kopf gewunden, ein wenig Missionarstyp, von uerster Ruhe. Zweit Babies krochen um ihre Fe herum.
Darber hinaus hatten wir keine Bekannten - wir hatten weder Geld, noch die ntige Zeit zum Ausgehen. Nanni arbeitete teilweise bei Channa Jeremias und ihren Kleinkindern, teilweise
auch bei Flatows, in der Kche oder beim Servieren an Sonnabend-Nachmittagen. Ich selbst begann mich nach etwas besser bezahlter Arbeit umzusehen. Die gab es vorerst nicht, aber ein Projekt der britischen Armee in nchster Nhe stand
in Aussicht. Einmal allerdings holte man mich von der Strae weg zum Gieen des Betondaches des im Bau befindlichen Kinos. Von sieben Uhr frh bis vier Uhr nachmittags dauerte der Gu von ein paar Quadratmeter Dach - der
Bauunternehmer (die Firma Stern) verfgte nur ber eine kleine Betonmaschine. Wir arbeiteten ohne Unterbrechung und waren zum Schlu alle hungerig und durstig. Der Besitzer erschien am Bauplatz mit einem Tablett belegten Broten und
Getrnken, und, wie sich bals herausstellte, waren die Gtrnke Brandy und Likr. Durstig wie ich war go ich einige Glschen hinunter, ohne viel zu achten was ich da trank. Nach wenigen Minuten fing dann alles sich um mich herum zu
drehen, irgendwie hrte ich noch den Unternehmer sagen, wo und wann das Geld abholen - dann schwankte ich nach Hause mit etwas Schlagseite. Ich machte sogar noch einen Abstecher aufs Arbeitsamt, wo alle mich sehr merkwrdig ansahen.
Im Herbst begannen die Englnder dann mit dem Bau eines Flugplatzes, nicht weit von dem arabischen Dorf Bassa, heute Bezet. Eine Haifaer Baufirma mit dem schnen Namen NERCO - Near
East Road Construction, war mit der Duchfhrung des Projekts betraut, ein nicht besonders groes berdies. Zwei Flugbahnen, gekreuzt, einige Hangars, eher Schutzwlle aus Feldsteinen erbaut, dreiseitig, nach vorn offen. Das Flugfeld
ermglichte Landung und Aufstieg von 'Liberators', die damals in der westlichen Wste eingesetzt wurden.
Die Anlaufbahnen wurden noch nach althergebrachten Model konstruiert, nicht gegossen, sondern gepflastert, so wie man seit jeher Chausseen gepflastert hat, mit behauenen
Feldsteinen, die, gewalzt, mit mehreren Schichten Schotter verschiedener Gre bedeckt wurden und zum Schlu mit Asphalt. An Ort und Stelle saen schon, wie wir hinkamen, schon hunderte von arabischen Steinklopfern, Einwohner der
umliegenden Ortschaften, auch von jenseits der naheliegenden libanesischen Grenze. Den Hammer in der Hand saen sie dort und reihten Stein an Stein, ohne den Kopf zu heben. Die Steine, die in einem nahe gelegenen Steinbruch
vorbereitet wurden, lieferten ihnen Tger. Der schwere Boden der ungepflasterten Zufahrtsstraen war hufig vom Regen aufgeweicht und erschwerte den Lastwagen mit Steinen das
Durchkommen. Jeden Laster umschwrmten Dutzende von Leuten mit der Hacke in der Hand um, wenn mglich, ein Absinken zu verhindern, meist verlorene Liebesmh und um den bis an die Achsen abgesunkenen Laster erhob sich ein Geschrei,
als wre die Schlacht von Agincourt noch einmal im Gange.
Was wir Juden aus Naharia hier zu tun hatten, so stellte es sich heraus, das war auf die arabischen Arbeiter aufzupassen. Die Aufsicht hatte sich in Flchen und Gebrll auszu-
drcken, da die Araber angeblich eine andere Sprache nicht verstnden. In Wahrheit - die Sprache, die die Araber verstanden, war eben Arabisch, und wer Arabisch sprach hatte keinerlei Schwiergkeiten mit den Arbeitern auszukommen.
Diese Leute waren Fachleute in ihrem Beruf. Die 'Runway' wurde wie damals jede gute Chaussee angelegt, mit Feldsteinen und Schotter, und nicht nur 'Mix and Place' wie die Strae in Chan Junis. Ein beladerner vier motoriger Bomber
war nicht so federleicht, Grund und Drainage baute man mit aller Sorgfalt. Die arabischen Steinhauer lieferten ihre Arbeit glatt wie ein Tisch - das Verstreuen von verschiedenen Sorten Schotter nach Gre war Arbeit von Juden.
Die arbeiteten nur nach Augenma und hatten auch fr die leichte Krmmung der Oberflche zu sorgen. Man bezahlte sie zehn mal mehr als uns und wahrscheinlich zwanzig mal mehr als die Araber.
Die Fachleute zu baufsichtigen war nicht unsere Sache, wohl aber die (manuelle) Vorbereitung von Banketts und Straengrben. Nach Ansicht des Leiters hatten wir selbst mit der Hacke
in der Hand mit dem Beispiel 'mir nach!' voran zu gehen und die Menge zum Kriegseinsatz anzuspornen. Das aber war die Ansicht des Leiters einzig und allein; auer ihm nahm keiner an, da die Juden Hand an eine Turia zu legen
verpflichtet wren. Schlielich war das britische Imperium eine Kolonialmacht. Sogar die Araber teilten nicht die Ansicht des Leiters. Sie redeten uns mit 'Chawadj'a' an, zu mindest soviel wie 'Sahib' in Indien. Es fand sich ein
modus vivendi mit den Arabern: wir sahen ihnen nicht ber die Schulter und sie blamierten uns nicht vor dem Leiter. Der fate uns nhmlich einmal (ein Ingenieur, Fnfziger, mit ansehnlichem Bauch) beieinander beim Austausch von
Tagesereignissen, ohne da wir ihn bemerkt htten, whrend die Araber schufteten. Er stellte sich breitbeinig vor uns und begann: "Ihr seid doch sicher alle groe Sozialisten, schmt Ihr Euch unttig zuzusehn wie andere arbeiten?" Was
nur beweisst, da er keinen blassen Schimmer von Sozialismus hatte... Russische Werkleiter htten ihm schon einiges diesbezglich beigebracht. Sicherheits halber schlossen wir ein Abkommen mit seinem Chauffeur: von weitem solle er
uns blinken, wenn sein Boss nicht neben ihm sitzt.
Wer war das, 'wir'? Junge Leute aus Naharia, ohne Beruf und ohne feste Beschftigung, dazu eine Gruppe frhlicher Kibuzniks aus Kibuz Ga'aton (heute Ne'ot Mordechai), der am Ende
Naharias ein leeres Gehft und einige leere Hhnerstlle als Wohnraum besetzte. Alles Wiener, begabt das Leben von der leichteren Seite zu nehmen, wie es sich fr Leute aus der Walzerstadt gehrt. Ihre Witze erzhlten sich zum Schlu
sogar die Araber.
Nur wenige Wochen war fr uns dort etwas zu tun, Mitte Januar war alles vorbei. Ich weiss nicht ob der Flugplatz noch in Betrieb genommen wurde, das groe Feld Akko war dich
nebenbei. Es war immerhin noch ein Jahr vor El-Almejn, Rommel drohte und die Englnder fhlten sich absolut nicht so sicher in ihrer Haut. Fhrt man heute die Grenzstrae mit Libanon entlang, so kann man noch
gegenber Moschaw Bezet, mitten im Feld, einige Mauern aus Feldsteinen sehen - die berreste einer imperialischen Vergangenheit. Ich nehme an, Bezet hat es an Baumaterial nicht gefehlt...
Durch die Arbeit in Bassa geriet ich irgendwie in die Liste der 'Bauarbeiter' und fand Arbeit beim Bau in Naharia. Whrend der Kriegsjahre herrschte Mangel an Baumaterial im Land,
bei Privatunternehmen natrlich und vor allem an Zement. 'Nescher' bei Haifa war die einzige Zementfabrik im Land und das Militr beschlagnahmte von vorn herein den grten Teil der Produktion. So blieb nur wenig fr Wohnhuser brig -
wenn berhaupt. Ein junger Bauingenieur, Chawer des Kibuz Ejn Hamifraz, hatte eine Methode entwickelt, die ermglichte mit einem Minimum an Zement pro Quadratmeter Bau auszukommen. Die Sache war basiert auf die Benutzung der Ziegel
der Ziegelei 'Na'aman' in der Haifa-Bay. Die Ziegel waren hohl, aus gebranntem Ton und wurden als Decke oder Fuboden gewlbt, was ihnen Festigkeit verlieh, ohne gegossene Decke oder Boden aus Beton. Die Wnde waren doppelt aufgefhrt
und mit Stiften verankert. Alles wre gut und schn gewesen, htte man den Bau an einem Tag in einem Stck fertig stellen knnen, um den gegenseitigen Halt zu sichern. So aber lag ein strmisches Wochenende dazwischen, und als ich am
Sonntag frh zur Arbeit kam, traute ich meinen Augen nicht: was blieb war ein Ziegelhaufen. Nicht schlimm, nach ein paar Stunden war allen wegge- rumt und man konnte von Neuem beginnen, mit der
Hoffnung auf besseres Wetter.
Ein Jahr beinahe waren wir nun in Naharia, 'selbstndig', auerhalb des Kibuz; auf besondere Fortschritte konnten wir nicht hinweisen. Es lebte sich garnicht so schlecht in Naharia,
aber feste Arbeit hatte ich nicht, einen Beruf auch nicht und wrde beides in absehbarer Zukunft auch nicht erreichen. Das ist nicht immer eine Geldfrage, meistens ist nur Einfallsreichtum in Initiative von Nten. An beidem
mangelte es mir. Andererseits, sein Leben lang beim Arbeitsamt anstehen... Also beschlo ich, Fahrstunden zu nehmen, als Lastkraftfahrer.
Ich fand eine Fahrschule oben auf dem Karmel in Haifa. Der Karmel - Central-Carmel und Achusa - war damals noch ziemlich in den Anfngen und viele Straen bestanden vorerst nur
aaus Sandwegen. Fahrunterricht war damals nur auf dem halbleeren Karmel erlaubt, die Fahrprfungen aber fanden unten in der Altstadt und im Hafenviertel statt. Die Prfer waren englische Polizisten, die einen Bakschisch als
Bestechung erwarteten, so jedenfalls sah es aus. Bei der ersten Fahrprfung durchzukommen stand sowieso auer Frage; die Fahrschulen pflegten ihre Schler nach fnf oder sechs Fahrstunden zum 'Test' zu schicken und wer nicht schon
vorher fahren konnte wute nach fnf Stunden berhaupt nichts, zumal die Prfer einen durch die Gsschen der arabischen Altstadt jagten. Diese Methode brachte den Fahrschulen nicht weniger ein als die obligatorischen zehn oder fnfzehn
Stunden heute. Wie dem auch sei - mein Test war schnell vorber: an einer belebten Straenkreuzung unten, in der Nhe des Hafens lie sich der Gang nicht in die ausgeleierte Schaltung (trotz 'Zwischengas') drcken und der Motor 'wrgte
ab'. Der 'Tester' wurde fuchsteufelswild, ergriff das Steuer, aber es dauerte auch bei ihm eine Weile bis der klapperige Testwagen wieder in Gang kam. Der Englnder verfluchte mich, die Fahrschule, die geistig
minderbemittelte Schler zu den Prfungen schickt in betriebsunfhigen Testwagen, und sein, des Testers, bitteres Schicksal, das ihn zwingt sich mit alledem abzugeben. Im Bro des
Verkehrsamt, damals gegenber dem heutigen 'Dagon' Speicher, verfasste er eine lange Epistel betreffs meiner Fahrkenntnisse, die mit einer versteckten Drohung schloss was passieren wrde, sollte ich es noch einmal in absehbarer Zeit
wagen, die Schwelle des Verkehrsamtes zu betreten.
Dieser miglgte Versuch privaten Unterhehmungsgeistes hielt mich davon ab, weitere Fahrstunden zu nehmen; ich hatte auch nicht das Geld dazu. Viele Juden aber entdeckten ein weit
billigeres Patent zur Erreichung eines Fhrerscheins: sich zu den Transporteinheiten der britischen Armee anwerben lassen. Dort lehrte man die Leute fahren nach der Methode 'spring ins Wasser und schwimm'. Hinter Rafa, an der
gyptischen Grenze, setzte man sie ans Steuer des Militrlasters. In Kairo angekommen, waren sie perfekte Fahrer. Bei der Durchquerung Sinais konnten sie nicht viel Schaden anrichten. Billig, wie es schien, mir sagte das nicht zu.
berdies wurde Nanni schwanger. Was wir jetzt brauchten war Sesshaftigkeit. Ob in Naharia - das war durchaus nicht klar.
Whrend unserer Zeit in Naharia hatten wir die Verbindung zu Kibuz "Machar" nicht abgebrochen. Man besuchte uns hufig, wie immer ohne Voranmeldung; die Gste brachte man dann,
mangels anderer Alternativen, auf dem Fuboden unserer Ein-Zimmerwohnung unter. Damals arbeiteten viele Miglieder von Machar in den groen Meschakim des Kibuz Hame'uchad. Einige aus unserem nheren Bekanntenkreis der Hollndischen
Alija-Gruppe arbeiteten in der Konservenfabrik von Aschdot Ja'akov im Emek Hajarden. Unsere Freunde Se"ev Mnzer und Joram Lewinsohn hatten sich dort eine feste Stellung erworben, waren von Aschdot sehr begeistert und Joram wollte
garnicht mehr nach Machar zurck. Sie kannten bereits alle magebenden Leute und schlugen uns vor auch einen Anschlu zu erwgen. Mir selbst schien der Gedanke an eine Rckkehr ins Kibuzleben nicht gerade verlockend. Noch dazu in
unserer nicht gerade glnzenden wirtschaftlichen Verfassung, mit einer schwangeren Frau, in einem der entwickelsten und fundiertesten Kibuzim Zuflucht zu suchen. Nanni sah das anders. Sie hatte nie die Idee des Kibuz aufgegeben.
"Wenn uns "Machar" nicht geglckt ist, warum es nicht woanders versuchen?" Bessere Vorschlge hatte ich natrlich nicht und Aschdot Ja'akov war immerhin eine Reise wert. Ich nahm also die Einladung an, den 1. Mai mit unseren
Freunden in Aschdot Ja'akov zu verbringen.
Die 1. Mai Feiern in Stdten und Drfen (im jdischen Sektor wohlgemerkt) spielten sich damals im europischen Stil ab: Demonstrationen proletarischer Solidaritt, Umzge,
Versammlungen, gelegenlich auch Zusammenste mit Kommunisten oder anderen Extremisten von Links oder Rechts. In den groen Kibuzim dagegen, weitab von stdtischem Getriebe, der 1. Mai war ein Nationalfeiertag, weniger Demonstration
als Bezzirkstreffen mit Auftreten von Schulkindern in Ballet und Tanzgruppen, Chren, Musik und Gesang. Ein Massenpiknik. Wohl gab es noch Gegenstze zwischen den einzelen ideologischen Strmungen - die bliche Parole: "Mit dem
arabischen Arbeiter gegen den jdischen Kapitalisten" hatte man lngst beiseite gelegt.
Aschdot Ja'akov machte schon Eindruck auf den Besucher von draussen, mit seinen weit angelegten Rasenflchen, an die 300 Familien mit Kindern und vielen zeitweiligen Einwohnern und
alles im Rahmen einer gesellschaftlichen Hierarchie die als selbstverstndlich hingenommen wurde.Joram und Se'ev empfingen mich uns fhrten mich in ihren Bekanntenkreis ein. Sie machten mich vor allem mit einem Ehepaar deutscher
Herkunft bekannt, etwas lter als wir, Raphael und Miriam Kleinschmidt. Raphael war schon mehrere Jahre Mitglied von Aschdot Ja'kov, als Angehriger einer deutschen Gruppe, die sich Mtte der 30iger Jahre dem Kibuz anschloss. Miriam
flchtete 1938 aus Berlin, wo sie beruflich ttig war; ihre anscheinend weitreichende Beziehungen ermglichten ihr ein 'Pstchen' im Palstina-Amt in Stockholm. Dort lernte Raphael sie kennen und lste ihr Problem durch Heirat und
seinen Mandatorischen Pass.
Die Maifeiern der Kibuzim des Emek Hajarden fanden fr gewhnlich auf einem groen Platz bei Zemach (damals ein arabisches Stdtchen am Kinneret-See gelegen) statt und bis auf heute
Treffpunkt fr Aufmrsche und Festivitten, nur da auf dem leeren Feld ein groes Amphi-Theater entstanden ist. Die Kibuzim erschienen dort, hnlich dem Einzug der Nationalmannschaften im Olympischen Stadium, in Reihen geschlossen, in
blauen Blusen und roten Fahnen, in einer Staubwolke und 40 im Schatten, so wie es sich nun einmal frs Emek Hajarden gehrt. Wir gelangten nach Zemach mit den brigen Chawerim von Aschdot Ja'akov, im Marsch, Joram, Se'ev, das
Ehepaar Kleinschmidt und ich. Da wir nicht zu den Ideologen der ersten Reihe gehrten, nahmen wir einen Vorschlag Miriams, uns eine Zuflucht etwas weiter weg von Staub und Lrm zu suchen, dankbar an. Es war diese ein kleines Caf, am
See gelegen, Caf Wolf. Man sa dort angenehm und schattig und konnte in aller Ruhe die Tagesereignisse besprechen. Joram schwamm in Aschdot wie Fisch im Wasser; er lebte seine hierarchische Umgebung. Meine Gastgeber waren der
Ansicht, da in absehbarer Zeit wir in Naharia nichts zu erwarten htten. Wir sollten uns lieber an Aschdot Ja'akov wenden und um Aufnahme bitten. Sie hatten keinen Zweifel, da Nanni und ich uns einleben wrden. Wir kamen berein, da
auch Nanni in Krze nach Aschdot zu Besuch kommen und bei dieser Gelegenheit beim Sekretriat vorsprechen wrde.